867. Der schwäbische Herkules.

[405] (Mittermaier's) Sagenbuch 1850, S. 57.


Im Dorfe Bächingen lebte im vorigen Jahrhundert ein überaus starker Mann. Vieles erzählt man sich beim Lampenscheine der winterlichen Spinnstube von seinen Thaten. Einmal war er in einem würtembergischen Dorfe Knecht und bekam mit seinem Bauern Streit, und als derselbe fluchend auf ihn eindrang, ergriff er ihn bei der Gurgel und warf ihn zur Scheune hinaus. Der wüthende Bauer rief nun nach den Nachbarn, die auch anrückten, doch der mannhafte Knecht trieb sie denselben Tag mehrmals in die Flucht, schnitt immer wieder ruhig sein Futter weiter, und legte sich Abends im wohlverschlossenen Stadel schlafen. Am Morgen erneuerten die Bauern den Angriff in vergrößerter Anzahl und litten endlich Sturm und schrieen, wie es in würtembergischen Dörfern, wenn man einen prügeln will, Sitte ist: »Uf ihn, uf ihn, er ist von Ulm!«

Der Pfarrherr kam auch und wollte vermitteln, doch eben machte der Bächinger mit einem gewaltigen Prügel einen Ausfall, warf viele zu Boden, prügelte Manchen und trieb die Uebrigen in die Flucht, so daß ihm um die eigene Haut bangte und er sich im Stalle versteckte. Der Knecht aber packte seine Habseligkeiten zusammen, zündete seine Tabakspfeife an und ging ganz ruhig zum Dorf hinaus der Heimath zu und verdiente dort sein Brod. Damals war auf den Kopf des sogenannten bayerischen Hiesels ein bedeutender Preis gesetzt, doch der Hiesel war um seiner Stärke willen weit und breit gefürchtet, und Niemand getraute sich an ihn. Nun erblickte ihn unser Bächinger einmal im Holze bei Obermedlingen und zwar ohne den Hund Tiras, schnell ging er auf ihn zu und ehe Hiesel noch zu den Waffen greifen konnte, hatte ihn der Bächinger zu Boden geworfen und wurde nach verzweifelter Gegenwehr über den Hiesel Herr und wollte ihm eben ganz ordentlich die Hände auf den Rücken binden, als er durch den Waldweg die Gesellen des Hiesels heraneilen sah und zu gleicher Zeit der Gebundene grimmig um Hilfe brüllte.

Da dachte der Bächinger an das, was ihn immer abgehalten hatte Soldat zu werden, nämlich: daß er nicht hieb- und kugelfest sei, flüchtete sich in das Holz und entkam auch glücklich jeder Verfolgung, war aber erst aus aller Angst, als der Hiesel in Dillingen hingerichtet wurde, wobei[406] er gemüthlich zuschaute. Er ließ sich hierauf, wer sollte es glauben, zu Bächingen als Webermeister und Taglöhner nieder, und würde er nicht längst schon im Reiche der Todten wandeln, könnte er noch seine Abentheuer mit den Revolutionsmännern im Franzosenkrieg, deren er eine Menge erlebt haben soll, selbst erzählen.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 405-407.
Lizenz:
Kategorien: