Vierzehnter Auftritt

[729] Leonore. Fiesco.


LEONORE tritt ihm ängstlich näher. Fiesco? – Fiesco? – Ich verstehe Sie nur halb, aber ich fange an zu zittern.

FIESCO wichtig. Leonore – Ich sahe Sie einst einer Genueserin zur Linken gehen – Ich sahe Sie in den Assembleen des Adels mit dem zweiten Handkuß der Ritter vorliebnehmen. Leonore – das tat meinen Augen weh. Ich beschloß, es soll nicht mehr sein – es wird aufhören. Hören Sie das kriegerische Getöse in meinem Schloß? Was Sie fürchten, ist wahr – Gehn Sie zu Bette, Gräfin – morgen will ich – die Herzogin wecken.

LEONORE schlägt beide Arme zusammen und wirft sich in einen Sessel. Gott! meine Ahndung! Ich bin verloren!

FIESCO gesetzt, mit Würde. Lassen sie mich ausreden, Liebe. Zwei meiner Ahnherrn trugen die dreifache Krone, das Blut der Fiescer[729] fließt nur unter dem Purpur gesund. Soll Ihr Gemahl nur geerbten Glanz von sich werfen? Lebhafter. Was? Soll er sich für all seine Hoheit beim gaukelnden Zufall bedanken, der in einer erträglichen Laune aus modernden Verdiensten einen Johann Ludwig Fiesco zusammenflickte? Nein, Leonore! Ich bin zu stolz, mir etwas schenken zu lassen, was ich noch selbst zu erwerben weiß. Heute nacht werf ich meinen Ahnen den geborgten Schmuck in ihr Grab zurück – Die Grafen von Lavagna starben aus – Fürsten beginnen.

LEONORE schüttelt den Kopf, still phantasierend. Ich sehe meinen Gemahl an tiefen, tödlichen Wunden zu Boden fallen – Hohler. Ich sehe die stummen Träger den zerrissenen Leichnam meines Gemahls mir entgegentragen. Erschrocken aufspringend. Die erste – einzige Kugel fliegt durch die Seele Fiescos.

FIESCO faßt sie liebevoll bei der Hand. Ruhig, mein Kind. Das wird diese einzige Kugel nicht.

LEONORE blickt ihn ernsthaft an. So zuversichtlich ruft Fiesco den Himmel heraus? Und wäre der tausendmaltausendste Fall nur der mögliche, so könnte der tausendmaltausendste wahr werden, und mein Gemahl wäre verloren – denke, du spieltest um den Himmel, Fiesco. Wenn eine Billion Gewinste für einen einzigen Fehler fiel, würdes du dreust genug sein, die Würfel zu schütteln und die freche Wette mit Gott einzugehen? Nein, mein Gemahl! Wenn auf dem Brett alles liegt, ist jeder Wurf Gotteslästerung.

FIESCO lächelt. Sei unbesorgt, das Glück und ich stehen besser.

LEONORE. Sagst du das – und standest bei jenem geisterverzerrenden Spiele – ihr nennt es Zeitvertreib – sahest zu der Betrügerin, wie sie ihren Günstling mit kleinen Glückskarten lockte, bis er warm ward, aufstand, die Bank foderte, – und ihn itzt im Wurf der Verzweiflung verließ – O mein Gemahl, du gehst nicht hin, dich den Genuesern zu zeigen und angebetet zu werden. Republikaner aus ihrem Schlaf aufzujagen, das Roß an seine Hufen zu mahnen, ist kein Spaziergang, Fiesco. Traue diesen Rebellen nicht. Die Klugen, die dich aufhetzten, fürchten dich. Die Dummen, die dich vergötterten, nützen dir wenig, und wo ich hinsehe, ist Fiesco verloren.[730]

FIESCO mit starken Schritten im Zimmer. Kleinmut ist die höchste Gefahr. Größe will auch ein Opfer haben.

LEONORE. Größe, Fiesco? – Daß dein Genie meinem Herzen so übelwill! – Sieh! Ich vertraue deinem Glück, du siegst, will ich sagen – Weh dann mir Ärmsten meines Geschlechts! Unglückselig, wenn es mißlingt! wenn es glückt, unglückseliger! Hier ist keine Wahl, mein Geliebter. Wenn er den Herzog verfehlt, ist Fiesco verloren. Mein Gemahl ist hin, wenn ich den Herzog umarme.

FIESCO. Das verstehe ich nicht.

LEONORE. Doch, mein Fiesco. In dieser stürmischen Zone des Throns verdorret das zarte Pflänzchen der Liebe. Das Herz eines Menschen, und wär auch selbst Fiesco der Mensch, ist zu enge für zwei allmächtige Götter – Götter, die sich so gram sind. Liebe hat Tränen und kann Tränen verstehen; Herrschsucht hat eherne Augen, worin ewig nie die Empfindung perlt – Liebe hat nur ein Gut, tut Verzicht auf die ganze übrige Schöpfung, Herrschsucht hungert beim Raube der ganzen Natur – Herrschsucht zertrümmert die Welt in ein rasselndes Kettenhaus, Liebe träumt sich in jede Wüste Elysium. – Wolltest du jetzt an meinem Busen dich wiegen, pochte ein störriger Vasalle an dein Reich – Wollt ich jetzt in deine Arme mich werfen, hörte deine Despotenangst einen Mörder aus den Tapeten hervorrauschen, und jagte dich flüchtig von Zimmer zu Zimmer. Ja, der großäugigte Verdacht steckte zuletzt auch die häusliche Eintracht an – Wenn deine Leonore dir jetzt einen Labetrank brächte, würdest du den Kelch mit Verzuckungen wegstoßen, und die Zärtlichkeit eine Giftmischerin schelten.

FIESCO bleibt mit Entsetzen stehn. Leonore, hör auf. Das ist eine häßliche Vorstellung –

LEONORE. Und doch ist das Gemälde nicht fertig. Ich würde sagen, opfre die Liebe der Größe, opfre die Ruhe – wenn nur Fiesco noch bleibt – Gott! das ist Radstoß! – Selten stiegen Engel auf den Thron, seltner herunter. Wer keinen Menschen zu fürchten braucht, wird er sich eines Menschen erbarmen? Wer an jeden Wunsch einen Donnerkeil heften kann, wird er für nötig finden, ihm ein sanftes Wörtchen zum Geleite zu geben? Sie hält inne, dann tritt sie bescheiden[731] zu ihm und faßt seine Hand; mit feinster Bitterkeit. Fürsten, Fiesco? diese mißratenen Projekte der wollenden und nicht könnenden Natur – sitzen so gern zwischen Menschheit und Gottheit nieder; heillose Geschöpfe. Schlechtere Schöpfer.

FIESCO stürzt sich beunruhigt durchs Zimmer. Leonore, hör auf! Die Brücke ist hinter mir abgehoben –

LEONORE blickt ihn schmachtend an. Und warum, mein Gemahl? Nur Taten sind nicht mehr zu tilgen. Schmelzend zärtlich und etwas schelmisch. Ich hörte dich wohl einst schwören, meine Schönheit habe alle deine Entwürfe gestürzt – du hast falsch geschworen, du Heuchler, oder sie hat frühzeitig abgeblüht – Frage dein Herz, wer ist schuldig? Feuriger, indem sie ihn mit beiden Armen umfaßt. Komm zurücke! Ermanne dich! Entsage! Die Liebe soll dich entschädigen. Kann mein Herz deinen ungeheuren Hunger nicht stillen – o Fiesco, das Diadem wird noch ärmer sein – Schmeichelnd. Komm! Ich will alle deine Wünsche auswendig lernen, will alle Zauber der Natur in einen Kuß der Liebe zusammenschmelzen, den erhabenen Flüchtling ewig in diesen himmlischen Banden zu halten – dein Herz ist unendlich – auch die Liebe ist es, Fiesco. Schmelzend. Ein armes Geschöpf glücklich zu machen – ein Geschöpf, das seinen Himmel an deinem Busen lebt – Sollte das eine Lücke in deinem Herzen lassen?

FIESCO durch und durch erschüttert. Leonore, was hast du gemacht? Er fällt ihr kraftlos um den Hals. Ich werde keinem Genueser mehr unter die Augen treten –

LEONORE freudig rasch. Laß uns fliehen, Fiesco – laß in den Staub uns werfen all diese prahlende Nichts, laß in romantischen Fluren ganz der Liebe uns leben. Sie drückt ihn an ihr Herz, mit schöner Entzückung. Unsre Seelen, klar wie über uns das heitere Blau des Himmels, nehmen dann den schwarzen Hauch des Grams nicht mehr an – Unser Leben rinnt dann melodisch wie die flötende Quelle zum Schöpfer – Man hört den Kanonenschuß. Fiesco springt los. Alle Verschworene treten in den Saal.[732]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 729-733.
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