868. Die nächtliche Spinnerin zu Günzburg.

[407] Die vor. Schrift S. 42.


Spinnen in der Samstagsnacht galt im vorigen Jahrhundert für eine große Versündigung, der sich so leicht nicht Jemand theilhaftig machen wollte. Aber damals war in Günzburg eine geizige Frau, welche regelmäßig auch diese Zeit benützte, etwas zur Vermehrung ihrer Leinwand beizutragen. Einmal hatte sie so bis Mitternacht gesponnen, als sich auf einmal eine Gestalt, in welcher sie mit Schrecken ihren längst verstorbenen Großvater erkannte, mit Grabestönen vernehmen ließ: »Ungerathene Enkelin, alle diese Spindeln mußt du in einer Stunde voll gesponnen haben, sonst drehe ich dir den Hals um!« wonach das Gespenst verschwand. Die Frau hatte Todesschrecken und verschwur hoch und theuer das Spinnen am Samstage für immer. Sie wollte fliehen, aber sie gewahrte erst jetzt, daß sie sich nicht vom Stuhle heben könne; da kam ihr endlich in der Angst ein Einfall: sie wickelte alle Spindeln voll Flachs, welchen sie außen umspann und wurde eben fertig, als die Gestalt wiederkehrte und sprach: »das hat dir Gott gerathen, es hätte dich das Leben gekostet!« worauf sie verschwand und die Frau sich wieder bewegen konnte.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 407.
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