Zweiter Auftritt

[697] Saal bei Fiesco.

In der Mitte des Hintergrunds eine große Glastüre, die den Prospekt über das Meer und Genua öffnet. Morgendämmerung.


FIESCO vom Fenster. Was ist das? – Der Mond ist unter – der Morgen kommt feurig aus der See – Wilde Phantasien haben meinen Schlaf aufgeschwelgt – mein ganzes Wesen krampfig um eine Empfindung gewälzt. – Ich muß mich im Offenen dehnen. Er macht die Glastür auf. Stadt und Meer vom Morgenrot überflammt. Fiesco mit starken Schritten im Zimmer. Daß ich der größte Mann bin im ganzen Genua? und die kleineren Seelen sollten sich nicht unter[697] die große versammeln? – aber ich verletze die Tugend? Steht still. Tugend? – der erhabene Kopf hat andre Versuchungen als der gemeine – Sollt er Tugend mit ihm zu teilen haben? – Der Harnisch, der des Pygmäen schmächtigen Körper zwingt, sollte der einem Riesenleib anpassen müssen?


Die Sonne geht auf über Genua.


Diese majestätische Stadt. Mit offnen Armen dagegen eilend. Mein! – und drüber emporzuflammen gleich dem königlichen Tag – drüber zu brüten mit Monarchenkraft – all die kochenden Begierden – all die nimmersatten Wünsche in diesem grundlosen Ozean unterzutauchen? – – Gewiß! Wenn auch des Betrügers Witz den Betrug nicht adelt, so adelt doch der Preis den Betrüger. Es ist schimpflich, eine Börse zu leeren – es ist frech, eine Million zu veruntreuen, aber es ist namenlos groß, eine Krone zu stehlen. Die Schande nimmt ab mit der wachsenden Sünde. Pause. Dann mit Ausdruck. Gehorchen! – Herrschen! – ungeheure, schwindligte Kluft – Legt alles hinein, was der Mensch Kostbares hat – eure gewonnene Schlachten, Eroberer – Künstler, eure unsterblichen Werke – eure Wollüste, Epikure – eure Meere und Inseln, ihr Weltumschiffer. Gehorchen und Herrschen! – Sein und Nichtsein! Wer über den schwindligten Graben vom letzten Seraph zum Unendlichen setzt, wird auch diesen Sprung ausmessen. Mit erhabenem Spiel. Zu stehen in jener schröcklich erhabenen Höhe – niederzuschmollen in der Menschlichkeit reißenden Strudel, wo das Rad der blinden Betrügerin Schicksale schelmisch wälzt – den ersten Mund am Becher der Freude – tief unten den geharnischten Riesen Gesetz am Gängelbande zu lenken – schlagen zu sehen unvergoltene Wunden, wenn sein kurzarmiger Grimm an das Geländer der Majestät ohnmächtig poltert – die unbändigen Leidenschaften des Volks, gleich soviel stampfenden Rossen, mit dem weichen Spiele des Zügels zu zwingen – den emporstrebenden Stolz der Vasallen mit einem – einem Atemzug in den Staub zu legen, wenn der schöpfrische Fürstenstab auch die Träume des fürstlichen Fiebers ins Leben schwingt. – Ha! welche Vorstellung, die den staunenden Geist über seine Linien wirbelt! – Ein Augenblick Fürst hat das Mark des ganzen Daseins verschlungen. Nicht der Tummelplatz des Lebens – sein Gehalt bestimmt seinen[698] Wert. Zerstücke den Donner in seine einfache Silben, und du wirst Kinder damit in den Schlummer singen; schmelze sie zusammen in einen plötzlichen Schall, und der monarchische Laut wird den ewigen Himmel bewegen – Ich bin entschlossen! Heroisch auf und nieder.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 697-699.
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