Neunter Auftritt


[145] Der König. Die Königin tritt herein. Die Infantin.

Die letztere fliegt ihr entgegen und schmiegt sich an sie an. Sie fällt vor dem König nieder, welcher stumm und verwirrt steht.


KÖNIGIN.

Mein Herr

Und mein Gemahl – ich muß – ich bin gezwungen,

Vor Ihrem Thron Gerechtigkeit zu suchen.

KÖNIG.

Gerechtigkeit? –[145]

KÖNIGIN.

Unwürdig seh ich mir

An diesem Hof begegnet. Meine

Schatulle ist erbrochen –

KÖNIG.

Was?

KÖNIGIN.

Und Sachen

Von großem Wert für mich daraus verschwunden –

KÖNIG.

Von großem Wert für Sie –

KÖNIGIN.

Durch die Bedeutung,

Die eines Unbelehrten Dreistigkeit

Vermögend wäre –

KÖNIG.

Dreistigkeit- Bedeutung –

Doch – stehn Sie auf.

KÖNIGIN.

Nicht eher, mein Gemahl,

Bis Sie durch ein Versprechen sich gebunden,

Kraft Ihres königlichen Arms zu meiner

Genugtuung den Täter mir zu stellen,

Wo nicht, von einem Hofstaat mich zu trennen,

Der meinen Dieb verbirgt –

KÖNIG.

Stehn Sie doch auf –

In dieser Stellung – Stehn Sie auf –

KÖNIGIN steht auf.

Daß er

Von Range sein muß, weiß ich – denn in der

Schatulle lag an Perlen und Demanten

Weit über eine Million, und er

Begnügte sich mit Briefen –

KÖNIG.

Die ich doch –

KÖNIGIN.

Recht gerne, mein Gemahl. Es waren Briefe

Und ein Medaillon von dem Infanten.

KÖNIG.

Von –

KÖNIGIN.

Dem Infanten, Ihrem Sohn.

KÖNIG.

An Sie?

KÖNIGIN.

An mich.

KÖNIG.

Von dem Infanten? Und das sagen

Sie mir?

KÖNIGIN.

Warum nicht Ihnen, mein Gemahl?

KÖNIG.

Mit dieser Stirne?[146]

KÖNIGIN.

Was fällt Ihnen auf?

Ich denke, Sie erinnern sich der Briefe,

Die mit Bewilligung von beiden Kronen

Don Carlos mir nach Saint Germain geschrieben.

Ob auch das Bild, womit er sie begleitet,

In diese Freiheit einbedungen worden,

ob seine rasche Hoffnung eigenmächtig

Sich diesen kühnen Schritt erlaubt – das will

Ich zu entscheiden mich nicht unterfangen.

Wenns Übereilung war, so war es die

Verzeihlichste – da bin ich für ihn Bürge.

Denn damals fiel ihm wohl nicht bei, daß es

Für seine Mutter wäre –


Sieht die Bewegung des Königs.


Was ist das?

Was haben Sie?

INFANTIN welche unterdessen das Medaillon auf dem Boden gefunden und damit gespielt hat, bringt es der Königin.

Ah! Sieh da, meine Mutter!

Das schöne Bild –

KÖNIGIN.

Was denn, mein –


Sie erkennt das Medaillon und bleibt in sprachloser Erstarrung stehen. Beide sehen einander mit unverwandten Augen an. Nach einem langen Stillschweigen.


Wahrlich, Sire!

Dies Mittel, seiner Gattin Herz zu prüfen,

Dünkt mir sehr königlich und edel – Doch

Noch eine Frage möcht ich mit erlauben.

KÖNIG.

Das Fragen ist an mir.

KÖNIGIN.

Durch meinen Argwohn

Soll doch die Unschuld wenigstens nicht leiden. –

Wenn also dieser Diebstahl Ihr Befehl

Gewesen –

KÖNIG.

Ja.

KÖNIGIN.

Dann hab ich niemand anzuklagen

Und niemand weiter zu bedauern – niemand

Als Sie, dem die Gemahlin nicht geworden,[147]

Bei welcher solche Mittel sich verlohnen.

KÖNIG.

Die Sprache kenn ich. – Doch, Madam,

Zum zweiten Male soll sie mich nicht täuschen,

Wie in Aranjuez sie mich getäuscht.

Die engelreine Königin, die damals

Mit soviel Würde sich verteidigt – jetzt

Kenn ich sie besser.

KÖNIGIN.

Was ist das?

KÖNIG.

Kurz also

Und ohne Hinterhalt, Madam! – Ists wahr,

Noch wahr, daß Sie mit niemand dort gesprochen?

Mit niemand? Ist das wirklich wahr?

KÖNIGIN.

Mit dem Infanten

Hab ich gesprochen. Ja.

KÖNIG.

Ja? – Nun, so ists

Am Tage. Es ist offenbar. So frech!

So wenig Schonung meiner Ehre!

KÖNIGIN.

Ehre, Sire?

Wenn Ehre zu verletzen war, so, fürcht ich,

Stand eine größre auf dem Spiel, als mir

Kastilien zur Morgengabe brachte.

KÖNIG.

Warum verleugneten Sie mir?

KÖNIGIN.

Weil ich

Es nicht gewohnt bin, Sire, in Gegenwart

Der Höflinge, auf Delinquentenweise

Verhören mich zu lassen. Wahrheit werde

Ich nie verleugnen, wenn mit Ehrerbietung

Und Güte sie gefordert wird. – Und war

Das wohl der Ton, den Eure Majestät

Mir in Aranjuez zu hören gaben?

Ist etwa die versammelte Grandezza

Der Richterstuhl, vor welchen Königinnen

Zu ihrer stillen Taten Rechenschaft

Gezogen werden? Ich gestattete

Dem Prinzen die Zusammenkunft, um die

Er dringend bat. Ich tat es, mein Gemahl,[148]

Weil ich es wollte – weil ich den Gebrauch

Nicht über Dinge will zum Richter setzen,

Die ich für tadellos erkannt – und Ihnen

Verbarg ich es, weil ich nicht lüstern war,

Mit Eurer Majestät um diese Freiheit

Vor meinem Hofgesinde mich zu streiten.

KÖNIG.

Sie sprechen kühn, Madam, sehr –

KÖNIGIN.

Und auch darum,

Setz ich hinzu, weil der Infant doch schwerlich

Der Billigkeit, die er verdient, sich zu

Erfreuen hat in seines Vaters Herzen –

KÖNIG.

Die er verdient?

KÖNIGIN.

Denn warum soll ich es

Verbergen, Sire? – ich schätz ihn sehr und lieb ihn,

Als meinen teuersten Verwandten, der

Einst wert befunden worden, einen Namen

Zu führen, der mich mehr anging – Ich habe

Noch nicht recht einsehn lernen, daß er mir

Gerade darum fremder sollte sein

Als jeder andre, weil er ehedem

Vor jedem andern teuer mir gewesen.

Wenn Ihre Staatsmaxime Bande knüpft,

Wie sie für gut es findet, soll es ihr

Doch etwas schwerer werden, sie zu lösen.

Ich will nicht hassen, wen ich soll – und weil

Man endlich doch zu reden mich gezwungen –

Ich will es nicht – will meine Wahl nicht länger

Gebunden sehn –

KÖNIG.

Elisabeth! Sie haben

In schwachen Stunden mich gesehen. Diese

Erinnerung macht Sie so kühn. Sie trauen

Auf eine Allmacht, die Sie oft genug

An meiner Festigkeit geprüft – Doch fürchten

Sie desto mehr. Was bis zu Schwächen mich

Gebracht, kann auch zu Raserei mich führen.

KÖNIGIN.

Was hab ich denn begangen?[149]

KÖNIG nimmt ihre Hand.

Wenn es ist,

Doch ist – und ist es denn nicht schon? – wenn Ihrer

Verschuldung volles, aufgehäuftes Maß

Auch nur um eines Atems Schwere steigt –

Wenn ich der Hintergangne bin –


Er läßt ihre Hand los.


Ich kann

Auch über diese letzte Schwäche siegen.

Ich kanns und wills – Dann wehe mir und Ihnen,

Elisabeth!

KÖNIGIN.

Was hab ich denn begangen?

KÖNIG.

Dann meinetwegen fließe Blut –

KÖNIGIN.

So weit

Ist es gekommen – Gott!

KÖNIG.

Ich kenne

Mich selbst nicht mehr – ich ehre keine Sitte

Und keine Stimme der Natur und keinen

Vertrag der Nationen mehr –

KÖNIGIN.

Wie sehr

Beklag ich Eure Majestät –

KÖNIG außer Fassung.

Beklagen!

Das Mitleid einer Buhlerin –

INFANTIN hängt sich erschrocken an ihre Mutter.

Der König zürnt,

Und meine schöne Mutter weint.


König stößt das Kind unsanft von der Königin.


KÖNIGIN mit Sanftmut und Würde, aber mit zitternder Stimme.

Dies Kind

Muß ich doch sicherstellen vor Mißhandlung.

Komm mit mir, meine Tochter.


Sie nimmt sie auf den Arm.


Wenn der König

Dich nicht mehr kennen will, so muß ich jenseits

Der Pyrenäen Bürgen kommen lassen,

Die unsre Sache führen.


Sie will gehen.


KÖNIG betreten.

Königin?

KÖNIGIN.

Ich kann nicht mehr – das ist zuviel –


[150] Sie will die Türe erreichen und fällt mit dem Kinde an der Schwelle zu Boden.


KÖNIG hinzueilend, voll Bestürzung.

Gott! Was ist das? –

INFANTIN ruft voll Schrecken.

Ach! Meine Mutter blutet!


Sie eilt hinaus.


KÖNIG ängstlich um sie beschäftigt.

Welch fürchterlicher Zufall! Blut! Verdien ich,

Daß Sie so hart mich strafen? Stehn Sie auf

Erholen Sie sich! Stehn Sie auf! Man kommt!

Man überrascht uns – Stehn Sie auf – Soll sich

Mein ganzer Hof an diesem Schauspiel weiden?

Muß ich Sie bitten, aufzustehn?


Sie richtet sich auf, von dem König unterstützt.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 145-151.
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