Vorrede

Geneigter Leser!

Diese Vorrede habe ich nicht der Gewohnheit oder der bloßen Mode wegen hierher gesetzt, indem man selten ein Buch bei heutigen Zeiten zum Vorscheine kommen siehet, dem es an einer Vorrede fehlet, nein! sondern dem geehrten Leser etwas zu offenbaren, damit derselbe diese Geschichtsbeschreibung nicht etwa mit argwöhnischen Augen ansehen möge, denn, versichert, man legt ihm mit diesen Blättern nicht, so wie es nunmehro leider grand mode zu werden beginnet, curieuse Gedichte, sondern wahrhafte und dennoch curieuse Geschichte vor.

Ich vor meine Person habe zwar nicht die Ehre gehabt, den Herrn von St.*** oder den in der Geschichtsbeschreibung so genannten Herrn von Elbenstein von Person zu kennen, allein er ist mir auch sogar von hohen Personen dergestalt vorgerühmt worden, daß ich ihn in seiner Jugend vor einen der galantesten und qualifiziertesten Kavaliere, in seinem Alter aber vor einen erfahrnen, frommen, jedoch unglücklichen Staatsmann zu halten mich vollkommen persuadiert sehe. Mit dem Herrn E.v.H. hat er in seiner Jugend in der vertraulichsten Freundschaft gelebt, auch dieselbe nachhero beständig beibehalten, ob sie schon bei erwachsenen Jahren einander sehr selten zu sehen bekommen. Als der Herr von St.*** bereits bei Jahren war, die größte Würde an einem gewissen deutschen reichsfürstl. Hofe erlanget und sich solchergestalt in einem ziemlich glückseligen Zustande befand, gab ihm[7] der Herr E.v.H. einsmals eine Visite und wurde von diesem alten Freunde mit der zärtlichsten Liebe empfangen, auch ganzer 14 Tage aufs beste traktieret; wann sie aber beide, auch wohl öfters bis in die Nacht, an den fürstlichen Lustbarkeiten teilgenommen, blieben sie hernach dennoch in einem Zimmer noch eine Zeitlang beisammen und rauchten bei Tee oder Koffee eine Pfeife Tobak, aus keiner andern Ursache, als einander ihre Aventuren zu erzählen. Endlich brachte der Herr von St.*** sein in italiänischer Sprache geschriebenes Diarium nebst vielen untereinander geworfenen Skripturen herbei und sagte: »Ich wollte 100 Taler drum geben, wenn ich soviel Zeit abmüßigen könnte, dieses alles in Forme zu bringen, nicht mir ein Gloire aus meinen Sünden der Jugend zu machen, sondern andern jungen Leuten, sie mögen Adeliche oder Unadeliche sein, zum Spiegel und zur Warnung, sich vor den Lüsten des Fleisches zu hüten; denn der Himmel läßt dieselben doch nicht ungestraft, und welches am schlimmsten, wo nicht hier zeitlich, doch dort ewig. Mich hat dessen Rute zu verschiedenen Malen sehr heftig gestäupet, allein es ist noch nicht genung, gebt nur Achtung, mein werter Freund, ob ich mein Leben in diesem vermeinten Glücks- und Ehrenstande beschließen oder vorhero nicht noch in vielen Jammer und Not geraten werde. Jedoch wie Gott will. Ich habe ja schon seit etlichen Jahren her täglich selbst recht eifrig dieses gebeten: So fahr hie fort und schone dort etc.«

Der Herr E.v.H. tröstete ihn dieserhalb und bat ihn, daß er sich doch dergleichen Gedanken aus dem Sinne schlagen, hergegen bedenken möchte, daß die göttliche Barmherzigkeit ebensogroß als die Gerechtigkeit, mithin die bußfertigen Sünder gern zu Gnaden annähme und die Strafe zu lindern pflegte. »Allein, mein Herzensfreund«, redete der Herr E.v.H. weiter, »woferne Ihr kein Mißtrauen in meine Redlichkeit setzet, so vertrauet mir Euer Diarium benebst[8] Euren andern italiänischen Skripturen an, ich will, weil ich, nachdem meine Güter verpachtet sind, ohnedem wenig zu tun habe, als mich an Büchern zu ergötzen, zusehen, ob ich noch soviel Geschicke habe, alles dieses aus dem Italiänischen ins Deutsche zu übersetzen und nur vorerst soviel als möglich aneinander zu heften, damit eine ordentliche Geschichtsbeschreibung daraus wird, welche hernach noch einmal revidiert, auspoliert, sodann ins reine geschrieben und endlich zum Druck befördert werden kann.« Der Herr von St.*** war so gleich willig und bereit darzu, versprach auch, wo sich der Herr von H. diese Mühe geben wollte, nicht allein alles noch Darzugehörige aufzusuchen, sondern ihm von Zeit zu Zeit nebst diesen allen seine fernerweitigen Aventuren offenherzig aufzuschreiben und zu übersenden. Bat anbei, daß der Herr von H. die Hauptstücke von seinen eigenen Aventuren zugleich mit einfließen lassen möchte, welches dieser zu tun versprach und, da er sich von dem Herrn von St.*** beurlaubte, nicht nur dessen Diarium, sondern auch ein ganz Paquet darzugehöriger geschriebener Sachen mit sich nach Hause nahm. Der Herr von St.*** hat demselben nachhero, auch da sich schon, wie er sich selbsten prophezeiet, sein Glücksrad abermals umgedrehet und ihn in einen beklagenswürdigen Zustand geworfen, sein Wort redlich gehalten und ihm bis wenige Monate vor seinem Ende alles, was ihm nachhero begegnet, zu wissen getan. Der Herr von H. ist auch bei müßigen Stunden recht eifrig bemühet gewesen, diese Geschichte in behörige Ordnung zu bringen, allein da er nachhero mit einer beschwerlichen und schmerzhaften Wassersucht befallen worden, welche ihm auch ins Grab befördert, hat er seinen Zweck nicht erreichen können.

Endlich sind alle diese Manuskripta mir, dem Ungenannten, in die Hände geraten, und weil ich mir flattierte, obgleich nicht bei allen Leuten, doch bei etlichen einigen Dank zu verdienen, wenn ich mich darübermachte,[9] dieselbe nach meinem wenigen Vermögen ins feine brächte und zum Drucke beförderte, so habe es getan und lege es einem jeden zur Schaue und Beurteilung dar.

Es ist zwar heutiges Tages eine schwere Sache, recht nach dem Geschmacke dieser oder jener zu schreiben; allein dieser oder jener sollen auch wissen, daß ich mich nicht gar zuviel um ihren Geschmack bei diesem oder jenem bekümmere, denn es heißet im gemeinen Sprüchworte: Einem jeden vor sein Geld, was ihm schmeckt. Ob auch gleich dieses Gerichte manchem wegen Zurücklassung allzu vielerlei Gewürze und anderer Tändeleien nicht allzu schmackhaft vorkommen möchte, so bin ich doch versichert, daß es sich genießen lassen und nach rechter Kauung keinem im Leibe kneipen wird, weswegen man mich denn auch, ob ich schon kein perfekter à-la-mode-Mund- und Kohlkoch bin, nicht sogleich unbarmherzigerweise aus der Garküche der deutschen Mundart und Reimkunst verstoßen wolle: als wormit ich hierdurch dienstfreundlich gebeten haben will.

Wenn ich mich nicht irre oder mir selbsten nicht zuviel zutraue, so habe ich ein und anderes in des Herrn E.v.H. Manuskripte, sowohl in Prosa als Ligata, in etwas reiner Deutsch gebracht, indem dieser Kavalier anfänglich vom Degen, hernach von der Ökonomie mehr Fait gemacht als von der Feder, Oratorie und Poesie, aber! dieserwegen fällt seinem Ruhme nichts ab, weil seine Gedanken dennoch gut gewesen sind, ob er sie gleich nicht allezeit nach seinem Willen exprimieren können. Ein und anderes, welches mir etwas gar zu frei und natürlich, dahero anstößig oder, wie es die Singularisten nennen, ärgerlich geschienen, habe in etwas verändert oder gar weggelassen, verschiedenes aber, was noch zu verantworten, ist stehengeblieben.

Man könnte viele Bücher, die seit wenig Jahren herausgekommen sind, anführen, in welchen weit natürlicher geschrieben worden als in diesem, allein es wäre[10] unbesonnen, wenn man gleich selbst vom Leder zöge, besser ist's, man wartet die Attaque ab und wehret sich hernach desto besser.

Übrigens, weil der Ungenannte so glücklich gewesen, daß seine schon öfters in Druck herausgegebene Schriften von sehr vielen wohl auf- und angenommen worden, als versichert er sich bei diesen zwei Teilen der Elbensteinischen Reise- und Liebes-Geschicht eines gleichen, wünschet allen Wollüstigen vor dem vergifteten Lasterkonfekt einen so starken Abscheu als den Vernünftigen und Tugendhaften eine christliche Compassion mit den Schwachen und Ausschweifenden zu haben, beharret im übrigen unter dem Versprechen, mit nächsten noch andere parat liegende curieuse Geschichte vollends auszuarbeiten und zu publizieren


St. Gotthard,

den 1. Jul. 1738.

Des geneigten Lesers

Dienstergebener

Der Ungenannte

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Der im Irrgarten der Liebe herumtaumelnde Kavalier. Leipzig 1973, S. 7-11.
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