Neunter Auftritt


[77] Die Prinzessin allein.

Sie steht noch betäubt, außer Fassung; nachdem er hinaus ist, eilt sie ihm nach und will ihn zurückrufen.


PRINZESSIN.

Prinz, noch ein Wort! Prinz, hören Sie! – Er geht!

Auch das noch! Er verachtet mich. – Da steh ich

In fürchterlicher Einsamkeit – verstoßen,

Verworfen –


Sie sinkt auf einen Sessel. Nach einer Pause.


Nein! Verdrungen nur, verdrungen

Von einer Nebenbuhlerin. Er liebt.

Kein Zweifel mehr. Er hat es selbst bekannt.

Doch wer ist diese Glückliche? – Soviel

Ist offenbar – er liebt, was er nicht sollte.

Er fürchtet die Entdeckung. Vor dem König

Verkriecht sich seine Leidenschaft – Warum

Vor diesem, der sie wünschte? – Oder ists

Der Vater nicht, was er im Vater fürchtet?

Als ihm des Königs buhlerische Absicht

Verraten war – da jauchzten seine Mienen,

Frohlockt' er wie ein Glücklicher... Wie kam es,

Daß seine strenge Tugend hier verstummte?

Hier? Eben hier? – Was kann denn er dabei,

Er zu gewinnen haben, wenn der König

Der Königin die –


Sie hält plötzlich ein, von einem Gedanken überrascht. – Zu gleicher Zeit reißt sie die Schleife, die ihr Carlos gegeben hat, von dem Busen, betrachtet sie schnell und erkennt sie.


O, ich Rasende!

Jetzt endlich, jetzt – Wo waren meine Sinne?[77]

Jetzt gehen mir die Augen auf – Sie hatten

Sich lang geliebt, eh der Monarch sie wählte.

Nie ohne sie sah mich der Prinz. – Sie also,

Sie war gemeint, wo ich so grenzenlos,

So warm, so wahr mich angebetet glaubte?

O, ein Betrug, der ohne Beispiel ist!

Und meine Schwäche hab ich ihr verraten –


Stillschweigen.


Daß er ganz ohne Hoffnung lieben sollte!

Ich kanns nicht glauben. – Hoffnungslose Liebe

Besteht in diesem Kampfe nicht. Zu schwelgen,

Wo unerhört der glänzendste Monarch

Der Erde schmachtet – Wahrlich! solche Opfer

Bringt hoffnungslose Liebe nicht. Wie feurig

War nicht sein Kuß! Wie zärtlich drückt er mich,

Wie zärtlich an sein schlagend Herz! – Die Probe

War fast zu kühn für die romantsche Treue,

Die nicht erwidert werden soll – Er nimmt

Den Schlüssel an, den, wie er sich beredet,

Die Königin ihm zugeschickt – er glaubt

An diesen Riesenschritt der Liebe – kommt,

Kommt wahrlich, kommt! – So traut er Philipps Frau

Die rasende Entschließung zu. – Wie kann er,

Wenn hier nicht große Proben ihn ermuntern?

Es ist am Tag. Er wird erhört. Sie liebt!

Beim Himmel, diese Heilige empfindet!

Wie fein ist sie!... Ich zitterte, ich selbst,

Vor dem erhabnen Schreckbild dieser Tugend.

Ein höhres Wesen ragt sie neben mir,

In ihrem Glanz erlösch ich. Ihrer Schönheit

Mißgönnt ich diese hohe Ruhe, frei

Von jeder Wallung sterblicher Naturen.

Und diese Ruhe war nur Schein? Sie hätte

An beiden Tafeln schwelgen wollen? Hätte

Den Götterschein der Tugend schaugetragen

Und doch zugleich des Lasters heimliche[78]

Entzückungen zu naschen sich erdreistet?

Das durfte sie? Das sollte ungerochen

Der Gauklerin gelungen sein? Gelungen,

Weil sich kein Rächer meldet? – Nein, bei Gott!

Ich betete sie an – Das fordert Rache!

Der König wisse den Betrug – Der König?


Nach einigem Besinnen.


Ja, recht – das ist ein Weg zu seinem Ohre.


Sie geht ab.


Ein Zimmer im königlichen Palaste.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 77-79.
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