Zweite Weise

[143] Laß dich mit gelinden Schlägen

Rühren, meine zarte Laute!

Da die Nacht hernieder thaute,

Müßen wir Gelispel pflegen.

Wie sich deine Töne regen,

Wie sie athmen, klagen, stöhnen,

Wallt das Herz zu meiner Schönen,

Bringt ihr aus der Seele Tiefen

Alle Schmerzen, welche schliefen;

Liebe denkt in süßen Tönen.


Zu dem friedlichen Gemach

Wo sie ruht in Blumendüften,

Laß noch in den kühlen Lüften

Tönen unser schmelzend Ach.

Halb entschlummert, halb noch wach,

Angeblickt vom Abendstern

Liegt sie, und vernimmt wohl gern

In den leisen Harmonieen

Träume, Bilder, Fantasieen,

Denn Gedanken stehn zu fern.


Inn'ger, liebe Saiten, bebet!

Lockt hervor den Wiederhall![143]

Weckt das Lied der Nachtigall,

Und wetteifernd mit ihr strebet!

Doch wenn Sie die Stimm' erhebet,

Dann erkennet euren Herrn,

Lauscht demüthig und von fern.

Horch! schon singt der holde Mund,

Denn verrathen unsern Bund

Nur in Tönen mag sie gern.


Nun noch einmal, gute Nacht!

Und an deinem Lager säume

Nur der zärtlichste der Träume,

Bis der Morgen wieder lacht.

Dann geh' auf in stiller Pracht,

Wie der Tag den Erdensöhnen,

Meine Hoffnungen zu krönen.

Kann doch deine Blüthenjugend,

Unschuld, Anmuth, reine Tugend,

Alles, was sie will, verschönen.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke Band 1, Leipzig 1846, S. 143-144.
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