Erster Auftritt


[183] Carlos an einem Tische sitzend, den Kopf vorwärts auf die Arme gelegt, als wenn er schlummerte. Im Hintergrunde des Zimmers einige Offiziere, die mit ihm eingeschlossen sind. Marquis von Posa tritt herein, ohne von ihm bemerkt zu werden, und spricht leise mit den Offizieren, welche sich sogleich entfernen. Er selbst tritt ganz nahe vor Carlos und betrachtet ihn einige Augenblicke schweigend und traurig. Endlich macht er eine Bewegung, welche diesen aus seiner Betäubung erweckt.

Carlos steht auf, wird den Marquis gewahr und fährt erschrocken zusammen. Dann sieht er ihn eine Weile mit großen, starren Augen an und streicht mit der Hand über die Stirne, als ob er sich auf etwas besinnen wollte.


MARQUIS.

Ich bin es, Karl.

CARLOS gibt ihm die Hand.

Du kommst sogar noch zu mir?

Das ist doch schön von dir.

MARQUIS.

Ich bildete

Mir ein, du könntest deinen Freund hier brauchen.

CARLOS.

Wahrhaftig? Meintest du das wirklich? Sieh!

Das freut mich – freut mich unbeschreiblich. Ach!

Ich wußt es wohl, daß du mir gut geblieben.

MARQUIS.

Ich hab es auch um dich verdient.

CARLOS.

Nicht wahr?

O, wir verstehen uns noch ganz. So hab

Ichs gerne. Diese Schonung, diese Milde

Steht großen Seelen an wie du und ich.

Laß sein, daß meiner Forderungen eine

Unbillig und vermessen war, mußt du

Mir darum auch die billigen versagen?[183]

Hart kann die Tugend sein, doch grausam nie,

Unmenschlich nie – Es hat dir viel gekostet!

O ja, mir deucht, ich weiß recht gut, wie sehr

Geblutet hat dein sanftes Herz, als du

Dein Opfer schmücktest zum Altare.

MARQUIS.

Carlos!

Wie meinst du das?

CARLOS.

Du selbst wirst jetzt vollenden,

Was ich gesollt und nicht gekonnt – Du wirst

Den Spaniern die goldnen Tage schenken,

Die sie von mir umsonst gehofft. Mit mir

Ist es ja aus – auf immer aus. Das hast

Du eingesehn – O diese fürchterliche Liebe

Hat alle frühe Blüten meines Geistes

Unwiederbringlich hingerafft. Ich bin

Für deine großen Hoffnungen gestorben.

Vorsehung oder Zufall führen dir

Den König zu – Es kostet mein Geheimnis,

Und er ist dein – du kannst sein Engel werden.

Für mich ist keine Rettung mehr – vielleicht

Für Spanien – Ach, hier ist nichts verdammlich,

Nichts, nichts als meine rasende Verblendung,

Bis diesen Tag nicht eingesehn zu haben,

Daß du – so groß als zärtlich bist.

MARQUIS.

Nein! Das,

Das hab ich nicht vorhergesehen – nicht

Vorhergesehen, daß eines Freundes Großmut

Erfinderischer könnte sein als meine

Weltkluge Sorgfalt. Mein Gebäude stürzt

Zusammen – ich vergaß dein Herz.

CARLOS.

Zwar, wenn dirs möglich wär gewesen, ihr

Dies Schicksal zu ersparen – sieh, das hätte

Ich unaussprechlich dir gedankt. Konnt ich

Denn nicht allein es tragen? Mußte sie

Das zweite Opfer sein? – Doch still davon!

Ich will mit keinem Vorwurf dich beladen.[184]

Was geht die Königin dich an? Liebst du

Die Königin? Soll deine strenge Tugend

Die kleinen Sorgen meiner Liebe fragen?

Verzeih mir – ich war ungerecht.

MARQUIS.

Du bists.

Doch – dieses Vorwurfs wegen nicht. Verdient

Ich einen, dann verdient ich alle – und

Dann würd ich so nicht vor dir stehen.


Er nimmt sein Portefeuille heraus.


Hier

Sind von den Briefen einge wieder, die

Du in Verwahrung mir gegeben. Nimm

Sie zu dir.

CARLOS sieht mit Verwunderung bald die Briefe, bald den Marquis an.

Wie?

MARQUIS.

Ich gebe sie dir wieder,

Weil sie in deinen Händen sichrer jetzt

Sein dürften als in meinen.

CARLOS.

Was ist das?

Der König las sie also nicht? bekam

Sie gar nicht zu Gesichte?

MARQUIS.

Diese Briefe?

CARLOS.

Du zeigtest ihm nicht alle?

MARQUIS.

Wer sagt' dir,

Daß ich ihm einen zeigte?

CARLOS äußerst erstaunt.

Ist es möglich?

Graf Lerma.

MARQUIS.

Der hat dir gesagt? – Ja, nun

Wird alles, alles offenbar! Wer konnte

Das auch voraussehn? – Lerma also? – Nein,

Der Mann hat lügen nie gelernt. Ganz recht,

Die andern Briefe liegen bei dem König.

CARLOS sieht ihn lange mit sprachlosem Erstaunen an.

Weswegen bin ich aber hier?

MARQUIS.

Zur Vorsicht,

Wenn du vielleicht zum zweitenmal versucht

Sein möchtest, eine Eboli zu deiner[185]

Vertrauten zu erwählen –

CARLOS wie aus einem Traume erwacht.

Ha! Nun endlich!

Jetzt seh ich – jetzt wird alles Licht –

MARQUIS geht nach der Türe.

Wer kommt?


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 183-186.
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