Beschluß von [190] Mons. van Blac Avantüren.

Es wird ihnen, meine Herrn, (fing er an) vielleicht noch im frischen Gedächtnisse seyn, wo ich gestern Abend geschlossen, derowegen will nur gleich fortfahren, und sagen, daß meine halb- und halbe Liebste, die Madame van Bredal, Mittags ziemlich besser war, denn den gantzen Vormittag hatte ich sie unter der Aufsicht unserer Wirthin und der Magd gelassen, selbsten aber, nebst unsern eigenen Geschäfften auch mir vor den krancken Rackhuysen gesorgt. Derselbe ließ sich aber noch vor Abends in ein ander Quartier bringen, und ich habe ihn seit dem in Lissabon nicht wieder gesehen. Dostart ließ sich etliche mahl bey uns melden, bekam auch Erlaubniß, zu uns zukommen, da ich aber auf expressen Befehl meiner Landsmännin nicht von der Stelle gehen, sondern stets dabey bleiben muste, brachte er in seinen Gesprächen nichts besonders vor, und endlich war uns das allerfreundlichste, da unser Schiffs-Patron ansagen ließ, daß, wo wir mit nach Holland wolten, wir uns eiligst am Boord einfinden solten, indem er sich expedirt und bey itzigem guten Winde und Wetter keine längere Zeit versäumen wolte.

Wir machten uns demnach gleich fertig, hatten eine sehr angenehme Fahrt, und erreichten die Holländischen Küsten, ehe als wir es vermeynet hätten,[190] der Schiffs-Patron war so gefällig, uns in Harlingen auszusetzen, weil die Madame van Bredal von dannen nur noch einen kurtzen Weg nach Leuwarden hatte; anfänglich waren wir eins worden, daß ich sie biß in diese ihre Geburths-Stadt begleiten solte, nachhero aber, da wir dieses besser überlegt, wurden wir schlüßig, daß sie allein mit einer Extra-Post dahin, ich aber zu Schiffe nach meiner Vaters-Stadt Antwerpen abgehen wolte. Wir blieben also nur 2. Tage in Harlingen, um von der Reise ein wenig auszuruhen, nahmen nachhero beweglichen Abschied von einander, wobey sie mir versprach, daß, so bald sie würde vermeinen, daß ich in Antwerpen könte angekommen seyn, mir von ihrem Zustande Nachricht zu geben, auch beschenckte sie mich noch mit 1000. Ducaten und verschiedenen kostbaren Kleinodien, welches letztere aber anzunehmen ich mich aufs alleräuserste weigerte, allein, sie ließ nicht nach, mir solches aufzuzwingen, und sagte dabey: Nehmet mir zu Gefallen nur itzo dieses wenige zum Reise-Gelde, es komme hinführo mit mir wie es will, so werde ich euch doch bedencken; Mir aber war gantz anders zu Muthe, und an ihrer Person mehr gelegen als an Gelde und Gute, welches ihr deutlich genung zu verstehen gab. Allein, sie blieb bey ihrer ehemaligen in Lissabon gethanen Erklärung, und fügte hinzu, wie sie hoffte, daß wir in wenig Wochen einander sprechen würden, es möchten nun ihre Sachen gut oder schlimm abgelauffen seyn. Hierauf ließ sie ihre meisten Sachen zu Harlingen in Verwahrung, und reisete auf Leuwarden[191] loß, ich ebenfals ging gleich folgenden Tages mit einem Middelburgischen Schiffe ab.

Ich war auf dieser gantzen Reise sehr betrübt und traurig, denn das Hertze mochte mir im voraus sagen, daß ich wenig Vergnügen in meiner Vaters-Stadt antreffen würde, es war auch an dem, denn mein Vater war nicht wieder zurück kommen, sondern sichern Nachrichten gemäß, in dem ersten Jahr seiner Sclaverey gestorben, hierüber, und da zumahlen die Creditores zugegriffen, und meiner Mutter fast alle das Ihrige genommen, so, daß sie nebst ihren annoch lebenden 6. Kindern, denn zwey waren schon davon bey diesem Hertzeleyde gestorben, auf die letzte in einem Mieth-Hause, kaum so viel gehabt, daß sie das liebe Leben erhalten können, hierüber, sage ich, grämet sie sich ebenfals noch dergestalt, daß sie ohngefähr ein halbes Jahr vor meiner Zurückkunfft gestorben, und der Groß-Mutter, welche noch ihr eintziger Trost gewesen, binnen 3. Wochen im Tode nachgefolgt war.

Meine zwey jüngsten Geschwister hatte man aus Erbarmung ins Waysen-Hauß genommen, von den 3. ältesten Brüdern lerneten zwey Profesiones, der jüngere wartete einem Herrn auf, und die älteste Schwester war gleichfalls ein Cammer-Mägdgen bey einer vornehmen Frau geworden. Ich besuchte dieselben alle, oder ließ sie zu mir kommen, weil ich aber vermerckte, daß sie sich in ihr Unglück ziemlich schicken gelernet, auch mit dem jetzigen Zustande ziemlich zufrieden waren, ließ ich jedes an seinen Orte, zumahlen, da ich noch nicht wuste, wie es mit meiner eigenen Person kommen würde, schenckte[192] aber einem jeden von meinen Geschwistern 100. spec. Ducaten, und dabey ein neues Kleid, mit dem Versprechen, daß, wenn sie fleißig vor mich beten würden, damit mir eine gewisse Affaire wohl geriethe, ich an ihnen nach und nach ein noch mehreres thun wolte.

Mittlerweile sahe mich jedermann, der mich in der Jugend in meiner Vaters-Stadt gekennet hatte, fast vor ein Meer-Wunder an, jedoch, da ich den verständigsten Leuten, worunter sich auch viele Vornehme befanden, meine Fatalitäten erzählet hatte, bekam ich ohnverhofft verschiedene gute Gönner und Freunde, welche sich sehr verobligirten, mir eine gute Bedienung zu verschaffen, wobey ich honettement leben könte, allein, ich sahe mich nicht im Stande, noch zur Zeit etwas anzunehmen, sondern wolte erstlich auf Briefe von der van Bredal warten, welche denn auch in der 6ten Woche, nach meiner Ankunfft in Antwerpen, durch einen Expressen einlieffen, und die ich also gesetzt befand:


Mein werther Mons. van Blac.


Wie ich mir immer seithero selbst propheceyer, so ist es mir auch ergangen. Nehmet es mir nicht übel, daß ich euch eine weitläufftige Nachricht von meinem allhiesigen Begebenheiten überschreibe. So bald ich nach Leuwarden kam, that ich, als ob ich gar nichts von der anderweitigen Verheyrathung meines ungetreuen Mannes wüste, fuhr derowegen gerade vor das Hauß, worinnen ich sonsten mit ihm gewohnet hatte, stieg ab, ging in die ordinaire Wohn-Stube,[193] und fragte so gleich nach dem van Steen, welcher ausgegangen war, jedoch kam seine Gemahlin, die Helena, so gleich zur Stelle, und fragte, was ich beliebte? Madam! gab ich zur Antwort, ich habe zwar die Ehre nicht, sie zu kennen, möchte aber gern meinen Ehe-Mann den van Steen sehen. Hierauf sahe mir die Helena etwas tieffer in die Augen, und da sie mich so gleich erkennen mochte, wurde sie so blaß als eine Leiche, stund auch eine gute Zeit als ein steinern Bild vor mir, weßwegen ich zu ihr sprach: Madam, warum werden sie so verwirret? Ist ihnen etwa nicht wohl? Sie wuste erstlich noch nicht, was sie antworten solte, endlich aber flossen diese Worte aus ihrem Munde: Ist der van Steen euer Mann, so müsset ihr nicht wohl im Gehirne verwahret seyn, denn ich habe ihn nun schon einige Zeit zur Ehe, auch ein Kind in der Wiege, und eins im Leibe von ihm, wüste auch nicht, wer mir meinen Mann abdisputiren wolte, zumahlen da seine erste Frau in Marocco unter den Kebs-Weibern des Kaysers befindlich, und er dieserwegen allhier Erlaubniß erhalten, sich als ein von ihr geschiedener mit mir zu verheyrathen. Madame! replicirte ich, ihr seyd von der gantzen Sache entweder gar zu viel oder gar zu wenig unterrichtet; ich bin die erste Frau des van Steen, und habe noch niemahls einen andern Mann, als ihn, erkannt, auch hat mich der Himmel sonderlich davor[194] bewahret, eines andern Kebs-Weib zu werden, wie es aber um eure eigene Ehre stehet, könnet ihr am allerbesten nachdencken und wissen. So bald als dieser Schand-Balg dergleichen Reden von mir hörete, fiel sie als eine Furie über mich her, wolte mich zu Boden reissen, und mir die Augen auskratzen, allein, ich wehrete mich meiner Haut so gut, und so lange, biß erstlich einige von den Hauß Genossen, und endlich der van Steen selbst darzu kamen, und uns von einander brachten. Mir blutete zwar die Nase, allein, meine Feindin hatte doch noch stärckere Trümphe in die Augen, so wohl als auf die Nase und auf das Maul bekommen, weßwegen sie mich durchaus todt haben wolte; allein, in diesem Stück war der van Steen doch etwas vernünfftiger, und sagte zu mir: Madame! ich kenne euch sehr wohl, bin auch sehr erfreuet, daß ihr aus der Sclaverey entronnen seyd, allein, vergebet mir, daß ich euch nimmermehr wieder zu meiner Ehe-Frau annehmen kan, doch will ich euch alles das Eurige heraus geben, und ausserdem noch ein übriges thun, nur thut so wohl, und retiriret euch, um ferneres Unglück zu vermeiden, aus meinem Hause, glaubet anbey, daß es mir sehr schmertzlich fällt, euch solchergestalt abzufertigen; welcher Mensch aber ist so kräfftig, sein Verhängniß zu besiegen? Monsieur! war meine Antwort, ich habe schon von ferne gehöret, was die Glocke[195] bey euch geschlagen hat, derowegen will ich erstlich mit meinem Verhängnisse einen rechtschaffenen Streit anfangen, ehe es mich vollkommen besiegen soll. Die erzürnete Helena melitte sich hierbey aufs neue in das Gespräch, welches nach und nach so hefftig wurde, daß wir einander wieder nach den Köpffen greiffen wolten, van Steen aber verhütete dieses, und gab endlich Befehl, daß mich 4. von seinen Leuten zum Hause hinaus führen musten. Ich war nicht im Stande, mich zu wehren, schwieg auch, um mich nicht ferner prostituiren zu lassen, gantz stille, stieg in meinen Wagen, und ließ mich in ein Gast-Hauß fahren, allwo ich blieb, und selbige erste Nacht einen beweglichen Brief an meinen ungetreuen Ehe-Mann schrieb, auch ihm darinnen sein Verfahren gegen mich von Anfang an biß auf diese Stunde vorrückte, allein, er würdigte mich nicht, mir schrifftlich zu antworten, sondern schickte einen Läppischen Kerl zu mir in mein Logis, welcher mir vorstellen muste, daß ich ja, da ich ein Kebs-Weib eines Barbarn gewesen, über dieses lange Zeit mir einem jungen Holländer (unter welchen ihr mein ehrlicher van Blac verstanden wurdet) in der Welt herum gereiset, ohnmöglich verlangen könte, daß mich der Herr van Steen wieder annehmen, und seine itzige Frau, die er über alles in der Welt liebte, von sich jagen solte; inzwischen bliebe er bey dem Entschlusse,[196] daß woferne ich alle Weitläufftigkeiten vermeiden, er mir nicht allein alles mein eingebrachtes Gut baar bezahlen, sondern auch über dieses noch 1000. spec. Thlr. schencken wolte.

Ich nahm mir nicht einmahl die Mühe, diesen Maul-Affen behörig zu antworten, sondern sagte nur, es wäre alle gut, er möchte seinen Principal wieder grüssen, ich würde meine Sache schon auszuführen, und meine Ehre gegen ihn und seine itzige Frau zu retten wissen.

Nachhero habe erfahren, daß der van Steen mit dem erstlich Abgeschickten, der sich Nörgel nennete, und noch einem andern, mich zweymahl nach einander besuchen wollen, weil er vielleicht kein gutes Gewissen, oder etwa bessere Gedancken bekommen hatte, allein, seine Frau hatte es dennoch zu hintertreiben gewust, so, daß ich an dessen Statt die schändlichsten Reden von ihm hören muste, worzu vielleicht der in Lissabon zurück gebliebene Rackhuysen durch Briefe das meiste beygetragen haben mag.

Vom Dostart vernehme, daß er bißhero durch eine schwere Kranckheit an seiner Zurückkünfft verhindert worden, wiewohl ich ihn nun deßwegen aus Christlichem Gemüthe bedaure, so ist mir doch an seiner Gegenwart gar nichts gelegen, weil ich den Process gegen meinen ungetreuen Mann bereits einem gescheuten Procureur anvertrauet,[197] welcher mit aber keinen andern Trost giebt, als es binnen wenig Wochen dahin zu bringen: daß ich erstlich von demselben, alles mein eingebrachtes Gut; vors andere, einen Gerichtlichen Scheide-Brief, mit der Erlaubniß, wieder zu heyrathen, wen ich wolte, und drittens, wenigstens 5000. fl. vor den Abtritt bekommen solle, jedoch in so ferne ich eydlich erhärten könte, daß ich binnen der gantzen Zeit meines Hinwegseyns von keiner Manns-Person, auf solche Art, wie mein ungetreuer Mann meynet, berühret worden. Weiln ich nun dieses letztere mit reinem Gewissen alle Augenblicke thun kan, so bitte ich euch, mein redlicher Mons. van Blac, mir zu allem Uberfluß zu Hülffe zu kommen, und ein Zeugniß meiner Aufführung, so viel euch nehmlich davon bewust ist, abzustatten.

Ich versehe mich eurer baldigen Ankunfft gewiß, sende anbey 100. Ducaten Reise-Kosten, und beharre mit aller Aufrichtigkeit


Eure

getreue Freundin

Charlotte Sophie geb. van Bredal.


Gleich nach Lesung dieses Briefes, der mir höchst angenehm war, machte ich mich auf den Weg, um ein Pferd zu erhandeln, und mit meinen angekommenen Expressen, die Reise zu Lande nach Leuwarden anzutreten, zu allem Glück aber begegnete mir der Schiffer, welcher mich von Harlingen mit anhero gebracht hatte, und ließ sich verlauten, daß er gleich morgenden Tages abermahls dahin fahren[198] wolte, weßwegen ich gleich bedachte, daß es mir auf diese Art eher dahin zu kommen möglich seyn würde; also auf der Stelle den Accord mit ihm machte, meine Sachen zu Schiffe bringen, den Expressen aber zu Lande fort reisen ließ.

Ich kam zeitiger in Leuwarden an, als es die Madame van Bredal wohl vermeynet hatte, und weil ich mein Logis in eben dem Gast-Hause, wo sie sich einlogirt, genommen, erfuhr ich unter der Hand gleich, daß sie mit einer ihrer Befreundtinnen auf ein Land-Gut gereiset, ihre Zurückkunfft aber unter 4. Tagen wohl nicht zu hoffen wäre. Demnach hielt ich nicht vor rathsam, ihr nachzureisen, sondern vor besser, auf sie zu warten, ließ mich aber gar nicht mercken, daß mir an ihrer Person etwas gelegen wäre.

Nachdem ich dritten Tages von der Reise vollkommen ausgeruhet hatte, ging ich vor die Stadt spatzieren, gerieth in einen schönen Garten, und ohngefähr mit einer lustigen Compagnie ins Spiel, und gewann binnen wenig Stunden 16. biß 20. Holländische Gulden, kam zwar im Streit mit einem Unbekannten, etwa 5. oder 6. lumpichter Guldens halber, ließ mich aber als ein Fremder bald weisen, und nahm die angebothene Helffte davon nicht einmahl an, sondern sagte, daß, weil ich ohnedem durchs Glück etwas gewonnen, ich diesen geringen Satz gar leicht vergessen könte. Die Spiel-Compagnie ging hierauf fort, biß auf sehr wenige, welche, so wie ich selbst, noch Appetit hatten, Caffée und darauf ein Glaß Wein zu trincken. Indem ich mich nun in ein Cabinet gen besonders gesetzt, um etliche[199] daselbst gefundene Zeitungs-Stücke durchzulesen, kam mein, auf dem Spiele gewesener Wiedersacher zu mir, brauchte die gröste Complaisance, bedaurete, daß wir mit einander um eines Bagatells willen zerfallen wären, und wünschete, daß, weil er mich vor einen moralisirten Menschen ansähe, wir näher mit einander bekannt werden möchten. Ich erzeigte demselben alle Gegen-Gefälligkeit, nöthigte ihn, den Caffée und Wein mit mir zu verzehren, worzu er sich leicht erbitten ließ, jedoch dabey seine Neugierigkeit nicht bergen konte, zu wissen, wer ich wäre, und was ich allhier zu verrichten hätte. Es war mir ein leichtes, ihn damit abzufertigen, daß ich ein Kauffmanns-Diener, und nach Engelland überzugehen gesinnet wäre; dahingegen offenbarete er mir, und zwar erstlich, da die andern schon alle hinweg gegangen, und wir beyde nur alleine beysammen waren, daß sein Nahme Nörgel, und er ein Notarius Publicus wäre, seine Profession ihm aber ein sehr weniges einbringen würde, wenn er nicht dieses Orts die vortrefflichsten Weiber Stipendia zu geniessen hätte.

Nunmehro, da ich diesen Nahmen, in der van Bredal an mich geschriebenen Briefe, gelesen zu haben, mich erinnerte, sperrete ich erstlich beyde Ohren auf, ließ sans passion noch ein paar Maaß Wein herein geben, und stellete mich ungemein lustig, verdrehete den Discurs auf den itzigen Zustand von Europa, allein, Mons. Nörgel bezeugte zu solchen Sachen eben keinen besondern Appetit, sondern fing ex abrupto wieder an, von seiner eigenen Person und Bewunderungs-würdigen Liebes-Intriquen[200] zu raisoniren. Seines Nahmens wegen, und um, ihn noch treuhertziger zu machen, ließ ich noch 2. Bouteillen Wein langen, bey welchen er denn auch so aufrichtig wurde, und theuer versicherte, daß er diese Nacht 3. Dames, so ihn um Mitternacht zu sich invitirt, versäumen, die 4te aber, welches sein Abgott, und die bemittelste wäre, ohnfehlbar abwarten und besorgen müste. Wie ich nun hierbey eine lächerliche Mine machte, fuhr er, etwas entrüstet, heraus: Monsieur, glaubt ihr mir nicht, so leset diese 3. Billets, (welche er also gleich aus der Ficke zohe,) das 4te aber an dem Lichte verbrannte. Nach wenigen fernern Nöthigen, fand ich das erste also gesetzt:


Du Irr-Wisch!


Stellest du dich heute diesen Abend gegen 9. Uhr nicht in meiner Cammer ein, so überschreite derselben Schwelle nur nimmermehr wieder, sonsten wisse, daß ich dich mit Hunden hinaus hetzen, und Zeit-Lebens deine Todt-Feindin verbleiben will.


E.


Das andere Billet war folgendes Inhalts:


Mein Vergnügen.


Die Gelegenheit von deinen mir höchst angenehmen Caressen zu prositiren, ist itzo vor mich besser als jemahls, derowegen ko , noch ehe die Sonne untergehet, weilen sonst Verdacht entstehen möchte; ich will dich gewiß erstlich mit einer delicaten Abend-Mahlzeit,[201] hernach mich mit dir vollends vergnügen, dieweil ich bin

Deine ergebene A.


Das dritte Billet, welches mir am allermeisten verdächtig vorkam, lautete so:


Falscher Kebs-Mann!


Du weist, was du an mir gethan, und daß ich einige Wochen, so zu sagen, als eine Wittbe leben müssen, weiln mein Mann, seit der Zurückkunfft seiner Barbarn-Hure, mir wenig Caressen gemacht, um so viel desto mehr hättest du dein Plaisir befördern können; weil du es aber versäumet, muß ich dich an deinem Profite selbst erinnern. Darum komm! so bald es dunckel ist, durch den gewöhnlichen Gang, vergnüge mich und dich, und glaube, daß ich, wenn ich dich redlich befinde, allezeit seyn werde, du weist es wohl,


Deine

gutwillige v.S.


Mein Herr! sprach ich, nachdem ich ihm alle 3. Briefe wieder zurück gegeben, die letztere schreibt gar zu treuhertzig, darum solte wohl meynen, daß sie es am allermeisten meritirte, ihr aufzuwarten. Es ist wahr, mein Herr, gab er zur Antwort, sie ist sehr genereux, dabey hitzig, aber nicht so Liebens-würdig als die, welche ich am meisten liebe, und deren Brief ich itzo verbrannt habe, denn diese ist[202] ungemein schönes Bild, voller Feuer, und bezahlt dennoch sehr reichlich, dasjenige was ich ihr gern umsonst thäte. Sie sind glücklich, mein Herr! gab ich darauf, und ich dürffte fast wünschen, nur an einem Orte einmahl ihre Stelle zu vertreten. Ich bin nicht neidisch, war seine Antwort, und wo sie, mein Herr, nur die Kleider allhier mit mir verwechseln und meiner Anführung folgen wollen, so können sie heunte Nacht die Madame van Steen nach ihrem Plaisir bedienen, denn sie hat unvergleichliche Anstalten darzu gemacht, wird auch den Betrug nicht mercken, nur bitte mir aus, mit anbrechendem Tage wieder allhier zu seyn, damit ein jeder sein Kleid wieder anziehen kan, und wir einander von allem Nachricht geben können, denn es ist mir bey der van Steen nur um den Profit zu thun, aus ihren Caressen aber mache ich mir nicht das geringste.

Ich hatte, wie leicht zu erachten, verzweiffelte Streiche im Kopffe, stellete mich derowegen über Nörgels Treuhertzigkeit sehr vergnügt an, und dieser führete mich, so bald wir die Kleider und Peruquen mit einander verwechselt hatten, durch etliche schmale Gassen, die ich wohl bemerckte, biß vor der van Steen hinter-Thür des Gartens, befahl mir, die Garten-Thür mit den Nach-Schlüssel, den er mir gab, nur zu eröffnen, und getrost auf das Garten-Hauß, allwo sie in der obersten Etage schlieffe, zuzugehen, so dann würde ich rechter Hand oben an dem Gesimse eine Bley-Kugel, woran ein Bindfaden bevestiget wäre, antreffen, mit selbigem solte ich nur einige Züge thun, so würde die Thür gleich von[203] sich selbst aufgehen, denn sie hatte den Bindfaden an ihren Arm gebunden, könte auch so gleich, vermittelst eines herab gehenden Eisen-Drats, die Riegel aufziehen. Ich versprach dem Nörgel, alles wohl zu observiren, und noch vor Tags-Anbruch abgeredter massen wieder bey ihm zu seyn, nahm also dißmahl Abschied von ihm, und marchirte mit zitterenden Füssen in den Garten hinein. So bald ich vor die Thür des Garten-Hauses kam, durffte ich nicht einmahl nach dem Bindfaden und der Bley-Kugel umgreiffen, denn die Thür that sich gleich von selbsten auf, seitwärts inwendig brennete eine kleine Nacht-Lampe, welche doch so viel Schein von sich gab, daß ich die Treppe, so wohl als oben der Helenen Schlaff-Cammer-Thür, welche mir Nörgel genau genung bezeichnet hatte, gantz ordentlich finden konte. In ihrer Cammer war kein Licht, derowegen muste mich nur nach dem wenigen Scheine des Himmels richten, der durch die 2. Fenster schimmerte, kaum aber war ich in die Cammer hinein getreten, als mich Helena also bewillkommete: Kömst du denn einmahl, du falsches Teuffels-Kind, ziehe dich nur erstlich aus, ich will dir einen derben Fickerling geben. Madame! (war meine gantz sachte und ziemlicher massen nach Nörgels Mund-Art eingerichtete Antwort) ich will mich bald bey ihr rechtfertigen. Ach, ich höre schon, sagte sie, du hast gesoffen, mache nur fort, und lege dich her, denn du bist doch nicht besser zu gebrauchen, als wenn du einen Rausch hast.

Wer nun Lust zu tantzen gehabt hätte, dem wäre genung gepfiffen gewesen, allein, weil ich mich im[204] Truncke gantz und gar nicht übernommen hatte, hauptsächlich aber an meine schöne, keusche und sonst vollkommen tugendhaffte, die van Bredal gedachte, bekam ich einen würcklichen Eckel an dieser bösen Speise, zumahlen mein Vorsatz ohnedem nicht war, etwas von ihr zu geniessen, sondern nur dieselbe zu prostituiren, mithin die van Bredal zu rächen, und dem van Steen den Staar zu stechen: Doch â propòs, weil sie mir die Trunckenheit vorworff, fing ich an, etliche mahl zu kolckern, als ob aus dem Magen alles oben heraus wolte, weßwegen sie mir rieth, ich solte, um das Zimmer nicht zu verunreinigen, erstlich noch ein wenig im Garten herum spatzieren, alles aus dem Leibe (s. v.) heraus speyen, und hernach etwas von dem auf dem Tische stehenden Cordial zu mir nehmen, so würde es schon besser werden. Ich sagte: Ja, Ja! da aber eben auf den Stuhl zu sitzen gekommen war, worauf sie ihre Kleider gelegt, nahm ich nicht allein alle dieselben gantz behutsam unter den Arm, sondern noch ihre Pantoffeln und Strümffe darzu, schlich mich sachte hinunter, und nach gerade immer zum Garten hinaus, brachte auch alle die Sachen glücklich in meine Herberge, ohne daß es jemand darinnen gewahr wurde, denn der Hauß-Knecht, so mir aufmachte, hatte kein Licht, und ich ging gerades Wegs damit nach meiner Cammer, und verdeckte diese allerley Sachen.

So bald als der Tag anbrechen wolte, machte mir der Hauß-Knecht, genommener Abrede nach, das Hauß wieder auf, und ich ging an denjenigen Ort, allwo mich Nörgel hin bestellet hatte, er kam[205] etwa eine halbe Stunde hernach ebenfalls; ich stellete mich sehr besoffen und verdrüßlich an, klagte ihm auch, daß ich meinen Zweck nicht erreichen können, indem ich nicht ehe gemerckt, daß ich mich so sehr vollgesoffen hätte, als biß ich zur Dame ins Zimmer gekommen wäre, um aber dasselbe nicht zu verunreinigen, hätte ich mich erstlich in Garten retirirt, und hernach, da ich gemerckt, daß meine Kräffte gantz und gar verschwunden, meinen March zurück genommen, und das meiste vom Rausche im Winckel hinter einen Brunnen ausgeschlaffen.

Nörgel fing hierüber grausam an zu lachen, und sagte: Mein Herr, deßwegen werdet ihr aber doch erkennen, daß nicht ich, sondern ihr selbst Schuld an dem mißlungenen Vergnügen seyd, mir aber ist es besser ergangen, denn ich habe nicht allein 6. spec. Ducaten, sondern auch mein vollkommenes Vergnügen erlanget, ich wolte euch auf künfftige Nacht wohl Gelegenheit verschaffen, den begangenen Fehler zu verbessern, allein, in 2. Stunden muß ich mich auf einen Wagen setzen, und etliche Meilen wegfahren, denn meine Abgöttin hat mir eine Commission aufgetragen, welche ich ausrichten muß, werde auch wohl unter 8. Tagen nicht wieder zurück kommen; nach Verlauff derselben aber hoffe die Ehre zu haben, euch wieder allhier zu sprechen.

Mir hätte wohl nichts angenehmers als dieses zu Ohren kommen können, denn binnen der Zeit gedachte ich den angefangenen Streich, so bald ich nur der Madame van Bredal Gutbedüncken deßwegen vernommen, vollends auszuführen, inzwischen, da Nörgel eine Kanne Chocolade, ich aber[206] nur blossen Thee tranck, und ohngefähr gewahr wurde, daß derselbe, vielleicht aus Versehen, nicht nur der van Steen, sondern auch die 2. andern Liebes-Briefe oder Citationes in seine Rock-Taschen, die ich anhatte, gesteckt, weßwegen ich mich eiligst ein wenig auf die Seite begab, und diese nebst noch andern Zettuln in meine Bein-Kleider steckte, nachhero das Kleid wieder mit ihm umtauschte, mich auch nicht lange aufhielt, sondern nach meinem Logis eilete, nachdem ich Abschied von Nörgel genommen, ihm eine glückliche Reise gewünschet, und versprochen, nach Verlauff der 8. Tage mich öffters an diesem Orte wieder finden zu lassen. Ohngeacht ich nun diese Nacht sehr wenig geschlaffen, so trieb mich doch die Curiosität dahin, nunmehro bey Tage recht zu besichtigen, was ich diese Nacht erbeutet hatte, demnach fand ich erstlich 2. Frauenzimmer-Röcke, 1. Nacht-Camisol, 1. Schürtze, 1. Halß-Tuch, 1. Mütze, eine Anhänge-Tasche mit einem silbernen Bügel, woriñen 4. spec. Ducaten, 2. Louis d'or, und ohngefähr 6. Gulden Silber-Müntze nebst 3. Liebes-Briefen von verschiedenen Händen stacken, in den Ficken aber fand ich ihre Petschafft, 6. biß 8. Schlüssel, ein paar Messer und andere Kleinigkeiten, welches ich denn alles wohl betrachtete, und hernachmahls in meinen Reise-Couffre verwahrete.

Uber das Nachdencken dieser Intrique verging mir vollends aller Schlaff, weßwegen ich mich an ein Fenster legte, und eine Pfeiffe Toback rauchte. Bald hernach kam eine Chaise gefahren, welche unter meinem Fenster stille hielt, und ich sahe mit dem[207] allergrösten Vergnügen die Madame van Bredal heraus steigen, die auch bald mit noch einem Frauenzimmer und einer Magd, die Treppe herauf gegangen kam, und wie ich durch mein Schlüssel-Loch sehen konte, mit ihrer Begleitung in ein Zimmer ging, das nicht gar weit von dem Meinigen war.

Wie nun nicht vor rathsam hielt, mich eher sehen zu lassen, biß ich ihr vorhero meine Ankunfft in Geheim zu wissen gethan, so wolte eben nachsinnen, wie dieses anzufangen wäre, als ich gewahr wurde, daß das andere Frauenzimmer mit der Magd hinunter ging, sie ihnen aber das Geleite biß an die Treppe gab. So bald sie demnach umkehrete, machte ich die Thür meines Zimmers auf, und ihr ein höfliches Compliment. Sie erschrack ziemlich über den jählingen Anblick, und wurde Blutroth, sagte aber bald: ich bin von Hertzen erfreuet, Mons. van Blac, euch allhier wohl zu sehen, und hätte nicht gemeynet, daß ihr so bald hier seyn würdet, wisset aber, daß meine Affairen bereits völlig zum Ende sind, und ich von dem van Steen gäntzlich abgeschieden bin, ein ferneres wollen wir zu gelegener Zeit mit einander reden, thut mir voritzo nur ein paar Tage den Gefallen, und stellet euch an, als ob ihr mich sonsten noch niemahls gesehen hättet.

Madam! gab ich zur Antwort, ich bin schon einige Tage hier, habe mir aber nicht die Courage nehmen wollen, ihnen nachzureisen, und ob ich gleich ausser mir selbst war, da ich das Vergnügen hatte, Sie von dem Wagen steigen, und durch mein Schlüssel-Loch auf den Saal kommen zu sehen, so wolte mich doch vor andern Leuten nicht eher zeigen,[208] biß ich erstlich Ordre von Ihnen erhalten, unterdessen möchte wünschen, daß ich allhier auf dieser Stelle nur eine eintzige Stunde Zeit haben möchte, ihnen eine gewisse Avanture zu eröffnen, worüber Sie sich ungemein verwundern werden. Mons. van Blac, sagte sie hierauf, ich habe diesen Tag noch wichtige Verrichtungen, und werde vor Abends nicht wieder hieher kommen, so bald aber in diesem Gast-Hause alles zu Bette ist, will ich euch durch meine Magd in mein Zimmer ruffen lassen, meine Baase, welche itzo mit derselben von mir gegangen, wird, wie bißhero, zwar auch bey mir seyn, allein, ihr habt euch vor beyden nicht zu scheuen, denn sie sind mir sehr gewogen und getreue, ich werde mich auch ehester Tages mit beyden zu Schiffe setzen, und nach Engelland seegeln.

Ich wurde über diese letztern Worte einiger massen in meinen Gedancken verwirret, welches Sie wohl anmerckte, jedoch nichts mehr sagte, als: habt guten Muth, mein werther Freund, diesen Abend wollen wir deutlicher mit einander sprechen; hiermit begab sie sich in ihr Zimmer, und ich mich in das Meinige, stellete mich gegen meinen Aufwärter etwas unpaß, und ließ mir dieserwegen die Speisen herauf bringen, kam auch den gantzen Tag nicht aus dem Zimmer, merckte aber wohl an, daß die Madame van Bredal noch vor Essens ausging, und erstlich mit einbrechender Nacht wieder zurück kam.

Um Mitternachts-Zeit klopffte jemand gantz sanffte an meine Thür, und da ich dieselbe leise eröffnete, trat ihre Magd herein, brachte ein Compliment[209] von der Madame van Bredal, welche bitten liesse, ob ich nicht die Güte haben, von meiner Ruhe etwas abbrechen, und auf ein wichtiges Gespräch zu ihr kommen wolte? Ich folgte der Magd so gleich nach, und traff die beyden Frauenzimmer auf 2. Schlaff-Stühlen sitzend an, zwischen welchen ein Tisch stunde, auf welchem sich ein paar Bouteillen Wein nebst Confect befanden. So bald sie mich bewillkommet und zu sitzen genöthiget, fing die van Bredal an, sehet, meine liebste Baase, dieses ist der Herr, welcher mir mit seiner grösten Lebens-Gefahr zu meiner Freyheit verholffen, die zu erkauffen, vielleicht keine Million hingereicht haben würde. Die Baase war eine artige Jungfer von 19. biß 20. Jahren, und nennete sich Gillers, war eines aufgeweckten Geistes, stund auf und sagte: mein Herr, erlaubt mir, daß ich euch vor die übergrosse Gefälligkeit, die ihr meiner allerliebsten Freundin auf dieser Welt, und zugleich mir erwiesen habt, die Hand küssen darff. Indem ich mich nun dessen weigerte, und sehr beschämt befand, küssete sie mich in der Geschwindigkeit dergestalt derb auf den Mund, daß ich mich fast selbst schämete, und gantz Feuer-roth im Gesichte wurde.

Die van Bredal fing hertzlich darüber an zu lachen, sagte aber: Kinder! wir müssen die wenigen Stunden, so wir beysammen bleiben können, mit ernsthafften Gesprächen zubringen. Demnach fing sie an, mir alles zu erzählen, wie es ihr allhier ergangen, die Haupt-Puncte aber waren diese: 1.) Hätte sie anfänglich absolut prætendirt, ihren Mann, den van Steen, wieder zu haben, derselbe aber hätte vielleicht[210] nicht so wohl aus übeln Verdacht, sondern vielmehr darum, weil ihm seine Helena stündlich um den Halse gelegen, sich absolut geweigert, sie wieder anzunehmen, und die Helena fahren zu lassen, weßwegen es denn endlich dahin verglichen worden, daß sie nunmehro vor 9. Tagen einen gerichtlichen Scheide-Brieff bekommen, mit der Clausul, sich ebenfalls wieder verheyrathen zu dürffen, an wem sie wolte. 2.) Wäre der van Steen dahin genöthiget worden, ihr vor ihr eingebrachtes Gut benebst den Abtritts-Geldern 10000. Holländische Gulden zu bezahlen, welche sie auch heutiges Tages durch ihren Procuratorem in Empfang nehmen lassen. 3.) Die Erb-Portion von ihren Eltern à 1600. fl. wäre ihr gleichfalls schon ausgezahlt, und nunmehro 4.) da sie frey und ledig wäre, wolte sie diesen ihr unglückseligen Boden verlassen, und mit dieser ihrer Baase nach Engelland übergehen.

Ich hatte mit grosser Verwunderung und bangen Hertzen zugehöret, blieb aber, da sie inne hielt, abermahls in tieffen Gedancken sitzen, und war nicht einmahl gewahr worden, daß sich Mademoiselle Gillers mit der Magd hinaus begeben hatte um noch Caffée zu kochen. Derowegen fing Madame van Bredal von neuen zu reden an: Nunmehro, sagte Sie, mein Herr van Blac, habe ich es noch mit euch zu thun, um euch die mir treu geleisteten Dienste zu belohnen, ist euch mit baarem Gelde gedienet, so stehen noch 3000. Thlr. von dem Meinigen zu euren Diensten, wollet ihr euch aber gefallen lassen, diese meine Baase, welche doch gewiß ein schönes Frauenzimmer zu nennen ist, zur[211] Frau zu nehmen, so versichere, daß ihr nicht allein meine, euch itzt versprochenen 3000. Thlr. sondern auch von ihrem Vermögen wenigstens noch gedoppelt so viel empfangen sollet; denn ich vor meine Person bin entschlossen, meine übrige Lebens-Zeit im ledigen Stande zuzubringen, mein Geld und Gut auf Zinsen auszuthun, und in der Stille vor mich zu leben.

Diese Worte waren ein Donnerschlag in meinen Ohren und Hertzen, jedoch ich stund gantz gelassen auf vom Stuhle, und sagte: Madame! Dero Generositée ist jederzeit grösser gewesen gegen mich, als meine wenigen Dienste, ich habe noch ein starckes Capital davon aufzuweisen, will aber selbiges weit vergnügter wieder zurück geben, als noch mehr von ihnen annehmen. Vor die vorgeschlagene Mariage dancke ich gehorsamst, nicht zwar etwa aus Verachtung gegen diese Liebens-würdige Person, sondern nur darum, weil mir nicht möglich ist, etwas anders zu lieben, so lange ich weiß, daß die Madame van Bredal lebt; Geld und Gut ist nicht capable mich zu vergnügen, weil ich aber Dero Entschluß vernommen, so will mich aus ihren Augen verbannen, und mein künfftiges Schicksal mit Gedult ertragen. Adieu Madame! Der Himmel lasse sie jederzeit vergnügt leben. Mein werthester Freund, versetzte sie hierauf, indem sie mich bey dem Kleide zurück zohe, bedencket doch euer Bestes, ich will euch 3. Tage Zeit darzu lassen. Ich gab zur Antwort! Madame! 3. Jahr, 3. Tage, 3. Minuten oder 3. Secunden sind mir in diesem Stücke einerley, weil ich weiß, daß mein Gemüthe in diesem[212] Stücke so unveränderlich ist, als ich unglücklich bin, erlauben sie nur, daß ich mich retiriren, und Dero Complaisançe nicht länger mißbrauchen darff. Sie hielt mich noch vester, und sagte: Mein Herr, in der Rage lasse ich euch nicht von mir gehen, erweget aber, ob ihr, als ein Junggeselle, der sich davor ausgiebt, noch kein Frauenzimmer gewisser massen berührt zu haben, nicht wohl thätet, wenn ihr meine Baase oder eine andere Jungfrau heyrathet, als mich, die ich als eine Wittbe zu achten bin, und dennoch wohl nachhero bey euch in den Verdacht gerathen könte, als ob – – – – Ich unterbrach ihre Rede, und bath: Madame! quälen sie mich nur nicht länger, denn ich bin ja überzeugt genug, daß ihnen meine Person nicht anständig ist, darum ist ja meine Resolution die allervernünfftigste, daß, da ich nicht erlangen kan, was ich suche, lieber mich entfernen will.

Unter diesen Worten rolleten mir, so viel ich mich von meiner Kindheit an zu erinnern weiß, zum ersten mahle einige Thränen die Backen herunter, welche, so bald es die Madame van Bredal sahe, eine solche Würckung thaten, daß sie auf einmahl anders Sinnes wurde, mir um den Halß fiel, mich offtermahls küssete, und endlich sagte: Bleib mein Schatz, ich bin Deine, und du solst der Meinige seyn, so lange als ich lebe, in Engelland wollen wir Hochzeit haben, unterdessen aber richte dich nach meinen Umständen, und überlege mit mir, wie wir uns etwa allhier noch aufzuführen haben. Uber diese Worte wurde ich dergestalt entzückt, daß ich selbst nicht wuste, wie mir zu helffen war, indem ich so lange auf meiner[213] Liebsten Munde kleben blieb, biß wir die Mademoiselle Gillers und die Magd mit dem Caffée ankommen höreten. Wir setzten uns, und truncken etliche Schälchen. Die Magd ging fort, derowegen redete mein Schatz zu ihrer Baase: Dencket doch, mein Hertz, dieser Herr, mit dem ich mich abfinden wollen, will weder Geld noch Gut, sondern meine Person selbst vor seine mir geleisteten Dienste haben. Ihr wäret, antwortete die Mademoiselle Gillers, die allerunerkänntlichste Person von der Welt, wenn ihr ihm dieselbige versagtet, denn er hat euch errettet, und durchs Glück den grösten Antheil daran, ihr seyd wenig Jahre älter als ich, und werdet den ledigen Stand bey eurer Schönheit schwerlich ohne starcke Versuchungen zubringen können, derowegen machet mir das Vergnügen, daß ich itzo gleich die Verlöbniß-Ringe von euren Fingern abziehen und verwechseln darff, das Beylager aber muß ausgestellet bleiben, biß wir in meines Bruders Hauß nach Portsmouth kommen. Hiermit stund das lose Ding auf, zohe so wohl mir als der van Bredal die Ringe vom Finger, verwechselte dieselben, und stellete sich so dabey mit Reden und Gebärden an, als wenn sie ein würcklicher Priester wäre, ließ auch nicht eher nach, biß wir einander die Hände und 50. Küsse auf die Treue gaben.

Da nun dieses vorbey war, und alles seine vollkommene Richtigkeit hatte, erzählte ich beyden Frauenzimmern den Streich, welchen ich in vergangener Nacht dem Nörgel und der Helena gespielet hatte. Sie lachten sich alle beyde bald zu Tode darüber, wolten aber nicht alles glauben, biß ich[214] sie in mein Zimmer hinüber führete, der Helenæ Kleider, Strümpffe und Pantoffeln vorzeigte, und selbige meiner nunmehrigen Liebste in Verwahrung gab. Und wenn ihr mir, sagte diese, mein nunmehriger allerliebster Schatz, 100000. Thlr. zum Mahl-Schatze gegeben hättet, so wären mir selbige doch nicht halb so angenehm, als diese Equipage; Stille! nun wollen wir nicht mehr unter dem Verdeck spielen, sondern dem van Steen zeigen, was er verlohren oder gewonnen hat, inzwischen bin ich vergnügt, Mons. van Blac, daß ich mich nunmehro die Eurige nennen darff und kan. Morgen früh will ich mich mit euch copuliren lassen, daferne ihr ein Zeugniß aus Antwerpen bey euch habt, daß daselbst von eurer Verehligung mit jemand, keiner etwas wisse, (dieses zeigte ich ihr so gleich) sodann will ich noch 1000. und mehr Thaler daran wenden, wenn es ja erfodert werden solte, daß die H. – – – Helena rechtschaffen prostituiret, und dem van Steen der Staar gestochen werden möge.

Wie viel mir nun auch an der Person der van Bredal gelegen war, so hielt ich doch nicht vor rathsam, daß wir uns in diesem Stück übereileten, indem uns von unsern Feinden garstige Possen gespielet werden könten, hergegen war ich der Meinung, daß es besser wäre, wenn wir uns, so bald wir unsere Sachen alle in Ordnung gebracht, je ehe je lieber nach Engelland übersetzen liessen, mitlerweile wolte ich die gantze Comædie von der Helena mit allen Umständen zu Pappier bringen, einen Brief an den van Steen darzu legen, der Helenæ Kleider[215] und Sachen in ein Kästlein packen, und selbiges alles zusammen dem van Steen in die Hände liefern lassen, nachhero würden wir in Engelland dennoch wohl erfahren, was etwa ferner vorgegangen wäre. Meine Geliebte hielt dieses vor genehm, und sagte, wie sie in allen Stücken Reise fertig wäre, und binnen 3. oder 4. Tagen abfahren könte; Demnach wurden wir schlüßig, daß ich morgenden Tag noch ausruhen, den folgenden aber nach Harlingen voraus reisen solte, damit niemand einmahl erführe, daß wir einander allhier in Leuwarden gesprochen hätten. Dieses geschahe also, ich kehrete aber nicht in dem Gast-Hause ein, wo sie einkehren wolte, sondern in einem andern, setzte mich hin, und schrieb erstlich die gantze Geschicht von Wort zu Wort auf, die sich mit Nörgel, der Helena und mir zugetragen hatte, verfertigte sodann einen Brief an den van Steen, welcher folgendes Inhalts war:


Monsieur.


Ich habe die Ehre zwar niemahls gehabt, denselben von Person zu kennen, trage aber dennoch einiges Mitleiden seinetwegen, daß er sich dem grösten Orden der Hahnreyschafft, vielleicht wider seine Einbildung, einverleibt sehen muß. Beyliegende Geschichts-Beschreibung befindet sich in der That und Wahrheit also, und kan derselbe deßfals noch ein und andere Nachricht einziehen, so dann erwegen, ob nicht alles zutrifft, wiewohl ich hoffe, es werden seiner Liebsten Kleider und andere Sachen,[216] wie auch die beygelegten Liebes-Briefe ein sattsames Zeugniß abstatten, daß dieses kein Gedichte, sondern eine wahrhaffte Geschichte sey. Wäre ich so wollüstig als curieux gewesen, das Beginnen einer geilen Dame zu bemercken, so wäre die Zahl seiner Hörner ohnfehlbar durch mich vermehret worden, denn nach Nörgels Beschreibung soll seine Frau Liebste schönes Leibes, dabey sehr freygebig seyn gegen diejenigen, so sie rechtschaffen bedienen, indem sie sehr hitzig in dem Liebes-Wercke; ob es wahr ist, weiß ich nicht, da ich niemahls das Glück gehabt, sie zu sehen, viel weniger anzurühren. Ich überlasse seinem eigenen Gefallen, wie er sich bey dieser Begebenheit aufführen, und ob er seinen Herrn Schwägern, nehmlich den Männern der Madame E. und A. auch das Verständniß eröffnen will, in so ferne er dieselben ausforschen kan. Ich verhoffe das Meinige gethan zu haben, als ein unbekannter redlicher Freund, denn wenn ich ein Filou oder Betrüger, oder sonsten Geld-bedürfftig wäre, so hätte wenigstens die Baarschafften vor meine Mühe zurück behalten können. Ubrigens bitte mir durch diesen abgeschickten Expressen ein kleines Recipisse aus, indem ich mich allhier in Harlingen nicht lange aufhalten, sondern ehester Tages nach Amsterdam abseegeln werde, jedoch beharre.


Monsieur

vôtre Ami.
[217]

So bald ich nun Nachricht erhalten, daß meine Liebste nebst ihrer Baase angekommen, und ebenfalls in einem andern Gast-Hause, als wo wir ehedem logirt, abgetreten wäre, begab ich mich gleich des ersten Abends zu ihr, zeigte ihr meine Schrifften, welche sie approbirte, wir packten darauf der Helenæ Kleidungs-Stücke in ein gätliches Kästlein, versiegelten es mit einem fremden Petschafft, und trug dasselbe bey Nachts-Zeit selbst in mein Logis. Drey Tage hernach wolte ein Schiff nach Engelland abseegeln, auf selbiges verdungen sich das Frauenzimmer und auch ich besonders, als ob wir nicht zusammen gehöreten, waren auch bestellet, uns vor Abends am Boord einzufinden, weil der Schiffer so dann in See gehen wolte. Derowegen fertigte ich um Mittags-Zeit erstlich einen Expressen-Bothen an den van Steen nach Leuwarden ab, gab ihm einen guten Lohn, mit dem ausdrücklichen Befehle, die Briefe nebst dem Kästlein ja keinem andern Menschen, als dem van Steen selbst in die Hände zu geben, wo aber derselbe etwa nicht zu Hause wäre, so lange zu warten, biß er zur Stelle käme, indem ihm sein Warte-Geld entweder dort, oder von mir wohl bezahlt werden solte. So bald aber der Bothe etwa eine Meile-Wegs fort seyn mochte, bezahlete ich den Wirth, und ließ meine Sachen aufs Schiff tragen, zu welchen ich so dann meinen Weg auch nahm, und bald hernach mein Frauenzimmer ebenfalls ankommen sahe. Wir seegelten also mit gutem Winde frölich ab, und gelangeten in wenig Tagen glücklich Portsmouth bey der Mademoiselle Gillers Bruder[218] an, welcher uns mit vielen aufrichtigen Freundschaffts-Bezeugungen empfing, auch, da er unser Anliegen und Umstände vernommen, wenig Tage hernach Anstalt machte, daß ich mit meiner Liebste von einem Priester ehelich zusammen gegeben wurde. Wir waren hierauf gesonnen, uns mit nächster Gelegenheit ein feines Land-Gütgen zu kauffen, eine ordentliche Haußhaltung anzufangen, und von demjenigen, was uns das Gut einbrächte, reputirlich zu leben; da sich aber nicht so gleich ein anständiges finden wolte, lebten wir über ein halbes Jahr vor unser Geld, sehr vergnügt, bey dem Herrn Gillers.

Eines Abends, da ich mit demselben aus einer Compagnie guter Freunde, da es schon ziemlich dunckel war, nach Hause ging, kam uns eine schwartz gekleidete Manns-Person entgegen, und stieß mich im Vorbeygehen mit einem Dolche in die Seite, lieff hierauf noch schneller, als ein Windspiel, fort. Ich selbsten kaum, geschweige denn Herr Gillers, wuste, wie mir geschehen war, endlich aber fühlete ich die Blessur, und war froh, daß wir bald nach Hause kamen, denn der Stich war zwar nicht tödtlich, weil er auf dem rechten Hüfft-Beine sitzen geblieben, allein, sehr schmertzhafft, wie denn auch nachhero noch sehr üble Zufälle darzu kamen, so, daß ich doch fast daran hätte crepiren können, allein, endlich wurde ich wieder gesund, erfuhr auch wunderbarer Weise, daß niemand anders, als Nörgel der Meuchel Mörder, gewesen. Denn es muste sich so wunderlich fügen, daß einer von des van Steens Handels-Purschen herüber nach Engelland,[219] und bey Herrn Gillers in Condition gekommen war. Dieser hatte meine Liebste nicht so bald erblickt, als er sich derselben so gleich zu erkennen und darbey zu vernehmen gab, wie sie, als die erste Frau des van Steen, ehemahls seine Patronin gewesen wäre, er aber sey nur vor wenig Wochen aus des van Steen Diensten gegangen, um sich eine Zeitlang in Engelland aufzuhalten, könte auch, wenn es uns etwa auf den Abend gelegen wäre, verschiedene wunderbare Geschichte, so vor weniger Zeit in des van Steens Hause und sonsten in Leuwarden passirt wären, erzählen.

Meine Frau, die sich dieses Menschens, von etlichen Jahren her, noch sehr wohl zu erinnern wuste, bath ihn so gleich, uns die Gefälligkeit zu erweisen, und Abends auf unser Zimmer zu kommen, welches er denn that, und eine weitläufftige Erzählung von den Geschichten des van Steen, seiner Helena, Nörgels und anderer mehr machte, und endlich kam er auf die letzten Streiche, so ich in Leuwarden gespielet hatte, wuste aber nicht, daß ich es gewesen, sondern erzählete nur, daß der van Steen neulichst von unbekandter Hand einen Brief nebst einem Kästlein mit Kleidungs-Stücken und andern Sachen, die seiner Frau gehöreten, und davon sie ausgegeben, daß sie ihr gestohlen worden, erhalten. Er hätte sich gantz rasend darüber angestellet, wenig Stunden darnach aber seine Frau nebst ihrem Aufwarte-Mägdgen in ein finsteres Gewölbe verschlossen, und ihnen 3. grosse Brodte nebst einem Fäßgen voll Wasser hinein gesetzt. Hierauf wäre er mit dem Bothen, welcher den Brief gebracht, nach[220] Harlingen gereiset, und andern Tages sehr verdrüßlich wieder zurück gekommen, hätte auch allen seinen Leuten hart verboten, von allen dem, was sie in seinem Hause etwa höreten und merckten, kein Wort auszuplaudern; ferner wäre der van Steen immer unruhig geblieben, bald zu diesem bald zu jenem guten Freunde gelauffen, und endlich hätte man unter der Hand vernommen, daß der Notarius Nörgel in eines andern Kauffmanns-Hause bey Nachts-Zeit sehr grausam wäre geschlagen und verwundet worden, so, daß man ihn in einer Sänffte hätte nach Hause tragen müssen, der van Steen hätte im Gesicht und an den Händen ebenfalls die Wahrzeichen gehabt, daß er in einer Schlägerey gewesen wäre, bald hernach aber wäre die Helena nebst ihrer Magd, früh Morgens vor Tage, in einen Wagen gesetzt worden, den man verschlossen, und sie unter Begleitung von 4. unbekandten Reutern fortgeführt, wohin, wisse niemand eigentlich. Nörgel, fuhr dieser Kauffmanns-Diener fort, ging, so bald er wieder curirt war, herüber nach Engelland, und zwar auf eben dem Schiffe, worauf ich mich befand, ließ sich auch eines Tages dieser verwegenen Reden gegen mich verlauten: ich trage diesen meinen Kopff zum erstenmahle nach Engelland, weiß aber nicht, ob ich denselben wieder heraus bringen werde, doch frage ich nichts darnach, wenn ich nur so glücklich bin, mich an einem gewissen Feinde zu rächen, der mir den ärgsten Possen auf der Welt gespielt hat, kan ich nur ihn in die andere Welt schaffen, so will ich gern sterben.[221]

Aus allen diesen Reden des Kauffmanns-Dieners nun, konten ich und meine Liebste bald schliessen, daß Nörgel unser Geheimnisse ausgeforschet haben, und kein anderer als er mein Meuchel-Mörder gewesen seyn müsse, denn es kamen noch viele andere Umstände darzu, welche ich, Weitläufftigkeit zu vermeiden, verschweigen will.

Inzwischen verging meiner Liebsten bey so gestalten Sachen alle Lust in Engelland zu bleiben, denn nachdem sie noch darzu verschiedene schreckliche Träume gehabt, blieb sie bey den Gedancken, unsere Feinde würden nicht ehe ruhen, biß sie uns vom Brodte geholffen, derowegen wurden wir schlüßig, unser Geld und Gut zusammen zu packen, und mit ersterer Gelegenheit nach Jamaica zu seegeln. Ich kam in etlichen Wochen nicht aus meinem Logis, um nicht von neuen in Mörder-Hände zu fallen, nachhero, da der Herr Gillers uns die Nachricht brachte, daß er vor uns gesorgt, und auf ein nach Jamaica gehendes Schiff verdungen hätte, welches in wenig Tagen abseegeln würde, schafften wir unsere Sachen darauf, und traten, nach wehmüthig genommenen Abschiede, die Reise nach der neuen Welt an. Meine Liebste war sehr vergnügt, daß wir diese Resolution ergriffen hatten, zumahlen, da uns Wind und Wetter sehr favorable waren; allein, das grausame Verhängniß hatte beschlossen, uns auf eine jämmerliche Art von einander zu trennen, denn da wir bereits eine ziemliche Weite über die Insul Madera hinaus waren, überfiel uns ein entsetzlicher Sturm, welcher uns auf die lincke Seite nach den Insuln des grünen[222] Vorgebürges zutrieb, wir sahen dieselben schon vor Augen, konten sie aber nicht erreichen, indem unser Schiff um die Mittags-Zeit gantz plötzlich zerscheiterte, und mit seiner gantzen Ladung zu Grunde ging. Ich und meine Liebste konten nicht so glücklich werden, daß man uns mit in ein Boot genommen hätte, denn es waren schon beyde überflüßig besetzt, derowegen muste uns nur so wohl als vielen andern zum Troste dienen, daß wir einen starcken Balcken erhaschen, und uns auf demselben erhalten konten. Allein, was halff es, in folgender finstern Nacht schlug eine ungeheure Welle meine Allerliebste von dem Balcken herunter, und hörete ich noch, daß sie rieff: JEsus! Gute Nacht, mein Schatz. Mir vergingen vor Wehmuth alle Gedancken, und wundere ich mich über nichts, als wie ich mich bey solchen höchst-schmertzlichen Leyd-Wesen noch habe auf dem Balcken an- und erhalten können, inzwischen, da ich mich in etwas besonnen, konte ich doch keine Hand vor Augen sehen, andern Tages gegen Mittag aber befand mich an dem Ufer der Insul St. Lucia, welches eine von den Insuln des grünen Vorgebürges ist, und wurde errettet. Viele Tage habe ich auf dieser Insul mit lauter Winseln und Wehklagen über den kläglichen Verlust meiner Allerliebsten zugebracht, weiln mit ihr alles mein Vergnügen, ja meine gantze Glückseeligkeit im Meere ertruncken war, endlich, weil ich noch etwa 100. und etliche spec. Ducaten in meinen Kleidern vernehet bey mir trug, kam mir in die Gedancken, mit einem Portugiesischen Schiffe nach Brasilien zu gehen,[223] auch aus Verzweiffelung so lange hie und dahin zu fahren, biß ich auch mein nunmehro mir verdrüßliches Leben endigte, jedoch der Himmel gab mir andere Gedancken ein, daß ich nehmlich in mein Vaterland zurück gehen, und entweder in meiner Geburts-Stadt oder in Amsterdam eine stille und ruhige Lebens-Art erwehlen solte; als welches denn auch von mir resolvirt wurde, da ich aber in Lissabon bey einem vornehmen Schwedischen Herrn bekandt gemacht wurde, nahm mich derselbe zum Sprach-Meister seines Sohnes an, und mit sich nach Schweden. Mein Discipul war sehr lehrbegierig, allein, er starb, da ich wenig Wochen über ein Jahr mit ihm zu thun gehabt, also bekam ich mein bedungenes Geld, hatte darzu nochden Vortheil, daß ich die Schwedische Sprache vollkommen erlernet, von welcher ich sonsten unter den andern das wenigste wuste, und reisete erstlich nach meiner Vater-Stadt, hernach weil ich daselbst vor Jammer über alles mein Unglück nicht bleiben konte, nach Amsterdamm, allwo ich abermahls Condition als Sprach Meister bey etlichen Kauffmanns-Dienern annahm, welche mir so viel bezahleten, daß ich mein melancholisches und stilles Leben gantz reputirlich fortführen konte. Da aber einige von ihnen abgingen, ich also aus meinem Beutel zusetzen muste, fügte es sich eben, daß der wertheste Monsieur Eberhard Julius, gegen dessen Logis ich gerade über wohnete, einen Dolmetscher nach Schweden mitzureisen, aufsuchen ließ, und ihm ein Ansehnliches Monat-Geld zu zahlen versprach, weßwegen ich an ihm recommendirt, so gleich [224] acceptirt und mit genommen wurde. Was unsere Verrichtungen daselbst gewesen, ist ihnen allerseits bekandt, ich habe nach meinem wenigen Vermögen nichts ersparet, ihnen getreue Dienste zu leisten, bin auch ungemein raisonable davor belohnt worden, so, daß ich dieserwegen sehr vergnügt, um aber von der angenehmen Compagnie abgeschieden zu seyn, höchst betrübt von Hamburg nach Amsterdam zurücke reisete. Hieselbst wolte es nunmehro gar nicht mehr nach meinem Kopffe seyn, ohngeacht mir eine gar profitable Mariage nebst einer Charge bey dem Schiffs-Bau Wesen angetragen wurde, sondern es kam mir die Grille auf einmahl wieder in den Kopff, zur See, entweder nach Ost- oder West-Indien zu gehen, und mein Capital, welches ohngefähr in 700. Gulden oder etwas drüber bestund, anzulegen.

Ich ließ mich dessen einsmahls Mittags in meinem Speise-Quartier verlauten, allwo, dem Ansehen nach, 2. feine See-Officiers zugegen waren, welche so gleich sagten, wo dieses mein Ernst wäre, könten sie mir dienen, denn das Schiff, worauf sie sich engagirt, würde in wenig Tagen nach Ost-Indien unter Seegel gehen. Es war mir dieses die hertzlichste Freude von der Welt, ich machte, wegen ihres guten Ansehens, so gleich die vertrauteste Feundschafft mit ihnen, und schaffte gleich andern Tages meine Sachen, die in 2. Kisten gepackt waren, in ihr Quartier, allwo sie mich gantz wohl tractiren, ich vermerckte auch binnen zweyen Tagen, daß dann und wann Matrosen kamen, welche bald dieses bald jenes anmeldeten.[225] Ich befahrete mich keines Bösen, hatte meine besondere Cammer, worinnen ich schlief, fuhr aber in der 3ten Nacht jählings aus dem Bette, da mir jemand meine Bein-Kleider unter dem Kopffe hinweg zohe. Ich verfolgte den Dieb, war aber kaum in die andere Cammer gekommen, als so gleich ihrer 3. auf mich zuhieben und stachen, so, daß ich der Gewalt weichen, zu Boden fallen und um mein Leben bitten muste. Es sey dir aus Gnaden, sagte der Eine, geschenckt, drehete mir aber in der Geschwindigkeit einen Knebel in den Mund, die andern banden mir Hände und Füsse, und liessen mich Elenden also auf dem blossen Boden liegen, biß ich früh Morgens von des Wirths Gesinde, fast im Blute schwimmend, angetroffen wurde. Selbiges machte ein Geschrey, so, daß der Wirth auch herzu gelauffen kam, welcher mich reinigen und durch einen Wund-Artzt verbinden ließ. Ich hatte 2. Hiebe ins Gesichte, einen über den Kopff, 3. über die Arme, einen Stich auf den Brust-Knochen, und einen in die lincke Schulter bekommen, und meynte nicht anders, ich würde an diesen 8. Blessuren meinen Geist aufgeben müssen, allein, der Chirurgus sparete keinen Fleiß, ein Meister-Stück seiner Kunst an mir zu beweisen, curirte mich auch binnen wenig Wochen recht völlig, und war nachhero so genereux, nicht einen Deut vor seine Mühe und angewandte Kosten zu verlangen, weßwegen ich ihn mit Recht einen barmhertzigen Samariter nennen kan; der Himmel aber vergelte es ihm tausendfach, weil ich nicht im Stande gewesen, ihm meine Danckbarkeit anders, als mit Worten,[226] die aus redlichen Hertzen und Munde geflossen, zu bezeugen.

Von allen meinen Sachen hatte ich nichts behalten, als ein Bündel schwartze Wäsche und eine ziemlich grosse lederne Tasche, worinnen meine Briefschafften befindlich, denn ich hatte selbigezum Füssen meines Bettes gesteckt, und meine Räuber mochten daselbst nicht gesucht haben. Von Gelde oder Geldes-Werth aber hatte nicht das geringste mehr, vielweniger etwas an den Leib zu ziehen. Der Wirth war Zeit währender meiner Kranckheit so wohlthätig, mich mit den besten Speisen zu versorgen, verschaffte auch, daß mir, nachdem ich wieder aufgestanden war, verschiedene gute Leute einige Kleidungs-Stücke zuwarffen; er verlangte keine Bezahlung von mir, biß ich wieder in den Standt käme, so viel missen zu können, ihn zu recompensiren. Das war nun endlich Höflichkeit genung, allein, es sind mir zum öfftern die Gedancken aufgestiegen, ob nicht der Wirth mit meinen Räubern und Mördern selbst unter einer Decke gesteckt haben möchte. Thue ich ihm zu viel, so vergebe es mir der Himmel. Er gab vor, diese Leute habe er Zeit-Lebens sonsten nicht gesehen, sie hätten sich vor See-Officiers ausgegeben, und auf einen Monat das Logis bey ihm gemiethet, Abends vorhero aber, ehe sie mich so mörderisch tractirt und beraubt, ihre Schuld bezahlt, und zu verstehen gegeben, wie noch diese Nacht etliche Matrosen ankommen würden, ihre Sachen abzuholen, indem das Schiff, worauf sie gehörten, in Bereitschafft stünde abzuseegeln. Er, der Wirth,[227] hätte solches geglaubt, wäre mit seiner Frauen zu Bette gegangen, und hätte die unruhige Nacht-Arbeit einmahl dem Gesinde überlassen, hätte auch nimmermehr geglaubt, daß dergleichen Streiche in seinem Hause vorgehen solten, biß ihn früh Morgens das Gesinde, welches die Cammern reinigen wollen, herzu gerufft.

Was war zu thun? Geld hatte ich nicht, die Sache weiter untersuchen zu lassen, derowegen muste zufrieden seyn, dem wohlthätigen Wirthe die grösten Dancksagungs-Complimente machen, und versprechen, wenn ich in bessern Stand käme bey, ihm redliche Zahlung zu leisten. Hierauf zohe ich die mir zugeworffenen alten Kleider an, begab mich wieder in die Stadt, denn NB. mein bißheriges Quartier war ausserhalb derselben gewesen, suchte gute Freunde, die mich wieder in bessern Stand setzen solten, fand aber sehr wenig, die mir mit einer christlichen Bey-Steuer zu Hülffe kamen.

Jedoch der Himmel, welcher doch selten ein redliches Gemüthe verderben läst, führete mich unvermuthet in eine Strasse, allwo mir der wertheste Mons. Eberhard mit seiner Jungfer Schwester entgegen kamen. Die verschiedenen bey mir aufsteigenden Affecten machten, daß ich einen lauten Schrey that, hernach vor Jammer bitterlich zu weinen anfing, und mich vor ihnen verbergen wolte, allein, zu meinem Glück wurde ich von ihnen erkandt, sie nahmen mich Elenden auf, setzen mich in solchem Stand, daß ich mich wieder mit honetten Leuten sehen lassen und mit ihnen umgehen[228] konte, ja was das Haupt-Werck, sie waren so gütig, mich zu ihren Reise-Gefährten und auf diese glückselige Insul mitzunehmen. Solchergestalt habe nunmehro nach so vielen ausgestandenen Widerwärtigkeiten allhier den Hafen meines irrdischen Vergnügens gefunden, und kan mit frohem Munde ausruffen:


Post nubila Phæbus.


Auf Sturm, Blitz, Wetter, Angst und Pein

Folgt ein vergnügter Sonnenschein.


Zwar ists an dem, daß mir bißhero unter allen meinen gehabten Unglücks-Fällen, der jämmerliche Tod meiner allerliebsten Charlotte Sophie am allerschmertzlichsten gewesen, allein, ich hoffe, daß der Himmel diese Hertzens-Wunde durch die Hand meiner allhier erwählten schönen Braut endlich auch verbinden und heilen werde. Denen, die mich mit auf diese glückselige Insul genommen, kan ich meine Danckbarkeit voritzo nur in Worten bezeigen, werde mich aber dahin bestreben, solche in Zukunfft auch thätlich zu erweisen, indem ich dasjenige Amt, welches man mir etwa allhier auftragen wird, jederzeit mit allem möglichsten Fleisse unverdrossen verrichten, auch Zeit-Lebens ein getreuer Freund und Diener von Ihnen allerseits und allen Insulanern verbleiben will.


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Hiermit endigte Mons. van Blac seine Geschichts-Erzählung, und obgleich die Glocke schon 2. Uhr geschlagen hatte, da er aufhörete, war doch der[229] Alt-Vater so wenig, als jemand anders, ermüdet worden, ihm zuzuhören, wie denn der Alt-Vater den Mons. van Blac, so offt er abbrechen wolte, selbsten ersuchte, biß zum Ende fortzufahren, weiln er ohnedem voritzo wenig schlaffen könte. Nunmehro aber legten wir uns sämmtlich zur Ruhe, und schlieffen fast biß gegen Mittag da bereits mit den Tellern geklappert wurde. Es ist aber nicht genung, daß ich Eberhard Julius nur referire, wie wir mit einander geplaudert, gewacht, geschlaffen, gegessen und getruncken haben, sondern ich muß auch sagen, was ferner merckwürdiges auf unserer Insul vaßirete.

Wir wurden zu Anfange des Septembris, nachdem wir unsere mitgebrachten Sachen auf der Albertus-Burg in vollkommene Ordnung gebracht, schlüßig, von neuen eine Visitation in allen Pflantz-Städten anzustellen, um sonderlich in Augenschein zu nehmen, wie sich die Handwercker und Künstler befänden, und womit ihnen etwa noch zu dienen oder zu helffen sey, allein, ein entsetzliches Erdbeben, welches sich am 8. Septembr. in den Vormittags-Stunden 4. mahl spüren ließ, verursachte, daß wir, da nur Alberts- und Davids-Raum visitiret war, zu Hause blieben, und zu Winckel krochen, wie die schüchternen Tauben, der Alt-Vater aber sagte zu uns: Kinder, fürchtet euch nicht, GOtt ist zwar allmächtig genung, nicht nur diese Insul, sondern die gantze Welt auf einmahl in einen Klumpen zu werffen, ich hoffe aber, er wird diese Insul, die er so vest gegründet hat, noch nicht verderben. Ich habe[230] auch dergleichen Erdbeben schon öffters allhier empfunden, und dabey angemerckt, daß gemeiniglich einige Tage hernach ein grausamer Sturm auf der See entstanden. Gebt Achtung, ob es nicht eintreffen wird, oder vielleicht ist dieses Erdbeben ein Vorbothe, daß ich bald sterben werde, denn eben an diesem Tage haben meine Füsse diese Insul am ersten betreten. Wir waren ingesammt sehr niedergeschlagen, wünschten, daß er noch lange auf der Welt bey uns bleiben möchte; allein, er schüttelte mit dem Kopffe, und sagte: Vielleicht ist dieses Erdbeben auch eine Anmahnung, daß wir Uber morgen G.G. unsern Buß-Bet- und Fast-Tag desto andächtiger begehen sollen.

Wir feyreten derowegen diesen solennen Tag, nehmlich den 10. Sept. da der Alt-Vater Ao. 1646. zum ersten mahle seine damahlige Gesellschafft herauf geführet hatte, recht sehr devot, mit dreymahligen Kirchengehen, niemand aber nahm einen Bissen Speise zu sich, biß die Sonne untergangen war. Der Alt-Vater behielt die Aeltesten der Stämme und vornehmsten Europäer bey sich, und wir speiseten an zwey langen Tafeln in seinem Zimmer, nachhero wurde von vielen wichtigen und nöthigen Sachen, die noch vorgenommen werden solten, Unterredung gepflogen, so, daß die Mitternachts-Stunde unterdessen heran geruckt war, welches aber niemand vermerckte, biß vor dem Zimmer ein ungewöhnliches Getöse entstund, weßwegen ich nebst einigen andern hinaus ging, und hörete, daß[231] man hinter den grossen Garten in der Gegend zwischen den zweyen Flüssen viele Feuer-Flammen aufsteigen und herum vagiren sähe. Wir lieffen gleich hin zu den Fenstern, und fanden, daß es wahr war, Mons. Litzberg und andere judicirten, daß es Dünste aus der Erde oder so genannte Irrwische wären, allein, da das Lerm grösser wurde, und sich der Alt-Vater selbst an das eine Fenster führen ließ, sagte er gleich: Meine Kinder! diese Flammen steigen aus dem GOttes-Acker empor, die Todten ruffen mich zu sich in ihre Ruhe, nun ist nichts mehr übrig, als daß ich mein Hauß bestelle, denn eben dergleichen weisse, lichte Flamme zeigte sich kurtz vorhero, ehe der selige Carl Franz van Leuwen von dieser Welt Abschied nehmen muste. Dazumahl, (fuhr er fort) lag nur ein Christlicher Cörper auf diesem GOttes-Acker, itzo aber sind ihrer mehr, die sich nach meiner Gesellschafft sehnen. Wir brauchten zwar insgesammt alle Beredsamkeit, dem Alt-Vater die Sterbens-Gedancken auf dieses mahl auszureden, allein, er kehrete sich an nichts, ließ hernach Bet-Stunde halten, und bath Herrn Mag. Schmeltzern, daß er einigen Knaben befehlen möchte, unter einer douçen Musique den Choral zu singen: Wer weiß wie nahe mir mein Ende etc.

Er begab sich hierauf zur Ruhe, mein Vater und ich aber blieben fast wider seinen Willen vor seinem Bette sitzen, und bewachten ihn, da zugleich meine Schwester nebst vielen andern im Neben-Zimmer ebenfalls die Wache hielten. Wir bemerckten,[232] daß er einen gantz natürlichen, aber dergestalt leisen Schlaff hatte, daß ihn auch das gelindeste Geräusche erweckte. Folgende Tage wurde er recht mercklich immer schwächer und schwächer, so, daß er kaum mehr einen Arm oder Bein allein aufheben konte, jedoch, weil sich kein Eckel vor der Speise und Tranck bey ihm spüren ließ, hatten wir immer noch gute Hoffnung, saß oder lag er stille, so waren seine Augen mehrentheils geschlossen, und schiene es, als wenn er im Schlummer zuweilen lächelte. Einige Tage vor dem Michaelis-Feste fragte ich ihn, ob er denn etwa an einem oder andern Theile des Leibes, innerlich oder äusserlich, Schmertzen fühlete? Ach nein, mein Sohn, gab er zur Antwort, ich fühle weder Schmertz noch Pein, sondern eine angenehme süsse Mattigkeit, wie ein Mensch, der in sanfftem Schlummer liegt und bald in einen rieffen Schlaff verfallen will, und wenn ich meine Augen zuschliesse, sehe ich die allerlieblichsten Sachen vor mir.

Solchergestalt saß und lag er fast beständig in einem süssen Schlummer, und man merckte, daß ers nicht gerne hatte, wenn man ihn ohne Noth darinnen stöhrete, war also wenig munter, als wenn man ihm Speise reichte, und wenn Bet-Stunde gehalten wurde. Als er am Michaelis Heil Abend in die Vesper lauten hörete, und von uns vernahm, daß Morgendes Tages das Michaelis-Fest zu feyern sey, sprach er mit einer muntern und frölichen Gebärde: Ach! meine Kinder, ich muß zu guter Letzt die Kirche noch einmahl[233] mahl besuchen, ehe ich schwächer werde, denn ich spüre, daß mein Lebens-Ende nicht mehr weit entfernet ist. Wir musten ihm demnach des andern Morgens seine besten Kleider anziehen, und in die Kirche tragen lassen, allwo er den GOttes-Dienst recht frisch und munter gantz aus abwartete, auch die geistlichen Lieder mit heller Stimme mitsunge. Diesen gantzen Tag über schien er, gegen die bißherigen, sehr starck zu seyn, folgendes Tages aber wieder so schwächlich, als die vorigen. Sonntags nach Michaelis hielt Herr Herrmann eine Predigt in des Alt-Vaters Zimmer, welche mein Vater, ich und einige andere, die sich nicht von ihm hinweg begeben wolten, mit anhöreten. Nachdem er nun etwas weniges von Speise und Tranck zu sich genommen, verlangete er, man solte den Tischler Lademann zu ihm kommen lassen, jedoch nicht ehe, biß die Nachmittags-Predigt vorbey wäre. Da sich nun dieser zu bestimmter Zeit einstellete, sprach der Alt-Vater zu ihm: Mein Sohn! ihr habt mir, so lange ihr allhier auf dieser Insul gewesen seyd, vielen Nutzen gestifftet, und grosse Gefälligkeiten erwiesen, allein, ich habe doch noch eine Bitte an euch, daß ihr mir nehmlich mein Ruhe-Cämmerlein oder Sarg so eiligst, als nur immer möglich, verfertigen möchtet, denn ich habe nicht lange Zeit mehr hier zu bleiben, sondern GOtt wird mich nächster Tags zu sich ruffen, ich möchte doch aber gern vorhero mein Ruhe-Cämmerlein sehen.

Der ehrliche Lademann fing bitterlich an zu weinen,[234] küssete den Alt-Vater die Hand, und gab zu vernehmen, daß er sehnlich wünschte, mit dieser traurigen Arbeit noch viele Jahre verschont zu bleiben, allein, der Alt-Vater sagte: Mein Sohn, das viele Reden kömmt mir sauer an, thut so wohl, erfüllet meinen Willen so eilig als möglich, und gebt mir die Hand darauf. Lademann muste ihm solchemnach versprechen, das zu thun, was er verlangte, er gab ihm die Hand, und ging darauf mit weinenden Augen zum Zimmer hinaus. Gleich hernach ließ der Alt-Vater die Frau Mag. Schmeltzerin und meine Schwester ruffen, bestellete sich bey ihnen seinen Todten-Habit, bat, selbigen aufs eiligste zu verfertigen, und neben sein Bette zu hangen, damit er ihn stets vor Augen haben könte; Diese beyden wolten unter Vergiessung häuffiger Thränen, ebenfalls viel Einwendungen machen und um Aufschub bitten; allein der Alt-Vater sagte: Erzeiget mir die Liebe, und erfüllet meinen Willen, ich solte meynen, binnen 2. Tagen könte alles fertig sein. Sie musten ihm also beyde die Hände darauf geben, worauf er wieder anfing einzuschlummern. Weil man aber verspürete, daß er es nicht gern hatte, wenn viele Leute um ihn waren, so blieben nur allezeit 2. Männer bey seinem Bette sitzen, die übrigen aber gingen in den Neben-Zimmern immer ab und zu. Montags früh kam Herr Mag. Schmeltzer wieder, den Alt-Vater zu besuchen, welcher noch immer im Schlummer lag, weßwegen ich zu diesem Geistlichen sagte: ob es denn auch wohl rathsam sey, daß man ihn[235] immerfort in solchen Schlummer liegen liesse? und ob es nicht vielleicht besser sey, wenn man ihn ermunterte, und von geistlichen Dingen mit ihm redete? So leise ich nun auch dieses sprach, so hörete es doch der Alt-Vater, und gab zur Antwort: Nein, Mein Sohn! gönnet mir immer dieses Vergnügen, denn ich geniesse solchergestalt würcklich hier auf Erden den Vorschmack der himmlischen Freude, sehe ich schon hier mit meinen irrdischen obschon verschlossenen Augen so viel, was wird nicht droben mit verkläreten Augen zu sehen seyn? Herr Mag. Schmeltzer gab darauf, er möchte uns unsere Vorsorge nicht übel auslegen, weil um befürchteten, er möchte uns gantz unverhofft unter den Händen dahin sterben. Nein, gab er zur Antwort, ich werde noch einige, ob schon wenige Tage bey euch bleiben, und will es schon etliche Stunden vorher sagen, wenn meinem Lebens-Lichte das Nahrungs-Oel auf die Neige kömmt; GOtt wird mir ein sanfftes Ende bescheren, und mir die Stunde vorher verkündigen, ich muß auch ja erstlich noch den theuren Zehr-Pfennig, nemlich das heilige Abendmahl, mit auf die Reise nehmen, und meine Sünden-Bürde wegwerffen, wenn ich als ein Auserwählter vor GOttes Angesicht erscheinen will.

Wir konten alle, vor Jammer, uns der Thränen nicht enthalten, und da er dieses sahe, sprach er: Schämet euch, daß ihr um eines eitlen[236] Vergnügens willen, meinen alten verruntzelten Cörper noch eine Zeitlang um und bey euch zu sehen, mit das Vergnügen mißgönnet, je eher je lieber bey GOtt zu seyn. Seyd doch Manner und keine Kinder.

Herr Mag. Schmeltzer stellete sich hierauf recht hertzhafft, und fing einen erbaulichen Discours von der himmlischen Herrlichkeit an, kam aber endlich aus die Frage: Ob denn er, der Alt-Vater, da er itzo noch bey vollkommenen Verstande wäre, nicht etwa eine Disposition machen wolte, wie es nach seinem Tode in diesen und jenen Sachen auf der Insul solte gehalten werden, und was dergleichen mehr war; stellete ihm anbey das Exempel des Ertz-Vaters Jacob, Genes. 47. v. 29. biß cap. 50. vor, und sagte, daß es eine GOtt sehr wohlgefällige Sache sey, wenn die Väter und Aeltesten den Nachkommen zum besten vernünfftig und wohl disponirten, ingleichen daß dergleichen letzter Wille allezeit mehr Autorität hätte, als diejenigen Verordnungen, welche von den jüngern gemacht würden. Hierauf sprach der Alt-Vater: Es ist gantz recht, ich habe schon vor einigen Jahren meine Gedancken deßfalls sehr weitläufftig zu Pappiere gebracht, welches sich unter meinen Schrifften finden wird, da sich aber seit der Zeit auf dieser Insul viel verändert hat, können selbige nun nicht mehr in allen Stücken statt finden, derowegen will ich, daß auf künfftigen Donnerstag G.G. nach verrichteten Gottes-Dienste die Aeltesten meiner[237] Stämme nebst den vornehmsten Europäern allhier vor meinem Bette erscheinen, und meine Meynung kürtzlich anhören sollen, welche mein Sohn Eberhard zu Pappiere bringen kan. Inzwischen möchte doch zugesehen werden, ob an meinem Sarge und Sterbe-Kleide gearbeitet würde.

Herr Mag. Schmeltzer versicherte, daß seine Liebste, meine Schwester und andere mehr das letztere unter Händen hätten, ich aber, um mich ihm biß an sein Ende gefällig zu erzeigen, ging selbsten den Berg herab nach Stephans-Raum, und fand, daß Lademann nebst seinen Leuten so wohl an einem leichten als an einem andern grossen Sarge, in welchen der leichte kleinere hinein geschoben werden solte, arbeitete. Bey Plagern und Morgenthalen, den Eisen-Arbeitern, waren die Rincken und Beschläge auch bereits bestellet, und, um nur des Alt-Vaters Willen zu erfüllen, solte der Sarg Mittwochs Abends fertig und Donnerstags früh auf der Albertus-Burg seyn. Der Alt-Vater zeigte über diese Nachricht ein besonderes Vergnügen, und weil Herr Mag. Schmeltzer diesen Tag nicht von ihm hinweg gegangen war, fing unser Alt-Vater, indem er sich aus dem gewöhnlichen Schlummer jählings zu ermuntern schien, auf einmahl recht frisch zu sprechen an? Wisset ihr, mein Herr Sohn! was ich mir vor einen Leichen-Text erwählet? Wie nun Herr Mag. Schmeltzer hierauf mit Nein! antwortete, fuhr der Alt-Vater im Reden fort: Den gantzen 23sten Psalm: Der HErr ist mein[238] Hirt, etc. etc. Hierauf könnet ihr nur immer im voraus studiren, weil ich doch weiß, daß ihr mir eine Gedächtniß-Predigt halten werdet. Herr Mag. Schmeltzer wünschte, daß GOtt den Alt-Vater wieder stärcken, damit er diese Gedächtniß-Predigt erstlich nach Verlauff noch vieler Jahre thun möchte; allein, dieser antwortete weiter nichts darauf, sondern verfiel wieder in seinen gewöhnlichen Schlummer, blieb auch folgenden Dienstag und Mitwochen bey dieser Weise, und redete sehr wenig, ausgenommen, wenn wir ihm zum Speisen nöthigten, und vor seinem Bette Bet-Stunde hielten.

Hierbey kan ungemeldet nicht lassen, daß wir Montags Nachts zwischen den 2ten und 3ten Octob. einen grausamen Sturm auf der See anmerckten, diejenigen, so in der Tieffe auf unserer Insul wohneten, hatten zwar weiter keine Ungelegenheit davon, als etliche Tage nach einander einen gewaltigen Platz-Regen und einen mäßigen Wind, auf der Albertus Burg aber stürmete der Wind etwas schärffer, so, daß auch die oberste Haube von dem Seiger-Thurme abgeworffen wurde, die Etage aber, worinnen der Seiger war, unbeschädigt blieb. Einige, die auf die Felsen-Spitzen gestiegen waren, konten nicht gnungsam beschreiben, was vor ein entsetzliches Ungewitter auf der See sey, indem die Wellen höher stiegen als unser Kirch-Thurm, ja sie wüsten sich von Jugend auf nicht zu besinnen, daß sich das Meer in dieser Gegend so gar sehr hefftig bewegt hätte. Wir sahen also, daß die Propheceyung des Alt-Vaters wegen des[239] neulichen Erdbebens accurat eintraff, hofften aber, es solte sich mit ihm bessern und er noch eine Zeitlang am Leben bleiben, indessen kamen Mittwochs Abends die 2. Särge auf der Albertus-Burg an, wir sagten aber dem Alt-Vater nichts darvon, biß er Donnerstags sehr früh mit einiger Ungedult fragte: Ob denn sein Sarg und Sterbe-Kleid noch nicht fertig wäre? Wir antworteten darauf mit Ja! und musten also den Sarg so gleich in sein Zimmer bringen und gegen sein Bette über setzen lassen. Es waren diese beyden Särge von dem allerfeinesten Holtze, so auf dieser Insul anzutreffen war, verfertiget, mit einer braun-röthlichen Farbe angestrichen, das Leisten-Werck versilbert, schöne Sprüche und Sinn-Bilder darauf gemahlet, und die Rincken verzinnet. Der innere Sarg war eben so wie der große angestrichen und mit grünen Damast ausgefüttert, wie denn auch ein mit grünen Damast überzogenes Bett und Haupt-Küssen darinnen lag. Die Frau Mag. Schmeltzerin und meine Schwester brachten in Gesellschafft meiner Liebsten, der Frau Wolffgangin und vieler andern Frauenzimmer mehr, das von silber-farbenen Atlas verfertigte Todten-Kleid, nebst einem Sterbe-Hembde, von der allerfeinesten Holländischen Leinwand gemacht, ingleichen eine Purpur-farbene Sammet-Mütze und ein paar weisse seidene Strümpffe, hingen auch diese Stücke, nach seinem Verlangen, ohnweit des Bettes an die Wand, vergossen aber viele Thränen darbey. Er hingegen machte ungemein freudige Gebärden und sagte: Meine lieben Kinder, es ist alles[240] gar zu schön, zierlich und kostbar, allein, warum habt ihr euch so gar grosse Mühe gemacht, ich bin ja Erde und werde zur Erden werden. Alle Umstehenden antwortteten bloß mit Seuffzern und Thränen, weil ihm aber dieses verdrüßlich fallen mochte, legte er sich im Bette wieder nieder, und that die Augen zu, weßwegen der meiste Hausse zurück ging, und nebst der Frau Mag. Schmeltzerin nur wenige Manns-Personen bey ihm blieben.

Unter der Zeit, da unten Kirche gehalten wurde, schlug er die Augen auf und sahe sich nach allen um, die im Zimmer waren, sprach darauf recht frisch: Ey, Kinder! thut mir doch mein Todten-Kleid an, damit ich mich in dem grossen Spiegel, welchen mir mein Eberhardt mitgebracht hat, beschauen und sehen kan, ob es mir wohl stehet. Wir waren von Herrn Mag. Schmeltzern gestimmet, ihm in allen zu willfahren, derowegen halffen wir ihm aus dem Bette, und wunderten uns über seine erneuerten Kräffte. Herr Mag. Schmeltzers Liebste legte ihm das Kleid an, er trat vor den Spiegel, lachte, und sprach frölich: Mein grünes Bräutigams-Kleid, welches mir meine seelige Liebste, Concordia, vor nunmehro bey nahe 83. Jahren gemacht hatte, gereichte mir zum grösten Vergnügen auf der Welt, allein, dieses schöne Kleid, in welchem mein schwacher Leib, nachdem die Seele in den[241] Himmel gefahren, in der Erde schlaffen soll, ergötzt mich noch tausend mahl mehr. Bald, bald werd ich zu meiner Liebsten Concordia kommen.

Wir musten ihn wohl 10. mahl die Stube auf- und abführen, und spüreten lauter Freude und Vergnügen an ihm, endlich aber ließ er sich wieder entkleiden, und auf den Schlaff-Sthul bringen, allwo er mit zugeschlossenen Augen saß, biß sich die Herrn Geistlichen, benebst den Stamm-Vätern und vornehmsten Europäern vor dem Zimmer meldeten. Er nahm von jeden den Gruß und Hand-Kuß an, bath, daß sie erstlich speisen, und hernach wieder zu ihm in sein Zimmer kommen möchten, weil er vor seinem Abschiede aus dieser Welt, ihnen allen noch etwas vorzutragen hätte. Sie gehorsameten, und speiseten in den Neben-Zimmern, er, der Alt-Vater, nahm auch ein wenig Suppe, etliche Bissen von gekochten und gebratenen Speisen, nachhero ein eintzig Glaß Wein zu sich, saß hernach mit offenen Augen in dem Stuhle, biß der gantze Hausse wieder zurück kam. Nachdem sich die Herrn Geistlichen und Aeltesten auf Stühle gesetzt, die übrigen aber in Ordnung getreten waren, befahl er mir, Pappier, Dinte und Feder zu langen, und seine Rede nachzuschreiben, denn, sagte er: ich werde langsam genung reden. Ich gehorsamete, und also höreten wir in nachfolgenden Worten:

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 3, Nordhausen 1736, S. 190-242.
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