912. Weilheimer Stückln.

[443] Unter dieser Firma gehn viele Stücklein unter dem Volke, welche bald nach Weilheim, bald nach Hirschau, bald nach Plech, bald nach Ditges u.s.w. verlegt werden. Die Sage geht hier bereits in Schwank und Märchen über, indessen dürften einige der bekanntesten zur Charakteristik dieses Genre nicht am unrechten Orte sein.


1. Es war ein Landrichter zu Weilheim, der wollte schon lang einen Esel haben, und obgleich viele Tyroler mit Eseln durch Weilheim fuhren, so bekam er doch keinen, weil die Tyroler immer zu viel für einen solchen begehrten. Eines Tages geschah es, daß der Herr Landrichter auf der Bank vor der Hausthüre saß, als gerade wieder ein Tyroler mit einem wahren Muster von Esel vorbeifuhr. Der Landrichter gab sogleich einen Wink, daß der Tyroler halten sollte und fragte ihn, ob der Esel nicht feil sei. »Warum nicht,« sagte der Tyroler, »um fünfzig Gulden sollt ihr ihn haben.« »Der ist mir zu theuer,« erwiederte der Landrichter nach gewohnter Weise, indem er zu gleicher Zeit in den Wagen des Eseltreibers schaute und darinnen so gelbe, große Kugeln erblickte, wie er seiner Lebtag noch nie gesehen hatte. »Ei! was habt ihr denn da für Seltenheiten?«[443] fragte der neugierige Herr. »Ja,« sagte der Tyroler, »das sind Eselseier, welche mein Grauschimmel heute Nachts gelegt hat.« »Wie theuer das Stück?« entgegnete rasch der Landrichter. »Zwölf Gulden ist nicht zu viel,« antwortete der Tyroler. »Ei, so laßt mir ein Ei statt des Esels ab, erklärt mir aber noch, wie der Esel aus dem Ei hervorgeht!« Darauf versetzte der Tyroler: »Das ist nicht schwer, Ihr tragt das Eselsei auf den Gogelberg (bei Weilheim), setzt euch selber darauf und haltet es warm, bis der Esel heraus kommt.« Also war der Landrichter seines guten Einkaufs froh und der Eselstreiber zog guter Dinge von dannen. Das Eselsei war aber nichts anders, als ein großer gelber Kürbiß, diesen trug der Herr Landrichter nach Vorschrift auf den Gogelberg, setzte sich darauf und harrete der Dinge, die da kommen sollten. Als er aber bereits eine gute halbe Stunde auf seinem Eselsei gesessen, also daß ihm der Schweiß von der Stirne tropfte, geschah es durch seine Unruhe, daß ihm der Kürbiß entschlüpfte, über den Berg hinabrollte und zufällig in eine Staude hineinfuhr, aus welcher sogleich ein erschrecktes Häslein hervorsprang. Als dieses der Landrichter erblickte, schrie er vor Freuden einmal über das andermal: »Esel daher, Esel daher!« Aber der Esel wollte nicht hören, sondern nahm Reißaus in das Feld hinein. Der Herr Landrichter schaute ihm noch lange nach, bis er endlich seines Irrthums gewahr ward und sich zornig nach Hause begab, den Betrüger von Eselstreiber zur verdienten Strafe zu ziehen. Aber der Mann war klüger als der Landrichter gewesen und hatte sich bei Zeiten aus dem Staube gemacht. Also blieb dem Betrogenen die gute Lehre, in Zukunft keine Eselseier mehr zu kaufen.

2. Zwischen zwei ziemlich hohen und steilen Bergen stand ein Kirchlein, in das die Weilheimer so gerne gingen, was ihnen aber schwer wurde, weil die Kirche von den Bergen und einem See eingeschlossen war, und nur von einer Seite zugängig war, so daß die Weilheimer einen großen Umweg machen mußten. Abreißen wollten sie es nicht, und beschloßen daher, das Kirchlein auf die eine freie Seite zu schieben. Um sich nun zu merken, wie weit sie geschoben hätten, legte einer von ihnen seinen Mantel vor. Dann stellten sich alle hinter das Kirchlein, schoben aus allen Kräften und sahen dann nach einer Weile um den Mantel um. »Ei, ei,« sagten sie, »nun ist es genug, s' Kirchlein liegt schon auf dem Mantel droben.« Den Mantel hatte unterdessen ein Dieb genommen, das Kirchlein aber stand auf dem alten Flecke.[444]

3. Das alte Rathhaus war baufällig, und also beschlossen die Weilheimer, ein neues zu bauen. Sie gingen rüstig an's Werk, bauten und bauten immer fort, und endlich machten sie auch den Dachstuhl darauf, deckten ihn, und gingen nun feierlich in das Rathshaus, welches aber bei helllichtem Tage stockfinster war, denn sie hatten vor lauter Eifer die Fenster vergessen. Der Herr Bürgermeister verordnete daher, daß jeder einen Sack nehmen, in's Freie gehen, und mit Schaufeln und Gefäßen Tag in den Sack schöpfen, sodann denselben im Rathhause ausleeren sollte. Dieses thaten sie auch, allein es kam kein Tag in das Rathhaus, welches sie hernach abdeckten, um doch Licht zu bekommen.

4. Auf der Weilheimer Stadtmauer wuchs hohes Gras. Da die Weilheimer kein anderes Mittel wußten, es herunter zu bringen, so banden sie einen Ochsen an ein Seil und zogen ihn so auf die Mauer. Der Ochse mußte nun freilich ersticken und streckte seine Zunge ganz jämmerlich heraus. Da sprach Einer: »Seht nur, wie freudig das Oechslein seine Zunge nach dem frischen Gras ausstreckt!« Der Ochse wurde heraufgezogen; aber er war todt.

5. Einer zu Weilheim wollte einen Baumstamm zum Thor herein fahren. Er hatte aber denselben der Breite nach auf den Wagen geladen, so daß natürlich das Thor zu schmal war. Dieses gab Veranlassung, das Thor einzureißen, worauf jener mit seinem Baume hinein fuhr.

Quelle:
Alexander Schöppner: Sagenbuch der Bayer. Lande 1–3. München 1852–1853, S. 443-445.
Lizenz:
Kategorien: