68. Hans von Eisdorf.

[46] Bei Eisdorf liegt eine Felshöhle. In dieser hauste vor Zeiten ein Räuber, mit Namen Hans von Eisdorf, der dadurch allen Nachforschungen entging, daß er seinem Pferde die Hufeisen verkehrt hatte aufschlagen lassen, wodurch seine Verfolger immer auf eine falsche Spur geleitet wurden. Einst erblickten ihn aber mehrere Bewohner von Eisdorf, als er im Begriff war nach der Höhle zurückzukehren, und setzten ihm nach. Um ihnen zu entkommen, spornte er sein Pferd und eilte rasch davon, bis er an einen steilen Felsabhang kam. Hier glaubten ihn seine Verfolger schon sicher zu haben, aber er sprengte den hohen Abhang hinunter. Das Pferd stürzte zerschmettert in die Tiefe; ihn selbst aber faßte der Wind unter den Mantel und trug ihn unverletzt in den Wald. Seit der Zeit hat man nichts wieder von ihm gehört.

Der Abhang, von dem der Räuber mit seinem Pferde herab sprengte, ist nach einigen die steile Felswand bei dem kleinen Dorfe Katzenstein, welches eine gute halbe Stunde von Osterode entfernt liegt.

Nach andern hat Hans von Eisdorf in dem Klinkerbrunnen gehaust. Das ist eine Kalksteinhöhle bei Schwiegershausen, ungefähr zehn Minuten von der Felsenhöhle entfernt, die der tröpfelnde Sinter mit einem unaufhörlichen heimlichen Geräusch erfüllt. An dieser Stelle ist er auch hingerichtet und sein Leichnam in Stücke gehauen, die an verschiedenen Stellen begraben sind. In der Geisterstunde treibt er bei der Höhle noch sein Wesen. Er sucht die Stücke seines Körpers wieder auf und ist einigen als ein schnell vorüberstreichendes Licht, andern als ein Mann ohne Kopf und Arme erschienen. Wer Nachts des Weges kommt, den erfaßt ein geheimes Grauen. Die ganze Höhle soll mit gebannten Geistern angefüllt sein.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 46-47.
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Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.