901. Sagen von Ortschaften, die vormals Städte gewesen.

[435] Mündlich.


Zwei Stunden ostwärts von Landsberg liegt ein Dorf, welches sehr steinigten Grund hat und den Namen Hofstetten führt. Die Bewohner dieses Ortes behaupten, daß ihr Dorf ehemals eine Stadt gewesen, und bis zum sogenannten schönen Büchel gereicht haben soll. Man hat auch öfters auf dem Felde Ziegel und andere Bausteine ausgegraben.

Von Schöngeising an der Ammer, zwischen Bruck und Grafrath gelegen, ist es allgemein bekannt, daß daselbst die römische Stadt ad Ambras[435] sich befunden und die Brücke über die Ammer die Straße von Salzburg nach Augsburg fortgesetzt habe. Hier trifft man aber gegenwärtig, nicht bloß auf einzelne Bausteine, sondern zuweilen auf ganze Grundmauern, wo jetzt Dorf und Feld steht, in den Wäldern aber Spuren von Aeckern an.

Auch von Walchstadt sagen die Bewohner der Gegend, es sei hier eine Stadt gestanden, die von da bis nach Hochstadt gereicht habe. In Türkenfeld geht die Sage, daß ehemals dieser Ort eine Stadt gewesen sei, die von Burgholz bis Klotzau gereicht habe. Burgholz und Klotzau seien die zwei Edelsitze gewesen, welche die Stadt bewachten. Eine Gasse im genannten Dorfe heißt man noch den Schmiedenberg; hier sollen die Schmiede und andere Feuerarbeiter ihre Werkstätten gehabt haben. Nördlich vom Schmiedenberge erhebt sich ein Hügel, dessen kugelförmige Spitze das Todtenberglein genannt wird. Das Volk glaubt, hier sei ehemals die Richtstätte gewesen, und nebenbei ein Todtenacker. Man hat auf diesem Platze schon einigemal Todtengebeine ausgegraben. Auch fand man früher bei Burgholz und Klotzau Ziegelsteine in der Erde, sowie andere Baumaterialien. Besonders sind es römische Hufeisen, welche hier häufig vorkommen, während die anstoßenden Waldgründe lauter Aecker erkennen lassen, und voll von römischen Grabhügeln sind. Selbst Straßenüberreste hat man in dieser Flur entdeckt. Diese und andere Entdeckungen mögen die Sage von einer römischen Stadt begründet haben.

Südlich vom Dorfe Traubing, in der Nähe eines kleinen Sees, den man Deichselfurther See nennt, links und rechts von der Landstraße, die von München und Starnberg nach Weilheim führt, befinden sich ziemlich hohe Hügel, auf welchen ehedem Häuser, die Ueberreste einer alten Ortschaft (Stadt) gestanden haben sollen. Auf dem sogenannten Baderbüchel sagt man, wäre die Kirche gewesen, und südlicher, wo noch eine viereckige Verschanzung eine alte Burg anzeigt, sei ein Schloß gestanden. Auf denselben Hügeln sind überall Spuren von Aeckern, sowie einzelne Römerhügel zu erkennen, daher angenommen wird, daß hier ein bedeutender Ort gestanden zu einer Zeit, wo das Thal von Traubing und Wieling noch ein Sumpf gewesen, welcher mit dem Meisinger See zusammen einen See gebildet hat, mit dem Deichselfurther See aber durch einen Ausfluß verbunden gewesen wäre.

Am südwestlichen Ende des Ammersees erhebt sich Diessen, ein alter Marktflecken, der ehedem sehr gewerbreich und wohlhabig war, nun aber seit Aufhebung der Klöster sehr herabgekommen ist. Man sagt, hier seien[436] die pontes Tessini über den dreiviertel Stunden breiten See gegangen, und eine Stadt gestanden, welche den Namen der pontes Tessini getragen.

Auch die Bewohner von Utting wollen den Ruhm behaupten, daß ihr ansehnliches Dorf ehedem eine Stadt gewesen, welche bis See oder Unterschondorf gereicht habe. Diese Stadt habe Urusa geheißen, und seien bei Unterschondorf die Bäder gewesen, welche reiche Römer angelegt hatten. Der nahegelegene Wald, zum Weingarten genannt, welcher den Hofmarchsherrn von Greifenberg eigen ist, soll zu Weinbergen gedient haben. Man versichert auch, daß, wenn durch diesen Wald nahe beim Ammersee ein geladener Wagen fährt, ein klingender Schall vernommen wird, wie wenn ein unterirdisches Gewölbe vorhanden wäre. Die Ausgrabung von einer zweihundert Fuß langen Grundmauer im Jahre 1795, mit einem schönen Estrich von hartem Marmor, und die Entdeckung einer eben solchen Mauer 1815 haben die Sage von einer ehemaligen Stadt nur bestätiget.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 435-437.
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