891. Das Westerholz.

[427] Mündlich.


Die Befestigungsspuren im Westerholze, welches sich zwischen dem Dorfe Kaufring und dem alten Ritterschlosse Haltenberg ausdehnt, nennen die Leute »Burggräben,« und sowohl der Name, als diese Gräben selbst weisen auf eine alte Burg hin. Das Volk sagt, hier sei vormals ein Schloß gestanden, welches versunken ist. Deßhalb habe man schon öfters weiße Burgfräulein gesehen, und Leute, welche zur Nachtszeit vorüber gehen mußten, haben allerlei Spuck wahrgenommen. Hochbetagte Leute erzählen noch, wie einmal ein Mann aus Kaufring zur Nachtszeit vorbeigegangen sei, und am Eingange in diese Verschanzungen drei weißgekleidete Fräulein gesehen habe, welche ihm bedeuteten, er solle hereinkommen. Der Mann aber sei muthlos geworden, habe Fersengeld gegeben, und sei voll Angst nach Hause gerannt. Ein anderer Mann aus Scheuering soll ebenfalls die Erscheinung eines solchen Fräuleins gehabt haben, derselben aber nicht gefolgt sein, sondern sich mit dem Spruche entfernt haben: »Alle guten Geister loben Gott den Herrn, was ist dein Begehren?« Dieser Mann hatte sich nämlich eines frühern Vorkommens erinnert, wo ein Vorübergehender von dem Fräulein in die Burg gelockt worden, viele wunderbare Dinge gesehen hätte, und mit Geld beschenkt worden wäre. Schwer beladen sei der Mann nach Hause gezogen, aber am andern[427] Morgen habe er in der Kiste, worin er dieses Geld aufbewahrte, nichts als dürres Laub gefunden. Dieses Fräulein soll bei den Burggräben am westlichen Saume des Waldes, nicht fern vom Lechflusse vorbeigegangen sein. Auf einer anderen Seite des Westerholzes aber, in südöstlicher Richtung, welche ehemals von einer Straße durchschnitten worden ist, die von Landsberg gerade nach Friedberg führte, nun aber bloß mehr als Feld- und Holzweg benützt wird, hat man auch schon seltsame Dinge wahrgenommen. Hier steht am Eingange in den Wald, neben dem sogenannten Lechweg, eine Martersäule, die vor mehr als hundert Jahren schon zum Andenken an einen grausamen Mord gesetzt worden sein soll. Da erzählen nun alte Leute, daß hier ein unterirdischer Gang laufen müsse, weil man schon öfters unter der Erde ein großes Geröll, bald wie das Rauschen eines Stromes, bald wie das Knarren eines schweren Wagens, oder auch wie das Getön eines Donners gehört hat. Es sind noch keine dreißig Jahre, als einige Männer von Kaufring in ihr Dorf zurückkehrten, und erzählten, wie sie dieses Getös vernommen hätten. Ein noch lebender, beinahe achtzigjähriger Mann behauptet, er habe auch solches Geräusch gehört, und unter ihm sei der Fußboden gewankt.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 427-428.
Lizenz:
Kategorien: