Vierter Auftritt.

[307] Doktor Faust, Rosalinde.


ROSALINDE. Verzeih', großer Mann, wenn ich dich im Forschen nach Warheit störe, wenn ich deinen Flug nach Weisheit unterbreche.[307]

FAUST. Wer bist du, Fremdling? was willst du? –

ROSALINDE. Der Ruf von deinem großen Geiste scholl auch zu mir. Du bist die Bewunderung von Europens ersten Gelerten; alle Welt spricht von dir mit Erstaunen. Ich komme, zu deinen Füssen zu sizzen, und Weisheit zu lernen.

FAUST. Willkommen, Jüngling: wenn du ein Geweihter bist, will ich mit dir teilen, was ich weis. Ich liebe den Durst nach Weisheit, und Gier nach Warheit ist meinem Herzen lieblicher als Gold. Sezze dich, Freund, und entdekko mir deinen Stand.

ROSALINDE. Ich danke dir, großer Mann, daß du mich würdig hältst, dein Zögling zu werden. Ich habe mich den Wissenschaften geweiht, gern gelernt im Tempel der Musen, suchte Warheit –

FAUST. Und fandest sie nicht! – Ich glaube dir – auch ich forschte umsonst. Ich bin alles gewesen, hab' allen ihren Schlendrian mitgemacht; ward Theolog, Jurist, Arzt, Filosof: alles Tanz, nichts, das Gottheit witterte! Umsonst sucht' ich göttliche Weisheit in ihrer ursprünglichen Natheit; allenthalben fand ich sie mit Menschensazzungen vertöl pelt, überall mit Schulstaub verkleistert. Umsonst wollt' ich Gerechtigkeit handhaben lernen; verdrehen lernt ich sie;[308] muste einem Gözzen opfern, von den Händen des Eigendunkels und des Interesse geformt, Bastard der Gerechtigkeit, nicht sie selbst! Umsonst wollt' ich lernen menschlichem Bau aufhelfen, wenn er sinkt; zurückbringen vom Grabe, wenn er der Verwesung zuwelkt: Den Menschen mit Methode zu morden lernt' ich, sonst nichts! Und als ich Menschenseele fassen wollte, Warheit entfalten – was fand ich? Schatten! Dunst! Narrheit in ein Sistem geknetet!

ROSALINDE. Vortreflich! wie in meine Seele geredet! Gerade so hab' ich's auch gefunden. Alle menschliche Weisheit scheint mir Torheit, und all ihr Wissen Marktschreierei. Die Gelerten kommen mir vor, wie die hölzernen Komödianten im Puppenspiel. Als Dratpuppen, Kopf und Hand nach dem Faden bewegend, weder selbst denkend, noch selbst redend, immer aus einem fremden Hals tonirend. Und das alles mit einer solchen Barrokken Steifheit, daß man sich über die hölzernen Herrgötter aus dem Atem lachen mus; steif, wie ihre Manschetten, kraus, wie ihre Parrükken, und voll Falten, wie ihre Kragen. Ich hab's in Reime gebracht, und kann's singen. Sie singt.

All ihr Wesen Püppelspiel!

Was sie denken, was sie handeln,[309]

Liegen, sizzen, stehen, wandeln,

Wie der liebe Faden will.

Hand bewegen, Köpfgen nikken,

Körper drehen, Füsgen rükken,

Wie im lieben Puppenspiel –

One Zwekk und one Ziel!

FAUST. Du hast Kopf, junger Mann, sei mir willkommen! Du hast Recht, jenseits steht der Tempel der Weisheit, schwebt über die Lüfte, auf Erden findest du seine Spur nicht.

ROSALINDE. Ueber die Lüfte? Schlimm, Herr Doktor, sehr schlimm! Wie werden wir da hinauf kommen? Flügel haben wir nicht, und dann möcht' uns auch die Luft da oben nicht allzuwol bekommen. Warscheinlicher Weise möchten wir uns einen gewaltigen Schnupfen holen, und hätten denn doch wol nicht einmal an den Drükker der Thür des Tempels der Warheit gefast.

FAUST. Ernsthaft, Jüngling, Warheit läst sich nur von dem Denker, nicht von dem Lacher finden.

ROSALINDE. Und ich, Herr Doktor, meine, das wäre gerade der beste Weg, Weisheit zu finden, wenn man sie lachend sucht.

FAUST. Ein gutes Bonmot; sonst nichts. Die Weisheit –[310]

ROSALINDE. Schlendert gemeiniglich mit der Torheit zusammen. –

FAUST ernst. Jüngling!

ROSALINDE. Warhaftig, Herr Doktor, noch hatten alle große Geister, die ich kannte, eine große Porzion Narrheit mehr, als andere gemeine Erdmenschen. Aber sie hingen ihr den Doktormantel um, stekten ihr den Kopf in eine Knotenparükke, und den Hals in einen Kragen. Leute, die den Affenschwanz hinten nicht sahen, machten denn freilich dem falschen Gözzen große Büklinge. Aber, lieber Herr Doktor, man träumt nicht immer, man wacht auch einmal auf.

FAUST. Ich erstaune über dich: dein Mund fliest über von Warheit und Irrtum, von Geist und von Wansinn.

ROSALINDE. Warhaftig? nun da bin ich ein ausgemachter grosser Geist.

FAUST. Junger Mensch, du wizzelst zu viel, haschest zu mühsam nach Einfällen. Wiz läst sich nur überraschen, man mus ihn nicht suchen. Ueberhaupt ist Wiz nur ein Paradekleid, nur für schön Wetter gemacht. Aber Warheit schüzt immer ihren Mann, sei's Sturm, oder Sonnenschein! Ein wizziger Einfall ist Geld wert; aber es geht mit den wizzigen Einfällen, wie mit den Schmetterlingen: man fängt selten einen, der des Rennens darnach wert wäre. Und bist du nicht[311] gekommen, Weisheit zu lernen? Aber Weisheit ist keine Buhlschwester, und bedarf der Flittern des falschen Wizzes nicht.

ROSALINDE. Aber warum, Herr Doktor? mus denn Weisheit just den Doktormantel umhaben? Sind ihre Pflichten nicht Blumenfesseln? ist nicht ihr Joch leicht, wie Rosen? Wozu also die groteske Aussenseite? Doch Sie könnten leicht schlimmer von mir denken, als ich's verdiene, also – da lesen Sie, Herr Doktor!

FAUST liest. Eleusinia, oder erste Urkunde des Geistergeschlechts! – Ist's möglich? – Blättert. Siebentes Kapitel, von der nähern Erkenntnis der Geister; zwölftes Kapitel, von dem Umgang mit Geistern; dreizehntes Kapitel, vom Dienste der Geister – Wie in einer Ekstase. O du seligster Tag meines Lebens, bist du gekomen? hat das segnende Schiksal dich endlich meiner dürstenden Seele zugefürt? Auf die Knie sinkend. Dank! Dank! Hier ist mehr, als meinem Anherrn je träumte, mehr, als je Swedenborgs Augen in der herzlichsten seiner Erscheinungen sahen. Habe Dank, Jüngling! Verweile hier, bis ich mich im Rebenzimmer gesammelt habe, dann komm ich zurük, und du sollst Teil nemen an jenen Wonnevollen Seligkeiten, die mein unaufhörliches Forschen nach Warheit, mir[312] endlich darbietet. Verweile, bald komm ich zurük. Faust ab.


Quelle:
Schink, Johann Friedrich: Der neue Doktor Faust, eine Plaisanterie mit Gesang in zwei Aufzügen. In: Zum Behuf des Teutschen Teaters, Erster Beitrag, Graz 1782, S. 303–337, S. 307-313.
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