Fünftes Kapitel

Der Zeugungsakt

[74] Wisse, o Wesir – möge Gott dich beschützen! –, wenn du den Beischlaf zu vollziehen wünschest und dich zum Weibe begibst, so sollte dein Magen nicht mit Essen und Trinken überladen sein; nur unter dieser Bedingung wird dir der Coitus gesund sein und guttun.

Wenn dein Magen voll ist, kann das für euch beide nur üble Folgen haben; du wirst bedrohliche Anzeichen von Schlagfluß und Gicht bemerken, und die geringste Unannehmlichkeit, die eine solche Unvorsichtigkeit zur Folge haben kann, wird sein, daß du nicht dein Wasser lassen kannst und daß die Sehschärfe deiner Augen abnimmt!

Darum halte deinem Magen übermäßige Zufuhr von Speisen und Getränken fern, und du brauchst keine Krankheit zu befürchten.

Bevor du mit deiner Frau den Coitus vollziehst, rege sie durch Liebesspiele auf, so daß die Vereinigung der Geschlechtsteile zu eurer beiderseitigen Zufriedenheit den Schluß bildet.

Darum wird es gut sein, wenn du mit ihr spielst, bevor du dein Glied hineinsteckst und den Beischlaf vollziehst. Du mußt sie aufgeregt machen, indem du sie auf die Wangen küssest, an ihren Lippen saugst und an ihren Brüsten knabberst. Du mußt tausend Küsse auf ihren Nabel und auf ihre Schenkel drücken. Kitzle die Teile, die sich weiter unten befinden, beiße sie in die Arme und vernachlässige keinen Teil ihres Körpers; schmiege dich eng an ihre Brust und zeige ihr deine Liebe und Unterwürfigkeit.[75] Verschlinge deine Beine mit den ihrigen und presse sie in deine Arme; denn so hat ja der Dichter gesagt:


Unter ihrem Nacken diente

Meine rechte Hand als Kissen

Aber meine linke Hand

Trug sie sanft als wie ein Bett.


Bist du dicht an ein Weib geschmiegt, hörst du sie, nach Begattung lechzend, tiefe Seufzer ausstoßen – dann laß dein und ihr Begehren zu einem verschmelzen und laß eure Wollust den Höhepunkt erreichen; denn dieses wird der günstigste Augenblick für das Liebesspiel sein. Der Genuß, den dann das Weib empfindet, wird aufs höchste gesteigert sein; du selbst wirst sie um so inniger lieben, und sie wird in ihrer Zärtlichkeit für dich verharren; denn es ist gesagt worden:

»Wenn du ein Weib tief Atem holen siehst, wenn ihre Lippen rot werden und ihre Augen in feuchtem Glanz schwimmen, wenn ihr Mund halb sich öffnet und ihre Bewegungen nachlässig werden, wenn sie aussieht, als möchte sie schlafen gehen, mit wankenden Schritten und gähnendem Munde – so wisse: dies ist der rechte Augenblick für den Coitus, und wenn du dann auf der Stelle in sie hineinfährst, so wirst du ihr einen wundervollen Genuß bereiten. Da wirst du finden, daß der Mund ihrer Gebärmutter dein Ding umschließt – und dies ist ohne Zweifel für euch beide die Krönung der Liebeswonne, denn hierdurch vor allen Dingen wird Zärtlichkeit und Liebe hervorgerufen.«[76]

Wohlbekannt sind die folgenden Lehren, die von einem gründlichen Kenner in Liebesangelegenheiten herrühren:

»Das Weib gleicht einer Frucht, die ihre Süße dir nicht hergeben wird, bevor du sie nicht zwischen deinen Händen reibst. Nimm zum Beispiel das Basilienkraut; wenn du es nicht zwischen deinen Fingern warm reibst, wird es nicht eine Spur von Duft verbreiten. Du weißt doch, daß der Bernstein in seinen Poren verborgen sein Aroma bewahrt, wenn du ihn nicht anfassest und wärmst. So ist es auch mit dem Weibe. Wenn du sie nicht mit deinen Liebesspielen, mit Küssen, Beißen und Streicheln belebst, wirst du von ihr nicht erlangen, was du wünschest; du wirst keine Wonne spüren, wenn du ihr Lager teilst, du wirst in ihrem Herzen keine Neigung, keine Zärtlichkeit, keine Liebe zu dir erwecken; alle ihre wonnigen Eigenschaften werden verborgen bleiben.«


Man erzählt, ein Mann habe ein Weib gefragt, welche Mittel wohl am besten geeignet sein möchten, in bezug auf die Freuden des Beischlafes im weiblichen Herzen Neigung zu erwecken, und habe folgende Antwort erhalten:

»Wisse, o Frager: die Lust am Coitus wird genährt durch die Spiele und Berührungen, die ihm vorangehen, und dann durch die innige Verschlingung im Augenblick des Samenergusses! Glaube mir, das Küssen, das zarte Beißen, das Saugen an den Lippen, die innige Umarmung, die Besuche der Lippen bei den Knospen der Brüste, das Einschlürfen des frischen Speichels: dies alles ist es, was die Neigung dauerhaft macht. Wenn die beiden Liebenden so verfahren, findet bei ihnen der Höhepunkt gleichzeitig[77] statt, und Mann und Weib empfinden die Wonne im gleichen Augenblick. Dann fühlt der Mann, wie die Gebärmutter sein Glied packt, und dies verschafft beiden den köstlichen Genuß. Auf diese Weise wird Liebe geboren; wenn es aber nicht so gemacht wird, hat die Frau nicht ihren vollen Anteil am Genuß empfangen, und es fehlen ihr die Entzückungen der Gebärmutter. Denn wisse: die Frau wird ihre Begierde nicht befriedigt fühlen und wird ihren Reiter nicht lieben, wenn er nicht imstande ist, bis zu ihrer Gebärmutter vorzudringen; wenn aber die Gebärmutter mit einbezogen wird, dann wird das Weib die heißeste Liebe zu ihrem Ritter empfinden, selbst wenn er sonst von unansehnlichem Äußeren sein sollte. Darum kannst du nichts Besseres tun, als gleichzeitigen Genuß bei beiden herbeizuführen: hierin liegt das Geheimnis der Liebe.«


Einer der Weisen, die sich mit diesem Gegenstand beschäftigen, hat uns berichtet, was ein Weib ihm anvertraut hatte:

»Wisset, alle ihr Männer, die ihr vom Weibe Liebe und Zärtlichkeit gewinnen wollt, die ihr wünschet, daß dieses Gefühl in ihrem Herzen von Dauer sei: scherzet mit ihr, ehe ihr zum eigentlichen Coitus übergeht; bereitet sie auf diesen Genuß vor und versäumet nichts, um diesen Zweck zu erreichen. Bemüht euch mit der größten Ausdauer, sie kennenzulernen; beschäftigt euch ausschließlich mit ihr, und laßt mit nichts anderem eure Gedanken sich abgeben. Laßt den günstigen Augenblick der Wonne nicht vorübergehen: dieser Augenblick aber ist da, wenn die Augen der Frau feucht werden und halb sich schließen. Dann gehet ans Werk, aber wohlgemerkt:[78] nicht eher, als bis eure Küsse und Liebesspiele ihre Wirkung getan haben.

Nachdem ihr sie genügend aufgeregt habt, stoßt euer Glied in sie hinein; dann braucht ihr euch nur in der richtigen Weise zu bewegen, und sie wird einen Genuß empfinden, der alle ihre Wünsche befriedigen muß.

Liegt an ihre Brust gepreßt, überflutet ihre Wangen mit Küssen und zieht euer Glied nicht aus ihrer Scheide heraus. Stoßt, bis ihr den Muttermund trefft! Dies ist der höchste Lohn, der eure Mühe krönen kann.

Habt ihr mit Gottes Hilfe den Muttermund erreicht, so hütet euch ja, euer Glied herauszuziehen, sondern laßt es drinnen bleiben und unendliche Wonnen einschlürfen! Hört, wie tief sie seufzt, wie schwer sie atmet: Dies ist ein Beweis, wie innig sie die Seligkeit empfindet, die ihr ihr bereitet.

Wenn dann euer Liebeskampf zu Ende ist und eure Verzückungen sich gelegt haben, dann dürft ihr nicht sofort aufstehen, sondern müßt langsam und vorsichtig das Glied herausziehen. Bleibt dicht an die Geliebte geschmiegt und liegt so, daß ihr die rechte Seite des Bettes einnehmt, das eures Glückes Zeuge war. Ihr werdet Vergnügen daran haben und gleicht dann doch nicht einem Kerl, der ohne jedes Feingefühl wie ein Maultier auf das Weib hinaufklettert und, sobald er fertig geworden ist, schleunigst sein Glied hinauszieht und davongeht. Hütet euch vor solchem Benehmen, denn damit raubt ihr dem Weibe allen Genuß.«


Wer dem Liebesgenuß mit Leib und Seele ergeben ist, der wird gewißlich alle meine Ratschläge beachten; denn wenn er dies tut, wird er der Geliebten die höchste[79] Wonne bereiten, und meine Lehren enthalten alles Wesentliche, was ihm zu wissen nötig ist.

Gott hat alles aufs beste gemacht!

Quelle:
Der duftende Garten des Scheik Nefzaui. Berlin/ Darmstadt/ Wien [1974], S. 74-80.
Lizenz:

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