69. Die Lippoldshöhle bei Brunkensen.

[47] Etwa eine Stunde westlich von Alfeld, bei dem Dorfe Brunkensen, liegt die sog. Lippoldshöhle. Will man nicht durch den[47] Schornstein (eine Spalte in dem Felsen) hinunter steigen, so kann man nur mit Hülfe einer Laterne hinein gelangen. Unten in der Höhle befindet sich die Küche und der Pferdestall, darüber sind mehrere Zimmer gewesen. Hier hat vor Zeiten, einige sagen im 17. Jahrhundert, ein blutdürstiger Räuber Namens Lippold gehaust. Um nicht so leicht entdeckt zu werden, hatte er seinem Pferde die Hufeisen verkehrt untergeschlagen. Damit aber niemand unbemerkt an der Höhle vorbeigehen könnte, hatte er auf allen Wegen, welche vorbeiführten, Drahtzüge angebracht, die mit einem Glöckchen in der Höhle in Verbindung standen; ging nun einer vorüber und stieß mit dem Fuß an den Draht, so klingelte alsbald das Glöckchen und zeigte so die Nähe eines Menschen an. Alsbald kam der Räuber aus seiner Höhle hervor, schoß die Menschen nieder und beraubte sie. Einst gingen drei junge Mädchen aus Alfeld [auf dem sog. Weinberge] spazieren und wurden von dem Räuber überfallen; zweien von ihnen gelang es noch zu entkommen, die dritte wurde aber gefangen. Der Räuber brachte sie in seine Höhle und zwang sie unter Androhung des Todes ihm einen furchtbaren Eid zu schwören, daß sie ihn nicht verlassen und keinem Menschen etwas von ihm sagen wolle, weder daß er sie entführt habe, noch wo er hause. So blieb sie bei ihm in der Höhle. Kam er von seinen Raubzügen nach Hause, so legte er den Kopf auf ihren Schoß und sie mußte ihn dann so lange krauen (lausen), bis er einschlief. So schlief er täglich auf ihrem Schoße seinen Rausch aus, denn er war dem Trunke sehr ergeben. Als sie schon lange bei dem Räuber in der Höhle gelebt hatte, war gerade in Alfeld Markt, und sie wünschte sehnlich einmal dahin zu gehen. Sie bat ihn also ihr dieß zu erlauben; erst weigerte er sich, doch zuletzt erlaubte er es. In Alfeld angekommen, wollte sie gern einem ihr Leid klagen: da sie aber geschworen hatte keinem Menschen ihr Schicksal zu erzählen, so kniete sie auf dem Markte bei einem Steine vor dem Rathhause nieder und klagte dem ihr Leid. Der Stein wurde, als er dieß gehört hatte, alsbald ganz blau. Weiter erzählte sie noch, wenn man sie befreien wolle, so müsse man gerade im Mittage zur Höhle kommen, wo sie den Räuber krauen müsse und er auf ihrem Schoße schlafe; man möchte nur ein langes Seil mitbringen und durch den Schornstein herablassen, dieses wolle sie ihm dann um den Hals schlingen, worauf man ihn heraufziehen[48] könnte. Darauf ging sie wieder zurück zu ihrer Höhle. Es hatten aber auch Menschen ihre Klage gehört, und nun beeilten sich die Alfelder sie zu retten. Eines Mittags gingen also mehrere Leute hin zur Höhle; sie hatten ein Seil mitgenommen und ließen dasselbe durch den Schornstein herunter. Während nun der Räuber fest schlief, schlang ihm das Mädchen das Seil um den Hals; doch erwachte er zu früh, und indem die oben ihn heraufziehen wollten, faßte er noch das Mädchen und riß ihr die eine Brust ab. Allein dem Seile vermochte er nicht zu entrinnen und ward so erdrosselt.

Aus einer andern Erzählung verdient noch Folgendes mitgetheilt zu werden:

Der Räuber soll ein Graf Lippold von Wrisberg gewesen sein, der mit einem Waffenknechte in der Höhle hauste. Er überfiel ein Brautpaar aus Alfeld, welches am Hochzeitstage auf dem nahe gelegenen sogenannten Weinberge lustwandelte und sich dabei von den Gästen zu weit entfernt hatte. Der Bräutigam, ein Schmied, ward niedergeworfen, gebunden und blieb so auf der Erde liegen; die Braut aber ward von dem Räuber in die Höhle gebracht, und niemand wuste wo sie geblieben war. Einst benutzte sie die Abwesenheit des Räubers um nach Alfeld zu gehn, und klagte dem Steine auf dem Markte, der noch der blaue Stein heißt, ihr Leid. Auf der andern Seite desselben war ein Pfaffe, der Alles mit anhörte und es dem Schmiede wieder erzählte. Diesem gelang es dann später mit seiner Frau zusammen zu treffen, wobei er mit ihr verabredete den Räuber auf die angegebene Weise zu tödten.

Quelle:
Georg Schambach / Wilhelm Müller: Niedersächsische Sagen und Märchen. Göttingen 1855, S. 47-49.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Niedersächsische Sagen und Märchen
Niedersächsische Sagen und Märchen : Aus dem Munde des Volkes gesammelt und mit Anmerkungen und Abhandlungen herausgegeben. Nachdruck 1979 d. Ausgabe Göttingen 1855.