Verfolg von [128] Mons. van Blacs Lebens-Geschicht.

Ich habe, fing er an, wohl vermerckt, daß ich gestern Abend etwas zu weitläufftig in Erzählung meiner Geschicht gewesen bin, allein, eines Theils habe ich die besondere Gabe der Beredsamkeit nicht, mit wenig Worten viel zu sagen, andern Theils wüste nicht, was ich sonderlich hätte weglassen können, wenn ich einen vollkommenen Bericht von meinen Begebenheiten abstatten soll. Jedoch von nun an will ich mich befleißigen alles aufs kürtzeste, jedoch deutlichste vorzutragen.

Bey noch öfftern Zusammenkünfften schien mir der Englische Kauffmann immer gewogener zu werden, zumahlen, da ich ihm einige Jubelen von hohem Werth zeigte, denn meine Lands-Männin hatte mir nachhero binnen 3. Wochen mehr als vor 10000. Thlr. an Golde und Geldes werth zugeschickt, auch nur nebst verschiedenen Kostbarkeiten,[128] so viel an Gold-Stücken bey sich behalten, als sie sich in ihren Kleidern selbst mit fortzubringen getrauete. Endlich, da der Kayser sehr unpaß, und fast jedermänniglich consternirt darüber war, hatte sie es abermahls angestellet, daß ich gantzer 24. Stunden bey ihr bleiben, und vollkommen mündlichen Rapport von meinen gemachten Anstalten abstatten konte, denn ich hatte nicht allein dem Kauffmanne vor den Juden bereits 1500. spec. Ducaten gezahlet, sondern ihm auch das meiste von meiner Landsmännin Gütern, in eine besondere Kiste versiegelt, anvertrauet, dargegen von ihm die völlige Versicherung erhalten, daß er vor alles sorgen wolte, wir müsten uns aber dabey gefallen lassen, nicht nur des Judens Rathe in allen Stücken zu folgen, sondern auch, nachdem alles wohl eingerichtet, meine Schwester in Mannes-Sclaven-Kleidern so wohl als ich, jedes ein Maul-Thier biß nach Arzilla zu treiben, als wohin er seine Güter zu schaffen, Erlaubniß hätte, und biß dahin solte uns auch der Jude begleiten.

Solchergestalt waren ich und meine Landsmännin über unsere glücklich gemachten Anstalten biß dahin vollkommen vergnügt, nur das eintzige lag mir auf dem Hertzen, wie sie aus dem Seraglio heraus und in das Juden Hauß zu bringen seyn würde, allein, sie machte sich hieraus keine sonderliche Beschwerlichkeit, sondern sagte, wie sie bey dunckler Nachts-Zeit, mir leichter Mühe, hinunter in einen der Gärten, auch zu einer verborgenen Thür durch die Mauer kommen könte, als zu welcher sie den Schlüssel schon vor Jahr und Tage hinweg [129] practiciret hätte, so dann dürffte sie weder Wache noch nichts paßiren, sondern könte so wohl in die Stadt als in das freye Feld kommen. Dieserwegen schöpffte ich bessern Muth, zumahlen mir der Jude schon die Schliche gewiesen, wie und wo wir uns bey nächtlicher Weile in die Juden-Stadt und in sein Hauß practiciren könten.

Der alte Sultan hatte zur selbigen Zeit würcklich einen sehr gefährlichen Zufall, welcher wohl mehrentheils von dem Alter herrühren mochte, und ohngeacht er nachhero noch etliche Jahre gelebt, so war es uns beyden doch damahls ungemein vortheilhafft, daß er itzo so gar schwach war, weil dieserwegen so wohl meine Lands-Männin als ich, etwas mehr Freyheit hatten. Derowegen, da ohnedem die dunckelsten Nächte eingebrochen waren, auch des Monden Licht zurücke blieb, hielten wir nicht vor rathsam, unsere Sachen länger aufzuschieben, sondern wagten das äuserste. Sie schrieb mir, daß ich in einer bestimmten Nacht, etwa eine Stunde vor Mitternacht, mich vor der bezeichneten verborgenen Pforte ausserhalb einfinden, vorhero aber aller Gelegenheit wohl erkundigen solte, um ihre Ankunfft dürffte ich nicht besorgt, sondern versichert seyn, daß sie accurat in der Mitternachts-Stunde die Pforte eröffnen, bey mir seyn, und sich von mir weiter führen lassen wolte.

Da fing mir das Hertze abermahls gewaltig zu klopffen an, jedoch ich hatte einen guten Säbel, ein paar treffliche Pistolen, und auch ein paar Taschen-Pufferte schon im Vorrath angeschafft, recognoscirte demnach binnen der Zeit etliche mahl selbige[130] Gegend, und maaß fast alle Fuß-Tritte ab; wie ich aber in der bestimmten Nacht kaum eine Stunde vor der verborgenen Pforten-Thür gelauret hatte, kam meine wertheste Lebens-Erretterin heraus getreten, schloß die Thür sachte hinter sich zu, umarmte mich aus keuscher Liebe, und sagte: GOtt Lob! so weit bin ich nun frey; bath mich aber, die Strick-Leiter, welche sie von starcken seidenen Schnüren seit etlichen Wochen her selbst zusammen gewürckt, und woran sie sich herunter gelassen hatte, zu tragen. Wir konten theils vor Freude, theils vor Angst und Zittern wenig mit einander sprechen, biß wir endlich an den Ort kamen, wohin ich den Juden bestellet hatte, der uns endlich durch einen beschwerlichen, jedoch glücklichen Weg in sein Hauß und in ein solches Zimmer brachte, wo zwischen 2. Wänden kaum eine Person geraumlich sitzen, man aber gar kein Tages-Licht sehen konte, sondern wenn man sehen wolte, muste auch bey hellem Tage ein Licht darinnen angezündet werden. Es waren auch zu oberst nur einige schieff-lauffende Löcher darinnen, damit der Dampff und Dunst heraus gehen konte; der Länge nach war endlich vor 3. Personen zum Liegen Platz genug darinnen, doch meine Landsmännin sagte: Wenn ich allhier lange verbleiben soll, bin ich ohnfehlbar des Todes.

Allein, der Jude hatte seine Streiche klug genug gemacht, und da binnen 3. Tagen weder Hauß-Suchung geschahe, noch sonst ein Rumor vorging, ließ er uns zuweilen etliche Stunden in einem Neben-Zimmer respiriren, bestellete hierauf den Englischen Kauffmann eines Abends zu uns, welcher meiner[131] so genannten Schwester, der ich alles vorhero gesagt, wie sie sich aufzuführen hätte, mit besonderer Höflichkeit begegnete, und nochmahls betheurete, daß er zu unserer Befreyung alle Sorge und Mühe anwenden wolte, allein, wir müsten so wohl seiner Affairen, als unsers eigenen Bestens wegen noch einige Wochen Gedult haben.


Das war ein übler Thon in den Ohren meiner Landsmännin, jedoch was wolte nunmehro bey der gantzen Sache besser helffen, als Gedult und gute Hoffnung? Gleich darauf folgenden Tages fing der Jude an, mit seiner Tinctur unsere Gesichter zu verwandeln, und machte dieselben binnen 24. Stunden dergestalt schändlich, daß wir einander selbst fast nicht mehr kannten, versicherte jedoch anbey, daß es nichts schadete, sondern nach der Zeit mit einem gewissen Spiritu alles wieder abgewaschen, und in die vorige Gestalt gebracht werden könte. Vor alte Sclaven-Kleider trug er auch Sorge, uns selbige zu verschaffen, als vor welche wir ihm unsere guten Kleider gaben, die er augenblicklich auseinander schneiden und wohl verwahren ließ. Demnach warteten wir in dieser abermahligen Gefangenschafft auf die Stunde unserer Erlösung mit dem grösten Schmertzen, erfuhren mitlerweile, daß der Jude vor den Engelländer 4. Sclaven erkaufft, sich mit ihnen so wohl als mit dem Engelländer selbst, zu dem Bassa begeben, als welches der oberste Minister des Kaysers ist, und so wohl auf den Engelländer und seine Waaren, als auch auf die 4. Sclaven und 4. Maul-Thiere einen freyen Paßir-Zettel[132] erlangt, indem der Engelländer dem Bassa ein nicht geringes Præsent gemacht.

Nachdem wir also 6. Wochen und 4. Tage in des Juden Hause eingesperret gewesen, wurden wir endlich nebst noch 2. Sclaven heraus und in des Engelländers Quartier geführet, des Nachts packte man die 4. Maul-Thiere auf, welche von uns 4. Sclaven solten getrieben werden, und früh Morgens mit anbrechendem Tage ging die Reise fort, so, daß wir nach etlichen zurück gelegten Tage-Reisen endlich den Hafen Arzilla glücklich erreichten, allwo andern Tages der Engelländer nebst seinen übrigen Sachen auch eintraff, und nach vorgezeigten Paßir-Zettel uns 4. Sclaven mit den Waaren einschiffen, die Maul-Thiere verkauffen, und den Juden wieder zurück wandern ließ, nachdem derselbe vor seine gehabte Mühe wohl vergnügt worden. Was dieser Jude mit den 2. übrig erkaufften Sclaven angefangen, weiß ich nicht, wir aber danckten den Himmel, daß er uns günstigen Wind schenckte, weßwegen sich der Kauffmann nicht länger säumen wolte, sondern die Seegel aufziehen ließ, demnach lieffen wir in wenig Tagen im Hafen zu Gibraltar ein.

Wie erfreut meine Lands-Männin und ich über unsere nunmehro völlig erlangte Freyheit waren, solches ist nicht wohl auszusprechen, unser Erretter, der Englische Kauffmann, wurde nicht allein mit allen ersinnlichsten Danck und Lob-Sprüchen belegt, sondern wir wolten ihn auch unsere Danckbarkeit mit baaren Gelde zeigen, allein, er weigerte sich, selbiges anzunehmen, doch ließ er sich endlich[133] zum freundlichen Angedencken 2. ziemlich kostbare Kleinodien von uns fast aufzwingen.

Nunmehro waren wir bemühet, nachdem wir unsere Kiste von dem Kauffmanne zurück erhalten, uns wiederum ordentliche Kleider anzuschaffen, auch unsere Gesichter und Hände von der schändlichen Farbe, die uns aber vor dieses mahl gute Dienste gethan hatte, zu reinigen. Dieses letztere machte uns wohl 3. biß 4. Tage die allergröste Mühe, deñ anfänglich wolte weder Spiritus, Wasser, Lauge und Seiffe etwas davon hinweg nehmen, weßwegen wir glaubten, Zeit Lebens gelbe Mohren zu verbleiben, allein, endlich fing sich fast das gantze Oberhäutlein von unsern Gesichtern und Händen abzuscheelen an, und binnen 3. Wochen war alles dergestalt reine worden, daß wir wieder aussahen wie vorhero. Mittlerweile traffen wir in Gibraltar zwar verschiedene Holländer an, konten aber von ihnen allen, eben so wenig als in Mequinez, erfahren, ob meiner Lands-Männin Ehe-Mann, und denn mein leiblicher Vater, noch ausserhalb, oder in ihr Vater-Land zurück gekommen waren, derowegen, weil unser Engelländer gesonnen war, wenigstens noch 3. oder 4. Monat in Gibraltar zu verbleiben, hielten wir vor das rathsamste, uns nach einem andern Schiffe umzuthun, welches nach Engel- oder Holland seegelte, denn was hatten wir in Gibraltar zu schaffen.

Zwar fanden wir in dieser Vestung bey verschiedenen vornehmen Leuten, die nur unsere Geschicht anzuhören, uns zu sich einladen liessen, manchen vergnügten Zeitvertreib, allein, die Sehnsucht, die[134] so wohl meine Landsmännin nach den Ihrigen, und ich nach den Meinigen hatte, verursachte, daß wir täglich Mittel suchten, unsere Abreise zu beschleunigen, und es gereichte zu unsern grösten Freuden, da ein von Genua zurück kommender Holländer sich einige Tage im Hafen vor Gibraltar aufzuhalten genöthiget fand, weßwegen ich so gleich zu ihm eilete, und so viel von ihm erlangete, daß er uns beyde mit nach Amsterdamm zu nehmen versprach. Indem er nun kein Zauderer war, sondern seine Sachen aufs eiligste ausrichtete, bekamen wir bald die angenehme Nachricht, daß, wenn wir mit nach Holland wolten, keine Zeit übrig sey, sich einzuschiffen, derowegen nahmen wir von unsern Engels-Manne, der uns so redlich aus der Barbarey geführet hatte, zärtlichen Abschied, beurlaubten uns bey andern guten Gönnern und vornehmen Personen, welche uns nicht allein viel Proviant, sondern auch andere Kostbarkeiten mit auf die Reise verehreten, und gingen mit grossen Freuden unter Seegel.

So bald wir die Strasse paßiret, und die fürchterlichen Barbarischen Küsten nicht mehr zu sehen waren, fing meine wertheste Landsmännin erstlich an recht lebhafftig zu werden, alle ihre Redens-Arten waren nicht allein weit lustiger als sonsten, sondern auf ihren Wangen kam Blut und Milch in artiger Vermischung zum Vorscheine, die Rosen auf ihren Lippen aber blüheten vollkommen, denn sie hoffte, nun bald den Hafen ihres Vergnügens zu finden, wurde aber doch in etwas verdrüßlich, da sich der Patron des Schiffs verlauten ließ, er[135] müste in dem Hafen zu Lissabon einlauffen, und daselbst erstlich noch eine bestellte starcke Ladung einnehmen. Jedoch auf mein Zureden, daß, da wir nehmlich seithero in der grösten Gefährlichkeit so viel Gedult gehabt, wir dieselbe nunmehro in guter Sicherheit auch nicht gäntzlich fahren lassen müsten, gab sie sich zufrieden, und so bald wir im Hafen zu Lissabon angelanget, ließ sie es sich gefallen, auch mit den Boot überzugehen, und diese Betrachtens würdige Stadt in Augenschein zu nehmen, denn es præsentirte sich dieselbe von aussen dergestalt prächtig, daß man glauben konte, wie sie inwendig ebenfalls nicht elend beschaffen seyn müste. Weil es nun eben ein sehr angenehmes Wetter war, und unser Patron sagte, daß wir aufs wenigste binnen 14. Tagen oder 3. Wochen nicht von dannen seegeln würden, nahm ich einen Führer an, welcher meiner Landsmännin und mir die Haupt-Merckwürdigkeiten zeigen solte, brachten auch die Zeit vom Morgen biß Abend damit zu, doch weil ihr das Gehen beschwerlicher als die Betrachtung der Curiosäten fallen wolte, nahmen wir in folgenden Tagen eine Chaise, um die allzuweit abgelegenen Merckwürdigkeiten zu besichtigen. Indem wir um eines Tages auf einem grossen Platze stille hielten, um eine daselbst aufgerichtete kostbare Bild-Säule in genauen Augenschein zu nehmen, indem sich bereits viele Personen, die wie Ausländer aussahen, dabey befanden, vermerckte ich, daß eine Manns-Person von näher 30. Jahren beständig ihre Augen auf meine Landsmännin gerichtet hatte, auch da sie die besondern Figuren und Inscriptiones[136] rings um die Bild-Säule herum betrachtete, ihr immer ex opposito blieb, bald blaß, bald roth wurde, etliche mahl mit dem Kopffe schüttelte, und sonsten viele andere Zeichen der Verwunderung von sich gab. Meine Landsmännin wurde nichts davon gewahr, jedoch da ich sahe, daß sich dieser Curiosus etliche Schritte entfernete, und mit einem andern, der ebenfals so ein gelblich Kleid, wie er, anhatte, in einen vertraulichen Discours eingelassen, beyde aber sich öffters nach meiner Landsmännin umsahen, drehete ich mich nach und nach an ihre Seite, und sagte ihr ins Ohr: Madame, sehet, jene beyden Gelb-Röcke sprechen von niemand anders als von euch, wenn ich wahrsagen soll, so ist wenigstens dem einen eure Person bekandt. Meine Landsmännin ergriff mich bey der Hand, mit den Worten: Kommet, mein Freund, wenn ich sie gleich nicht kenne, so werden wir doch vielleicht mercken oder erfahren können, ob es welche von unsern Lands-Leuten sind. Ich führete sie gerades Wegs auf beyde Personen zu, weiln unser Wagen in der Gegend stund, da wir aber noch etwan 30. Schritte von ihnen waren, dreheten sie sich erstlich beyde uns entgegen, machten hernach lincks um, und gingen etliche Schritte weiter nahe an den Wagen, von welchem sie nicht wusten, daß er unser war. Meine Landsmännin druckte mir die Hand, und sagte: Ich bin fast aus mir selbst, denn alle beyde sind mir sehr wohl bekandt, der alte, etliche 50. jährige heisset Cornelius Dostart, der jüngere aber, welcher meines Vaters Laden-Diener gewesen, Jan Pancratius Rackhuysen. Sie haben mir beyde Verdruß[137] genung verursacht, und eben deßwegen haben die Schelmen kein gut Gewissen, sich zu erkennen zu geben. So wollen wir, versetzte ich hierauf, ihnen zum Tort auf sie zugehen, und fragen, ob sie nicht Holländer wären, denn wir solten sie fast kennen.

Mir geschicht, antwortete meine Dame, hiermit eben kein besonderer Verdruß, denn ich kan auch wohl mit meinen Feinden sprechen. Demnach führete ich sie erstlich seitwarts vor den beyden Holländern, die noch immer in ernstlichen Gespräch begriffen waren, vorbey, drehete mich aber mit ihr kurtz um, so, daß wir sie beyde jählings im Angesichte hatten. Der jüngste schlug die Augen itzo nieder, ohngeachtet er meine Landsmännin kurtz vorhero bey der Bild-Säule mit gröster Verwunderung betrachtet hatte; Der ältere aber, welchen ich hatte Dostart nennen hören, ging meiner Landsmännin entgegen, und sagte mit bestürtzten Minen: Madame! wie soll ich dencken? sind sie des Herrn Bredals Tochter oder derselben Geist. Meine Landsmännin stellete sich gantz aufgeräumt an, und antwortete! Man siehet bald, daß ich kein Geist bin, indem ich Fleisch und Bein habe, auch den Herrn Dostart so wohl als Mons. Rackhuysen annoch besser kenne, als mich dieser letztere kennen will, ohngeacht wir doch wohl länger als 6. Jahr an einem Tische gespeiset haben. Madame! gab dieser letztere darauf, sie vergeben mir, daß ich vor Verwunderung, über das besondere Glück, dieselben allhier vergnügt anzutreffen, gantz aus mir selbst gesetzt bin, und mich nicht so gleich fassen kan.[138] Es ist nichts ungewöhnliches, replicirte die Dame, daß Menschen in der Fremde, Berg und Thal aber desto seltener zusammen kommen; allein, können sie mir nicht sagen, ob meine Eltern noch leben, und ob mein Liebster wieder aus der Sclaverey zurück nach Leuwarden gekommen ist. Nein, Madame! gab Rackhuysen zur Antwort, davon kan ich keine Nachricht geben, weil ich bereits über drittehalb Jahr aus Holland abwesend, und nur vor etlichen Tagen aus Ost-Indien biß hieher gekommen bin; Herr Dostart aber wird ihnen vielleicht die Wahrheit sagen können, weiln er nur vor wenig Wochen von Leuwarden abgegangen. Sie wandten hierauf ihre Augen auf den alten Dostart, welcher sie, nachdem er mir ein höflich Compliment gemacht, etliche Schritte von uns hinweg und einen ziemlich langen heimlichen Discours mit ihr führete. Mitlerweile sprach Rackhuysen zu mir: Monsieur! sie werden vielleicht ein Befreundter von dieser Dame seyn? Nein, mein Herr, gab ich zur Antwort, ich habe sie sonsten in Holland niemahls gesehen, denn ich bin von Antwerpen, sie aber von Leuwarden gebürtig, doch mache mir das gröste Vergnügen daraus, daß sie durch meine schlechte Person, listiger Weise aus der Barbarischen Sclaverey, und so gar aus des Maroccanischen Kaysers Muley Ismaëls, Seraglio befreyet worden. Das gestehe ich! war seine Verwunderungs-volle Gegen-Rede, worauf er eine lange Zeit in tieffen Gedancken stehen blieb, endlich aber noch ein und anderes von mir ausfragen wolte, allein, ich drehete das Gespräch auf eine listige Art herum, und fragte selbst[139] nach seinem Wesen, und was ihm auf der Ost-Indischen Reise besonders vorgefallen wäre, worauf denn zu antworten, er mir nicht wohl abschlagen konte, biß endlich die Dame und Dostart wieder zu uns kamen. Ich hatte unter der Zeit meine Augen offtermahls nach der Dame gewendet, und angemerckt, daß sie zu verschiedenen mahlen, die Hände gen Himmel gehoben, gefalten und gerungen, auch sonsten allerhand klägliche Stellungen gemacht, derowegen nahm es mich kein Wunder, daß, da sie wieder zu mir kam, sehr wehmüthig aussahe, und zu mir nur so viel sagte: Mein Herr und Freund! die Hitze ist zu groß, lasset uns zurück in unser Quartier fahren, diese beyden Herren werden, wo es ihnen gefällig, uns morgen auf einen Caffée zusprechen, denn ich habe dem Herrn Dostart schon gesagt, wo wir logiren. Alles zu Dero Diensten, antwortete ich, machte den beyden Herrn mein Copliment, und nöthigte sie auch nochmals, hub die Dame in den Wagen, setzte mich neben sie, und befahl dem Kutscher, nach unserm Logis zu fahren.

Unterwegs klagte sie über Kopff-Schmertzen, redete sonsten wenig, so bald wir aber in unser Logis kamen, legte sie sich gleich im Cabinet mit den Kleidern auf ihr Bette, weigerte sich etwas zu essen, sondern bath nur um ein paar Schälchen Caffée. Ich ging selbst hin, selbigen desto hurtiger fertig zu schaffen, und sie mittlerweile ein wenig ruhen und abkühlen zu lassen, denn es war würcklich ein sehr heisser Tag. Als ich aber mit dem Caffée kam, welchen ihr schon in Gibraltar angenommenes[140] Holländisches Auswarte-Mägdgen trug, sich aber gleich wieder fort machte, und ich meine wertheste Landsmännin hefftig weinend antraff, konte ich mich nicht enthalten, aus besondern Mitleyden zu fragen: Madame! ist mir erlaubt, nach der Ursache Dero hefftigen Betrübnisses zu fragen, so bitte dabey, mir selbige zu entdecken, kan ich Ihnen gleich nicht vollkommen helffen, so ist doch vielleicht ein guter Rath und Trost nicht gäntzlich zu verwerffen. Ach mein werther van Blac, sagte sie, ich bin und bleibe eine unglückselige Person auf dieser Welt. Der Himmel hat geholffen, daß meine Ehre, Leben und Gesundheit in und aus der Barbarey glücklich erhalten und errettet worden; allein, in meinem Vaterlande werde ich vielleicht alles mit einander einbüssen müssen. Das wolte der Himmel nicht, replicirte ich, wie kommen Sie auf solche Gedancken? Ach! verfolgte sie ihre Rede, meine alten Eltern sind beyde gestorben; Mein Mann hat schon seit einem Jahre wieder geheyrathet, und zwar eine solche Person, mit welcher er von vielen Jahren her ein geheimes Liebes-Verständniß gehabt, sich auch verlauten lassen, daß er mich nicht wieder annehmen wolte, und wenn ich auch ein gantzes Orlogs-Schiff voll Diamanten, Perlen und Gold-Klumpen mitbrächte, weil ihm eine von den Barbarn geschändete Person kein Vergnügen geben könte; Aber, o du gerechter Himmel, du allein weist meine Unschuld und Ehre, und hast dieselbe wunderbar auch unter den Barbarn zu erhalten gewust, bist auch der beste Zeuge, daß ich Zeit meines Lebens mit niemanden, als mit meinem[141] Ehe-Manne, mich fleischlich vermischet habe.

Unter diesen letztern Worten schossen die Thränen dergestalt häuffig aus ihren Augen, daß sie gar nicht mehr zu reden vermögend war. Ich ließ den ersten Sturtz vorbey, stellete ihr nachhero vor, daß man ja sich nicht so gleich an die erste fliegende Rede kehren müste, vielleicht wäre das meiste davon unwahr, und ihr Mann, der sie ehedem so sehr geliebt, würde vielleicht, wenn er sie nur erstlich wieder gesehen, auch ihre Geschichte und Contestationes angehöret, gantz andere Gedancken kriegen. Durch diese und andere Redens-Arten schien sie sich ein klein wenig zu besänfftigen, tranck auch ein paar Schälchen Caffée, und sagte hernach: Ich kenne meines Mannes Gemüthe am besten, zumahlen er nunmehro diejenige Person im Ehe-Bette hat, die er vor mir längst gern hinein haben wollen; Aber ich bitte sehr, Mons. van Blac, lasset mich ein paar Stunden ruhen, und schlaffet ihr selbst, diesen Abend will ich mich mit euch an den Tisch setzen, und meine gantze Geschicht erzählen, denn weil ich weiß, daß ihr mir niemahls im geringsten lasterhafft, sondern jederzeit redlich und getreu begegnet habt, so kan ich euch auch wohl mein gantzes Hertze offenbaren, damit ihr ein Licht in der Sache bekommet, wisset aber, daß Morgen früh um 9. Uhr Dostart sich eine gantz geheime Visite bey mir, und sonderlich dabey ausgebeten hat, euch ein paar Stunden auf die Seite zu schaffen, allein, das ist mein Wille nicht, sondern ich will euch in diesem Cabinet die Zeit über verschlossen halten, damit ihr alle seine Reden mit anhören könnet.[142]

Ich küssete ihr hierauf die Hand, verschloß das Cabinet, und legte mich haussen in der Stube hinter einer Spanischen Wand auf meinem Bette auch ein wenig zur Ruhe. Allein, an statt des Schlaffs stiegen mir allerhand Gedancken in den Kopff, denn ich gedachte: Wenn der eigensinnige Mann in Leuwarden seine Frau nicht wieder haben wolte, solte das nicht ein schönes Fütterchen vor mich werden können, denn sie war in Wahrheit ein ungemein schönes Bild, und mit Recht eine von den allerschönsten Frauen in gantz Holland zu nennen, wie ich mich denn gleich anfänglich, so bald ihr Portrait empfing, noch mehr aber, da ich das Original selbst sahe, sterblich in sie verliebte, allein, ihre strenge Tugend, Gottesfurcht und Frömmigkeit, nebst unsern gefährlichen Umständen, hatten mich bißhero beständig abgehalten, das geringste von dem, in meiner Brust verborgenen Feuer mercken zu lassen, hergegen hatte ich ihr jederzeit mit der sittsamsten Aufrichtigkeit und Treue begegnet. Kurtz: da sie, seit unserer erstern Bekanntschafft und Umgangs an, nicht die geringste geile oder leichtfertige Mine, sondern die grösten Zeichen der Keuschheit von sich blicken lassen, so ahmete ich ihr in allen Stücken nach, und unterdrückte die mir zuweilen aufsteigenden Affecten, nicht so wohl aus Blödigkeit, sondern vielmehr aus besonderer Hochachtung vor eine solche tugendhaffte Seele, welches mich denn in solchen Credit bey ihr setzte, daß sie öffters, jedoch in ihren Kleidern, wie schon in Mequinez im Juden-Hause geschehen, gantz ruhig und sicher an meiner Seite schlieff. Dieses alles, wie schon gemeldet,[143] kam mir auf einmahl in die Gedancken, nachhero aber wuste ich nicht, ob ich wünschen möchte, daß sie von ihrem Manne wieder angenommen, oder verstossen, und mir zu Theile werden solte. Solchergestalt blieb mein vorgenommener Schlaff gantz aussen, es stelleten sich aber dagegen die Annehmlichkeiten meiner schönen Landsmännin immer mehr und mehr vor meine Augen, so, daß ich biß auf den höchsten Grad verliebt in sie wurde, und weiter an nichts anders gedachte, biß sie endlich ihr Cabinet eröffnete, durch die Stube hinweg ging, und das Aufwarte-Mädgen ruffte, welches sich aber auch in einem gantz kleinen Cabinet ein wenig zur Ruhe gelegt hatte, und so gleich zum Vorscheine kam.

Ich stund ebenfalls gleich auf, und fragte: Wie sie sich befände? und, ob sie wohl geschlaffen hätte? Es ist, antwortete sie, kein Schlaff in meine Augen gekommen, sondern ich habe nur meinem zukünfftigen Schicksale beständig entgegen gedacht, jedoch letztlich alles der Fügung des Himmels anheim gestellet, und mich gefasst gemacht, alles Unglück mit der grösten Gelassenheit zu ertragen, wenn ich nur bleiben kan, wo Christen seyn, um mich mir GOttes Wort und dem Rathe guter Freunde zu trösten.

Dieses ist eine Resolution, versetzte ich, welche nur bloß allein tugendhaffte Seelen, so, wie die Ihrige beschaffen ist, ergreiffen können; bleiben Sie dabey, und lassen im übrigen den Himmel walten. Allein, was ist zu Dero Diensten, denn ich habe gehöret, daß sie der Magd geruffen? Nichts weiter, replicirte sie, als daß sie auf die Apotheque gehen,[144] und mir ein Hertz-Pulver holen soll, denn ich weiß nicht, wie es kömmt, daß ich so gar matthertzig bin. Ich bath mir sogleich aus, diesen Dienst selbst zu verrichten, und etwas zu bringen, wodurch der Leib wiederum gestärckt und das Gemüthe aufgeräumt gemacht wurde; zohe auch gleich meinen Ober-Rock an, und ließ mich durch sie nicht an meinem hurtigen Fortgehen verhindern. Bey der Wirthin bestellete ich erstlich eine delicate Abend-Mahlzeit nebst ein paar Bouteillen des allerbesten Weins, hernach ging ich auf die Apothecke, ließ ein herrliches Cordial, auf ihren Zustand gerichtet, zurechte machen, und brachte es so hurtig, als möglich, zurück.

Ihr seyd allzu dienstfertig, Mons. van Blac, sagte sie hierzu, (nachdem sie einige Löffel voll davon zu sich genommen, und es kräfftig befunden hatte,) und wenn es noch so lange währen solte, als es gewähret hat, dürffte mein gantzes Vermögen nicht zureichen, euch eure Liebe und Treue zu belohnen. Die letztern wenigen Worte machten, daß mir die Thränen in die Augen stiegen, weßwegen ich mich an ein Fenster wandte, um den Affect nicht mercken zu lassen, konte auch kaum mehr als so viel Worte vorbringen: Madame! ich verlange keine Vergeltung von Geld und Gut, sondern bin vergnügt, wenn sie nur bey dem Glauben bleiben, daß ich redlich bin. Sie mochte etwas an mir mercken, derowegen nahm sie noch ein wenig von dem Cordial, und begab sich stillschweigend wieder in ihr Cabinet, ich aber besann mich, und sahe nach der Küche, ging eine Zeitlang im nahe daran liegenden[145] Garten spatzieren herum, und verirrete mich dergestalt tieff in meinen Gedancken, daß ich mich nicht heraus finden konte, biß mich endlich die Wirthin ruffte, und fragte, ob sie das Essen auftragen solte? Ich befahl ihr, nicht damit zu säumen, weil wir heute wenig genossen, ging hinauf, und fand meine Landsmännin in der Stube herum gehend, dem Scheine nach, ziemlich wohl disponirt, es gefiel ihr auch, daß ich einige gute Tractamenten hatte zurichten lassen, indem sie alle mit Appetit versuchte.

Wie sauer es aber ihr, vielleicht nur meinetwegen, werden mochte, ihre Bekümmerniß zu verbergen, so schwer kam es mir auch an, meine Affecten zu unterdrücken, allein, da wir erstlich eine Bouteille von dem vortrefflichsten Weine getruncken, öffnete sich der Mund auf beyden Seiten einiger massen, jedoch redeten wir von gantz indifferenten Sachen, biß sie endlich, nachdem alles abgetragen, und das Mädgen zur Ruhe gegangen war, von selbsten anfieng, und sagte: Mons. van Blac! ich habe euch heute etwas zu erzählen versprochen, derowegen höret an die

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 3, Nordhausen 1736, S. 128-146.
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