Vierzehnter Auftritt


[89] Don Carlos. Der Prior.


CARLOS zum Prior, indem er hereintritt.

Schon dagewesen also? – Das beklag ich.

PRIOR.

Seit heute morgen schon das dritte Mal.

Vor einer Stunde ging er weg –

CARLOS.

Er will

Doch wiederkommen? Hinterließ er nicht?

PRIOR.

Vor Mittag noch, versprach er.

CARLOS an ein Fenster und sich in der Gegend umsehend.

Euer Kloster

Liegt weit ab von der Straße. – Dorthin zu

Sieht man noch Türme von Madrid. – Ganz recht,

Und hier fließt der Mansanares – Die Landschaft

Ist, wie ich sie mir wünsche. – Alles ist

Hier still, wie ein Geheimnis.

PRIOR.

Wie der Eintritt

Ins andre Leben.

CARLOS.

Eurer Redlichkeit,

Hochwürdger Herr, hab ich mein Kostbarstes,

Mein Heiligstes vertraut. Kein Sterblicher

Darf wissen oder nur vermuten, wen

Ich hier gesprochen und geheim. Ich habe[89]

Sehr wichtge Gründe, vor der ganzen Welt

Den Mann, den ich erwarte, zu verleugnen:

Drum wählt ich dieses Kloster. Vor Verrätern,

Vor Überfall sind wir doch sicher? Ihr

Besinnt Euch doch, was Ihr mir zugeschworen?

PRIOR.

Vertrauen Sie uns, gnädger Herr. Der Argwohn

Der Könige wird Gräber nicht durchsuchen.

Das Ohr der Neugier liegt nur an den Türen

Des Glückes und der Leidenschaft. Die Welt

Hört auf in diesen Mauern.

CARLOS.

Denkt Ihr etwa,

Daß hinter diese Vorsicht, diese Furcht

Ein schuldiges Gewissen sich verkrieche?

PRIOR.

Ich denke nichts.

CARLOS.

Ihr irrt Euch, frommer Vater,

Ihr irrt Euch wahrlich. Mein Geheimnis zittert

Vor Menschen, aber nicht vor Gott.

PRIOR.

Mein Sohn,

Das kümmert uns sehr wenig. Diese Freistatt

Steht dem Verbrechen offen wie der Unschuld.

Ob, was du vorhast, gut ist oder übel,

Rechtschaffen oder lasterhaft – das mache

Mit deinem eignen Herzen aus.

CARLOS mit Wärme.

Was wir

Verheimlichen, kann euern Gott nicht schänden.

Es ist sein eignes, schönstes Werk. – Zwar Euch,

Euch kann ichs wohl entdecken.

PRIOR.

Zu was Ende?

Erlassen Sie mirs, lieber Prinz. Die Welt

Und ihr Geräte liegt schon lange Zeit

Versiegelt da auf jene große Reise.

Wozu die kurze Frist vor meinem Abschied

Noch einmal es erbrechen? – Es ist wenig,

Was man zur Seligkeit bedarf – Die Glocke

Zur Hora lautet. Ich muß beten gehn.


Der Prior geht ab.[90]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 89-91.
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