864. Kirchenfrevel zu Lauingen.

[400] (Mittermaiers) Sagenbuch 1850 S. 68.


Im Jahre 1404 wurde in der Pfarrkirche zu Lauingen der Kelch mit den geweihten Hostieen entwendet. Für die frommen Einwohner der Stadt war dies ein trauriges Ereigniß. Von den Kanzeln ertönten schlimme Prophezeihungen für solch' ruchlose Zeiten und Jedermann wünschte sehnlichst, daß der Frevler recht bald entdeckt und der Gerechtigkeit überliefert werde.

Eines Abends, als der Glöckner die Betglocke zog, bemerkte er im Halbdunkel des Glockenhauses eine zusammengekauerte Gestalt; in der Meinung, ein Gespenst zu erblicken, eilte er schnell hinaus, holte seinen Sohn und einige Kameraden aus der Nachbarschaft und begab sich mit ihnen zur nähern Untersuchung in den Thurm. Und siehe da, das vermeinte Gespenst war Niemand anders, als ein hier wohl bekannter alter Jude. Umsonst warf er sich auf die Knie und bot Geld, viel Geld; es nützte ihm nichts, er wurde gebunden und dem Gerichte überliefert. Er wurde, als er nicht gestehen wollte, was er in der Kirche zu thun gehabt, gefoltert, und bekannte nun, daß er kürzlich den Kelch entwendet und sich zum zweitenmale in die Kirche geschlichen, um auch die Monstranz, die er das vorigemal nicht habe mitnehmen können, zu holen.

Die Hostien hatte er in der Flicken, einem unfern der Stadt gelegenen Wäldchen, verborgen. Man führte den Juden dorthin, um die Stelle zu bezeichnen, doch er konnte sie nicht mehr finden. In der darauf folgenden Nacht vernahm jedoch ein Jäger, der spät von der Jagd heimkehrte, am Fuße eines Weidenbaumes wunderbaren Gesang und bemerkte die Hostien, welche vom himmlischen Lichte umgeben über der Erde schwebten. Eiligst lief er hieher und schnell zog die Geistlichkeit im Ornate aus, und wie man den Kelch an die Hostien brachte, schwebten sie von selbst hinein.

In der Spitalkirche zu Lauingen befindet sich ein schönes altes Gemälde, welches diese Scene versinnlicht, auch in Privatbesitze befindet sich ein gleiches. Das erste hat die Umschrift »Anno c†c cccciiij (1404) ist das Sakrament zu Lauingen gestohlen, allda erbar wieder erhebt worden.« Renov. 1730 &1844.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 400-401.
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