224. Der Zaunklopfer.

[212] In verschiedenen, namentlich braunschweigischen Dörfern wird viel von einer gespenstischen Erscheinung erzählt, die der Zaunklopfer (stâkenklopper) genannt wird. Es ist das der Geist eines Menschen, welcher im Leben sich von dem Grund und Boden seines Nachbars widerrechtlich etwas angeeignet hat, indem er bei der Herstellung eines neuen Zaunes die Zaunpfähle zu weit in seines Nachbars Grundstück hineinrückte. Dafür geht er nun nach seinem Tode Nachts da um und klopft laut an die von ihm falsch gesetzten Zaunpfähle, wovon er auch den Namen hat. Sobald nemlich die Glocke elf schlägt, beginnt am einen Ende des Zaunes das Klopfen und geht dann immer weiter bis zum anderen Ende, indem auf jeden Pfahl drei starke Schläge geschehen. Man hört diese Schläge weithin, sieht aber durchaus nichts. Einst wollten mehrere junge Burschen aus Ahlshausen, unter denen sich der Erzähler selbst befand, wo möglich sehen, wer der Urheber des Klopfens sei, und hatten sich zu dem Zwecke auf beiden Seiten eines Zauns, an dem Nachts immer geklopft wurde, niedergelegt. Mit dem Glockenschlage elf begann das Klopfen und rückte ihnen näher und näher; als es gerade bei ihnen war, fuhr ein furchtbarer Windstoß zwischen ihnen hin durch, aber sie[212] sahen nichts. – In Kreiensen trieb auch ein solcher stâkenklopper sein Wesen; da ließ aber der Eigenthümer den Zaun wegnehmen und darauf seinen Garten nachmessen. Hierbei stellte es sich heraus, daß er vier Fuß von dem Eigenthume seines Nachbars gehabt hatte. Diese gab er zurück und machte dann an der rechten Grenze einen neuen Zaun. Von der Zeit an ward das Klopfen am Zaun nicht wieder gehört.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 212-213.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.