Erster Auftritt

[644] Leonore maskiert. Rosa, Arabella fliehen zerstört auf die Bühne.


LEONORE reißt die Maske ab. Nichts mehr! Kein Wort mehr! Es ist am Tag. Sie wirft sich in einen Sessel. Das wirft mich nieder.

ARABELLA. Gnädige Frau –

LEONORE aufstehend. Vor meinen Augen! eine stadtkundige Kokette! im Angesicht des ganzen Adels von Genua! Wehmütig. Rosa! Bella! und vor meinen weinenden Augen.

ROSA. Nehmen Sie die Sache für das, was sie wirklich war – eine Galanterie –

LEONORE. Galanterie? – und das emsige Wechselspiel ihrer Augen? Das ängstliche Lauren auf ihre Spuren? Der lange verweilende Kuß auf ihren entblößten Arm, daß noch die Spur seiner Zähne im flammroten Fleck zurückblieb? Ha! und die starre tiefe Betäubung, worein er gleich dem gemalten Entzücken versunken saß, als wär um ihn her die Welt weggeblasen, und er allein mit dieser Julia im ewigen Leeren? Galanterie? – gutes Ding, das noch nie geliebt hat, streite mir nicht über Galanterie und Liebe.

ROSA. Desto besser, Madonna! Einen Gemahl verlieren, heißt zehen Cicisbeo Profit machen.

LEONORE. Verlieren? – ein kleiner aussetzender Puls der Empfindung und Fiesco verloren? Geh, giftige Schwätzerin – komm mir nie wieder vor die Augen! – eine unschuldige Neckerei – vielleicht eine Galanterie? Ist es nicht so, meine empfindende Bella?

ARABELLA. O ja! ganz zuverlässig so!

LEONORE in Tiefsinn versunken. Daß sie darum in seinem Herzen sich wüßte? – daß hinter jedem seiner Gedanken ihr Name im Hinterhalt läge? – ihn anspräche in jeder Fußtapfe der Natur? – Was ist das? Wo gerat ich hin? Daß ihm die schöne, majestätische Welt nichts wäre als der prächtige Demant, worauf nur ihr Bild[644] nur ihr Bild gestochen ist? – daß er sie liebte? – Julien! O deinen Arm her – halte mich, Bella!


Pause. Die Musik läßt sich von neuem hören.


LEONORE aufgefahren. Horch! War das nicht die Stimme Fiescos, die aus dem Lärme hervordrang? Kann er lachen, wenn seine Leonore im Einsamen weinet? Nicht doch, mein Kind! Es war Gianettino Dorias bäurische Stimme.

ARABELLA. Sie wars, Signora! Aber kommen Sie in ein anderes Zimmer.

LEONORE. Du entfärbst dich, Bella! du lügst – Ich lese in euren Augen – in den Gesichtern der Genueser ein Etwas – ein Etwas. Sich verhüllend. O gewiß! diese Genueser wissen mehr, als für das Ohr einer Gattin taugt.

ROSA. O der alles vergrößernden Eifersucht!

LEONORE schwermütig schwärmend. Da er noch Fiesco war – dahertrat im Pomeranzenhain, wo wir Mädchen lustwandeln gingen, ein blühender Apoll, verschmolzen in den männlich-schönen Antinous. Stolz und herrlich trat er daher, nicht anders, als wenn das durchlauchtige Genua auf seinen jungen Schultern sich wiegte; unsre Augen schlichen diebisch ihm nach und zuckten zurück, wie auf dem Kirchenraub ergriffen, wenn sein wetterleuchtender Blick sie traf. Ach Bella! wie verschlangen wir seine Blicke! Wie parteiisch zählte sie der ängstliche Neid der Nachbarin zu! Sie fielen unter uns wie der Goldapfel des Zanks, zärtliche Augen brannten wilder, sanfte Busen pochten stürmischer, Eifersucht hatte unsre Eintracht zerrissen.

ARABELLA. Ich besinne mich. Das ganze weibliche Genua kam in Aufruhr um diese schöne Eroberung.

LEONORE begeistert. Und nun mein ihn zu nennen! Verwegenes, entsetzliches Glück! Mein Genuas größten Mann! Mit Anmut. der vollendet sprang aus dem Meißel der unerschöpflichen Künstlerin, alle Größen seines Geschlechts im lieblichsten Schmelze verband – Höret, Mädchen! Kann ichs nun doch nicht mehr verschweigen! – Höret, Mädchen, ich vertraue euch etwas, Geheimnisvoll. einen Gedanken – als ich am Altar stand neben Fiesco – seine Hand in meine Hand gelegt – hatt ich den Gedanken, den zu denken dem Weibe[645] verboten ist; – dieser Fiesco, dessen Hand itzt in der deinigen liegt – dein Fiesco – aber still! daß kein Mann uns belausche, wie hoch wir uns mit dem Abfall seiner Fürtrefflichkeit brüsten – dieser dein Fiesco – Weh euch! wenn das Gefühl euch nicht höher wirft! – wird – uns Genua von seinen Tyrannen erlösen!

ARABELLA erstaunt. Und diese Vorstellung kam einem Frauenzimmer am Brauttag?

LEONORE. Erstaune, Bella! Der Braut in der Wonne des Brauttags! Lebhafter. Ich bin ein Weib – aber ich fühle den Adel meines Bluts, kann es nicht dulden, daß dieses Haus Doria über unsre Ahnen hinauswachsen will. Jener sanftmütige Andreas – es ist eine Wollust, ihm gut zu sein – mag immer Herzog von Genua heißen, aber Gianettino ist sein Neffe – sein Erbe – und Gianettino hat ein freches, hochmütiges Herz. Genua zittert vor ihm, und Fiesco, In Wehmut hinabgefallen. Fiesco – weinet um mich – liebt seine Schwester.

ARABELLA. Arme, unglückliche Frau –

LEONORE. Gehet itzt und sehet diesen Halbgott der Genueser im schamlosen Kreis der Schwelger und Buhldirnen sitzen, ihre Ohren mit unartigem Witze kitzeln, ihnen Märchen von verwünschten Prinzessinnen erzählen – – das ist Fiesco! – Ach Mädchen! nicht Genua allein verlor seinen Helden – auch ich meinen Gemahl!

ROSA. Reden Sie leiser. Man kömmt durch die Galerie.

LEONORE zusammenschreckend. Fiesco kommt. Flieht! Flieht! Mein Anblick könnte ihm einen trüben Augenblick machen. Sie entspringt in ein Seitenzimmer. Die Mädchen ihr nach.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 644-646.
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