Epilog.

[130] HANSWURST'S SCHATTEN.

Ihr Herr'n und Damen insgemein,

Bitt meine Possen und Narretein

Nicht alzu ungut auszulegen;

Besonders der grossen Männer wegen,

Die ich zur Schau hier aufgestelt.

Ob's gleich 'nem jeden in die Augen fält:

Daß ich als Narre nicht schimpfen kan;

So möcht' ich doch nicht um alle Welt willen

Euch glauben machen, als wär' ich etwa'n

So'n lustiger Gesell von der Stechbahn,

Dem's Zeitvertreib wär' in garstgen Pasquillen

Die Göthe und Lenze zu blaffen an.

Nein, werte Herrn, bin dazu nicht der Mann.

Wenn sie als Menschen, und als Genie

Mal 'ne Kappriole zu viele machen,

Mit ihrer zu raschen Fantasie

Husch! durch die Lüfte hurliburli!

Als fässen wir auf 'nem Wagen mit feurigen Drachen,

Hinweg über Thäler und über Hügel

Uns fortkarbatschen, mit schiessendem Zügel

Und so auf 'ne Weile die grade Spur

Der lieben, guten Mutter Natur

Verloren haben – Wir armen Hunde[130]

Von Ungenien, was wollen denn wir

Die Nase drob rümpfen mit schiefem Munde.

Nicht von den Herren die Rede war hier.

Meinten die Fleinen, nach kläffenden Hunde,

Die ohne den Kopf, und ohn das Genie,

Tyranisiren die Fantasie:

Und denken, wenn sie nur hübsch ohne Regel

Und ohne Zucht ins Gelag hinein

Ihrer verbranten Einbildungskraft Segel,

In den Wind spannen, und die Natur

(Die Hunde kennen sie den Namen nach nur!)

Ganz gottesjämmerlich verfumfein,

So werden sie gleich Göthe und Lenze sein.

Daß indessen die Herr'n im Schauspiel doch vorkommen,

Darin sind wir gefolgt den werten Horaz

Und haben partem pro toto genommen.

Denn da die Herr'n ohn' Willen und Vorsaz

'Ne ganze Herde imitatorum pecus

Nach sich gezogen zu ihren Verdrus:

So hab' ich dies Gesindel und Otterngezüchte

Mit meiner Pritsche von dem Parnas

Vertreiben wollen, und allen dem Spas

Und all der Unordnung ein Ende machen

Den diese Lumpen und armseelgen Wichte

In der Gelertenrepublik anfahn.

Mögen sie nun immer ihren Rachen

Gewaltig drüber aufsperrn im Ton der Bibliothek,

Die da geschmiedet wird auf der Stechbahn[131]

Sich grimmig empören mit lautem Geblök.

Wer hört wol auf sie, und ihr Geschrei?

Und hab' ich der Possen zu viel getrieben;

So hab ich armer Lumpe mein Treu!

Schon satt genug dafür büssen müssen,

Und werd des Narrenspiels nicht wieder üben!

Hab ich's nicht mit dem Leben müssen büssen?

Bin ich nicht krepirt am feinem Almanach?

Und hab' unter Bauchgrimm und gewalt'gen Ach!

Mein armes Leben aufgegeben?

Traun! seit Papa Adam in'n Apfel bis,

Verlor noch kein's schmäl'ger sein Leben

Als ich, daß ich an solchen Schis

Must meine arme Seele aufgeben?

Doch wär's noch ein Trost, wenn nur mit mir

Wär' ausgestorben der Narrenorden,

Und von Hanswurst die Welt für und für

Auf einmal wär quit und leidig geworden.

Doch Euch, Ihr werten Damen und Herren

Ins Ohr geraunt: ich zweifle schier.

Denn wie mein Grosvater zu sagen pflag

Sie wachsen, wie Pilze, die Gekke und Narren,

Und sterben nicht aus bis zum jüngsten Tag.


Epilog geht ab.
[132]

Fußnoten

1 Solte man wegen Darstellung des Froschgequakes auf dem Theater verlegen seyn, und man wäre nicht willens die Frösche selbst auf die Bühne zu bringen so giebt es ja bei jedem Theater Akteurs und Aktriesen, die nur ihre natürliche Stimme gebrauchen dürfen, um das Froschgequake mit all der Illusion vorzustellen, die nöthig ist, dem Zuschauer glaubend zu machen, er höre wirklich Frösche. Auch würde der weltberühmte Altonaer Postreuter für Geld und gute Worte jedem Principal gern diesen Dienst leisten. Sintemalen er sich diesen Ton so eigen gemacht, daß selbst die Fröschlein, wenn sie ihn hörten, ihn für einen aus ihrem Geschlecht halten würden. Das Mükkensumsen könten die schönen Geister gut vorstellen, die in den Koulissen den Meropen und Zayren immer auf die Schleppe treten.


2 Man wird Hanswursts blasphemische Anspielung auf die heilige Taufe dem Dichter nicht übel deuten, sintemalen er ein Genie ist, und bekanntermaßen es zu unsern erleuchteten Zeiten mit zum Genie gehört, dem lieben Gott samt seinen Heiligen und der ganzen Religion ein Schnipschen zu schlagen.


3 Man wird hier das Genie des Richters zum histori schen Schauspiel nicht verkennen. Seine getreue Copie der Natur, bis auf die kleinsten Umstände herab, als worin er sehr glücklich in die Pfade der Göthe und Lenze tritt, die Kernwörter Rakker, Schindluder und dergleichen, die nach den ähnlichen von Göthe und Lenz geprägt worden, sind, dünkt mich, ein Beweis, daß er wahre Schnellkraft des Genies habe. Welches denn hoffentlich die Journalisten und Zeitungsschreiber erkennen werden.


4 Hanswurst muß hier nemlich einen von den grimassirenden Schauspielern kopiren, die er in der Alzire tragiren gesehn, und deren er oben spottete. Sich brav vor die Stirne pauken, vor alles zurückfahren, krenzweis mit den Händen in die Luft hauen, aus der Brust gurgeln, kurz alles das machen, was solche breitschultrige Gesellen zu thun pflegen, wenn sie ihre Rolle nicht wissen, und den Dichter nicht verstehn.


5 'S ist leicht zu vermuthen, daß die Nichtgenieen ob dieser Scene das Näslein rümpfen und das Maul ziehen werden, als sei sie wider die Sitten, und beleidige die Schamhaftigkeit Narrenpossen! der Autor weiß besser, was das Genie darf. Er kopirt die Natur, und was schiert ihn da Moral? Auch hat dieser grand effort du Genie schon seine Autorität. Darf der Leser nur Wagners Kindermörderin lesen, wird zwar da die Scene nur hinter den Kulissen gespielt – aber dafür ist hier auch ein größer Genie – und coram populo muß so eine Scene allemal mehr Effekt thun, und Handlung ist immer besser als Erzählung. Daß also Niemand den Autor lästere über diese Scene – denn sie zeigt das Genie desselben, und wie tief er das menschliche Herz studirt habe.


6 The beast with two baks, »das Thier mit dem doppelten Rükken« nach dem Shakespear im Othello Sieht also der Leser, daß der Autor gegenwärtges historischen Schauspiels, nach dem Beispiel aller heurigen Genies, den Shakespear gelesen, und zu Zeiten ein Goldstükke daraus unter seine Lappen näht. Die Beispiele der andern, die ihm vorgegangen sind, müssen ihn darin rechtfertigen – denn sonst sieht's wol eben nicht gar lieblich aus, wenn die Herrn auf ihre Fezen, zumal da sie zuweilen ziemlich abgeschabt aussehen, ein Purpurlappen von Shakespear flikken, und dem Ganzen dadurch ein abominables Ansehn geben.


7 In der Kindermörderin von Wagner (wenn sich der Leser erinnert,) giebt's hinterm Theater eine Schwängerscene – Der Autor des gegenwärtigen Schauspiels, ein Genie ders seinen Vorgängern im Waghalsen und Kühnheiten unendlich zuvorthut, brachte die Schwängerscene auf's Theater, außer den Kulissen. Gegenwärtige Scene enthält noch einen großen Sprung von Genie. Frau Knips kömmt coram populo nieder. Ist zwar wider Sitten und Anstand. Aber das wär auch ein Lump von Genie, das Mores wüste und nach'm Dekorum früge.


8 In der Kindermörderin.


9 In einem seiner Schauspiele Griseldis. Die Herren Genies werden nicht schamroth werden, daß schon lange vor ihnen ein Mann war,


Ein großer Mann ein Schu

Macher und Poet dazu


der seinen Schauspielen solche coups du Genie einwob, die die damal'gen dummen Leute für albern schalten, weil sie keinen Begrif von Urkraft des Genies hatten. Sie sind also nicht die ersten, die solche große Sachen aufs Theater bringen.


10 Lezteres geht vermutlich auf die allgemeine deutsche Bibliothek.


11 Unstreitig werden die Liebhaber der dramatschen Muse des Herrn von Voltaire, (der proh Deum! wirklich nun einmal im Ernste todt ist) bemerkt haben, daß diese ganze Rede des Sultans nichts anders ist, als die Parodie eines Voltairschen Sul tan's, der in ähnlichen Phrasen seiner Geliebten eine Liebeserklärung von wenigstens 50 Versen macht, worin er von Adam und Eva anhebt, und dann auf sich zurükkömmt. Es ist nemlich die berühmte zweite Scene des ersten Akts der Zayre, die der beliebte Verdeutscher, Hr. Schwabe, nach Gottschedischem Schroot und Korn Belobteste Zayr, ich habe fest vermeinet u.s.w. sehr kräftig gegeben hat. Auch in diesem Genieknif, die Franzosen an den Pranger zu stellen, folgt er unsern neuern Genies getreulich nach, die jezt alles, was französisch ist, berümpfen, und beachselzukken (wenn das Wort erlaubt ist!) Doch scheinen sie nicht zu bedenken, daß wenn die Französchen Trauerspiele meistentheils klares Wasser sind die ihrigen weiter keinen Vorzug haben, als daß sie stärker düften, als jene, indem die Franzosen ihr Wasser aus den Brunnen, sie aber das ihrige aus stinkenden Pfüzen schöpfen.


12 Könige sind nicht ein Haar besser, als andre Menschen, wenn also einem Theil der Leser seine Sultansche Herrlichkeit zu sehr im Ton der Berlinschen Spittelweiber sprechen solten, so beliebe er zu bedenken, daß nach Maasgabe unsrer heutigen Menschenkenner, ein König so gut eine Lunge hat, als andre Menschen, und folglich auch so gut sakkermentiren und wettern kann, als ein Holzhakker. Und da es eine pöbelhafte schmuzige Statur giebt, so haben unsre großen Genies ganz Recht, daß sie die schmuzige Statur auf's Theater bringen. Was schadet's, wenn auch diese Natur nicht allzu lieblich riecht, genug es ist in der Statur, daß unsre Nasen zuweilen von üblen Gerüchen inkommodirt werden; und das ist eine hundsfötsche Nase, die nur immer Ambra und Essenzen und nicht mit unter auch Drek riechen kan. Dank unsern Genies, die unsern Gaumen und unsre Nase zu allem möglichen Fraß und Geruche gewöhnen.


13 Aus dieser Stelle möchte beinahe einleuchten, als ob der Autor dieses historischen Schauspiels, nicht übel Lust hätte, unsre großen dramatschen Genies zu foppen, und blos aus dem Grunde ihre kühnen Züge nachgemalt und verstärkt hätte. Offenbar redet er wider sich selbst. – Denn er hat wie sein Muster, kein Bedenken getragen, von kastriren, huren, ja selbst von dem Theil des menschlichen Leibes öffentlich und mit klaren Worten zu reden, der den Doktor Smollet an der berühmten medicäischen Venus so außer sich sezte. – Ja nicht allein davon zu reden, sondern ihn so gar vor der Versammlung der ehrwürdigsten Männer des Staats, und sittsamsten Damen zu entblössen, da er doch sonst zu allen Zeiten sein schamvolles Haupt immer mit einen Schleier verhülte, und sich nur unter vier Augen öffentlich sehen lies. Er hat also mit diesen großen Geistern, diesen schamhaften Theil des menschlichen Körpers gezwungen schamlos zu werden. Wie denn überhaupt Scham bei unsern Genies eine Tugend geworden ist, die sich nur für die Tagelöhner- und Holzhakkerseelen, aber nicht für Seelen von Kultur und Schnellkraft geziemt.


14 Könnten sich wol ein Bischen schämen unsre Genies, daß ihnen Jungfer Knips das Unrecht beweisen mus, das sie an einem der grösten Schriftsteller unsres Vaterlands ausgeübt haben. 'S ist freilich ein Bischen am unrechten Ort, indessen kan's nicht schaden, bei dieser Gelegenheit die Otternbrut gezüchtigt zu sehn, die frech und unverschämt, wie Strassenrotten die Bildnisse ihrer ehrwürdigsten Schriftsteller zertrümmern, und mit Gassenbubenfrechheit auf ihren Trümmern herum tanzen. Abscheulich ist's nun gar, daß Deutschland zu solchem Unwesen applaudiren kan.


15 O Apollo neige dein Ohr gütig zu dem Flehen des Sultans, und zerschmettre diese Aftergenieen, die zu beherbergen, alle Tollhäuser Deutschlands nicht Raum genug haben.


16 Satyre ist es nun wol nicht, was Hanswurst hier von unsern Kunstrichtern zu sagen beliebt – sondern vielmehr, wahres, treffendes Gemälde. Man höre und lese nur, was vom Mayn Rhein, der Oder, Spree, Elbe u.s.w. her geurtheilt wird – Welcher Klopffechterton! Statt zu urtheilen, schimpft man und statt zu tadeln giebt man den Staupbesen. Scharf kann und mus die Kritik gegen den Stümper sein, aber nicht schmuzig, nicht pöbelhaft, nicht im Ton der Vierschenker und Raspelhäuser – Und doch, hört man wol seit einiger Zeit eine andre Sprache? – Alles kunstrichtert in Einem Tone Alt und Jung; Professoren und Studenten Männer und Knaben – denn wer hinge in unsern Tagen das Kunstrichterschild nicht aus? – alles – der Ruthe eben erst entlaufen oder den Universitäten, wie' s fällt.


17 Schon wieder läst sich der Autor auf einem Genieknif ertappen – er stiehlt wie ein Rabe – man sieht leicht, daß Kandide hier bestohlen worden – aber was darf ein Genie nicht alles?


Quelle:
Johann Friedrich Schink: Marionettentheater. Heidelberg 1925.
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