Dritter Aufzug


[124] Keine Stühle – oben an den Wandschirmen Tannenguirlanden mit grossen roten und gelben Papierblumen.

Weibliche und männliche Domestiken gehen und laufen über die Bühne mit Schüsseln, Tellern, Flaschen, Blumen, Kuchen[124] und Körben. Einzelne Domestiken flüstern sich vorne was ins Ohr – eilen aber bald wieder weg. Aus den Hinterzimmern hört man Gläserklirren und Hochrufen.

Währenddem erscheint Kneetschke und schreitet nachdenkend, die Hand am Kinn, durch die Domestiken hindurch.

Und dann erscheint, während die gewöhnlichen Domestiken verschwinden, das glückliche Brautpaar, ohne den Kneetschke, der vorne rechts stehen bleibt, zu bemerken.


WLADIMIR. Willst Du sehen, wie die Tausendmarkscheine leuchten?


Er holt ein paar Scheine aus der Brusttasche hervor und schwenkt sie in der Luft herum und erblickt dabei den Kneetschke.


KNEETSCHKE. Durchlaucht wollen entschuldigen, dass ich mich nicht früher bemerkbar machte – aber ich dachte grade über das Leben nach – ich bin ein ehrbarer Mann und kann mir dieses Nachdenken nicht abgewöhnen, da es doch so viele Dinge gibt, die sich mit der Ehrbarkeit eines festen Charakters nicht vertragen.

WLADIMIR. Kneetschke! Sind Sie Professor geworden?

KNEETSCHKE. Durchlaucht! Ich bleibe, was ich bin – blos ein ehrbarer Mann – und ein fester Charakter.

KATHI. Und Sie bleiben dafür auch ein langweiliger Peter; bleiben Sie da stehen – wir gehen.


Mit Wladimir scherzend hinten rechts ab.


KNEETSCHKE. Ob das noch eine echte Patzig ist? Ich fürchte, dieser Wind-Fürst, der mit seinen Tausendmarkscheinen so viel Wind machte, hat diese Patzig demoralisiert. Hm! Wie kann man nur mit so kostbaren Scheinen, die ausserdem noch zu Verlobungszwecken verwendet werden sollen, so viel Wind machen? Wie kann man nur? Hm! Hm!


Papa und Mama kommen.


PAPA. Ich fürchte, dass das Unglück nicht fern ist.

MAMA. Ach! Wie hab ich mich erschrocken! Da steht ja der Kneetschke!

KNEETSCHKE. Bitte um Verzeihung, Euer Gnaden! Ich gehe schon![125]

PAPA. Bleiben Sie stehen. Haben Sie die Hundertmarkscheine zum Drucker getragen?

KNEETSCHKE. Euer Gnaden mögen vergeben – aber ich habe die Scheine nie bekommen.

MAMA. Aber Hellmuth! Jetzt sprichst Du wieder von Hundertmarkscheinen? Was soll der Kneetschke blos davon denken? Wladimir hat doch schon die Tausendmarkscheine – besorgt.

KNEETSCHKE. Ah! Der Fürst Wladimir Zabórrek hat die fünfhundert Tausendmarkscheine besorgt? Ja – dann darf er sich mit ihnen auch Wind zufächeln – das ist etwas Andres.

PAPA. Was heisst das, Kneetschke?

KNEETSCHKE. Durchlaucht waren vorhin hier und taten, wie ich sagte. Ich habs mit meinen eigenen Augen gesehen, als ich grade übers Leben nachdachte.

BRAUTPAAR hinten links. Mama! Mama!

MAMA. Ich komme ja schon! Was wollt Ihn denn von der Mama?


Hinten links ab.


KNEETSCHKE erschreckend. Ah!


Hinten rechts erscheint der Geist des Grossvaters Patzig in langem Barte, geht langsam an der hintern Wand entlang und bleibt in der Mitte derselben

stehen. Papa und Kneetschke taumeln nach rechts und links an die Seitenwände.


GEIST. Kneetschke! Behüten Sie die Ehre der Familie Patzig.


Der Geist geht langsam weiter und verschwindet hinten links, und Kneetschke fällt auf die Erde, während der Papa die Hände vors Gesicht schlägt.

Die Gardinen ziehen sich von selber zu.
[126]

Quelle:
Paul Scheerbart: Gesammelte Arbeiten für das Theater. Band 1, München 1977, S. 124-127.
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