Zehenter Auftritt

[661] Zimmer bei Verrina.

Berta rücklings in einem Sofa, den Kopf in die Hand geworfen.

Verrina düster hereintretend.


BERTA erschrickt, springt auf. Himmel! da ist er!

VERRINA steht still, besieht sie befremdet. An ihrem Vater erschrickt meine Tochter?

BERTA. Fliehen Sie. Lassen Sie mich fliehen. Sie sind schröcklich, mein Vater.

VERRINA. Meinem einzigen Kinde?

BERTA mit einem schweren Blick auf ihn. Nein! Sie müssen noch eine Tochter haben.

VERRINA. Drückt dich meine Zärtlichkeit zu schwer?

BERTA. Zu Boden, Vater.

VERRINA. Wie? welcher Empfang, meine Tochter? Sonst wenn ich nach Hause kam, Berge auf meinem Herzen, hüpfte mir meine Berta entgegen, und meine Berta lachte sie weg. Komm, umarme mich, Tochter. An dieser glühenden Brust soll mein Herz wieder erwarmen, das am Totenbett des Vaterlands einfriert. O mein Kind! Ich habe heute Abrechnung gehalten mit allen Freuden der Natur, und Äußerst schwer. nur du bist mir geblieben.

BERTA mißt ihn mit einem langen Blick. Unglücklicher Vater!

VERRINA umarmt sie beklemmt. Berta! Mein einziges Kind! Berta! meine letzte übrige Hoffnung! – Genuas Freiheit ist dahin – Fiesco hin – Indem er sie heftiger drückt, durch die Zähne. Werde du eine Hure –

BERTA reißt sich aus seinen Armen. Heiliger Gott! Sie wissen? –

VERRINA steht bebend still. Was?

BERTA. Meine jungfräuliche Ehre –[661]

VERRINA wütend. Was?

BERTA. Diese Nacht –

VERRINA wie ein Rasender. Was?

BERTA. Gewalt! Sinkt am Sofa nieder.

VERRINA nach einer langen schröckhaften Pause, mit dumpfer Stimme. Noch einen Atemzug, Tochter – den letzten! Mit hohlem, gebrochnem Ton. Wer?

BERTA. Weh mir! Nicht diesen totenfarben Zorn! Helfe mir Gott! er stammelt und zittert!

VERRINA. Ich wüßte doch nicht – Meine Tochter! Wer?

BERTA. Ruhig! Ruhig! mein bester, mein teurer Vater.

VERRINA. Um Gottes willen – Wer? Will vor ihr niederfallen.

BERTA. Eine Maske.

VERRINA tritt zurück, nach einem stürmischen Nachdenken. Nein! Das kann nicht sein! Den Gedanken sendet mir Gott nicht. Lacht graß auf. Alter Geck! als wenn alles Gift nur aus einer und eben der Kröte sprützte? Zu Berta, gefaßter. Die Person wie die meinige, oder kleiner?

BERTA. Größer.

VERRINA rasch. Die Haare schwarz? kraus?

BERTA. Kohlschwarz und kraus.

VERRINA taumelt von ihr hinweg. Gott! mein Kopf! mein Kopf – Die Stimme?

BERTA. Rauh, eine Baßstimme.

VERRINA heftig. Von welcher Farbe? Nein! ich will nicht mehr hören! – Der Mantel – von welcher Farbe?

BERTA. Der Mantel grün, wie mich deuchte.

VERRINA hält beide Hände vors Gesicht und wankt in den Sofa. Sei ruhig. Es ist nur ein Schwindel, meine Tochter. Läßt die Hände sinken, ein Totengesicht.

BERTA die Hände ringend. Barmherziger Himmel! Das ist mein Vater nicht mehr.

VERRINA nach einer Pause, mit bitterm Gelächter. Recht so! Recht so, Memme Verrina! – daß der Bube in das Heiligtum der Gesetze griff – diese Aufforderung war dir zu matt – Der Bube mußte noch ins Heiligtum deines Bluts greifen – Springt auf. Geschwind![662] Rufe den Nicolo – Blei und Pulver – oder halt! halt! ich besinne mich eben anders – besser – Hole mein Schwert herbei, bet ein Vaterunser. Die Hand vor die Stirne. Was will ich aber?

BERTA. Mir ist sehr bange, mein Vater!

VERRINA. Komm, setze dich zu mir! Bedeutend. Berta, erzähle mir – Berta, was tat jener eisgraue Römer, als man seine Tochter auch so – wie nenn ichs nun – auch so artig fand, seine Tochter? Höre, Berta, was sagte Virginius zu seiner verstümmelten Tochter?

BERTA mit Schaudern. Ich weiß nicht, was er sagte.

VERRINA. Närrisches Ding! Nichts sagte er Plötzlich auf, faßt ein Schwert. nach einem Schlachtmesser griff er –

BERTA stürzt ihm erschrocken in die Arme. Großer Gott! was wollen Sie tun?

VERRINA wirft das Schwert ins Zimmer. Nein! Noch ist Gerechtigkeit in Genua!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 661-663.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Schillers sämtliche Werke: Band II. Die Räuber. Die Verschwörung des Fiesco zu Genua. Kabale und Liebe. Der Menschenfeind
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Die Verschwörung Des Fiesco Zu Genua
Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.23: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon