865. Die goldene Windfahne.

[401] Die vor. Schrift S. 70.


Nicht weit von Giengen, der einstigen reichsfreien, jetzt würtembergischen Landstadt, erheben sich auf einem Hügel die Trümmerhaufen der Güssenburg mit noch dreizehn Schuh dicken Mauern, besonders im Glanze der Abendsonne malerisch anzusehen. Diese Burg besaß im fünfzehnten Jahrhundert Hans Güß von Güssenburg vulgo Mordhans, und wie dieser Beiname sagt, ein böser und gefährlicher Kumpan. Dessen größte Freude war, Kaufleute und Reisende, die ihr Weg an seiner Burg vorbeiführte, zu überfallen, auszuplündern und gefangen in sein Raubnest zu schleppen. Nur gegen bedeutendes Lösegeld öffnete sich ihnen die Thüre des Kerkers wieder, wenn sie dem Ungemache der Gefangenschaft nicht erlegen waren.

Die benachbarten Handelsstädte gaben sich alle Mühe, den Bösewicht in ihre Gewalt zu bekommen, doch vergeblich. Zwar war es den Ulmern schon einmal gelungen, ihn gefangen zu nehmen, aber der Burgvogt der Güssenburg schickte den Kopf eines mit mehrern andern Ulmern gefangenen Kaufmannes in die Reichsstadt mit der Kundmachung, wenn sein Herr nicht binnen achtundvierzig Stunden frisch und gesund auf der Burg eintreffe, werde er allen übrigen Gefangenen das Haupt abschlagen lassen.

Dies wirkte, und bevor noch die Frist verstrichen, war der Mordhans wieder in seinem Schlosse und preßte aus den Gefangenen eine solche Summe Geldes heraus, daß er davon auf ein Zinnenthürmchen seines Schlosses eine Windfahne von lauterm Gold, einen Drachen vorstellend, machen lassen konnte. Ungewarnt und ungebessert setzte er sein ruchloses Treiben fort und achtete nicht der ewigen Wahrheit, daß jegliches irdische Thun seinen Zielpunkt hat, wo es heißt: bis hieher und nicht weiter!

Die Nähe der Güssenburg war den Lauingern eine recht verdrüßliche Nachbarschaft, und die Bürger knüpften ohneweiters mit den Ulmern und andern insgeheim Unterhandlungen an, das Raubnest zu zerstören. Besonders thätig war bei diesem Unternehmen ein Lauinger, um seiner Profession willen der Schlosserpeter genannt, der lange im Felde gedient, und eben erst recht mit der in Gebrauch kommenden Artillerie und in Verfertigung von allerlei Waffen und Mordmaschinen sehr erfahren war.

Er verfertigte eine Maschine, welche er mit feinstem Schießpulver eigener Komposition füllte und dann schwur, mit derselben das ganze[402] Thor der Güssenburg, und wenn es auch noch zehnmal stärkere Eichenbohlen habe und aus noch mehr Eisen bestehe, über den Haufen zu werfen gleich einem Garbenbündel. Seinem oft bewährten Worte vertrauend und lüstern nach der Beute des Schlosses, verbanden sich viele Bürger und zogen mit ihm. Und am Vorabende des Tages St. Johannes des Täufers 1448 zogen Abends die Bürger von Lauingen aus; hinter ihnen wurden, damit Niemand die bedrohte Burg warnen könnte, die Stadtthore geschlossen und Niemand mehr hinausgelassen.

Auf den Abend folgte eine regnerische und stürmische Nacht und außer der ausgestellten Hochwacht lag auf der bedrohten Burg Alles im Schlafe. Den Lauingern war es gelungen, die Höhe der Veste zu ersteigen und an deren Mauern gedrückt, harrten sie der Oeffnung des Einganges, um Brand und Mord hineinzutragen. Behutsam arbeitete der Schlosserpeter an dem Thore, und die Horcher glaubten das Geräusch von Schrauben zu vernehmen. Es war schon Mitternacht vorüber, als er endlich mit seiner Arbeit fertig war, hinter den Vorsprung der Mauer eilte und leise rief: »jetzt gilt's, seid bereit!«

Nun erscholl Geräusch wie von einer ablaufenden Weckuhr, dann auf einmal eine hellaufblitzende Feuerlohe und ein erschütternder Knall und die beiden riesigen Thorflügel lagen in Splittern im Schloßhofe und die Bürger stürzten voll Blut- und Beutelust hin ein. Sie trafen wenig Widerstand, denn die furchtbare Explosion und der unvermuthete Ueberfall hatte Alles außer sich gebracht, und da die Burg schnell an allen vier Ecken in Brand gesteckt wurde, so war das Schreckensschauspiel bald ausgespielt. Weit durch das Brenzthal hin verkündeten die auflodernden Thürme der Veste Fall und Zerstörung.

Der Mordhans war, als er im Hemd mit einem Streitkolben bewaffnet auf dem Burghofe erschienen, gleich im Anfange des Kampfes erschlagen worden, seine Leute hatten sich meistens geflüchtet. Als die schwer mit Beute beladenen Bürger sich zum Abzuge bereit machten, fehlte der Schlosser, und erschien erst spät, nachdem er mehrmals der Gefahr ausgesetzt gewesen war, von stürzenden Balken erschlagen zu werden oder im Rauche zu ersticken. Auf seiner Schulter trug er stolz die goldene Windfahne, die er von ihrem Standpunkte herunter zu bringen gewußt hatte. Obwohl mehrere der Bürger verwundet wurden, so war doch nur einer erschlagen worden, ein Handwerksgeselle aus einem fernen Ort, um den sich Niemand bekümmerte.[403]

Unter den entflohenen Burgleuten befanden sich auch die beiden Töchter des Mordhans, welche später jedes Jahr nach der Stätte der elterlichen Heimath wallten und des Vaters Tod und die Zerstörung der Burg bejammerten. Man will sie als Gespenster noch immer in der Nacht vor St. Johannestag in den Ruinen wandeln sehen, in welchen man häufig Pfeilspitzen, Nägel etc. findet, und acht bis sechzehn Schuh hoch ist der Boden mit Brandtrümmern bedeckt. Die noch stehenden Mauern sind zum Theil aus rothem Marmor erbaut, was merkwürdig ist, da es heut zu Tage in der Gegend keinen Marmorbruch mehr gibt.

Der Schlosserpeter hätte seine werthvolle Beute oft verkaufen können, aber er sagte immer: »nach meinem Tode will ich's dem vermachen, der mir am Leben der liebste war!« Und Jedermann schmeichelte ihm nun, in der Hoffnung, das werthvolle Kleinod zu erben, doch als er endlich hochbetagt starb, da fand man in seinem Testamente: die goldene Windfahne schenke er der Stadt, sie möge selbe auf den eben vollendeten Hofthurm setzen lassen. Wenn man jedoch um des edlen Metalles willen Bedenken trage, so habe er eine gleiche Windfahne von Messing eigener Erfindung verfertigt, die von dem Originale kaum zu unterscheiden sei.

Eine dieser Windfahnen wurde wirklich auf den Thurm gesetzt, ob es aber die ächte oder jene von Messing war, konnte man nie erfahren.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 401-404.
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