Zwölfter Auftritt

[725] Julia, Fiesco, im Gespräch.


JULIA sehr zerstört. Hören Sie auf, Graf. Ihre Galanterien fallen nicht mehr in achtlose Ohren, aber in ein siedendes Blut – Wo bin ich? Hier ist niemand als die verführerische Nacht. Wohin haben Sie mein verwahrlostes Herz geplaudert?

FIESCO. Wo die verzagte Leidenschaft kühner wird, und Wallungen freier mit Wallungen reden.

JULIA. Halt ein, Fiesco. Bei allem, was heilig ist, nicht weiter. Wäre die Nacht nicht so dichte, du würdest meine flammrote Wangen sehen und dich erbarmen.

FIESCO. Weit gefehlt, Julia. Eben dann würde meine Empfindung die Feuerfahne der deinigen gewahr und lief desto mutiger über. Er küßt ihr heftig die Hand.[725]

JULIA. Mensch, dein Gesicht brennt fieberisch wie dein Gespräch. Weh, auch aus dem meinigen, ich fühls, schlägt wildes, frevelndes Feuer. Laß uns das Licht suchen, ich bitte. Die aufgewiegelten Sinne könnten den gefährlichen Wink dieser Finsternis merken. Geh. Diese gärenden Rebellen könnten hinter dem Rücken des verschämten Tags ihre gottlose Künste treiben. Geh unter Menschen, ich beschwöre dich!

FIESCO zudringlicher. Wie ohne Not besorgt, meine Liebe! Wird je die Gebieterin ihren Sklaven fürchten?

JULIA. Über euch Männer und den ewigen Widerspruch! Als wenn ihr nicht die gefährlichsten Sieger wäret, wenn ihr euch unsrer Eigenliebe gefangen gebt. Soll ich dir alles gestehen, Fiesco? Daß nur mein Laster meine Tugend bewahrte? Nur mein Stolz deine Künste verlachte? Nur bis hieher meine Grundsätze standhielten? Du verzweifelst an deiner List, und nimmst deine Zuflucht zu Julias Blut. Hier verlassen sie mich.

FIESCO leichtfertig dreust. Und was verlorst du bei diesem Verluste?

JULIA aufgeregt und mit Hitze. Wenn ich den Schlüssel zu meinem weiblichen Heiligtum an dich vertändle, womit du mich schamrot machst, wenn du willst? Was hab ich weniger zu verlieren als alles? Willst du mehr wissen, Spötter? Das Bekenntnis willst du noch haben, daß die ganze geheime Weisheit unsers Geschlechts nur eine armselige Vorkehrung ist, unsere tödliche Seite zu entsetzen, die doch zuletzt allein von euern Schwüren belagert wird, die (ich gesteh es errötend ein) so gern erobert sein möchte, so oft beim ersten Seitenblick der Tugend den Feind verräterisch empfängt? – daß alle unsre weiblichen Künste einzig für dieses wehrlose Stichblatt fechten, wie auf dem Schach alle Offiziere den wehrlosen König bedecken? Überrumpelst du diesen – Matt! und wirf getrost das ganze Brett durcheinander. Nach einer Pause, mit Ernst. Du hast das Gemäld unsrer prahlerischen Armut – Sei großmütig.

FIESCO. Und doch, Julia – Wo besser als in meiner unendlichen Leidenschaft kannst du diesen Schatz niederlegen?

JULIA. Gewiß nirgends besser, und nirgends schlimmer – Höre, Fiesco, wie lang wird diese Unendlichkeit währen? – Ach! schon zu unglücklich hab ich gespielt, daß ich nicht auch mein Letztes noch[726] setzen sollte – Dich zu fangen, Fiesco, mutete ich dreist meinen Reizen zu; aber ich mißtraue ihnen die Allmacht, dich festzuhalten – Pfui doch! was red ich da? Sie tritt zurück und hält die Hände vors Gesicht.

FIESCO. Zwo Sünden in einem Atem. Das Mißtrauen in meinen Geschmack, oder das Majestätsverbrechen gegen deine Liebenswürdigkeit? – Was von beiden ist schwerer zu vergeben?

JULIA matt, unterliegend, mit beweglichem Ton. Lügen sind nur die Waffen der Hölle – die braucht Fiesco nicht mehr, seine Julia zu fällen. Sie fällt er schöpft in einen Sofa; nach einer Pause, feierlich. Höre, laß dir noch ein Wörtchen sagen, Fiesco – Wir sind Heldinnen, wenn wir unsre Tugend noch sicher wissen; – wenn wir sie verteidigen, Kinder; Ihm starr und wild unter die Augen. Furien, wenn wir sie rächen – Höre. Wenn du mich kalt würgtest, Fiesco?

FIESCO nimmt einen aufgebrachten Ton an. Kalt? Kalt? – Nun, bei Gott! Was fodert denn die unersättliche Eitelkeit des Weibs, wenn es einen Mann vor sich kriechen sieht und noch zweifelt? Ha! er erwacht wieder, ich fühle. Den Ton in Kälte verändert. Noch zu guter Zeit gehen mir die Augen auf – Was wars, das ich eben erbetteln wollte? – Die kleinste Erniedrigung eines Manns ist gegen die höchtse Gunst eines Weibs weggeworfen! Zu ihr mit tiefer, frostiger Verbeugung. Fassen Sie Mut, Madam. Itzt sind Sie sicher.

JULIA bestürzt. Graf? Welche Anwandlung.

FIESCO äußerst gleichgültig. Nein, Madam. Sie haben vollkommen recht, wir beide haben die Ehre nur einmal auf dem Spiel. Mit einem höflichen Handkuß. Ich habe das Vergnügen, Ihnen bei der Gesellschaft meinen Respekt zu bezeugen. Er will schnell fort.

JULIA ihm nach, reißt ihn zurück. Bleib! Bist du rasend? Bleib! Muß ich es denn sagen – heraussagen, was das ganze Männervolk auf den Knien – in Tränen – auf der Folterbank meinem Stolz nicht abdringen sollte? – Weh! auch dies dichte Dunkel ist zu licht, diese Feuersbrunst zu bergen, die das Geständnis auf meinen Wangen macht – Fiesco – O ich bohre durchs Herz meines ganzen Geschlechts – mein ganzes Geschlecht wird mich ewig hassen – Ich bete dich an, Fiesco. Fällt vor ihm nieder.

FIESCO weicht drei Schritte zurück, läßt sie liegen und lacht triumphierend[727] auf. Das bedaur ich, Signora. Er zieht die Glocke, hebt die Tapete auf und führt Leonoren hervor. Hier ist meine Gemahlin – ein göttliches Weib! Er fällt Leonoren in den Arm.

JULIA springt schreiend vom Boden. Ah! Unerhört betrogen!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 725-728.
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