Wunderliche FATA einiger See-Fahrer. Dritter Theil.

Die ungemeinen Freundschafts-Bezeugungen und inständiges Bitten unsers Hertzens-Freundes, des Herrn H.W. in Hamburg, verursachten daß wir unsere Abreise von dar nach Amsterdam, immer von Tage zu Tage weiter hinaus schoben, wiewohl ich daselbst die wenigste Zeit müßig zubrachte, sondern meine meiste Sorge seyn ließ, alles dasjenige worauf ich mich nur immer besinnen konte, daß es uns auf der Insul Felsenburg nützlich und dienlich seyn könte, einzukauffen und anzuschaffen. Endlich aber da mir der Capitain Horn von Amsterdam aus, recht ernstliche Vorstellungen that, wie nunmehro ja nicht die geringste Zeit mehr zu versäumen wäre, sich zur Rück-Reise anzuschicken, zumahlen da wir in Amsterdam noch gar entsetzlich viel zu besorgen hätten, stellete ich solches meinen lieben Vater, Schwester und andern Reise-Gefährten aufs liebreichste vor, womit ich denn so viel auswürckte, daß sie sich resolvirten gleich morgendes Tages zu Schiffe zu gehen.[1] Herr H.W. wolte zwar durchaus nicht darein willigen, sondern bath was möglich war, nur noch eine eintzige Woche bey ihm zu verharren, allein, einmahl war der Schluß gefasset, und da er sahe daß es nicht anders seyn konte, gab er sich endlich mit unaffectirter Betrübniß darein, stellte aber, um selbige einiger massen zu vertreiben, einen herrlichen und kostbarn Valet-Schmauß an, worbey sich Trompeten und Paucken ja fast alle Musicalische Instrumenta die nur zu erdencken, die gantze Nacht hindurch Wechsels-weise hören liessen. Folgendes Tages reiseten wir nach genommenen zärtlichen Abschiede, aus dieses redlichen Freundes Behausung hinweg, nach unsern Schiffe, welcher uns nebst fast seiner gantzen Familie und andern guten Gönnern auf etlichen Gutschen das Geleite bis an die Elbe gab, und so lange daselbst verharrete bis wir uns völlig eingeschifft hatten. Unsere Reise-Compagnie so zusammen gehörete, bestund aus folgenden Personen: 1.) Mein Herr Vater. 2.) Meine liebste Schwester. 3.) Mons. Schmeltzer, 4.) Mons. Herrmann. 5.) Ich, Eberhard Julius. 6.) Jungfer Anna Sibylla Krügerin, 7.) Jungfer Susanna Dorothea Zornin. 8.) Meiner Schwester Aufwarte-Magd, Barbara Kuntzin. 9.) Johann Martin Rädler der Buchbinder welcher Mons. Schmeltzern bedienete. 10.) Christian Gebhard Ollwitz, ebenfalls ein Buchbinder, welchen Mons. Herrmann erstlich in Hamburg zu seiner Bedienung angenommen. 11. und 12.) Die 2 Sclaven welche mir Capit. Horn mit gegeben hatte.

Ich kan nicht sagen daß uns etwas verdrüßliches[2] auf der Reise bis Amsterdam begegnet wäre, ausgenommen, daß diejenigen welche ihr Lebtage noch auf keinem Schiffe gewesen waren, nehmlich die beyden Herren Geistlichen, die beyden Jungfern, die Magd und denn die 2 Buchbinders, eine, wiewohl noch ziemlich kleine See-Kranckheit, so bloß im Schwindel und Brechen bestund, ausstehen musten; worbey ich mich nur über die beyden Hrn. Geistlichen und den ersten Buchbinder verwunderte, daß es ihnen eben itzo ankam, da sie sich doch auf der Fahrt von meiner Gebuhrts-Stadt bis Hamburg, so ritterlich gehalten hatten.

Es war der 8. Octobr. da wir alle frisch und gesund in Amsterdam bey dem Capitain Horn anlangten, und derselbe gab mir, nachdem er uns mit erfreutem Hertzen bewillkommet hatte, fast eine kleine Reprimande, daß ich so lange aussen gewesen, weil er aber die Avanturen meiner Schwester in Schweden nicht wuste, muste ich ihm Recht geben, indem ich ihm solchergestallt die grösten Haupt-Sorgen fast einzig und allein auf dem Halse gelassen hatte.

In Wahrheit er hatte Ursache verdrüßlich zu seyn, weil nicht allein die besten Leute und Sachen, so er und ich verschrieben hatten, noch nicht halb angekommen waren, sondern weil ihme durch einige heimliche Feinde und Mißgönner verschiedene böse Streiche gespielet worden und er bereits unter der Hand vernommen, daß uns vor und bey der Abfahrt noch mehrere und ärgere gespielt werden dürfften. Ich redete ihm zu, daß allhier mit einer klugen List, sonderlich aber mit Gelde alles zu[3] zwingen stünde, worauf er zur Antwort gab: Ja mein Herr! wir haben allem Ansehen nach gewaltige Summen ausgegeben, hier ist die Rechnung, von dem was ich an Baarschafft unter Handen gehabt, zur Rück-Reise brauchen wir auch Geld. Ich muste lachen über seine unnöthigen Sorgen, sagte aber Mons. Horn! hier ist meine Rechnung auch, von dem was ich in Europa ausgegeben habe, das meiste wie ich mercke, ist schon bezahlt, und vor das übrige was wir etwa noch brauchen, werden wohl 200000 Thlr. hinlänglich seyn. Ach ja! sprach er, allein wir brauchen noch vielmehr, ehe wir wieder nach Felsenburg kommen. Meynet ihr denn, replicirte ich, daß, wie ich aus allen Umständen und unser beyder Rechnungen vermercke, wir wohl den 4ten Theil von dem Schatze verthan hätten, welchen mir der Alt-Vater allein mitgegeben hat, des Capitain Wodley Kostbarkeiten ohngerechnet. Mein Rath wäre, wir kauften noch ein Schiff und nähmen noch mehr Waaren mit nach Felsenburg, denn was hilft das, wenn wir ihnen viel Geld, Gold, Perlen und Edle-Steine wieder zurück bringen.

Horn sahe mich starr an, ich aber lachte und sagte: Mein Herr wolt ihr mir nicht glauben, so kommet und sehet das an, was ich nicht aus Falschheit vor euch verhöhlet, sondern geglaubt habe, es sey euch schon bekandt und keiner fernern Rede werth. Da ich ihm nun binnen etwa 2 Stunden alles gezeiget, wuste er sich nicht genug zu verwundern, daß wir so viel verthan und doch so sparsam gewesen wären. Was aber anbelangte, noch ein Schiff[4] zu erkauffen, war sein Rath durchaus nicht, sondern er sagte: Wir würden genung zu thun haben, wenn wir nur mit einem Schiffe ungehudelt von Amsterdam hinweg kämen, dieserwegen dürften wir auch etliche 1000 Thlr. Spendagen nicht ansehen, damit wir nur nach unsern Belieben einladen dürften, was wir wolten, und gute Pasporte bekommen möchten. Uberdieses wäre unser Schiff auch groß genung, mehr als uns committirt wäre, und als man in Felsenburg brauchte, darauf zu laden, es sey denn daß wir mehr Vieh, als er bereits bestellet, mit nehmen wolten, hierzu gehöreten aber auch mehr Leute, je mehr Leute aber, je mehr Verräther und man brauchte ja ohnedem auf Felsenburg keine andern Manns-Personen mehr, als solche Hand-Wercker und Künstler, die noch nicht da, doch aber daselbst nöthig wären.

Nunmehro war ich seiner Meynung wohl verständiget und gab ihm in allem Recht, nachhero berathschlagten wir, wie wir unsere Affairen per tertium tractiren, diesem und jenem die Hände vergolden und sonsten alles anstellen wolten, waren auch krafft unserer gelben Pfennige endlich mit grosser Mühe so glücklich, daß wir binnen weniger Zeit, nicht allein tüchtige Pasporte, sondern auch alles andere erhielten was wir verlangten.

Mittlerweile, ob wir gleich die beste Beqvemlichkeit und sonsten alles hatten was unser Hertze begehrete, so bekam doch meine liebe Schwester ingleichen Mons. Herrmann einen Zufall vom Fieber, wurden aber bald wieder davon befreyet.

Wenig Tage hernach geschahe das Verlöbniß[5] meiner Schwester mit Herrn Jacob Friedrich Schmeltzer, welches meinem lieben Vater und mir eine besondere Freude erweckte.

Endlich um Martini kamen unsere von andern Orten her verschriebene Sachen fast alle auf einmahl an, auch hatten sich die angenommenen Handwercks-Leute, bereits in dem ihnen angewiesenen Wirthshause versammlet; wovon jedoch einer von den 3 Glaßmachern, die der Capitain Horn angenommen, diesen aber am meisten getrauet, und ihn nur einmahl auf seine Kammer geschickt, schelmischer weise entlief und dem Capitain einen Beutel mit 500 Ducaten entwendete. Von alten denen so wir mit nach Amsterdam gebracht, und die versprochen hatten zu Ende des Augusti wieder zu kommen und noch eine Fahrt mit uns zu thun, kam kein eintziger zurück, wir sahen es auch gantz gern, und zwar gewisser Ursachen wegen. Jedoch die 3 Schiffs-Officiers welchen Capitain Horn monatlich ihren gewöhnlichen Sold gegeben, weil sie so treulich bey ihm hielten und denn die 9 Sclaven, waren diejenigen noch, die mit gekommen waren, und auch gutwillig wieder mit zurück wolten. Oberwehnte 3 Officiers hatten auch Matrosen zur Gnüge angeworben und sonsten alles so wohl veranstalltet, daß wir am 27 Nov. 1729. insgesammt wohl vergnügt von dannen abseegeln konten, worbey wir das Vergnügen hatten, daß unser besonderer Freund und Wohlthäter Herr G.v.B. uns das Geleite biß Portugall zu geben, ihn aber im Hafen Port à Port auszusetzen, sich ausbath, welches denn auch geschahe, nachdem wir biß dahin eine sehr geruhige Fahrt gehabt.[6]

Noch eins hätte ich bald vergessen! Tags vorhero ehe wir abreisen wolten, als ich meine Schwester, welche noch ein und andere Kleinigkeiten einzukauffen willens war, an der Hand durch eine enge Strasse führete, jedoch aber von 6 des Horns Sclaven begleitet wurde, begegnete mir ein Mensch in Betilers-Habit, welcher so gleich die Hände über dem Kopffe zusammen schlug, fast laut zu schreyen und zu heulen anfing und sich in einen Winckel verkroch. Meinen und meiner Schwester Gedancken nach, war es ein rasender Mensch, weßwegen meine Schwester einen Holländischen Gulden aus der Ficke zohe und selbigen diesen Armseeligen durch einen Sclaven wolte einhändigen lassen. Indem drehete sich dieser Elende mit dem Kopffe in etwas wieder herum, da wir denn gleich erkandten, daß es mein Schwedischer Dollmetscher war, der mir und meiner Schwester so viel gute Dienste gethan hatte. Hierbey muß ich melden, daß ich ihm auf der Reise seine Besoldung nicht allein redlich bezahlt, sondern auch, weil ich ihn nicht weiter nöthig zu seyn erachtete, biß in meines Vaters Hauß, ihm nebst vielen Dancke, noch 50 Ducaten gegeben und gemeldet daß er nunmehro in GOttes Nahmen wieder nach Hause reisen könte. Mein Vater und meine Schwester hatten ihm gleichfalls, jedes 10 Ducaten geschenckt, derowegen rieff ich voller Bestürtzung aus: Hilff Himmel Mons. van Blac wie treffe ich euch hier also verändert an? Ach mein Herr, gab er mit thränenden Augen zur Antwort: ich bin der unglückseeligste Mensch von der Welt, 500 Gulden und noch ein[7] mehreres habe ich in wenig Wochen von eurer Generositeè proficiret und alles wohl zu Rathe gehalten, auch vor mich sonst noch 200 fl. gehabt, wormit ich mich auf die Reise anhero gemacht, um entweder nach Ost- oder nach West-Indien mit zu gehen und mit diesem Gelde noch ein mehreres zu erwerben, allein ich bin vor wenig Wochen unter Mörder gefallen, welche mich nicht allein meines Geldes und meiner Kleyder beraubt, sondern auch meinem Leibe viele Wunden zugefügt, jedoch ein mitleydiger Artzt hat diese letztern glücklich curirt, da ich aber keinen Deut im Leben hatte, sahe ich mich genöthiget das Brod vor den Thüren zu suchen.

Der Mensch jammerte mich, denn es war ein artiger Kerl, der sein gut Latein, Holländisch, Englisch, Schwedisch, Dänisch, Spanisch, Italiänisch etc. etc. sprechen konte, derowegen befahl ich einem Sclaven diesen Menschen so lange in unser Qvartier zu führen und wohl zu verpflegen, biß wir wieder nach Hause kämen, welchem Befehle dieser so gleich gehorchte. Meine Schwester expedirde ihre Sachen bald, sagte aber im zurückgehen: Mein Brüderchen, wenn dieser arme Mensch will, so bitte ich euch, nehmet ihn aus Barmhertzigkeit mit nach Felsenburg. Mein Hertz! gab ich zur Antwort wenn es euer Liebster und der Capitain Horn vor rathsam halten, nehme ich ihn gern mit, zumahlen da ihr vor ihn bittet.

So bald wir in unser Logis kamen, sahen wir daß nicht allein alle unsere Leute, sondern auch der Capitain, Herr Schmeltzer und Herr Herrmann um den Armseeligen herum stunden. Der Capitain[8] hatte ihm etwas Bisqvit und Wein geben lassen woran er sich labte; indem aber ich mich nur blicken ließ, sagte der Capitain: Monsieur wenn es euch gefällig ist, wollen wir diesen Menschen mit nach Felsenburg nehmen, denn Herr Schmeltzer meynt, daß er wegen der vielen Sprachen die er ex fundamento verstehet, einen guten Præceptorem abgeben könte. So ist, versetzte ich, meiner Schwester Bitte erfüllet. Horn lachte und sagte: so ist dieses bejammerns-würdigen Menschen Wunsch erhöret, derowegen will ich so gleich auf den Trödel schicken und ihm das beste Kleyd so da ist, bringen lassen, denn wir haben keine Zeit ihn neu zu kleyden. Augenblicklich schickte er fort, ich und meine Schwester aber wandten uns zu dem Mons. van Blac und fragten: ob er mit uns nach Ost-Indien fahren wolte? Ach! seufzete er, wenn ich so glücklich seyn könte mein Leben in Dero Diensten zu enden. Wir wollen euch, gab ich ihm zur Antwort, nicht zu unsern Diener, sondern zu einem Mit-Genossen, unsers, mit GOtt zu hoffen habenden Glücks und Vergnügens machen, auch eure zeitliche Wohlfahrt möglichstens befördern. Er küssete hierauf meinem Vater, mir, meiner Schwester und dem Capitain Horn die Hände und versprach, daferne er in unserer Gesellschafft mit reisen dürffte, so bald es von ihm verlangt würde, den Eyd der Treue abzulegen. Bald hernach kamen verschiedene Kleyder, der Capitain Horn kauffte ein rothes, und noch ein braunes, welche beyden ihm am besten passeten, und also war unser Mons. van Blac wieder ein Kerl, der Abends mit bey uns zu Tische sitzen konte, indem wir uns seiner[9] Gelehrsamkeit und guter Conduite wegen, auch seiner Person gar nicht zu schämen hatten. Sonsten war er ein Mensch von ohngefähr 30 Jahren, sahe wohl aus von Gesichte, und ob ihm schon die Mörder bey letzterer Rencontre 2 Hiebe ins Angesichte gegeben hatten, so hatte er doch sonsten an den Gliedern welche ebenfalls bleßirt worden, nicht die geringste Lähmung.

Ich habe mich nicht umsonst bemühet, diese geringscheinende Avanture so weitläufftig zu erzählen, denn der Verfolg dieser Geschichte wird zeigen, daß van Blac nachhero bey unserer Gesellschafft und gantzem Geschlechte eine recht bemerckens-würdige Person worden und man dabey die sonderbare Führung des Verhängnisses zu betrachten Ursache habe. Jedoch wieder auf unsere Reise zu kommen, so hatten wir, nachdem Herr G.v.B. nebst seinen Sachen im Portugiesischen Hafen Port a Port ausgesetzt war, von dar biß zu den Canarischen Insuln die allerangenehmste Fahrt, weßwegen ich eines Tages meinen Vater ersuchte, mich doch zu berichten, wo er sich nach seinem gehabten Unglücke An. 1725. hingewendet, und wie es ihm sonsten unter der Zeit ergangen? Es war derselbe bereit mir zu willfahren, sagte aber, weil seine Fatalitäten eben keine besondern Geheimnisse wären, so dürfften meine Schwester, der Capitain Horn, und die beyden Geistlichen, wie auch van Blac dieselben wohl mit anhören, weßwegen ich itzt gemeldte Personen insgesammt in unsere Kammer beruffte, worauf mein Vater also zu reden anfing: Von dem kläglichen Schicksale meiner Vor-Eltern könte ich eine weitläufftige[10] und vielleicht nicht unangenehme Erzählung machen, auch selbige mit glaubwürdigen alten schrifftlichen Urkunden erweißlich machen, allein es mag solches biß auf eine andere Zeit versparet bleiben, und ich will voritzo nur von meiner eigenen Person, auch gehabten Glücks- und Unglücks-Fällen, so kurtz als möglich Bericht erstatten, damit doch ein jeder von ihnen recht wisse wer ich sey und wie das Schicksal mit mir gespielet hat.

Mein Nahme ist Franz Martin Julius, gebohren d. 13 Jun. 1680 und zwar von solchen Eltern, die eben nicht reich, jedoch bey jedermann ein gutes Gerüchte hatten, denn mein Vater Christianus Julius war Steuer- und Zoll-Einnehmer im Lüneburgischen, muß sich aber nicht viel Sportuln dabey gemacht haben weil meine Mutter nach dessen Tode ausser den standes-mäßigen Meublen vor sich, mich und 2 Schwestern, kaum 600 Thlr. baar Geld aufzuweisen hatte, jedoch war dabey noch ein eigenes Häußgen und etwas Feld, welches ohngefähr auf 1000 Thlr. geschätzt werden konte, hergegen hatte meine Mutter 800 thlr. baar Geld eingebracht.

Mein seeliger Vater starb An. 1694. da ich 14 Jahr alt war, und also vor mich noch viel zu frühzeitig. Folgendes Jahr darauf folgte ihm meine jüngste Schwester im Tode nach, da sie nur 12. Jahr alt war und bald hernach verheyrathete sich meine Mutter mit demjenigen wieder, der meines Vaters Dienst bekommen hatte, behielt auch mich und meine ältere Schwester Dorotheen Sibyllen bey sich, indem der Stief-Vater ein sehr gütiger Mann war, mich nicht allein fleißig zur Schule hielt[11] sondern auch täglich selbst etliche Stunden privatim informirte endlich aber in eine grosse Stadt zu einem vornehmen Kauff- und Handelsmanne, um bey selbigen die Handlung zu erlernen, brachte, auch hinlängliche Caution vor mich machte. Ich führete mich zeitwährenden meinen Lehr-Jahren, ohne Ruhm zu melden, so auf, daß mein Herr und meine Eltern wohl zufrieden mit mir waren; sonsten aber paßirte mir in meinen Lehr-Jahren dieser notable Streich: eines Abends da mein Herr sich mit etlichen frembden Kauff-Leuten in einem Wein-Hause befand, muste ich mit der Laterne dahin gehen, denselben nach Hause zu leuchten, allda hörete ich nun verschiedene Handels-Gespräche, ein eintziger frembder Kauffmann aber, saß beständig in sehr tieffen Gedancken, weßwegen mein Herr, der vom Weine ein wenig lustig worden war, aufstund, ihn auf die Schulter klopffte und sagte: betrübet euch nicht, mein Herr! vor der Zeit, denn das Schiff kan noch glücklich zurück kommen. Ja ja! antwortete jener, mein Herr! wollet ihr mir 10000 gegen 20000 setzen. Mein Patron war ein ungemein reicher Mann und gar gewaltiger Hazardeur, weßwegen er ohne langes Bedencken heraus fuhr: Wa topp! kömmt das Schiff mit der Ladung zurücke, so zahlet ihr mir 20000 Thlr. ist es verlohren gegangen, so zahle ich euch 10000 Thlr. Der Frembde ließ sich ebenfalls nicht lange nöthigen, sondern schlug zu, die andern musten Zeugen seyn, der Contract wurde mit wenig Zeilen errichtet und behörig unterschrieben, hierauf ging ein jeder seines Weges.

So bald mein Herr in die freye Luft kam, mochte[12] ihm anders zu Muthe werden, denn er sprach zu mir: Franz! was habe ich gemacht, 10000 Thlr. ist eine schöne Summa, aber 20000. ist gleich noch einmahl so viel. Meine Antwort war: Das ist gewiß, allein mir stehen alle Haare zu Berge, wenn ich daran dencke; Ach wolte doch der Himmel daß das Schiff wieder käme! Das müssen wir erwarten, versetzte er, kömmt es nicht, so bin ich deßwegen noch lange nicht ruinirt, kömmt es aber so solst du vor deinen guten Wunsch, 1000. Thlr. von meinem Gewinste haben. Ich glaubte nicht daß es Ernst wäre, dachte aber doch, daß, wenn das Schiff käme, mir mein Patron vor die Worte so er in Trunckenheit gesprochen, wenigstens ein neues Kleyd schencken würde, schloß derowegen dieses Schiff allezeit mit in mein Morgen- und Abend-Gebeth, seufzete auch öffters bey Tage im Laden: Ach GOtt! hilff doch, daß das Schiff glücklich zurück kömmt; welches, wie mir mein Herr nachhero erzählet, er öfters gehöret und heimlich darüber gelacht hat. Etwa 8 Wochen darnach schreibt mein Herr ohne mein Wissen an meine Eltern, daß beyde, oder wenigstens Eins von ihnen auf seine Unkosten zu ihm kommen solten, weil er etwas nothwendiges mit ihnen zu sprechen hätte. Meine Eltern erschrecken und meynen, daß ich etwa gar zum Schelme geworden wäre, setzen sich derowegen beyde auf einen Wagen und kamen in meines Herrn Hauß. Es war eben Zeit zur Mittags-Mahlzeit, weßwegen sie mein Herr so gleich zu Tische führete, jedoch bey Tische von lauter indifferenten Dingen redete, nach der Mahlzeit aber in sein Cabinett gieng, einen grossen Sack[13] voll Geld heraus brachte und sagte: Meine lieben Freunde! ich bin so glücklich gewesen, auf ein vor verlohren gehaltenes Schiff, durch Wetten, 20000 Thlr. zu gewinnen, und habe mich, da ich dieselben vor etlichen Tagen ausgezahlt bekommen, erinnert, daß ich ihrem Sohne, meinem Frantz 1000 Thlr. davon versprochen, alldieweiln er sein redlich Hertze bißhero in allen Stücken gegen mich gezeiget, hier sind die 1000 Thlr. man kan ihm dieselben auf Zinsen austhun, biß er mit GOtt seine eigene Handlung anfängt.

Es wird leichtlich zu glauben seyn daß meine Eltern und ich anfänglich von Bestürtzung und Freude eingenommen, gäntzlich verstummeten, endlich aber da mein Patron mit Lächeln zu mir sagte: Nun wie stehets? Frantz, bin ich nicht ein Mann der sein Wort redlich hält, und meynest du nicht, daß dir dieses Geld einmahl eine gute Beyhülffe seyn kan, eine eigene Handlung anzufangen? brach endlich das Band meiner Zunge, ich küssete ihm die Hand und danckte mit den verbindlichsten Worten vor so ein grosses unverhofftes Geschencke, meine Eltern spareten gleichfals nichts, ihre schuldigste Danckbarkeit meinetwegen zu erkennen zu geben, bathen aber den Patron, doch selbsten die Güte zu haben und diese Gelder auf Zinsen auszuthun, welches er sich denn nicht wegerte, ihnen hingegen eine schriftliche Obligation auf 1000 Thlr. gab. Mein gütiger Patron beschenckte mich nachhero mit noch allerley Sachen deren ich bedürftig war, denn die Generositée schien ihm angebohren zu seyn, bey so vielen Mitteln aber die er hatte, wunderte sich ein[14] jeder, daß er nicht geheyrathet, auch nicht heyrathen wolte, sondern seine Schwester die eine alte Jungfer war, führete die gantze Wirthschafft, im Gewölbe aber befanden sich 3 Diener und 2 Lehrlinge unter welchen ich des Patrons Vertrauter war.

So bald meine Lehr-Jahre überstanden waren, recommandirte mich mein Patron in die berühmte Handels-Stadt D. an einen Kaufmann, welcher einen erstaunlichen Verkehr hatte, und ich war noch kein Jahr bey diesem meinem neuen Herrn gewesen, als derselbige meine Fähigkeit merckte, auf meine Treue ein grosses Vertrauen setzte, dannenhero mich in seinen Negotiis erstlich nach vielen berühmten Handels-Städten Deutschlandes, nachhero auch nach Rußland, Polen, Schweden, Dänemarck, Holland, Engelland, Portugall, Spanien, Franckreich und Italien verschickte, da ich denn so glücklich war, das mir aufgetragene jederzeit ihm zum Vergnügen auszurichten, weßwegen ich mir denn, weil ich sehr sparsam lebte, auf meinen Reisen nicht allein ein gut Stück Geld sammlete, sondern auch von meinem Herrn zum öftern reichlich beschenckt wurde.

Endlich, da An. 1705. ein Handelsmann in selbiger Stadt verstarb und nebst seiner 70 Jahr alten Frauen nur einen eintzigen Sohn hinterließ, welcher ein vornehmer Rechts-Gelehrter war und in einem honorablen Amte saß, begieng dieser mein Patron die Redlichkeit an mir, daß er mir nicht allein behülflich war diese Handlung anzutreten, sondern auch schon gemeldten Rechts-Gelehrtens Tochter zu heyrathen, mit welcher ich ein schön Stück[15] Geld überkam, so daß ich im Stande war, mit meinem bißherigen Hrn. und Patron in Compagnie zu handeln.

Durch unermüdeten Fleiß, vornehmlich aber durchs Glück und GOttes Seegen, wurde ich in wenig Jahren einer der stärcksten Handels-Leute in D. so daß mei nen nunmehrigen Compagnon sehr weit übersehen konte, doch war dieser deßwegen nicht neidisch, sondern blieb mein vertrauter Freund, weßwegen ich ihn denn zu verschiedenen mahlen mit gewaltigen Geld-Summen secundirte.

Mit meiner Liebste lebte ich von Anfange an, bis zu ihrem Tode, in der allervergnügtesten Ehe, denn sie war sehr schön, tugendhaft, sonsten aber von sehr zärtlicher Leibes-Beschaffenheit. Die Pfänder unserer Liebe sind dieser mein Sohn Eberhard Julius, welchen sie mir An. 1706. den 12 May, und diese meine Tochter Juliana Louise, die sie den 7 Nov. 1709. zur Welt gebahr.

Wie nun aus allen dem was ich bißhero erzählet genungsam abzunehmen, daß mir das Glück in allen Stücken sehr gewogen gewesen und ich binnen so viel Jahren wenig Verdruß, vielmehr recht guten Genuß gehabt und vollkommen vergnügt leben konte, ließ ich doch meinen Fleiß in der Handelschaft gar nicht sincken, die Haupt-Sorge aber war, meine beyden Kinder, welche von ihrer Mutter hertzinniglich geliebt wurden, recht wohl zu erziehen, weßwegen ich ihnen denn von Jugend auf eigene informatores hielt, die sie im Christenthume und andern Wissenschafften unterrichten musten. Unter allen hat mich keiner besser vergnügt, als der[16] redliche Hr. Mag. Ernst Gottlieb Schmelzer, dem GOtt heute in Felsenburg einen guten Tag gebe. Er war 4 Jahr lang und zwar von 1716 biß 1720 bey mir und wäre ohnfehlbar länger geblieben, wenn ihm nicht unruhige Köpffe hinweg gesprengt hätten. Jedoch die Vorsicht des Himmels hat es vielleicht mit Fleiß also fügen wollen. Inzwischen fing das Glück, welches mich bißhero so freundlich angelacht, auf einmahl an, mir die empfindlichsten Streiche zu spielen, denn An. 1724. am 16 Apr. raubete mir der Tod meine hertzgeliebteste Ehe-Gattin in Kindes-Nöthen sammt der getragenen Leibes-Frucht. Mein Compagnon dem ich gar gewaltige Summen zugeschossen, wurde Banqverot und blieb über 2 Tonnen Goldes schuldig, weil er in gewissen Stücken allzuviel hazardirt hatte, wiewohl was will ich von ihm sagen, ich war ja selbst ein Narre und hatte mich in den Actien-Handel dergestallt vertiefft, daß ich bey deren damahligen Verfall auf die 100000 Frantz-Gulden einbüssete. Alles dieses aber hätte mich dennoch nicht in gäntzlichen Verfall gebracht, wenn nicht die letzte Hiobs-Post gekommen wäre, daß, das mehrentheils auf meine eigene Kosten nach Ost-Indien ausgerüstete Kauffarthey-Schiff an den Africanischen Küsten von den See-Räubern erobert und ausgeplündert worden. Diese schlug meine Courage und Credit auf einmahl völlig darnieder, weßwegen ich mich gemüßiget sahe, Hauß, Hof, Gewölbe, Stadt und alles mit dem Rücken anzusehen, demnach nahm ich meine Baarschafften und kostbaresten Sachen zusammen, ließ das übrige alles in Stiche, schaffte aber vorhero[17] meine alhier gegenwärtige Tochter mit 2000 Frantz-Gulden nach Schweden zu einer Anverwandtin von ihrer Mutter, meinem Sohne, der damahls auf der Universität zu Leipzig studirte, schickte ich nebst einem lamentablen Briefe, worinnen ich ihm mein zugestossenes Unglück vermeldete, eben so viel und trat ohne jemands Vermercken eine Reise nach Portugall an, um von dannen mit einem guten Freunde und Correspondenten die Tour entweder nach Ost- oder West-Indien zu thun, und zu probiren, ob ich daselbst mein verlohrnes Glück wieder günstiger, oder den Todt finden könte.

Ich machte mir kein Bedencken, meinem Portugiesischen Freunde und bißherigen starcken Correspondenten, der sich Don Juan d'Ascoli nennete, meine gehabten Unglücks-Fälle ausführlich zu erzählen, zeigte ihm auch mein überbliebenes Capital, worauf er so gütig war, noch eine starcke Summe darzu zu schiessen und noch ein Schiff vor mich in Beschlag zu nehmen, auch mit mir in Compagnie der Flotte, welche jährlich von den Portugiesen nach Brasilien geschickt wird, dahin abzuseegeln.

Die Fahrt war diesesmahl sehr verdrüßlich wegen der vielfältigen Stürme, doch endlich langeten wir glücklich in der ungemein grossen Bay vor S. Salvator an, welche sehr tief, aber sehr beqvem und sicher ist, es könten auch wohl auf die 2000 Schiffe, einander ohngehindert, darinnen liegen. Wir stiegen aus und nahmen unser Qvartier in der Stadt, welches die Haupt-Stadt in gantz Brasilien dabey sehr groß, treflich gebauet, reich und mit 3 Castellen wohl verwahrt ist. Die Einwohner sind dem Fressen, Sauffen[18] und allen andern Wollüsten ungemein ergeben, bekümmern sich wenig um die Arbeit, sondern ihre Sclaven müssen alles besorgen, weil die meisten Hauß-Wirthe ungemein wohl begütert sind, dannenhero war es mein besonders Glücke, daß ich in Portugall mein Geld an solche Waaren gelegt, die solchen wollüstigen Leuten in die Augen fielen, und dieserwegen konte ich in kurtzer Zeit alles mein mitgebrachtes zu Gelde machen und einen wichtigen Profit ziehen, welchen ich denn nebst dem allermeisten meines Capitals wieder anlegte und Ambra, Toback, Balsam, Saffran, Baumwolle auch etwas von Jaspis und Crystall, meistentheils aber Zucker darvor kauffte, als woran ich in Europa einen gewaltig starcken Profit vor mir sahe, auch sicher glauben konte, daß ich bey nahe die Helffte von meinen Verlohrnen wieder erworben, mithin wünschte, daß wir nur bald wieder abfahren möchten, indem ich gesonnen war, noch ein oder 2 Touren nach Brasilien zu thun, in Hoffnung dadurch wieder in meinen vorigen Stand zu kommen und alle meine Creditores biß auf den letzten Heller zu bezahlen.

Ohngeacht ich dasiges Orts nicht der geringste Handelsmann unter allen Mitgereiseten war, hatte ich doch das Glück, mich am allerersten expedirt zu haben, da wir aber nicht ehe als mit der Flotte abseegeln konten, wurde mir die Zeit ungemein lang. Es wolten mich zwar einige Wage-Hälse immer bereden, tieffer mit ins Land hinnein zu gehen, indem wir ein und andern wilden eingebohrnen Brasilianern verschiedene Kostbarkeiten an puren Golde und dergleichen umsonst abzwacken und uns damit bereichern[19] könten; allein ich hatte keine Lust darzu, sondern war vergnügt mit dem was ich schon hatte, und wolte mein Leben nicht in Gefahr setzen, indem mir die Einwohner zu St. Salvator erzähleten: daß die tieffer im Lande wohnenden Brasilianer würckliche Menschen-Fresser wären, sie schlachteten die Gefangenen gleich dem Viehe ab, wüsten von keiner Religion, ja sie hätten in ihrer gantzen Sprache kein eintzig Wort welches einen GOtt bedeutete; betheten hergegen den Teuffel an und erholten sich bey demselben Raths, jedennoch hätte man an ihnen wahrgenommen daß sie ihre Seelen vor unsterblich hielten. Sie wohneten nicht in Häusern, sondern in blossen Lauber-Hütten, schlieffen nicht in Betten, sondern in Netzen, und ihre gewohnliche Speise bestünde aus Brod, welches aus dem Meel einer Wurtzel Mendioca genandt, gebacken würde.

Alles dieses jagte mir so viel Schrecken ein, daß ich allen denen so mich zum Parthey gehen mit nehmen wolten, abschlägige Antwort gab; es blieb auch in Wahrheit mancher ehrlicher Mann von den mitgekommenen Europäern bey solchen Partheygängereyen aussen, der vielleicht von den wilden Brasilianern ist gefressen worden.

Hergegen blieb ich mehrentheils zu Hause in meinem Logis, bath dann und wann gute Freunde zu mir, die meiste Zeit aber vertrieb ich mit Bücher lesen oder mit Grillen über meine Fatalitäten, hierbey pressete mir das Angedencken über meine zurück gelassenen lieben Kinder zum öfftern viele 1000 Thränen aus.

Eines Tages kam ein junger Kauffmann, der ein[20] gebohrner Schwede, eben nicht allzu fein von Gesichte doch jederzeit sehr gefällig gegen mich gewesen war, unverhofft auf meine Kammer und traff mich in der grösten Bestürtzung an, denn ich weinete eben und die 3 Contrafaits, als meiner seel. Liebste und dieser meiner beyden Kinder lagen vor mir auf dem Tische. Ich gab meinen Aufwärter so gleich Befehl, ein und anderes herbey zu bringen, um diesen jungen, jedoch sehr reichen Schwedischen Kauffmann behörig zu bewirthen; mitlerweile wirfft dieser seine Augen auf die Contrafaits und fragte so gleich: Mein Herr! was sind das vor Bildnisse? Dieses erste sagte ich, ist meine ohnlängst verstorbene Liebste, die andern beyde stellen meine 2 zurück gelassenen Kinder vor. Ihr habt, gab der Schwede darauf, eine sehr schöne Frau gehabt, aber die Tochter ist noch weit schöner, wo befindet sich dieselbe? Voritzo, war meine Antwort, in Stockholm bey meiner Befreundtin. Glückseelig ist mein Vaterland, sprach er, eine solche seltene Schöne in sich zu haben. Ihr schertzet oder flattiret sehr, mein Herr sagte ich, denn da ich 2 mahl in Schweden gewesen bin, so kan versichern, daß ich weit schönere Gesichter darinnen angetroffen habe. Hierauf lenckte ich den Discours auf Handlungs-Affairen, der Schwede aber schien mir auf einmahl gantz melancholisch zu werden, welches er dem getrunckenen Coffeè Schuld gab, derowegen ich ihm ein gut Glaß Wein vorsetzte. Er trunck davon, sagte aber: mein Herr ihr habt einen recht guten Wein, aber so gut ist er doch nicht als der Canari, von welcher Sorte ich eine ziemliche Qvantität in meinem Logis liegen habe, weil es[21] noch sehr hoch am Tage, so seyd so gütig, mit mir dahin zu spatzieren, zumahlen da es nicht gar weit ist.

Auf oft wiederholtes Bitten ließ ich mich endlich bereden mit ihm in sein Logis zu gehen, allwo ich fand, daß er nicht gelogen, sondern einen gantz vortreflichen Wein hatte. Er erzeigte mir alle nur erdenckliche Höflichkeiten, gab mir Nachricht von sei nem gantzen Zustande und Wesen, zeigte eine gewaltige Menge Säcke die mit Gelde angefüllet waren, (dergleichen ich in meinem Wohlstande auch wohl so viel, und wohl noch mehr beysammen gehabt hatte) Summarum er offenbahrete mir sein gantzes Hertze, weßwegen ich bey dem guten Weine endlich auch treuhertzig wurde und ihm ebenfals mein gantzes Hertze offenbahrete. So bald er solchergestalt alles von mir erfahren, sagte er: Mein Herr! ich habe mehr, als ein vernünftiger Mensch in der Welt verthun kan, bin also im Stande euch so viel vorzuschiessen, als ihr vonnöthen habt eure Schulden völlig zu bezahlen und die Handlung von neuen anzufangen, bin auch bereit, euch so gleich 50000 Thlr. auf eure Handschrift zu zahlen, daferne ihr versprecht, mir eure schöne Tochter, deren Portrait ich heute gesehen, zum Ehe-Gemahl zu geben. Ich bitte euch, mein Herr! gab ich zur Antwort, fanget keine Sache an die euch etwa hernach gereuen möchte, sehet doch erstlich die Person selbst an, ob sie so beschaffen, wie sie der Mahler abgeschildert. Es ist zwar wahr, sagte Peterson, daß die Mahler zuweilen flattiren, allein ich fühle in meinem Hertzen, nachdem ich das Bild erblickt, gantz besondere Regungen und bin zufrieden,[22] wenn die Person nur halb so schöne, als sie abgeschildert ist. Ich gab mir viele Mühe, ihm diesen so plötzlich aufsteigenden Liebes-Appetit zu verweisen, biß wir wieder nach Europa kämen; da ich denn selbst mit ihm nach Stockholm reisen und ihm meine Tochter persönlich zeigen wolte, allein er ließ nicht ab, biß er mir 50000 Thlr. gegen eine blosse Handschrift so zu sagen aufgedrungen und den väterlichen Consens von mir erpresset hatte. Mit der Braut getrauete er sich bald fertig zu werden, inmassen sich, seinen Gedancken nach, ein Frauenzimmer durch kostbare Geschencke am allerleichtesten zur Liebe bewegen liesse.

Da ich nach Hause kam, waren die 50000 Thlr. schon daselbst, worbey einer von seinen Dienern die Wache hielt, und folgenden Morgen kam Peterson gantz früh, trunck mit mir Thèe und respectirte mich von nun an schon würcklich als seinen Schwieger-Vater, bath sich aber inständig das Bildniß meiner Tochter aus, allein ich schlug ihm solches rotunde ab und gab vor ich hätte geschworen, diese 3 Bildnisse mit Willen nicht von mir kommen zu lassen, so lange ich lebte und wenn mir auch jemand eine Tonne Goldes darvor geben wolte. Solchergestalt war er nur damit vergnügt, daß ich die 3 Bilder in meiner Kammer an die Wand anheftete und ihm die Erlaubniß gab, so oft als ihm beliebte zu mir zu kommen.

Die 50000 Thlr. legte ich an Zucker, Brasilien-Holtz, Thier-Häute und andere Brasilianische Waaren, wurde also von neuen ein ziemlich starcker Marchandeur. Don Juan d'Ascoli der Portugiese[23] war noch beständig mein getreuer Freund, ich hielt aber doch eben nicht vor rathsam, ihm das geheime Commercium zu eröffnen, welches ich mit Peterson hatte, ohngeacht wir 3 fast täglich beysammen waren.

Endlich da die Zeit kam, daß sich die Flotte wiederum Seegel-fertig machte, nach Europa zurück zu gehen, theileten wir 3 guten Freunde, unsere Waaren auf 3 Schiffe, damit wenn ja eines von denselben verunglückte, der Schade vor einen allein, doch nicht so groß seyn möchte. Don Juan d'Ascoli blieb auf einen, der Schwede Peterson aber blieb mit einem seiner Bedienten bey mir in meinem Schiffe und wolte sich durchaus nicht von mir trennen, um vielleicht nur das Vergnügen zu haben, sein geliebtes Bild täglich etliche mahl anschauen zu können.

Wir kamen, ohne einzigen Verdruß auszustehen glücklich wieder zu Lissabon an, allwo ich einen ziemlichen Theil meiner mitgebrachten Waaren mit gutem Profite zu Gelde machte, dem Don Juan d'Ascoli seinen Vorschuß und die Fracht-Gelder davon bezahlete, das übrige aber in Petersons Schiff einschiffte und mit demselben die Reise nach Schweden antrat um entweder unterweges oder in Schweden selbst, meine übrigen Waaren zu verkauffen. Vorhero aber hatte ich mit Don Juan d'Ascoli Abrede genommen, gegen die Zeit da die Flotte wieder nach Brasilien abginge, auch wieder bey ihm zu seyn und noch eine Fahrt mit ihm zu thun, woraus er denn sich ein grosses Vergnügen zu machen schien, ich aber hatte angemerckt, daß[24] er sehr gern mit mir in Gesellschafft seyn mochte, zumahlen da ich der Portugiesischen Sprache ziemlich mächtig war.

In Engel- und Holland, als bey welchen beyden Ländern, wir Petersons Affairen wegen anländeten, hätte ich meine übrigen Waaren mit ziemlichen Profit loß werden können, allein Peterson wiederrieth es mir und stellete vor, daß weil ich ja die Fracht bis Schweden frey hätte, ich daselbst oder in Dänemarck meine Waaren ungemein profitabler verhandeln könte, weßwegen ich ihm denn in diesen Stück Folge leistete und nachhero in der That befand, daß ich nicht übel gethan, sondern in Schweden mit denselben 2 pro Cent mehr erwarb, als ich in Engell-Holl- und Deutschland erworben hätte. Jedoch auf die Haupt-Sache zu kommen, so war dieses des Petersons allererstes Verlangen, so bald wir in Stockholm angekommen waren, ihm meine Tochter zu zeigen, wie nun dieses nicht zu versagen stunde, so nahm ich ihn gleich des ersten Tages mit in unserer Befreundtin Behausung, bey welcher sich dieselbe aufhielt und über meine Gegenwart vor Freuden fast aus sich selbst gesetzt wurde, hergegen wurde auch Peterson von närrischer Liebe gantz entzückt, und wenn ich es recht sagen soll, halb ausser Vernunfft gesetzt. Ich wolte mein Logis bey meiner Befreundtin und Tochter erwählen, allein Peterson ließ mit Bitten nicht ab, daß so lange wir uns in Stockholm aufhielten, ich ihm das Vergnügen gönnen möchte, mich in seinen Logis zu bedienen, weßwegen ich endlich versprach seinen Willen zu erfüllen. Peterson[25] machte sich gleich bey dieser ersten Visite viel Mühe, meiner Tochter Gegengunst zu erwerben, ich aber hielt noch zurück und wolte zum ersten mahle nichts von der vorseyenden Heyrath melden, erkundigte mich aber folgende Tage bey andern vornehmen Kaufleuten um Petersons gantzes Wesen, welche mir einstimmig dasjenige sagten, was ich von ihm selbst gehöret, wie er nehmlich als der eintzige Erbe seines vor wenig Jahren verstorbenen Vaters, einer der stärcksten Capitalisten unter allen Handels-Leuten in gantz Schweden wäre, seine ordinaire Wohnung aber in Nyköpping und nicht weit von selbiger Stadt ein vortreffliches Ritter-Gut in Besitz hätte. Hierauf begab ich mich zu meiner Tochter und that ihr in Beyseyn ihrer Baase den Vortrag, ob sie wohl gesonnen, den Herrn Peterson welchen ich vor einigen Tagen mit zu ihr gebracht zum Ehe-Gemahl anzunehmen, machte ihr auch eine Beschreibung von dessen gantzen Wesen und grossen Reichthümern, allein, da meine Tochter von der Ehe hörete, schien es nicht anders als ob sie von einem Schlag-Flusse gerühret wäre und die Frau Baase schrye: Ums Himmels willen, Herr Schwager, weg mit dem häßlichen Kerl und wenn er 1000 Millionen im Vermögen hätte. Nachdem ich aber meine Tochter alleine auf die Seite gezogen, stellete ich ihr vor, wie daß man im Heyrathen nicht allein auf die Schönheit des Gesichts und Leibes, sondern weit mehr auf ein redlich Gemüthe und gutes Auskommen sehen müste, welches von beyden letztern, bey Peterson vollkommen anzutreffen, indem ich seit der und der Zeit nichts lasterhaftes[26] an ihm verspüret; allein die arme Creatur fing bitterlich an zu weinen, zumahl da sie aus meinen Reden verspürete, daß es mein ernstlicher Wille sey und ich mir dadurch aus meinen Nöthen zu helffen gedächte; bath sich aber wenigstens einen Monat Bedenck-Zeit aus, welche ich ihr denn nicht abschlagen konte, dem Peterson dessen benachrichtigte und ihm die Freyheit ließ, seine Werbung selbst anzubringen, indem er meinen väterlichen Consens zwar völlig hätte, ich aber doch meine Tochter, welche biß dato noch keine Lust zum Heyrathen bezeugte, mit Gewalt darzu zu zwingen gar nicht gesonnen wäre, sondern ihm viellieber seine mir vorgeschossenen Gelder cum Inresse so gleich wieder baar bezahlen und mein Glück weiter suchen wolte.

Peterson wolte hiervon nichts hören, sondern blieb bey seinem Versprechen, mir mit mehr als noch einmahl so viel an die Hand zu gehen, übrigens solte ich ihn nur walten lassen, denn ob er gleich wisse, daß er meiner Tochter nicht galant genung in die Augen fiele, so würde sich doch durch öfftern Umgang und andere honetten Vortheile deren sich ein Verliebter gebrauchen müste, mit der Zeit alles geben. Demnach ließ ich ihm die Freyheit, sie täglich im Beyseyn ihrer Baase zu sprechen und erfuhr selbst von ihm, daß meine Tochter ihm zwar täglich höflicher und freundlicher, aber noch gar nicht verliebt begegnete, weßwegen er jedoch noch die allergröste Hoffnung hätte ihr Hertz zu besiegen.

Bey diesem allen versäumete ich, wie schon gemeldet, keine Zeit, den Rest, meiner aus Brasilien mitgebrachten Waaren loß zu schlagen und da ich[27] vollkommen damit fertig war, auch ein gut Stück Geld in der Hand hatte, machte ich mich zur Abreise nach D. fertig, nahm meine Tochter noch einmahl vor und erklärete derselben, wie es nur auf sie allein ankäme, mich wieder in vorigen Stand zu bringen, darum solte sie, wo es möglich wäre, diese Parthie nicht ausschlagen, und was dergleichen mehr war. Sie versprach mit weinenden Augen, ihren Sinn nach meinen Willen einzurichten, ich solte nur die gantze Sache nicht so gar eilig treiben, weiln ja Peterson von selbst so raisonable gewesen, ihr noch einige Frist zu verstatten. Hierauf nahm ich von allen mit recht bangen Hertzen Abschied, und bekam von Peterson das Versprechen mit auf den Weg, daß, wenn mir noch mit 50 oder mehr 1000 Thlr. gedienet, er mir selbige durch Wechsel übermachen wolte, jedoch ehe ich noch fort reisete, besann er sich dahin und zahlete mir ohne mein Verlangen noch 25000 Thlr. baar Geld, welches er eben selbiges Tages aus Franckreich übermacht bekommen hatte. Wiewohlen nun dieses, nebst meinen eigenen Geldern noch lange nicht hinlänglich war, alle meine Schulden zu bezahlen, so hatte doch die sicherste Hofnung, meine meisten Creditores mit halben Gelde und gantzen guten Worten ad interim zu befriedigen und mich aufs neue in Credit zu setzen.

Peterson ließ mich auf seinem eigenen Schiffe nach D. bringen und gab mir 2 von seinen getreusten Handels-Dienern mit, dergestalt langete ich gantz glücklich jedoch gantz unerkandt daselbst an, und trat bey meinem sonst immer gewesenen allergetreusten Freunde Herrn O.** ab, ließ auch alles mein[28] Vermögen in seine Behausung schaffen. Dieser redliche Mann verwunderte sich ziemlich, über meine Zurückkunft und war erfreuet, daß ich mich wieder von neuen daselbst etabiliren wolte, versprach mir auch alle möglichste Dienstleistungen, weßwegen wir denn etliche Tage nach einander meine Handels-Bücher vornahmen, die ich versiegelt in seine Verwahrung gegeben hatte und die Eintheilung machten, wie viel dieser oder jener Creditor haben, und wie ich meine Sachen etwa sonsten anstellen solte, damit ich mich wiedrum frey und öffentlich sehen lassen dürfte. Herr O.** tractirte meine gantze Sache, und es wuste niemand von meinen Creditoren, daß ich mich in seinem Hause aufhielt; brachte auch binnen wenig Wochen, meine Affairen auf einen solchen Fuß, daß meine Creditores ziemlich begütiget wurden, ich von der Obrigkeit einen Salvum Conductum erhielt, mich also wiederum auf der Börse zeigen und mein bißhero seqvestrirtes Hauß beziehen durffte.

Herr H.W. in Hamburg hatte nicht so bald Nachricht hiervon bekommen, als er mehr mir zu Gefallen als seiner eigenen Negocien halber nach D. kam, und mir so wohl des Capitain Wolfgangs als meines Sohnes Briefe vorlegte, ich lase zwar dieselben, hielt aber alles vor Mährlein und glaubte daß mein Sohn bloß aus Desperation zu Schiffe gegangen wäre, und sich vielleicht von einem listigen Vogel etwas hätte aufbinden lassen. Herr H.W. suchte mir dieses auf alle Art auszureden, allein ich war viel zu kleingläubig und dieser gute Freund resolvirte sich, seine Reise ferner nach Rußland fortzusetzen,[29] kam nach etlichen Wochen zurück und traf mich in einem üblen Zustande an, denn weil mein Sohn in alle Welt gegangen war und ich sast keine Hoffnung schöpfen konte ihn Zeit Lebens wieder zu sehen, meine Tochter aber aus Schweden mir die allerlamentabelsten Briefe schrieb, und zu meinem grösten Leydwesen endlich meldete, daß ihr nunmehro unmöglich fiele, den sonst ohnedem nicht wohlgestallten Peterson zu heyrathen, nachdem er mit einem gewissen Edelmanne in Händel gerathen, welcher ihm nicht nur viele starcke Blessuren im Gesicht und am Leibe angebracht, sondern auch fast das gantze Untermaul hinweg gehauen hätte; wurde ich vor grosser Betrübnis gantz melancholisch und wuste mir weder zu rathen noch zu helffen, verlangete aber beständig meine eintzige Tochter zu sehen, weßwegen Herr H.W. und Herr O. Anstalten machten und mich wieder nach Schweden überführen liessen, da immittelst meiner seel. Frauen Bruders Sohn, als ein sehr geschickter Handels-Diener meine neu errichtete Handlung fortsetzen solte. So bald ich in Stockholm angelanget, fand ich des Petersons Unglück mehr als wahr zu seyn, er traf wenig Tage hernach bey uns ein, und ich entsetzte mich selbst, ihn in solcher Gestalt zu erblicken, allein dem ohngeacht wolte er durchaus von meiner Tochter nicht ablassen, die Baase hatte er durch Geschencke auch dergestalt auf seine Seite gebracht, daß diese ihm in allen Stücken das Wort redete und so gar die empfindlichen Worte gebrauchte: Da meine Sachen so stünden, müste sich die Tochter nicht weigern in einen sauren Apfel zu beissen. Im Gegentheils[30] giengen mir die Jammer-Klagen meiner Tochter und die übrigen Grillen dergestalt im Kopfe und Hertzen herum, daß ich fast völlig melancholisch und so gar Bettlägerig wurde. Endlich fing meine Tochter an etwas aufgeräumter zu werden, und stellete sich, mir zu Gefallen, an, als ob sie den Peterson nunmehro gantz wohl leiden könte, auch die Heyrath mit ihm nicht ausschlagen wolte, sie ließ sich auch von ihrer Baase und ihm bereden, daß wir ingesammt, sonderlich mir zum Vortheil, um die Luft zu verändern, nach Niekœpping fuhren. Daselbst als ich sahe daß sich meine Tochter mit Peterson ziemlich wohl vertragen konte, bekam ich meine vorige Gesundheit bald wieder, sie war darüber sehr erfreuet, es mag ihr aber wohl nicht wenig Mühe gekostet haben, den innerlichen Kummer zu verbergen.

Nachhero wurde ich mit Peterson völlig eins, daß wir mit einander in Compagnie handeln wolten und er versprach mir trefliche Vortheile schloß einen ordentlichen Contract mit mir und bewegte mich dahin, wieder nach Hause zu reisen, um alles wohl einzurichten, ihm aber die Freyheit zu lassen, mit meiner Tochter so bald es sich schickte Hochzeit zu machen; worauf er denn mit den Geld-Säcken nachkommen und mich völlig ausser Schulden setzen wolte. Ich reisete demnach von Niekœpping ab und wieder nach Hause, hatte auch nicht die geringste Ursache an Petersons Versprechen zu zweiffeln, denn er war in mehr als zu guten Stande selbiges zu halten, doch war mein Hertze unterwegs immer voll lauter Unruhe und Bangigkeit,[31] auch noch einige Tage da ich schon zu Hause war und meine Sachen in guten Stande fand, biß Herr H.W. ohnverhofft von Hamburg abermahls ankam und mir nicht allein die fröliche Zeitung von der Wiederkunfft meines Sohnes, sondern auch gar gewaltige Geld-Summen und Wechsel-Briefe mit brachte, als womit ich alle meine Creditores gedoppelt hätte bezahlen köñen. Ich bezahlete aber auch alles redlich mit gewöhnlichen Interesse und blieb solchergestalt keinem Menschen einen Scherf schuldig, weßwegen aller Augen in der gantzen Stadt auf mich sahen, mich wieder vor einen grossen Mann achteten, jedoch nicht wusten, wie das Ding zugehen möchte. Herr H.W. hielt sich eine ziemliche Zeit bey mir auf, und wolte gern die Ankunfft meiner Kinder aus Schweden abwarten, denn er und ich zweiffelten nunmehro nicht, daß der Bruder die Schwester auslösen und mitbringen würde. Wir schrieben auch beyde verschiedene Briefe nach Schweden, allein ich glaube daß dieselben entweder durch unsere Anverwandtin, oder durch Petersons Vorsicht unterschlagen seyn. Endlich sahe sich Herr H.W. seiner eigenen wichtigen Geschäffte wegen genöthiget, nachdem ich ihn vor seine Mühe wohl vergnügt, von mir zu reisen und ohngefähr 3 Wochen hernach, kamen mir meine Kinder eines Abends ohnverhofft, da ich mit meinem alten guten Freunde Herrn O. im Schacht spielete plötzlich um den Halß gefallen, worüber ich eine solche jählinge Freude empfand, dergleichen ich Zeit Lebens gehabt zu haben, mich nicht leicht zu erinnern weiß. Was sonsten das übrige meiner Geschichten anbelanget, wird ihnen, meine Herren! vielleicht[32] schon guten Theils bekannt seyn, oder ich will selbiges zur andern Zeit erzählen, weiln uns die eingebrochene Nacht ins Bette weiset.

Hiermit endigte mein Vater den kurtzen Bericht von seinem Lebens-Lauffe, und wir begaben uns insgesammt zur Ruhe, weil wir sehr stille See hatten, so bald wir aber den Tropicum Cancri passirt waren, erhub sich auf einmahl ein solcher gewaltiger Sturm-Wind und Regen, daß wir ingesammt nicht anders glaubten, als in dieser Gegend zu verderben; von Donnern und Blitzen höreten und sahen wir nichts, nur der Sturm-Wind erregte die Wellen dergestalt, daß wir alle Augenblicke vermeynten, von denselben verschlungen zu werden, wie uns denn ausser diesem der grausame Regen die gröste Beschwerlichkeit verursachte. Dritten Tages hörte es zwar auf zu regnen, allein der Wind stürmete desto schärffer, so, daß man nirgends ruhig stehen oder liegen konte. Unser Frauenzimmer wurde sehr unpäßlich, meine Schwester aber recht tödtlich kranck, und ob wir gleich derselben die kostbarsten Artzeneyen, nach Anweisung unsers sehr verständigen Schiffs-Barbiers, eingaben, so wolte doch nichts anschlagen, sondern es wurde am 9ten Tage, da das Stürmen noch immer fort währete, so schlimm mit derselben, daß wir an ihrer Aufkunfft zweiffelten. Dahingegen es sich mit den andern Krancken ziemlich besserte. Mein Vater und ich waren dieserwegen aufs äuserste betrübt, ihr Bräutigam aber, Mons. Schmeltzer, gantz trostloß, so, daß er sich fast nicht zu fassen wuste. Keiner unter allen[33] zeigte bey diesen gefährlichen und betrübten Umständen mehr Courage, als Herr Herrmann, ohngeacht dieses seine erste Reise zur See war. Lieben Freunde! sagte er zum öfftern, glaubt es nicht, daß wir unglücklich seyn werden, GOtt kennet uns, und seine Güte und Barmhertzigkeit ist viel zu groß, als daß er uns verderben solte; trauet doch derselben nur wenigstens so hertzhafft als ich. Er war auch in diesem Stücke ein guter Prophete, denn meine Schwester wurde nicht allein wieder besser sondern der Sturm legte sich auch, allein, wir sahen uns dergestalt von unserer Fahrt verschlagen, daß die verständigsten unter uns die Brasilianischen Küsten bemercken konten.

Weil nun unser Schiff eine starcke Ausbesserung von nöthen hatte, folgeten alle einmüthig meines Vaters Rathe, die grosse Bay vor St. Salvator zu suchen, um daselbst unser Schiff wieder in vollkommen guten Stand zu setzen, auch selbsten in etwas von der mühseligen Reise auszuruhen, indem er dasiges Orts noch viele gute Bekandte Portugiesen hätte.

Wir fanden dieselbe endlich, und stiegen aus, fanden auch in der Stadt gute Bequemlichkeit, so, daß wir uns alle, und sonderlich unsere Krancken, binnen den 4. Wochen, da unser Schiff ausgebessert wurde, völlig wieder erholen konten. Wir kaufften auch verschiedene Waaren dieses Landes ein, und hatten solchergestalt unser Schiff so voll geladen, daß fast nichts mehr hinein zu bringen war. Endlich begaben wir uns wieder an Boord, und setzten unsere Reise, nach Süden zu,[34] fort, hatten zwar nachhero noch etliche mahl Stürme und Ungewitter auszustehen, allein, es waren selbige eben von solcher Wichtigkeit nicht, unsern ungemein starcken Schiffe Schaden zuzufügen. Einen eintzigen starcken Sturm aber, der uns hätte Furcht und Schrecken einjagen können, warteten wir auf einer kleinen unbewohnten Insul ab, bey welcher wir 2. Tage vorher gelandet, um frisches Wasser einzunehmen, auch einiges frisches Wildpret und Vögel zu schiessen, denn ob wir gleich Rind-Schaaf- und allerley Feder-Vieh in ziemlicher Anzahl bey uns hatten, so wolten wir doch lieber unsern Appetite steuren, als davon etwas schlachten, indem diese lebendigen Thiere in Felsenburg ungemein angenehm waren. Gantzer 18. Tage verharrten wir also auf schon gemeldter unbevölckerten Insul, welches eben nicht die fruchtbarste zu seyn schien, doch fand sich viel taugliches Wildpret darauf, nebst Vögeln von verschiedenen Sorten, die sich wohl essen liessen. So bald aber die See wieder stille, und der Himmel klar zu werden begunte, brachen wir unsere Gezelter, die Mons. Horn zum Geschencke vor den Alt-Vater erkaufft, wieder ab, begaben uns auf die fernere Reise, nahmen unterwegs noch 2. mahl bey zweyen wüsten Insuln frisches Wasser ein, und paßirten endlich den Tropicum Capricorni, allein, da schien es nun Kunst zu kosten, die Insul Groß-Felsenburg wieder zu finden, denn wir kamen einen gantz andern Weg her, als den wir abgefahren waren, und hatten die Insul St. Helena voritzo sehr weit lincker Hand liegen lassen. Endlich[35] da es eines Tages gantz heitere Lufft war, rieff ein Boots-Knecht oben aus dem Mast-Korbe herunter: Zwey Insuln gegen Osten, eine grösser als die andere. Ich befand mich eben bey dem Capitain Horn, welcher so gleich vor Freuden in die Hände schlug, und sagte: GOtt Lob! das können fast keine andern als die Felsenburgischen seyn; er war aber so neugierig und verwegen, selbst am Maste hinauf zu steigen, nahm auch ein ziemlich groß Perspectiv mit hinauf, kam bald wieder herunter, und sagte: Dem Himmel sey gedanckt, ich habe die Felsen-Spitzen gantz eigentlich sehen und unterscheiden können, wir sind zu weit rechter Hand kommen, ich habe aber doch nur in vergangener Nacht ausgemessen und ausgerechnet, daß wir unmöglich weit mehr davon seyn könten. Derowegen befahl er so gleich dem Steuer-Manne, den Lauff des Schiffs gegen Osten zu richten; weil wir aber einen scharffen wiederwärtigen Ost-Wind hatten, erreichten wir erstlich von der Zeit, am Abend des 5ten Tages, nehmlich am 4ten Jun. 1730. die Insul klein Felsenburg, allwo, weil sogleich eine sehr finstere Nacht einbrach, Capitain Horn Ancker werffen ließ, nachdem wir uns alle zusammen beredet, diese Nacht gantz stille zu seyn, 2. Stunden vor Anbruch des Tages aber das verabredete Zeichen zu geben; denn es daurete uns nicht nur alle Einwohner, sondern vornehmlich den Alt-Vater, wenn er ja noch lebte, um die gantze Nacht-Ruhe zu bringen, und es war leicht zu glauben, daß die wenigsten vor Freuden ein Auge würden zugethan[36] haben, wenn sie gewust hätten, daß wir so nahe wären.

Es war, wie gesagt, dieses eine ungemein finstere Nacht und gewaltiger Regen, weil es eben hieselbst im Winter war, derowegen legten wir uns einige Stunden zur Ruhe, wiewohl in meine Augen kam kein Schlaff, derowegen stund ich wieder auf, ließ mir Caffeé zubereiten, rauchte Toback, legte die Uhr vor mich auf den Tisch, und wartete mit sehnlichen Verlangen, biß die Stunde heran kam, da wir das Signal aus unsern Canonen geben wolten. Capitain Horn wurde zur rechten Zeit munter, derowegen liessen wir auch unsere übrigen Freunde wecken, gaben sodann eine Salve aus 6. Canonen, liessen 12. Raqueten steigen, und wiederholten solches 2. mahl, da denn die Felsenburger alles ihr Geschütz, kurtz hinter einander her, löseten, und an verschiedenen Orten Raqueten steigen liessen, mit welchen Lust-Feuern denn continuirt wurde, biß endlich der helle Tag anbrach. Wie nun schon gestern verabredet worden, daß ich erstlich allein hinüber fahren, dem Alt-Vater den Respect erweisen, und ihm unsere Ankunfft melden, auch erfragen solte, welche Personen auf kleinen Felsenburg etwa zurück bleiben müsten; so war ich gleich im Begriff, ins Boot zu steigen, und mich von etlichen Matrosen hinüber setzen zu lassen, als wir eben drey Groß-Felsenburgische Boote auf uns zu kommen sahen, deren jedes 4. Manns-Personen in sich hatte, und die unser Schiff noch weit von ferne schon vor das rechte erkandt, blieb also noch zurück. Lebt der Alt-Vater noch?[37] Dieses war der erste Ruff, den ich ihnen durchs Sprach-Rohr entgegen schickte, weßwegen sie mit den Händen klatschten, und ihre Mützen um die Köpffe schwungen, weil wir den Laut ihrer Stimmen von so weit her noch nicht vernehmen konten. Endlich aber, da sie immer näher und näher kamen, höreten wir die deutlichen Worte: Er lebet noch! Willkommen! Willkommen! Bald hernach gelangeten sie bey unserm Schiffe an, da wir denn, weil sie mich, so wie ich sie alle wohl und bey Nahmen kenneten, einander auf das frölichste bewillkommeten, worauf sie auch den Capitain und den andern neu mit angekommenen Europäern ihre Reverenze machten, sodann ein gutes Früh-Sück einnahmen.

Weiln ich aber keine Zeit versäumen wolte, gab ich meine Meynung den Felsenburgern zu verstehen, da sich denn gleich die ersten 4. offerirten, mich hinüber zu führen, die übrigen 8. aber blieben bey unsern Schiffe. So bald wir nun dem Eingange gegen über kamen, nehmlich, wo sonst der Nord-Fluß seinen gewöhnlichen Ausfall hat, waren die allermeisten Groß-Felsenburgischen Einwohner unten am Fusse des Gebürges versammlet, voran aber stunden Herr Wolffgang, der alte Capitain Wadley, Litzberg und die andern Einkömmlinge, wir umarmten einander, ohne viel Worte zu machen, da aber der Capitain Wolffgang merckte, daß ich schwerlich vor Abends fertig werden würde, wenn ich einem jeden anwesenden Befreundten die gebührende Höflichkeit erzeigen wolte, sprach er: Mein Herr! wir alle werden[38] in künfftigen Tagen Zeit genung haben, euch unsere zärtliche Liebe zu erzeigen, und ausführlich von euch die Begebenheiten eurer Reise zu vernehmen, vorietzo aber lasset uns keinen Augenblick versäumen, euch zu dem Alt-Vater zu führen, denn ich weiß, daß er vor Verlangen, euch zu sehen, fast verschmachtet. Demnach stiegen wir in dem Felsen-Gewölbe hinauf, und der gantze Zug folgte uns nach biß auf die Albertus-Burg, weil aber der Alt-Vater wegen bisheriger öffterer Schwachheit nicht aus seinem Zimmer kommen konte, und dieses zu enge war, eine solche Menge Volcks als mich begleitete, in sich zu fassen, kamen ausser den alten Greissen nur die wenigsten hinein. Der Alt-Vater umarmete und küssete mich und vergoß viel Freuden-Thränen, wie ich denn ebenfalls in einer guten Weile vor Freuden den Mund nicht aufthun konte. Endlich aber stattete ich meinen Rapport so kurtz, als möglich, ab, gab zu vernehmen, wie ich nebst den allernöthigsten Sachen auch noch viele nöthige Personen mitgebracht, die allhier zu verbleiben ohnfehlbar Lust bezeigen würden, meldete aber noch nicht, wer sie wären, vielweniger daß ich meinen Vater und Schwester bey mir hätte. Inzwischen bath ich den Alt-Vater, daß, weil man doch den Capitain Horn nicht so bald könte wieder zurück seegeln lassen, Ordre zu stellen, wie es mit Verpflegung seiner Leute solte gehalten werden, ob sie hier oder auf klein Felsenburg bleiben solten, und was sonsten etwa zu erinnern wäre. Allein der Alt-Vater, der mir lange nicht mehr so[39] frisch und munter, als bey meiner Abreise, vorkam, übergab alle diese Sorgen seinem ältern Sohne Alberto II. und nebst diesem, denen Capitains Wolffgang und Wodley, ich aber solte nicht von seiner Seite kommen, biß ich ihm einen ausführlichen Bericht von der gantzen Reise abgestattet hätte, da aber Herr Wolffgang vorschützte, wie es absolute nöthig sey, daß ich wieder mit hinüber zum Schiffe führe, und erstlich den Capitain Horn nebst den andern neuen Europäern mit herein führete, da denn in Beyseyn Horns, der Bericht weit vollkommener abgestattet werden könte, ließ er es sich endlich gefallen, daß ich erstlich noch einmahl mit dahin führe, weßwegen wir uns nicht lange säumeten, um noch vor Nachts wieder auf dem Schiffe zu seyn.

Unter so vielen Anwesenden vermissete ich fast niemanden so bald, als Herrn Mag. Schmeltzern, erfuhr aber, auf mein Nachfragen, daß er sich seit zweyen Tagen in Roberts-Raum bey einem krancken Manne aufgehalten, und noch daselbst befindlich wäre.

Es war schon finstere Nacht, als wir in dem Schiffe anlangeten, und das freundliche Bewillkommen der Bekannten und Unbekannten währete gantz lange, die allergröste Freude aber hatte Herr Wolffgang über die Mitkunfft meines Vaters, meiner Schwester und den Bruder Herrn Mag. Schmeltzers, gab mir auch einen kleinen Verweiß, daß ich solches dem Alt-Vater und ihm verschwiegen hatte, allein, ich entschuldigte mich, daß es darum geschehen, bey persönlicher Zusammenkunfft[40] eine desto grössere Freude zu verursachen. Nachhero wurde geheimer Rath gehalten und beschlossen, alle diejenigen Personen, welche nicht auf der grossen Insul bleiben solten, mitlerweile auf der Insul Klein-Felsenburg auszusetzen, weil aber der Capitain Horn befürchtete, daß die drey Officiers, wenn sie mit den Matrosen alleine zurück gelassen würden, rebellisch werden, und ihm auf der Rück-Reise böse Streiche spielen möchten, that er den Vorschlag, daß nur etliche von uns mit dem Schiffe hinüber fahren solten, er selbst aber wolte mit den übrigen noch einige Tage bey den drey Officiers und Matrosen auf klein Felsenburg verharren, diesen letztern alle übeln Gedancken benehmen, und ihnen eine gute Meynung beybringen, auch Anstalten machen, daß tüchtige Hütten und Heerde gebauet würden, damit sich diese Leute bey itziger Winters-Zeit behelffen könten, worbey er denn nicht zweiffelte, daß man sie von Groß-Felsenburg aus, von Zeit zu Zeit mit guten Eß-Waaren und Geträncke versehen würde. Nach gerade aber könte man so wohl ihn als die andern Europäer, welche in Groß-Felsenburg bleiben solten, immer ein Paar nach dem andern abholen.

Dieser Rath war sehr wohl ausgesonnen, und nur dabey zu bedauren, daß wir den guten Capitain Horn nicht sogleich mit uns nehmen, und dem Alt-Vater vorstellen solten, allein, Herr Wolffgang war selbst der Meynung, dieses Stratagema zu gebrauchen. Mittlerweile berichtete der Capitain Horn, wie der gröste Theil von den Matrosen[41] abgewichenes Tages auf den Booten, benebst 2. Felsenburgern bereits nach der kleinen Insul abgefahren, und Schieß-Gewehr, auch so viel Proviant mit sich genommen, daß sie sich wohl etliche Tage behelffen könten. Dieses war schon eine gute Sache, und weil ich dem Capitain Horn anzeigte, wie ich gesonnen wäre, jedem Matrosen vor seine bißhero gehabte Mühe 50. spec. Thlr. einem jeden von den 3. Officiers aber 100. Thlr. zu verehren, als ließ er so gleich unter die übrigen, so noch auf dem Schiff waren, ausstreuen, daß wir Morgen alle auf die kleine Insul überfahren, daselbst eine kurtze Lust haben, und zusehen wolten, wie sich die Matrosen anstellen würden, weil Eberhard Julius so und so viel Geld unter sie vertheilen, auch viel Wein und Brandtewein, nebst andern Sachen unter sie Preiß geben wolte.

Das war ihnen ein gefunden Fressen, derowegen fuhren sie mit Erlaubniß des Capitains Horn gleich, sobald der Tag anbrach, hinüber auf klein Felsenburg, etliche kamen wieder zurück, holeten die Wein- und Brandteweins-Fässer, nebst andern Victualien ab, gegen Mittag aber fuhr Capitain Horn nebst einigen mitgekommenen Europäern, auch etlichen Felsenburgern ihnen nach, und wir traffen das gantze Heer der Matrosen auf dem Platze an, welcher auf dem Grund-Risse der Insul Klein-Felsenburg (im andern Theile dieser Geschichts-Beschreibung bey pag. 452.) mit dem Buchstaben F. bezeichnet ist, allwo sie im vollen Wercke begriffen waren, Hütten zu bauen, auch schon viele Feuer angemacht, und Wildprets-Braten[42] angesteckt hatten, weil die gestern voraus gegangenen von der Jagd nicht leer zurück gekommen waren.

Zuerst ließ Capitain Horn ein Faß Brandtewein anstecken, und jeglichen eine gute Portion geben, damit sie erstlich Geister bekämen, hernach ließ ich meine mit lauter Spanischen Creutz-Thalern angefülleten Säcke herbey bringen, zählete einem jeden Officier 100. und jedem Matrosen 50. Thaler in die Mütze, danckte ihnen aufs höflichste vor ihre unterwegs auf der Fahrt erzeigte Treue, Fleiß und Gehorsam, und versprach, woferne sie sich binnen der Zeit, da wir uns allhier aufhielten, fein fromm und Christlich aufführeten, vor der Abreise, noch über ihren versprochenen Sold, ein mehreres zu geben.

Da gieng es an ein Hände-Küssen und an ein Jubiliren, ja sie versprachen denjenigen, der unter ihnen am ersten Rebellion oder Händel anstifften wolte, sogleich auf der Stelle mit ihren Messern in tausend Stücken zu zerschneiden. Capitain Horn lachte, und sagte: Kinder, seyd nur fromm, so werdet ihr allhier bessern Gewinst und bessere Tage haben, als ihr gedenckt, auch an guten Essen und Trincken nicht den geringsten Mangel leiden.

Wenn das ist, versetzte einer hierauf, so lasst uns so lange auf dieser Insul bleiben, biß es allhier Sommer wird. Ja! Bruder ja! schryen die andern, wenn der Capitain will.

Daferne ihr, (sprach der Capitain Horn,) wie ich schon gesagt, nur fromm seyn wollet, kan Rath darzu werden, und ihr sollet versichert seyn, daß[43] alles, was euch versprochen worden, redlich wird gehalten werden.

Mir aber, sprach er ferner, werdet ihr doch nicht übel auslegen, wenn ich dann und wann etliche Tage mich auf jener grössern Insul bey guten Freunden aufhalte, jedoch öffters sehe, was ihr macht, das Commando dem ältesten Officier überlasse, und vor eure Verpflegung Sorge trage.

Ihr seyd, antwortete der stärckste unter ihnen, der beste Capitain von der Welt, thut, was euch gefällt, verschafft uns nur allhier gut Fressen und Sauffen, und hernach eine gute Fahrt, wobey wir noch was erwerben können. Die andern stimmeten diesen bey, und baten sich aus, man solte sie nur allhier auf dieser Insul bey ihrer Lust lassen, Boßheiten wolten sie nicht begehen.

Wohlan! weil ihr so redlich seyd, (redete ich zu ihnen) will ich euch auf instehenden Johannis-Tag vor mein particulier 3. Faß Wein herüber senden, ohne was andere thun werden. He Vivat! rieffen alle, und wurffen die Mützen in die Höhe.

Hierauf fiengen sie an, Gesundheiten zu trincken, auch die Hände wieder an ihren Hütten-Bau zu legen, weßwegen ich den Capitain Horn ein wenig auf die Seite zohe, und zu ihm sagte: Diese Leute sind von Natur weit raisonnabler, als wir uns eingebildet haben; wer hätte dergleichen Resolution in ihnen suchen sollen? Inzwischen kömmt sie recht a propòs, und gereicht zu meinem grösten Vergnügen, daß wir sogleich alle zusammen vor den Alt-Vater treten können. Horn gab hierauf zur Antwort: Es ist wahr, nun glaube ich dem Satze, daß das Geld, der[44] Wein, u. dann auch vornehmlich die Liebe die grösten Potentaten über das menschl. Geschlechte sind, denn mit den allergrösten Flatterien hätte ich diese Leute binnen 8. Tagen dahin nicht bringen können, (wenn sie gewust hätten, daß es mein ernstlicher Wille wäre,) wohin sie sich von freyen Stücken selbst gewendet.

Wir blieben also noch ein wenig bey ihnen, da es uns aber Zeit zu seyn dauchte, ruffte sie Capitain Horn nochmahls zusammen, und sprach: Nun so haltet denn euer Wort, seyd vernünfftig, folget euren 3. Vorgesetzten, macht euch eure Hütten und Feuer-Heerde bequem, denn zu Kochen und Braten werdet ihr genung kriegen, sorget vor nichts, und bleibet nur hier in Ruhe, wir aber wollen an Boord gehen, jedoch in wenig Tagen will ich euch wieder besuchen, und hören, wie ihr euch aufgeführet habt.

Sie waren alle wohl zufrieden, sonderlich wegen der vollen Fässer, begleiteten uns aber doch biß an das Ufer, allwo die Boote stunden, mit welchen die Felsenburger uns mit sammt den Europäern wieder aufs Schiff brachten, weil aber die Nacht vor der Hand war, wolten wir die Ancker nicht so gleich lichten, sondern verspareten solches biß zu anbrechenden Tage, höreten die gantze Nacht hindurch ein gewaltiges Freuden-Geschrey von unsern auf der Insul befindlichen Matrosen, welche sich allem Vermuthen nach das Geträncke ziemlich zu Nutz gemacht hatten, wir gönneten es ihnen aber sehr gern, wunden noch vor anbrechenden Tage die Ancker auf, und gelangeten ohngefähr um 9. Uhr in behöriger Weite[45] vor dem Eingange der Insul an, da wir denn die Ausladung des Schiffs den Felsenburgern überliessen, bey welchen Capitain Wolffgang und einige bereits eingesessene Europäer blieben, von dem itzt angekommenen aber stiegen folgende Personen durch das Nord-Gewölbe den Felsen hinauf:


1. Mein Vater, Franz Martin Julius.

2. Capitain Horn.

3. Herr Jacob Friedrich Schmeltzer.

4. Meine Schwester, Juliana Louise Juliin.

5. Herr Johann Friedrich Herrmann.

6. Mons. Richard van Blac.

7. Jungfer Anna Sibylla Krügerin.

8. Jungfer Susanna Dorothea Zornin.

9. Barbara Kuntzin, meiner Schwester Magd.

10. Johann Martin Rädler,

11. Christian Gebhard Ollwitz, 2. Buchbinder.

12. Valentin Schubard,

13. Jeremias Rudolph Kindler, 2. Glaßmacher.

14. Joh. Hildebrand Breitschuch, ein Seiffensieder.

15. Moritz Engelhart, ein Blechschmidt.

16. Victor Magnus Hollersdorff, ein Mahler.

17. Salomon Friedrich Besterlein, ein Sattler.

18. Carl Heinrich Trotzer, ein Zinn-Giesser.

19. Emanuel Siegfr. Langrogge,

20. Heinrich Gottfr. Hildebrand, 2. vortreffliche Musici.


Die 9. Sclaven des Capitain Horns musten gleichfals mit auf dem Schiffe bleiben, doch wolte sich Capitain Horn bey dem Alt-Vater ausbitten, daß sie nach völliger Ausladung desselben auf die Insul gelassen, und daselbsten getaufft würden,[46] weil sie, nach Herrn Schmeltzers und Herrn Herrmanns Versicherung, welche beyde dieselben unterwegs fleißig informirt, die Articul des Christlichen Glaubens sehr wohl inne, auch die gröste Lust hätten, sich tauffen zu lassen.

Es waren abermahls fast alle Einwohner der gantzen Insul beysammen, als wir an Land kamen, oben aber auf der Ebene war Herr Mag. Schmeltzer der erste unter den naturalisirten Felsenburgern, welcher uns entgegen kam, und fast vor Freude in Ohnmacht gesuncken wäre, als er seinen liebsten Bruder, meinen Vater und meine Schwester erkandte. Jedoch weil meine Beschreibung viel zu weitläufftig werden würde, wenn ich alle Reden, die allhier vorfielen, wiederholen wolte, will ich mich nur der Kürtze befleissen, und so viel sagen, daß wir abermahls recht in Procession die Albertus-Burg hinauf stiegen, mitlerweile aber unsere Gefährten unten in einem grossen Zimmer in etwas zu verweilen gebeten wurden, führete ich die ersten 5. Haupt-Personen erstlich allein zum Alt-Vater hinauf, unter welchen aber dieser niemanden kennete, als den Capitain Horn. Nachdem ich ihm nun gesagt, daß dieser Herrn Mag. Schmeltzers leiblicher Bruder, jener Herr Herrmann, ebenfalls ein Theologus, welche beyden ich in Europa zu Priestern weyhen lassen, das aber mein Vater und diese meine Schwester wäre, saß er eine lange Zeit als ein Lebloser, endlich aber erholte er sich wieder, umarmete und küssete uns alle, fragte hernach meinen Vater: Wisset und glaubet ihr auch, daß ich so ein naher Anverwandter von euch bin.[47] Ich habe es, mein Herr Vater! gab mein Vater zur Antwort, aus dem Munde dieses meines eintzigen Sohnes, Eberhard Julii, vernommen, und bin noch itzo unvermögend, die wunderbaren Führungen des Himmels gnungsam zu bewundern. Ich freue mich von Grund der Seelen, versetzte der Alt-Vater, euch alle insgesammt bey mir zu sehen, und daß ihr Zeugen meines vergnügten Wohlstandes seyn könnet, ihr werdet aber vielleicht auch Zeugen meines bald heran nahenden Endes seyn, denn da der Himmel nunmehro mein Bitten und Flehen in allen Stücken erhöret hat, wüste ich mir nichts weiter zu wünschen, als einen baldigen sanfft und seeligen Todt. Wir thaten hierüber sehr kläglich, ich aber sagte: wie daß ich den Himmel bitten wolte, ihn nur wenigstens so alt werden zu lassen, als Don Cyrillo de Valaro auf dieser Insul alt worden wäre. Nein, mein Sohn! versetzte er, das wünschet mir nicht, sondern viel lieber eine baldige Auflösung; Don Cyrillo hat viel Arbeit auf dieser Insul gethan, ich werde aber wohl nicht lügen, wenn ich sage, daß ich noch mehr gethan, und weit mehr Kummer und Sorgen ausgestanden habe als er; Derowegen fühle ich meine Mattigkeit wohl, und mercke, daß ich es nicht mehr lange machen werde, bin auch hertzlich damit zufrieden, indem mir vor meinem Ende alles nach Wunsche ergangen. Hierauf reichte er meinem Vater und meiner Schwester die Hände, und nöthigte sie, neben sich zu sitzen, uns andern wurden auch Stühle gesetzt, mitler weile aber der Alt-Vater mit meinem Vater von unsern[48] Vor-Eltern eine lange Unterredung gehalten, dieser letztere ihm auch erzählet, was er von ihnen wüste, und was er noch vor schrifftliche Urkunden, diese und jene Sachen betreffend, mit sich gebracht hätte, waren die Mittags-Stunden bereits vorbey, weßwegen die Mahlzeit aufgetragen wurde, wir 6. Angekommenen speiseten nebst Alberto II. und einigen andern grauen Häuptern an des Alt-Vaters Taffel, Herr Wodley aber, welcher sonsten täglich an des Alt-Vaters Taffel speisete, tractirte voritzo in dem untersten Zimmern die andern neuen Einkömmlinge, nebst denen, welche oben nicht Platz bekommen konten.

Unter den grauen Häuptern vermissete ich sonderlich den ehrlichen alten David, sonst Rauking genannt, welcher nur vor wenig Monaten gestorben, und fast 90. Jahr alt worden war, ich bedaurete diesen Mann sehr wegen seiner Erfahrenheit und Aufrichtigkeit. Sonsten waren die Aeltesten, so ich verlassen hatte, noch alle am Leben, in Davids-Raum aber war nunmehro des verstorbenen erstgebohrner 45. jähriger Sohn, Aeltester und Vorsteher worden.

Mein Vater, Schwester und die übrigen wunderten sich ungemein, wie appetitlich, sauber und ordentlich die Mahlzeit an- und eingerichtet war, ein jeder wurde von einem reinlichen 12. biß 14. jährigen Knaben bedienet, die Speisen waren sehr wohl, aber doch nicht wie in Europa zuweilen geschicht, so gar leckerhafft, oder wenn ich es recht sagen soll, täntelhafft zugerichtet. Hierbey[49] war ein wohlgebrautes Bier und ein schöner Felsenburger Wein unser Geträncke.

Weil der Alt-Vater mit meinem Vater beständig im Discurs begriffen war, welchem die andern eiffrig zuhöreten, gerieth ich ohngefähr in tieffe Gedancken, und muß nur gestehen, daß mich der Magnet zu meiner Cordula zohe, welche ich noch nicht gesehen, auch sie noch diesen Tag zu sehen nicht hoffen konte, weil sie ihrer Mutter, und der andern Aussage nach, schon seit vielen Wochen immer kräncklich gewesen wäre, und sich nicht wohl aus dem Hause wagen dürffte. Demnach war mir einiger massen verdrüßlich, daß ich aus Respect gegen den Alt-Vater und die Fremden heute nicht zu ihr reisen könte, sonsten hätte lieber Essen und Trincken entbähren wollen. Indem kam Mons. Litzberg ohnvermerckt, stöhrete mich in meinen tieffen Gedancken, und vermeynte, er wolle wohl errathen, was mich so tieffsinnig machte. Ich fragte: wie ihm zu Muthe gewesen, da er einsmahls verliebt gewesen wäre? Hierauf sagte er: Wartet ein klein wenig, mein Herr, ich muß mich eurer erbarmen, und euch ein Pflaster aufs Hertze holen. Hiermit ging er in ein Neben-Zimmer, und brachte mir meine Cordula heraus geführet, ich sprang gleich auf, und konte mich nicht enthalten, sie mit einem Kusse zu bewillkommen, weßwegen ihre blasse Farbe sich in eine Blut-rothe verwandelte. Sie wuste hernach die andern Fremden mit einer ungemein artigen Stellung, meine Schwester aber mit einem heissen Kusse zu bewillkommen, weßwegen mein Vater vor Freuden zu weinen anfieng,[50] und sagte: Wohl gewählt, mein Sohn, GOtt segne euch beyde. Meine Cordula wurde von den Alten Greisen fast gezwungen, sich an meine Seite zu setzen, ohngeacht wenig Platz vorhanden war, jedoch wir konten vor allzugrosser Freude wenig Worte zu Marckte bringen, ehe wir es uns aber versahen, fieng Monsieur Litzberg mit einigen Felsenburgischen Junggesellen und Knaben, die sich binnen der Zeit sehr starck in der Music geübt und gebessert hatten, im Neben-Zimmer an, ein schönes Concert zu spielen, und damit ich nichts vergesse, so hatte dieser redliche Freund, der ungemein viel Liebe gegen mich bezeigte, seinen Hirsch-Wagen angespannet, war damit nach Roberts-Raum gerennet, und hatte mit Bitten nicht abgelassen, biß sich meine Cordula resolviret, in seiner und Harkerts Gesellschafft nach der Albertus-Burg zu fahren.

Wir höreten dieser Instrumental- Music alle mit Vergnügen zu, bald hernach aber veränderte er die Instrumente, und sunge folgende


CANTATA.

Aria.

Willkommen, Hertz-geliebten Freunde!

Willkommen hier in Canaan!

Seyd tausend-tausendmahl willkommen!

Da ihr uns unsern Schmertz benommen;

Der Himmel sey davor gepriesen,

Der euch und uns diß Glück erwiesen,

Ja, seine Güte hats gethan.[51]

Willkommen, Hertz-geliebten Freunde!

Willkommen hier in Canaan.


Recit.

Bißhero stunden wir

Nur immer alle Morgen

Mit Kummer-vollen Sorgen

Und lauter Seuffzern auf,

Und legten uns des Abends wieder

Mit bangen Hertzen nieder.

Diß Lust-Revier,

So gar der Sonnen-Lauff,

War fast nicht mehr geschickt,

Uns die Vergnüglichkeit zu geben,

So Seele, Geist und Leben

Bißher erquickt.

Blieb einer bey dem andern stehn,

So war das erste Wort:

Wie mag es den Verreis'ten gehn?


Aria.

Weich zurück, betrübte Zeit!

Denn der Himmel lässt geschehen,

Daß wir nach der Bangigkeit

Uns frohlockend wieder sehen.

Nun ist unser Wunsch erfüllt,

Das Verlangen ist gestillt.

Nun verschwindet alles Leyd,

Weich zurück, betrübte Zeit!


Recit.

Es kommen Hertz und Hertzgen itzt

Aufs neue höchst-vergnügt zusammen,

Wo Amors-Pulver blitz,

Verrathen sich gar bald die Liebes-Flammen;[52]

Doch diese sind von reiner Art,

Weil gleich und gleich

Sich hier zusammen paart.

Der Himmel lasse nun,

Nachdem das Stürmen überstanden,

Ein jedes Liebes-Schiff vergnügend landen,

Und in dem Haafen sicher ruhn.


Aria.

Es müsse das Glücke und lauter Gedeyhen

Uns, die wir in Felsenburg wohnen, erfreuen,

Es lebe Albertus noch lange vergnügt.

Es leben die Freunde, die sonder Betrüben

Einander von Hertzen recht brüderlich lieben,

Und keiner den andern mit Falschheit betrügt.

Es wolle des Himmels höchst-gnädiges Walten

Die Insul in ruhigem Wesen erhalten,

So, wie er's bißhero nach Wunsche gefügt.

Es müsse das Glücke und lauter Gedeyhen

Uns, die wir in Felsenburg wohnen, erfreuen,

Es lebe Albertus noch lange vergnügt.


Ob nun schon Mons. Litzberg diese Verse in gröster Geschwindigkeit gemacht, und auch selbst in gröster Geschwindigkeit componiret hatte, so, daß es eben kein Meister-Stücke zu nennen war, gefielen sie unser aller Ohren, zumahl er selbige mit seiner artigen Tenor-Stimme vorbrachte, auch[53] sich auf einen besondern Instrumente selbst accompagnirte, dennoch dergestalt wohl, daß wir ihn nicht genung zu veneriren wusten, nachdem er aber noch einige andere Arien abgesungen, stunden wir von der Taffel auf, da denn vor allererst die übrigen Fremden dem Alt-Vater præsentirt wurden, sich mit ihm in ein kurtzes Gespräch einliessen, und darbey meldeten, was sie vor Professiones hätten, auf dieser Insul Nutzen zu stifften.

So bald der Alt-Vater mit allen durch die Banck fertig war, sprach er: Nun glaube ich selbst, daß meine Insul, Monsieur Litzbergs Ausspruche nach, ein vollkommen gelobtes Land werden wird, und es auch bleiben kan, wenn sich nur die Einwohner, mit der Zeit, nicht gleich den Kindern Israel die Lust-Seuche ankommen lassen. Herr Mag. Schmeltzer versetzte hierauf, daß noch zur Zeit nichts übles von ihnen zu vermuthen wäre, indem er seit der Zeit, als er da gewesen, sich angelegen seyn lassen, auch die Gemüther der kleinesten Kinder auszuforschen, doch bey niemanden grobe Laster oder übermäßige Boßheiten angetroffen, der Himmel würde ferner helffen, daß durch die gute Zucht der Eltern, Schul-Lehrer und Priester, allem besorglichen Ubel gesteuret würde. Das helffe der Himmel in jeder Familie, sagte hierzu der Alt-Vater.

Nachhero wurden die Neulinge wieder hinunter zum Caffeé genöthiget, Capitain Horn aber von dem Alt-Vater eben bey diesem Geträncke und einer Pfeiffe Toback ersucht, ihm eine ausführliche Erzählung von unserer Reise und Verrichtungen[54] zu thun. Wie nun dieser so gleich bereit darzu war, ich aber merckte, daß die Reihe nicht so bald an mich kommen würde, Horns Erzählung fortzuführen, gieng ich inzwischen mit meiner Braut, Schwester, Herrn Schmeltzern und Mons. Litzbergen in das Neben-Zimmer, truncken eine Kanne Caffeé alleine, und hielten unter uns ein besonderes vertrauliches Gespräch.

Mir war auf der Welt nichts angenehmer, als daß meine Cordula und meine Schwester in so kurtzer Zeit einander dergestalt lieb gewonnen hatten, daß sie sich nicht aus den Armen gelassen, und sich nicht satt geküsset, wenn Herr Schmeltzer und ich auf Zureden Mons. Litzbergs nicht Schieds-Männer worden wären, und dergleichen Zinsen der Liebe vor uns selbst eingefodert hätten. Bey dieser Gelegenheit compromittirten Hr. Schmeltzer und ich, daß wir uns mit nächsten, und zwar in einem Tage, copuliren lassen wolten. Bald darauf machte Monsieur Litzberg alle Thüren zu, dämpffte sein Instrument, welches fast wie aller Lauten Groß-Mutter, und dennoch nicht recht wie eine Laute aussahe, und machte uns damit eine charmante douçe Musique, zumahlen da 2. Knaben Wechsels-weise mit 2. Fleute Traversen sanffte darzu blasen musten. Diese Lust währete biß fast gegen Mitternacht, da endlich der Alt-Vater müde wurde, derowegen Bet-Stunde halten ließ, worauf sich ein jeder an seinen angewiesenen Ort zur Ruhe legte, Herr Wolffgang aber wolte nicht wieder kommen, sondern war diese Nacht auf dem Schiffe geblieben. Folgenden[55] Tages, da es Donnerstag, und zugleich Kirch-Tag war, gingen wir, nachdem wir den Thée mit dem Alt-Vater getruncken hatten, herunter in die Kirche, der Alt-Vater aber wurde von zweyen starcken Insulanern, in einer wohl gemachten Sänffte sitzend, herunter getragen. Es war aus allen Stämmen sehr viel Volck in der Kirche, den neu angekommenen Europäern wurden die besten Stellen angewiesen, Capitain Horn aber, Hr. Schmeltzer, Hr. Herrmann, mein Vater und ich wurden mit auf die Empor-Kirche geführet, da der Alt-Vater und übrigen Stamm-Väter ihre Sitze halten. Ich verwunderte mich sehr, daß nicht allein die Orgel vollkommen fertig, mit vielen Zierrathen von Bildhauer-Arbeit ausgeschmückt, sondern auch durch Lademannen und seine Lehrlinge überall in der Kirche die sauberste und künstlichste Tischer-Arbeit angebracht war, daß also an den äuserlichen Zierrathen gar nichts mehr fehlete, als das Mahlen und Vergulden, zu welchem Ende ich denn eine gewaltige Quantität von allerley Farben, geschlagen Blätgens Gold, Silber und Metall, auch nur fast dieserwegen allein einen eigenen recht künstlichen Mahler mitgenommen hatte.

Herr Mag. Schmeltzer hielt eine vortreffliche Predigt, und hatte zum Texte die 9. Versicul aus dem 107. Psalm, die also lauten:


»Dancket dem HErrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Saget, die ihr erlöset seyd durch den HErrn, die er aus der Noth gerissen hat. Und die er aus den Ländern zusammen[56] bracht hat, vom Aufgang, vom Niedergang, von Mitternacht und vom Meer. Die irre giengen in der Wüsten und ungebähntem Wege, und funden keine Stadt, da sie wohnen konten. Hungrig und durstig, und ihre Seele verschmachtet. Und sie zum HErrn rieffen in ihrer Noth, und er sie errettete aus ihren Aengsten. Und führete sie einen richtigen Weg, daß sie giengen zur Stadt, daß sie wohnen konten. Die sollen dem HErrn dancken um seine Güte und um seine Wunder, die er an den Menschen-Kindern thut. Daß er sättiget die durstige Seele, und füllet die hungrige Seele mit Gutem.«


So wohl als dieser Text ausgesucht, so vortrefflich war dessen Explication und Application nicht nur auf uns Einkömmlinge, sondern auch auf die eingebohrnen Felsenburger. Ich glaube, ein jeder hätte gern 3. oder mehr Stunden zugehöret, allein, Herr Mag. Schmeltzer hatte sich angewöhnet, die Wochen-Predigten nicht über eine Stunde zu halten. Mein Vater weinete fast die gantze Predigt über, und sagte mir ins Ohr: Nun mercke ich erstlich, daß ich bißher kein rechter Christe gewesen bin, sondern mein Hertz mehr an die Erde, als an den Himmel gehangen habe. Nach geendigten GOttes-Dienste kam mir van Blac unten an der Treppe entgegen, und sagte: O GOtt! was war das vor eine treffliche Predigt, ich habe mich zwar bißhero zur Reformirten Religion bekennet, muß aber gestehen, daß ich seit[57] langer Zeit selbst nicht gewust, was ich geglaubt habe. Von nun an will ich die Herrn Geistlichen bitten, daß sie mich Lutherisch machen. Der Himmel segne euer gutes Vorhaben, war meine Antwort, denn es ist nichts bessers im Gewissen, als wenn man in seinem Glauben recht gegründet ist.

Hierauf weil ich angemerckt, daß die Einwohner ihren Kirch-Thurm binnen Zeit meines Abwesens um ein merckliches erhöhet, ließ ich mir die Lust ankommen, in selbigen hinauf zu steigen, und fand darinnen 4. schöne Glocken, deren Thone ungemein wohl mit einander accordirten, sie waren meistens von Silber biß auf die allergröste, die nur bey hohen Festen geläutet wurde. Ferner betraten wir das Orgel-Chor, da ich denn das gantze Werck so wohl gemacht befand, daß mich ungemein darüber verwunderte, denn wegen der Register, war die Disposition folgende:


1. Principal 4. Fuß.

2. Quinta dena 8. Fuß

3. Grob-Gedackt8. Fuß

4. Spitz-Flöte4. Fuß

5. Klein-Gedackt4. Fuß

6. Quinta3. Fuß

7. Octava2. Fuß

8. Ditonus13/5. Fuß

9. Sesquialtera2. fach.

10. Mixtura3. fach.

11. Trompeta8. Fuß.


Pedal.

[58] 1. Sub-Bass16. Fuß.

2. Octaven-Bass8. Fuß

3. Quinten-Bass6. Fuß

4. Choral-Flöte2. Fuß

5. Posaunen-Bass16. Fuß.


Das Clavier war von C biß Wunderliche Fata Einiger See-Fahrer. Dritter Theil und das Pedal von C biß Wunderliche Fata Einiger See-Fahrer. Dritter Theil die 2. Bälge aber jeder 9. Schu lang und 5. Schu breit. Es war ein ungemein schönes Werckgen, sehr viele Pfeiffen von puren Silber, die übrigen aber theils von Zinn, Metall oder Holtz, welches mir, da ich es probirte, viel Vergnügen erweckte, auch mir vornahm, selbst öffters Organist zu seyn, wiewohl von den Felsenburgern schon 3. Knaben sich binnen der Zeit so starck angegriffen hatten, daß sie nicht allein alle Chorale, sondern auch den General-Bass fertig spielen konten. Hr. Schmeltzer, Hr. Herrmann, und die mitgebrachten 2. Musici machten auch ihre Probe auf der Orgel, und spieleten sehr feyn. Hierauf sagte ich, es solte meine erste Sorge seyn, daß der Altar, Cantzel und Tauff-Stein, so dann aber die Orgel sauber gemahlt und verguldet würden, worauf wir uns sämmtlich wieder auf die Albertus-Burg begaben, indem es Zeit zur Mittags-Mahlzeit war.

So bald dieselbe eingenommen, machten wir uns eine kleine Motion, da mir denn Mons. Litzberg zeigte, wie fleißig die Einwohner gewesen waren, indem sie nicht allein unter der Zeit hinter[59] der Albertus-Burg das grosse Magazin oder Korn-Hauß, wohinein die überflüßigen Früchte geschüttet wurden, völlig auf-sondern auch noch einen grossen Flügel an des Alt-Vaters Wohn-Hauß angebauet hatten, so, daß nunmehro fast noch einmahl so viel Menschen in den reinlich zugerichteten Stuben und Cammern wohnen konten, als vorhero. Die übrige Zeit des Tages, brachten wir, die Haupt-Personen bey dem Alt-Vater mit Erzählung alles dessen zu, was sich sowohl auf der Reise als in Europa zugetragen, wie wir unsere Sachen eingerichtet, auch was wir eigentlich vor Waaren eingekaufft und mit anhero gebracht hätten. Da ich ihm denn so wohl als Mons. Horn eine Specification derselben, ingleichen eine Berechnung über die mitbekommenen Geld-Summen und Kostbarkeiten überreichte. Das letztere, sagte er, mein Sohn, ist nicht nöthig, was ihr nicht habt anlegen können, werdet ihr schon an gehörigen Ort und Stelle zu bringen wissen; Wir wollen so genau nicht mit einander rechnen, ich will nur aus Neugierigkeit nachsehen, was ihr uns guts mitgebracht habt. Er bezeugte über die meisten Sachen, so auf diese Insul noch nicht gekommen, aber doch sehr nutzbar waren, eine besondere Freude; allein, da er auch in der Specification ein paar Paucken, 6. Trompeten und sonsten sehr viel Musicalische Instrumenta antraf, schüttelte er den Kopff, und sagte: Ey, diese Eitelkeiten hätten wir missen können; da ich aber zur Antwort gab: daß ich dieselben Hauptsächlich zu GOttes Ehren bey der Kirchen-Music zu gebrauchen, mitgenommen,[60] indem ja David sagte: daß man den HErrn mit Paucken und allerhand Instrumenten loben solte; neigte er sein Haupt, und sprach: Ihr habt wohl gethan, mein Sohn. Unsere übrigen mitgebrachten Lands-Leute waren inzwischen spaziren gegangen, kamen auch nicht eher als mit dem Abende wieder, da wir denn die Mahlzeit einnahmen, und bald zur Ruhe legten, und folgenden Freytags früh die kurtze Reise an die See zu Herrn Wolffgangen antraten, welcher noch immer beschäfftiget war, die Sachen aus dem Schiffe hinauf bringen zu lassen. Es waren demnach nicht nur unsere mitgebrachten jungen Zucht-Pferde, Stücken Rind- und ander vierfüßig Vieh, nebst dem Geflügel bereits, theils nach Alberts-theils nach Simons-Raum geschafft, sondern auch schon ziemliche Lasten in die Höhe gewunden worden. Wir hatten kalte Küche mit genommen, um diesen Mittag am Fusse des Felsens mit Herrn Wolffgangen zu speisen, fanden es aber bey ihm besser, indem er schöne Fische absieden, auch zweyerley Fleisch braten und kochen lassen, darneben einen guten Vorrath von Wein und Bier holen lassen, indem er vor Morgen, als Sonnabends-Abends, nicht gesonnen war, nach Hause zu kehren, um Sontags den Gottes-Dienst abzuwarten, Montags aber gleich wieder heraus zu gehen, damit wir auf die folgende Woche wenigstens alles auf der Insul und nichts mehr auf dem Schiffe hätten. Es war eine Lust anzusehen, wie fleißig die Felsenburger arbeiteten, ja sie waren so gefällig, des Capitain Horns Sclaven nicht einmahl zu erlauben, daß sie[61] eine Hand anschlagen durfften, sondern sie solten mit aller Gewalt von der bißherigen Reise ausruhen, und sich was zu Gute thun. Also hieß es hier wohl recht: Viel Hände machen bald der Arbeit Ende. Wir vergnügten uns nebst Herrn Wolffgangen sehr darüber, denn die Sclaven waren in Wahrheit sehr getreue Leute, und hatten unterwegs ungemein gute Dienste gethan. Etwa ein paar Stunden vor Untergang der Sonnen begaben wir uns wieder auf den Rück-Weg zur Alberts-Burg, allwo wir noch eben zur Abend-Mahlzeit eintraffen, nachhero uns abermahls Müdigkeit wegen zeitig zur Ruhe legten. Des folgenden Tages aber, da der jüngere Herr Schmeltzer und Herr Herrmann auf ihre Predigten studiren wolten, indem der erste Morgen Vor- und der andere Nachmittags ihre Probe abzulegen von dem ältern Herrn Mag. Schmeltzern erinnert waren, dieser aber selbsten Beichte sitzen muste, nahm ich mit meiner Braut, Schwester, den übrigen Mitgebrachten und andern guten Freunden einen Spazier-Gang durch den grossen Garten nach dem GOttes-Acker oder Begräbniß-Platze der Felsenburger vor, und besahen daselbst die Gedächtniß-Säulen und Epitaphia. Indem ich nun begierig war zu sehen, was vor Personen seit meiner Abreise verstorben, mich also zu den neuen Gräbern machte, und die Epitaphia derselben mit Fleiß betrachte, gehen die andern zu den grossen Gedächtniß-Säulen, und lesen deren Inscriptiones. Ehe ich michs versahe, entstunde bey des seeligen Carl Franz van Leuvens Gedächtniß-Säule ein[62] kleiner Tumult, weßwegen ich eiligst dahin lief, und sahe, daß Mons. van Blac vor derselbigen stunde, immer in die Hände schlug, und ausrief: O! welch ein Verhängniß! O! welch ein Schicksal! Er repetirte diese Worte mehr als 20. mahl, weßwegen ich, da die andern stille stunden, und nicht wusten, was ihn etwa angefochten hätte, endlich zu ihm trat und sagte: Mein Herr! warum wolt ihr euch diese Sache, die vor so langen Jahren passirt ist, so gar sehr zu Gemüthe ziehen? Es ist zwar eine Geschicht, die einem jeden rechtschaffenen Menschen zum Jammer bewegen kan, allein nunmehro doch nicht zu ändern. Ach, Mein Herr! antwortete van Blac, ich sage noch einmahl, O! welch ein Verhängniß, O! welch ein Schicksal! glaubet ihr denn wohl, daß dieser Carl Franz van Leuven, der die Concordia Plürs aus Engelland entführt hat, meiner Mutter ihres Groß-Vaters leiblicher und jüngster Bruder gewesen ist? Denn meine Mutter ist eine gebohrne van Leuven gewesen, und ich weiß von des Franzens Historie gar viel, unsere Vorfahren aber haben vermeynet, daß er mit seiner Concordia im Meer ersoffen wäre. Ich sahe hierauf den van Blac mit Verwunderungs-vollen Augen an, er aber sprach: Mein Herr! ich will so lange nichts weiter von dieser gantzen Sache melden, biß ich mein Felleisen, so in eine eurer Kisten gepackt ist, vom Schiffe bekomme, dann will ich euch mein Geschlechts-Register und einige dabey aufgezeichnete Geschichte zeigen, so werdet ihr sehen, daß ich nicht lüge, weil mir meine Beräuber und Mord-Buben doch diesen[63] Schatz nicht haben mit hinweg nehmen können. Mein Herr! versetzte ich, zu euren Worten habe ich ein starckes Vertrauen, dasselbe aber wird allerdings noch weit stärcker werden, wenn ihr deßfalls einige schrifftliche Urkunden aufzeigen könnet, allein diese Begebenheit ist würdig, daß wir so gleich zurücke kehren, und selbige dem Alt-Vater erzählen. Er war damit zufrieden, bath sich al er nur aus, erstlich noch die Schrifften an den andern drey Gedächtniß-Säulen zu lesen, wobey er denn immer in die Hände schlug, und die Worte: O Verhängniß! O Schicksal! wohl 50. mahl wiederholete. Hierauf giengen wir sämmtlich zurück nach des Alt-Vaters Zimmer, bey welchem die Capitains Horn und Wadley allein waren, und denselben mit Gesprächen unterhielten. Ich führete den van Blac an der Hand hinein, und sagte: Liebster Herr und Vater, es hat sich abermahls eine Wunder-Geschicht auf dieser Insul zugetragen, dieser Mann muß ohnstreitig zu unsern Geschlechte gerechnet werden, denn seiner Mutter Groß-Vater ist ein leiblicher Bruder von dem allhier jämmerlich ermordeten Carl Franz van Leuven gewesen, und er sagt, daß er dieserwegen schrifftliche Zeugnisse in seinem Felleisen, welches noch auf dem Schiffe verwahret ist, bey sich habe. Der Alt-Vater schlug die Hände zusammen und sagte: Solte dieses wohl möglich seyn können? Ja! gebiethender Herr, sprach van Blac, es ist möglich und wahrhafftig, und wenn ich es nicht vollkommen erweißlich mache, will ich mich zu dieser Insul hinaus stäupen, oder gar in die See stürtzen[64] lassen. So strenge Gerichte, versetzte der Alt- Vater, haben wir hier nicht, allein, wie weit könnet ihr euer Geschlecht von mütterlicher Seite herrechnen? So wohl von väterlicher als mütterlicher Seite über 300. Jahr, welches ich, wie gesagt, mit alten Schrifften beweisen will. Habt ihr wohl, fragte der Alt-Vater, von einem Anton Florentin von Leuven gehöret? Ja wohl! anwortete van Blac, dieser ist ein berühmter Obrister in den alten Kriegen unter den Trouppen der vereinigten Niederländer gewesen, es ist ihm aber mit einer Stück-Kugel der rechte Arm abgeschossen worden, derowegen begiebt er sich nach Antwerpen, um in Ruhe zu leben, und seine Gelder zu verkehren. Er hat 2. Töchter und 4. Söhne gehabt, der erste hat geheissen Anton Florentin, wie der Vater, er ist in einer Schlacht geblieben; der andere, Jan Adrian, der, nachdem er auf einem Kriegs-Schiffe, welches in die Lufft gesprengt worden, kaum sein Leben und nichts mehr errettet, so dann nach Hause gegangen, und ebenfalls die Ruhe gesucht. Dieses ist meiner Mutter Groß-Vater gewesen. Der dritte Sohn, hat, wo mir recht ist, Richard Severin geheissen, ist auch ein grosser Kriegs-Officier gewesen, jedoch endlich so übel zugerichtet worden, daß er niemahls heyrathen können. Der vierte Sohn endlich ist der auf dieser Insul verunglückte Carl Franz gewesen, der vorhero die Concordia Plürs aus Engelland entführet hat, deren Geschlecht bis dato daselbst annoch in sehr gutem Stande ist, denn ich habe die Ehre gehabt, mit vielen von ihnen umzugehen, und von eben dieser Historie[65] mit ihnen zu sprechen, kan aber versichern, daß die Vor-Eltern nicht anders geglaubt, als daß Carl Franz, Concordia, ihr mitgereiseter Bruder und alle andern Menschen, sammt dem Schiffe untergegangen wären, weiln nachhero niemand weiter etwas von ihnen erfahren können.

Der Alt-Vater reichte dem van Blac die Hand, und sagte: ich habe die gröste Ursach, euch in allen völligen Glauben zuzustellen, denn die Nahmen und Umstände haben in so weit ihre Richtigkeit, da ich nun die Asche meines seeligen Vorwirths, Carl Franz van Leuven, annoch in ihrer Grufft verehre, und ihr solchergestalt ein Anverwandter von ihm seyd, will ich euch versichern, daß ihr meinen Befreundten und Abstammlingen gleich gehalten werden sollet, damit ihr aber doch sehen möget, woher ich weiß, daß eure Reden eintreffen, so will ich euch ein Buch zeigen, welches der selige Carl Franz van Leuven mit eigener Hand geschrieben, und worinnen nicht allein sein gantzes Geschlechts-Register, sondern auch viel andere besondere Umstände, und endlich, sein fast biß an seinen Todes-Tag fortgeführtes Diarium anzutreffen ist. Hiermit öffnete der Alt-Vater seinen Bücher-Schranck, und langete ein geschriebenes Buch heraus, blätterte erstlich ein wenig darinnen herum, und sagte endlich: Ja, es ist wahr, die Nahmen treffen zu, jedoch die Nahmen der beyden Schwestern habt ihr nicht gemeldet, ich will sie euch sagen: Die erste hat geheissen: Antonia Salome, die andere aber Esther Benigna. Ich glaube, daß es so seyn wird, mein Herr, replicirte [66] van Blac, allein, ich kan aus dem Kopffe nicht alles so ordentlich hersagen, sondern muß erstlich meine Schrifften darzu nehmen. Auf dieses überreichte ihm der Alt-Vater das Buch, und sagte: Da sehet ihr die eigene Handschrifft des jüngsten Bruders eures Groß-Groß-Vaters, worüber van Blac sich theils erfreuete, theils betrübete, etliche Seiten darinnen überlase, und es bald wieder zurück gab, sich aber ausbath, ihm zu erlauben, selbiges gantz durch zu lesen, wenn er erstlich seine alten Urkunden dabey legen könte. Der Alt-Vater versprach, ihm solches zu erlauben, doch würde er sich so dann auch gefallen lassen, ihm seine väterlichen und selbst eigenen Geschichten zu erzehlen, welches denn van Blac gantz willig und offenhertzig zu thun angelobte.

Unter diesen Gesprächen war der Abend heran gerückt, Herr Wolffgang kam vom Schiffe zurücke, und berichtete, daß diesen Tag abermahls ziemliche Lasten herauf gebracht wären, so, daß nicht zu zweiffeln, es würde vor Ende der zukünfftigen Woche alles gut auf der Insul stehen. Die übrigen stelleten sich auch ein, derowegen wurde bald nach der Abend- Mahlzeit Betstunde gehalten, und wir legten uns sogleich zur Ruhe, um morgenden Sonntag den Gottes-Dienst desto munterer abzuwarten.

Nachdem nun abermahls die Nacht dem Tage gewichen, wurden die Einwohner der Insul durch einen Canonen-Schuß von dem Albertus-Hügel aufgeweckt, und ihnen hiermit das Zeichen gegeben, daß sie sich bald auf den Kirch-Weg begeben solten,[67] hierauf wurde um 7. Uhr mit der 2ten grossen Glocke, um halb 8. Uhr, abermahls mit derselben, und sobald der Seiger auf der Albertus-Burg 8. schlug, mit 3en Glocken eingeläutet. Die gantze Einrichtung des Gottes-Dienstes kam mit derjenigen überein, welche die Evangelische Lutherischen zu observiren pflegen, wie denn auch vor und nach der Predigt musiciret wurde. Die Predigt legte schon gedachtermassen, Herr Schmeltzer jun. ungemein geschickt und erbaulich ab, seine Proposition bestund in den zweyen Worten: Himmel und Hölle; denn es war eben der I. post Trinitatis, und also das Evangelium: vom reichen Manne etc. er wuste die Hölle dergestalt erschröcklich, hergegen den Himmel so lieblich vorzubilden, auch zu zeigen, wie man den Weg zum Himmel finden, den Höllen-Weg aber vermeiden könne, daß ihn jederman mit der grösten Attention zuhörete, zumahlen da er eine angenehme und fast noch stärckere Aussprache hatte, als sein älterer Herr Bruder. Nachmittags that Herr Herrmann eine nicht weniger schöne Predigt über die ordentliche Sonntags-Epistel, und stellete vor: Die glückselige Vereinigung mit GOtt, durch das Band der Liebe. Es war dieses in Wahrheit auch ein recht beliebter Prediger, der sehr schöne Studia, eine etwas schwache, aber desto lieblichere Aussprache hatte, derowegen schätzten wir uns alle recht glücklich, 3. solche wackere und ansehnliche Seelsorger zu haben.

Nach der Kirche ließ Herr Mag. Schmeltzer, welcher dieserwegen schon mit dem Alt-Vater[68] Abrede genommen hatte, die Aeltesten und Vorsteher der Gemeinden bitten, mit auf die Albertus-Burg zu kommen, weil man ihnen etwas besonders vorzutragen hätte; Da nun diese Folge leisteten, eröffnete ihnen Herr Mag. Schmeltzer, wie auf künfftigen 25ten Tag dieses Monahts, nehmlich den Tag nach Johannis, in Europa von allen Evangelisch-Lutherischen Glaubens-Bekennern ein besonderes hohes Fest oder Jubilæum celebrirt werden würde, weil eben an demselben Tage vor nunmehro 200. Jahren, das Evangelische Lutherische Glaubens-Bekänntniß dem Römischen Kayser Carolo V. zu Augspurg übergeben, mithin der Grund gelegt worden, daß die reine Lehre, welche von einigen seit undencklichen Zeiten her mit vielen Irrthümern vermischt gewesen, wieder an theils Orten in Europa frey und öffentlich, nach Anweisung des Göttlichen Worts, gepredigt werden dürffen, auch den gemeinsten Leuten wieder erlaubt worden, die heilige Bibel zu lesen, welches bißhero verbothen gewesen, etc. etc.

Demnach schiene nicht nur sehr nützlich, sondern auch unsere Schuld und Pflicht zu seyn, daß wir Felsenburger uns der Freude und Vergnügens über die besondere Gnade GOttes, so er auch uns durch seinen auserwehlten Rüst-Zeug, den seel. Lutherum erwiesen, theilhafftig machen, GOtt zu Ehren und zum Heyl unserer Seelen den 25. 26. und 27ten Junii, als 3. hohe Fest-Tage, so wir Weyhnachten, Ostern und Pfingsten, mithin dieses Jubilæum auf die Art celebrirten, wie es, besage[69] der Kirchen-Historie, die Evangelisch-Lutherischen vor 100. Jahren in Europa celebrirt hätten.

Die Vorsteher der Gemeinden höreten diesen Vortrag mit grösten Vergnügen an, und versprachen alles, was von ihnen erfordert würde, schleunigst zu veranstalten, man solte nur so gütig seyn, und ihnen schrifftliche Verordnungen geben, damit sich die Stämme, einer wie der andere, darnach richten könten. Herr Mag. Schmeltzer versprach, solche Verordnung folgenden Dienstags Vormittags einem jeden Vorsteher schrifftlich zuzuschicken, ermahnete anbey, daß sich die Einwohner fleißig in den Donnerstägigen Wochen-Predigten einstellen möchten, weil ihnen in selbigen die gantze Reformations-Historie vorgelesen und erkläret werden solte. Hierauf begab sich ein jeder wohl vergnügt an seinen behörigen Ort.

Folgenden Montags wurde ein Boot zugerichtet, auf welchen nicht allein viel Brod, Bier, Wein, Wildpret, Ziegen-Fleisch, nebst noch anderen Victualien, sondern auch viel weisses Zeug nebst andern Kleidungs-Stücken und Geräthe, nach Klein-Felsenburg zu Verpflegung der Matrosen hinüber geführet wurde, es fuhr auch Herr Herrmann nebst etlichen, schon vor einigen Jahren naturalisirten Europäern mit hinüber, welche letztern nur dieses Schiffs-Volck zu sehen, Herr Herrmann aber deßwegen hinüber fuhr, ihnen eine Predigt zu halten, und etliche geistliche Lieder vorzusingen. Capitain Horn reisete gleichfals mit, um zu erfahren, wie sie sich bißhero aufgeführet hätten. Ich nebst dem Capitain Wadley war inzwischen beschäfftiget,[70] Anstalten zu machen, daß unsere bereits auf der Insul befindlichen Sachen, mit Roll-Wagens auf die Albertus-Burg geschafft würden, als worzu sich denn nicht allein die Affen, zahm gemachten Hirsche und Pferde, sondern auch die Menschen gebrauchen liessen.

Mittwochs, Nachmittags, kam Capitain Horn auf dem Boote nebst allen mitgeseegelten glücklich zurück, und berichtete, daß sich die Matrosen, der Officiers Rapport nach, sehr vernünfftig aufgeführet, die Zeit mit Jagen und anderer Hand-Arbeit, zuweilen auch mit allerley Lust-Spielen zugebracht, jedoch nicht den geringsten Streit erregt hätten. Bey Hn. Herrmanns Predigt, Beten und Singen, wären sie sehr andächtig gewesen, auch hätten einige Evangelisch-Lutherische unter ihnen verlangt, daß ihnen doch mit nächsten das Heil. Abendmahl gereicht werden möchte. Ubrigens wäre keiner unter ihnen gewesen, welcher einiges Mißvergnügen darüber bezeigt, daß man sie nicht mit auf die grosse Insul genommen. Wir waren hierüber sehr vergnügt, merckten aber wohl, daß dieses lauter Früchte waren von Capitain Horns kluger Conduite; denn er war würcklich ein Mann, der die Schifffahrt wohl verstunde, und sich zu einem Commandeur am allerbesten schickte, indem er ungemein gütig, wohlthätig und leutselig war, aber doch, wenn es die Noth erforderte, seine Autorität gewaltig zeigte, dieselbe zwar nicht mißbrauchte, seinen Respect indessen niemahls vergab.

Donnerstags, den 15. Junii, fanden sich fast alle[71] auf der Insul wohnende Menschen in Herrn Mag. Schmeltzers Wochen-Predigt ein, ja es wurde auch so gar des Capitain Horns 9. Sclaven erlaubt, das Schiff zu verlassen, und dem GOttes-Dienste mit beyzuwohnen, welche sich denn sehr aufmercksam bezeigten. Herr Mag. Schmeltzer trug erstlich vor, daß wir den Tag nach Johannis-Tage, 3. Tage nach einander, ein besonderes hohes Fest feyern wolten, meldete hierauf kürtzlich: aus was vor Ursachen, und zu was vor Nutzen; nachhero fieng er an, den ersten Absatz der Evangelisch-Lutherischen Reformations-Historie zu verlesen, und erklärete denselben dergestalt, daß es auch das kleineste Kind fast hätte begreiffen können, ob nun gleich diese Predigt über 3. Stunden lang währete, so ließ doch fast jede Person an ihren Gebärden spüren, daß sie wohl noch 3. Stunden zugehöret hätte.

Nachhero ging ein jedes wieder an seine Arbeit, Capitain Horn wurde gebeten, dem Alt-Vater die Zeit zu passiren, Wadley aber und ich begaben uns mit Mons. Kramern nach Alberts-Raum, nahmen erstlich die Mittags-Mahlzeit bey ihm ein, und besorgten hernach die weitere Fortschaffung unserer Sachen nach der Alberts-Burg, nahmen folgende Nächte unser Quartier bey demselben, und brachten Sonnabends Abends, bey eingetretener Nacht, auch die schlechtesten und geringsten Sachen an ihren gehörigen Ort und Stelle. Am 2ten Sonntage post Trin. predigte Vormittags Hr. Mag. Schmeltzer über das ordentliche Evangelium, Nachmittags verlaß Hr. Schmeltzer jun.[72] den andern Absatz von der Reformations-Historie, und erklärete denselben so deutlich, als sein Hr. Bruder vorigen Donnerstag gethan.

Folgende Werckel-Tage brachten wir mit Auspackung unserer nothbedürfftigsten Sachen zu, die Herrn Geistlichen und andere aber besorgten ein jeder das Seine.

Donnerstags verlaß Hr. Herrmann den dritten Absatz von der Reformations-Historie, und folgte in der Art, dieselbe zu erklären, seinen Vorgängern. Diesen Tag, nach vollbrachtem Gottes-Dienste, und denn den folgenden, wendeten wir gleichfalls zum Auspacken unserer nöthigsten Sachen an, der Sonnabend aber wurde darzu angewendet, sich auf das Johannis-Fest und Jubilæum zu præpariren, wie denn auch Nachmittags ein Collegium Musicum auf dem grossen Saale des Hinter-Gebäudes angestellet wurde, um die Kirchen-Stücke zu probiren, worzu die Herren Geistlichen die Texte gemacht, theils Hr. Mag. Schmeltzer, theils Mons. Litzberg, theils aber einer von unsern neuen mitgebrachten Musicis, dieselben componiret hatten.

Am St. Johannis-Tage predigte Hr. Schmeltzer jun. Vormittags über das Fest-Evangelium, und Nachmittags verlaß Herr Herrmann den 4ten und letzten Theil der Reformations-Historie, erklärete dieselbe, und schloß mit der Vermahnung, dieses seltsame Fest, welches die allermeisten unter uns, wohl nicht wieder erleben würden, nicht mit gleichgültigen Augen anzusehen, sondern dessen Ursach und Nutzen wohl zu Hertzen zu fassen.[73]

Nach verrichteten Gottes-Dienst hielt Herr Mag. Schmeltzer abermahls Conferenz bey dem Alt-Vater mit den Vorstehern der Gemeinden, und erfuhr von ihnen, daß nach seiner Vorschrifft alles nach Vermögen eingerichtet wäre, weilen aber wegen der jungen mitkommenden Kinder, die nicht so hurtig gehen konten, auch anderer Ursachen wegen, schon vorhero beschlossen worden, den ersten Jubel-Tag nur einmahl Kirche zu halten, als wurde ihnen angesagt, nicht ehe aus ihren Häusern nach der Kirche zu gehen, als wenn die Canonen zum andern mahle abgefeuert würden. Hiernach versprachen sie sich zu richten, reiseten eiligst nach ihren Wohnungen, und wir hielten uns gleichfalls nicht lange auf, sondern suchten mit einbrechender Nacht unsere Ruhe-Stellen.

So bald der Himmel zu grauen anfing, stund ich auf, kleidete mich an, sahe erstlich nach dem Alt-Vater, und da ich merckte, daß derselbe schon aufgewacht war, sagte ich: Lieber Vater! wo es euch gefällig, will ich, da es nunmehro Tag wird, das erste Signal mit den Canonen geben lassen. Ja! mein Sohn, gab er zur Antwort, thuet es, denn ich kan ohnedem nicht mehr schlaffen, werde aber doch noch ein paar Stündgen liegen bleiben, besorget nur inzwischen alles wohl. Ich küssete ihn, gieng hierauf fort, und fand die Bestellten schon in Parade stehen, mit welchen ich hinging, und die, dieses Fests wegen, auf die Albertus-Burg gepflantzten 18. Canonen zum ersten mahle abfeurete. Mittlerweile hatten sich unsere 2. neu mitgebrachten Musicanten, nebst [74] Mons. Litzbergen, Harckerten und Matthæus Pür, welchen Capitain Horn schon vormahls als Kupfferschmidt auf diese Insul gebracht, oben auf den Seiger-Thurm geschlichen, und fingen mit Trompeten und Paucken gewaltig an zu lermen, welches, weil es mir selbst unverhofft kam, mich um so viel desto mehr entzückte, es schlug aber der Kupfferschmidt Pür die Paucken vortrefflich gut, denn er hatte diese Kunst so gar nach Noten gelernet, die 4. erstgemeldten aber bliesen die Trompeten auch sehr wohl, ohngeacht Litzberg und Harckert lange nicht im Exercitio gewesen waren.

Etwa eine Stunde darnach ließ ich die Canonen zum andern mahle abfeuern, worauf sich denn wiederum Trompeten und Paucken binnen einer Stunde 3. mahl hören liessen. Endlich da wir sahen, daß die Einwohner von allen Strassen her, immer näher und näher angezogen kamen, wurden die Stücke zum dritten mahle gelöset; Trompeten und Paucken liessen sich wieder hören, biß sich alles Volck vor der Albertus-Burg versammlet hatte, da denn endlich die Melodey des Chorals: Es woll uns GOtt genädig seyn etc. etc. als welcher unsers Alt-Vaters täglicher Gesang war, 3. mahl mit Zincken und Posaunen abgeblasen, nachhero mit allen Glocken zu läuten angefangen, und damit eine gantze Stunde lang continuirt wurde. Binnen der Zeit war alles in Ordnung gebracht, und der Zug von der Albertus-Burg also eingerichtet: Erstlich giengen die Kinder von 3. 4. biß 14. Jahren, alle über ihre ordentliche Kleidung mit weissen Hembden, die fast biß auf die[75] Erde reichten, angethan, grüne Cräntze auf den Häuptern, und grüne Zweige in den Händen habend, voran; sie waren von ihren Schulmeisters nicht nur in Ordnung gestellet, sondern wurden auch darinnen erhalten; hernach folgten die Jungfrauen mit Cräntzen, ebenfalls in weissen Habit; auf diese die 3. Herren Geistlichen, denen der Alt-Vater in der Sänffte nachgetragen wurde. Hinter derselben her, giengen erstlich die sämmtlichen Felsenburgischen Jung-Gesellen, alle in rother Kleidung, diesen folgten die Weiber und Wittben, alle schwartz gekleidet, hernach kamen die sämmtlichen Europäischen Einkömmlinge; und den gantzen Zug beschlossen die Felsenburgischen Männer, in solcher Ordnung, daß jede Familie von ihrem Aeltesten oder Vorsteher, der voran gieng, geführet wurde.

Im Heruntergehen wurden die Lieder gesungen: Nun freut euch lieben Christen gemein, etc. etc. Es ist das Heil uns kommen her, etc. etc. Wie schön leucht uns der Morgen-Stern, etc. etc. Nun lob, mein Seel, den HErren, etc. etc. So bald sich alle Personen in der Kirche befanden, und das letzte Lied ausgesungen war, wurde auch zu läuten aufgehöret, und der GOttes-Dienst mit dem Liede: Komm Heiliger Geist, erfüll etc. etc. angefangen, hierauf intonirte Hr. Mag. Schmeltzer vor dem Altare: Gelobet sey die Heil. Dreyfaltigkeit. Worauf unter Trompeten und Paucken-Schall von dem Orgel-Chor geantwortet wurde: Und unzertrennte Einigkeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen! Und unter[76] der Zeit wurden auch auf der Albertus-Burg 6. Canonen abgefeuert, nachdem aber Herr Mag. Schmeltzer das Gebet: HErr GOtt himmlischer Vater, von dem wir ohn Unterlaß allerley Guts etc. etc. abgesungen, wurde der Choral: Allein GOtt in der Höh sey Ehr etc. angestimmet. Hierauf an statt der Epistel das 41te Capitel aus dem Propheten Jesaia verlesen, so dann das Lied gesungen: O HErre GOtt, dein göttlich Wort etc. an statt des Evangelii der 122. Psalm Davids verlesen, und hernach folgende Cantata musiciret:


* *

*


Recit.

Soprano solo.


Aus meines Hertzens-Grunde

Sag' ich dir Lob und Danck,

Dir, der du in dem Himmel sitzest,

Jedoch allgegenwärtig bist,

Und vor des Satans Trug und List

Die dir ergeb'nen Seelen schützest.

Es sagt die Felsenburger-Schaar,

Die sonst ein kleines Häufflein war,

Aus einem Munde

Und mit vereinten Hertzen,

Jetzt und ihr Lebenlang

Dir, grosser GOtt,

Und starcker Zebaoth,

Vor deine Güte Lob und Danck.


Concert.

[77] Psalm. 147. v. 12. seq.


Preise, Jerusalem, den HErrn, lobe Zion deinen GOtt, denn er macht veste die Riegel deiner Thore, und segnet deine Kinder drinnen.

Er schaffet deinen Gräntzen Friede, und sättiget dich mit dem besten Weitzen. Er sendet seine Rede auf Erden, sein Wort läufft schnelle.


Choral.

Tenore.


Lob und Danck sey dir gesungen,

Vater der Barmhertzigkeit,

Daß mir ist mein Werck gelungen,

Daß du mich vor allem Leyd

Und für Sünden mancher Art

So getreulich hast bewahrt,

Auch die Feind' hinweg getrieben,

Daß ich unbeschädigt blieben.


* *

*


Keine Klugheit kan ausrechnen

Deine Güt und Wunderthat,

Ja kein Redner kan aussprechen,

Was dein Hand bewiesen hat,

Deiner Wohlthat ist zu viel,

Sie hat weder Maaß noch Ziel,

Ja du hast mich so geführet,

Daß kein Unfall mich berühret.


Recit.

Alto solo.


Ja wohl ist niemand so geschickt,

Die Gnaden-Zeichen allzumahl,

So GOtt von Kindes-Beinen an

Bey uns gethan,

Behörig zu beschreiben.

Diß heist die ungezählte Zahl,

Und wird es immer bleiben,

Biß uns nach dieser Zeit

Des Allerhöchsten Gütigkeit

Ins ew'ge Leben rückt.

Inzwischen müssen wir bekennen:

Wie daß die gröste Wohlthat sey:

Daß wir sein heilig Wort

Und Luthers reine Lehren[78]

Von nun an fort und fort

Auf dieser Insul können hören;

Und uns dabey

Auch GOttes Kinder dürffen nennen.


Concert.

Psalm. 119. v. 105.


Dein Wort ist meines Fusses Leuchte, und ein Licht auf meinem Wege.


Choral.

Sopran.


Mein'n Füssen ist dein heiligs Wort ein brennende Lucerne, ein Licht, das mir den Weg weis't fort, so dieser Morgen-Sterne in uns aufgeht, so bald versteht der Mensch die hohen Gaben, die GOttes Geist den'n g'wiß verheist, die Hoffnung darein haben.


Recit.

Basso solo.

GOttes Wort und Luthers Lehr

Vergehet nun und nimmermehr;

Wird gleich der Himmel mit der Erden

In nichts verwandelt werden,

Bleibt jenes beydes dennoch veste stehn,

Und kan niemahls zu Grunde gehn;

Drum wollen wir

Nur für und für

Den Höchsten lassen walten,

Und uns allstets an diese Felsen halten.


Concert.

[79] Psalm. 31. v. 3.


Sey mir ein starcker Felß und eine Burg, daß du mir helffest; denn du bist mein Felß und meine Burg; und um deines Nahmens willen wollest du mich leiten und führen.


Choral.

Alto.

Du bist mein Stärck, mein Felß, mein Hort, mein Schild, mein Krafft, sagt mir dein Wort, mein Hülff, mein Heil, mein Leben, mein starcker GOtt in aller Noth, wer mag dir wiederstreben.


Tutti.

Glori, Lob, Ehr und Herrlichkeit

Sey dir GOtt Vat'r und Sohn bereit, etc. etc.


Sowohl uns dieser von Herrn Mag. Schmeltzern gemachte Text gefiel, so angenehm fiel auch dessen Composition, die unser Musicus, Mons. Langrogge, über sich genommen hatte, in die Ohren. Die ersten 2. Zeilen des ersten Recitativs, welches ein reiner Discantiste sunge, ihm nicht einmahl mit der Orgel, sondern nur mit einer sanfft geblasenen Trompete accompagnirt wurde, hätten der Gemeine fast die Meynung beygebracht, als ob dieses Morgen-Lied gantz ausgesungen werden solte, allein, gleich bey der 3ten Zeile, fiel so gleich die Orgel mit ein, und wurde das Recitativ nach seiner Art abgesungen, im übrigen war die Abwechselung der Stimmen und Instrumenten dergestalt wohl in Acht genommen, daß, wie gesagt, dergleichen Stück in dieser Kirche noch nicht gehöret worden. Nach geendigter Music und gesungenen [80] Choral: Wir glauben all an einen GOtt, etc. predigte Herr Mag. Schmeltzer über den 122. Psalm Davids, und stellete daraus vor: Die GOtt wohlgefällige Jubel-Freude. Verglich unser Felsenburg mit der Stadt Jerusalem und dem Berge Zion, auf eine ungemein erbauliche Art. Am Ende der Predigt aber gab er der Gemeinde zu vernehmen, wie, bald itzo nach der Predigt, sein leiblicher Bruder, Herr Jacob Friedrich Schmeltzer und Herr Johann Friedrich Herrman, ihnen, so wohl als er, zu Priestern und, Beicht-Vätern vorgestellet werden solten, derowegen möchten sich in Zukunfft, des Alt-Vaters beliebter Ordnung gemäß, die auf der Albertus-Burg befindlichen, ingleichen die Alberts-Johannis- und Christophs-Raumer, bey ihm, Hn. Mag. Schmeltzern; die Simons-Christians- und Roberts-Raumer, bey Herrn Schmeltzern jun. die Jacobs-Stephans- und Davids-Raumer aber bey Herrn Herrmannen im Beicht-Stuhle einfinden, auch sich sonsten, ihrer Sorge in geistlichen Dingen anvertrauen. Wiewohl dieserwegen niemanden ein Zwang auferlegt, sondern jedem erlaubt wäre, sich so wohl an einen als an den andern Priester zu addressiren.

Nachdem also die Predigt beschlossen, und nochmahls eine Cantata musicirt war, giengen die drey Priesters vor dem Altar, Herr Mag. Schmeltzer blieb auf der Obersten Stuffe, die beyden jüngern aber eine Stuffe tieffer stehen, der Alt-Vater und die Vorsteher der Gemeinden rangirten sich zu beyden Seiten des Altars. Herr Mag.[81] Schmeltzer hielt erstlich eine Rede, die ohngefähr eine halbe Stunde währete, worinnen er von der Pflicht der Priester gegen ihre Zuhörer, und dann auch von der Pflicht der Zuhörer oder anvertrauten Seelen gegen ihre Priester, sehr beweglich handelte, stellete nachhero diese seine geliebten Mit-Arbeiter am Wort, der gantzen Felsenburgischen Gemeine vor, segnete sie ein, beschloß mit einem schönen Gebete und Wunsche vor beyde Theile, intonirte hernach den Lob Gesang: HErr GOtt, dich loben wir, etc. etc. Hierauf wurde vom Orgel-Chore unter Trompeten und Paucken-Schalle, ingleichen von der gantzen Gemeine, derselbe biß zu Ende gesungen, und auch unter der Zeit, das auf der Alberts-Burg stehende schwere Geschütz nach gegebenem Zeichen vier mahl abgefeuert. Nach gesprochenem Segen und angestimmten Liede: Nun dancket alle GOtt, etc. etc. also, nach geendigtem Gottes-Dienste, wurden die Canonen nochmahls binnen einer Stunde dreymahl gelöset, auch eine gantze Stunde lang geläutet, und der Choral: Von GOtt will ich nicht lassen etc. etc. vom Thurme geblasen, worauf denn alle gegenwärtige Felsenburger in verschiedenen Zimmern der Albertus- Burg köstlich tractiret wurden, gegen Abend aber alle, bis auf etliche alte Greise, wieder in ihre Wohnung kehreten. Folgende zwey Tage wurden nicht weniger so andächtig als frölich zugebracht, Herr Mag. Schmeltzer aber wegen seiner vielen gehabten Sorgen und Bemühungen, in Anordnung dieser gantzen Fest-Ceremonien, mit Predigen verschonet, indem Herr Schmeltzer [82] jun. die Vor- und Herr Herrmann die Nachmittags-Predigten verrichteten.

Der darauf folgende 28. Jun. wurde von den sämmtlichen Einwohnern mit allerhand erlaubten Lustbarkeiten zugebracht, und keine als die höchstnöthigsten Arbeiten darane gethan; Donnerstags aber fuhr Herr Schmeltzer jun. mit etlichen Europäern und Felsenburgern hinüber auf die kleine Insul, hatte daselbst den Matrosen eine Beth-Stunde und Predigt gehalten, einigen Evangelisch-Lutherischen das Heilige Abendmahl gereicht, und sonst alles in guter Ordnung gefunden, doch hatten sie sehr Verwunderungs-voll gefragt, was denn binnen drey Tagen das öfftere Canoniren zu bedeuten gehabt hätte, worauf sie die Antwort bekommen, daß es keine Gefahr zu bedeuten gehabt, sondern es wäre ein besonderes Fest auf der Insul gefeyert worden. Ubrigens, nachdem sie zu verstehen gegeben, wie sie daselbst mit einander gantz vergnügt lebten, auch noch wohl auf 3. Wochen Proviant, Bier und Wein genug hätten, waren unsere Leute wieder abgefahren, und kamen noch vor Abends wieder zu uns.

Nächstfolgenden Sonntag gieng abermahls ein besonderer Actus in unserer Kirche vor, denn nachdem des Capitain Horns 9. Sclaven von Herrn Mag. Schmeltzern Tags vorhero examinirt und in allen Glaubens-Articuln wohl unterrichtet befunden worden, so wurden dieselben gleich nach der Predigt erstlich von ihm getaufft, wobey die 9. Felsenburgischen Vorsteher, 9. von uns Europäern und 9. Felsenburgische Jungfrauen zu Gevattern[83] stunden. Nach der Tauffe wurde ihnen von Herrn Schmeltzern jun. und Herrn Herrmannen das Heilige Abendmahl gereicht, nachdem je 3. und 3. bey einem jeden Priester gebeichtet hatten. Der Alt-Vater ließ sie hierauf in einem besondern Zimmer mit den besten Speisen versorgen, nachhero in sein Zimmer ruffen, und durch mich einem jeden 100. Spanische Creutz-Thaler zum Pathen-Geschencke auszahlen. Capitain Horn schenckte ihnen die Freyheit, und sagte, daß sie von nun an nicht mehr Sclaven seyn und heissen, jedoch so lange bey ihm bleiben solten, biß er wieder in Europa angelanget wäre, da sich denn ein jeder nach seinem Belieben hinwenden könte, wohin er wolte, mitlerweile solten sie auch von ihm den monatlichen Matrosen-Lohn zu gewarten haben. Merckwürdig war dieses bey ihrer Tauffe, daß ein jeglicher Christian genennet wurde, jedoch noch einen Vornahmen darzu bekam, mit welchen man sie im Zuruffen oder Gesprächen unterscheiden konte, der Zu-Nahme aber, war einem jeden, sich selbst zu erwählen, überlassen.

Sie bezeigten sich einer wie der andere ungemein erfreuet, daß sie sich nunmehro unter die Christen rechnen konten, lasen auch bey müßigen Stunden beständig in den ihnen geschenckten Bibeln, Gesang-und Gebet-Büchern, weßwegen sie denn auch der Alt-Vater nicht von uns kommen lassen, sondern im Christenthume noch immer mehr gestärckt wissen wolte, biß zu Capitain Horns Abreise.

Bey dieser Gelegenheit fällt mir Talli ein, welche Ao. 1728. am 17. Sonntage p. Trin. auch auf dieser[84] Insul getaufft, und gleich diesen ihren Lands-Leuten aus dem Heyden-ins Christenthum geführet wurde; es hatte aber dieselbe unter der Zeit unsers Abwesens einen feinen Mann aus dem Simonischen Geschlechte bekommen, jedoch voritzo lag sie eben in 6. Wochen, weil sie kurtz vor unserer Ankunfft eine junge Tochter zur Welt gebracht hatte, und eben dieserwegen war sie noch nicht zum Vorscheine gekommen. Jedoch nachdem ich, vielleicht manchem Leser zum Verdruß, mich bey den Geistlichen Begebenheiten etwas lange aufgehalten, und dennoch manches Betrachtens-würdige zurück gelassen, welches aber vielleicht hier und dar noch beyläuffig mit eingestreuet werden kan; so muß mich nun wohl auch befleißigen, Bericht abzustatten, wie die Sachen fernerweit nicht allein seit unseres Abseyns, sondern auch nach unserer glücklichen Zurückkunfft eingerichtet worden.

Die 7. Einkömmlinge, so Mons. Horn vordem da gelassen, (NB. die im andern Theile pag. 560. specificirt sind) hatten sich gantz wohl berathen, 3. unter ihnen, nehmlich, Tau, Pür und Berthold, welche vorhero andern Secten zugethan gewesen, waren nicht nur zur Evangelisch-Lutherischen Religion übergetreten, sondern hatten sich auch bereits verheyrathet, und mehrentheils neben den Häusern ihrer Schwieger-Eltern und Freunde neue Häuser und Werckstätten aufgebauet, dergestalt, daß Bucht, der Nadler, in Davids-Raum; Dietrich, der junge Mechanicus, (welcher Mons. Plagers seiner Frauen Schwester beko en, und bereits ein künstlicher und fleißiger Mann war,) und [85] Herbst, der Gürtler, in Jacobs-Raum; Rümpler, der Gerber, in Stephans-Raum; Tau, der Hutmacher, in Simons-Raum; Pürr, der Kupfferschmidt, in Johannis-Raum, und Berthold, der Seyler, in Christophs-Raum zu wohnen kommen waren. Derowegen schien das allernöthigste zu seyn, die neuen mitgebrachten Künstler und Hand-Wercks-Leute ebenfalls in diejenigen Pflantz-Städte einzutheilen, allwo sie ihre Professiones am bequemlichsten treiben könten. Demnach wurde mit den Stamm-Vä tern und klügsten Europäern Rath gehalten, und endlich beschlossen, daß der Buchbinder Ollwitz in Christians-Raum, bey Mons. Litzbergen, Rädler, der Buchbinder, Besterlein, der Sattler, Hollersdorff, der Mahler, in Alberts-Raum, u. zwar dieser Letztere in Mons. Cramers Behausung, Breitschuch, der Seiffensieder, und Trotzer, der Zinngiesser, in Roberts-Raum; Engelhart, der Blechschmidt, in Davids-Raum; Schubart, der Glaßmeister, nebst ihme Rindler, der Glaß-Blaser in Stephans-Raum, ihre Wohnstädten bekommen solten, und zwar diese beyden letztern nur so lange, biß die Glaß-Hütte zu Stande gebracht, welche am Walde bey den Saltz-Lachen, zwischen Jacobs- und Stephans-Raum, nach Uberlegung der Verständigsten angelegt werden solte. Nachdem nun ein jeder in die ihm zuerkanndte Pflantz-Stadt eingeführt, ihm sein Logis und Platz zur Werckstatt angewiesen worden, auch sich nach erstattetem Bericht keiner unter ihnen gefunden, welcher nicht sehr wohl[86] damit zufrieden gewesen wäre, lieferte ich jeden seine Kisten, worein die zu seiner Profession gehörigen Sachen eingepackt waren, nebst ihren übrigen annoch bey mir befindlichen Geräthe aus, ermahnete einen jeglichen, nur erstlich seine Sachen in Ordnung zu bringen, und zu überschlagen, wo und wie ihre Werckstätten angelegt werden müsten, da denn so gleich unsere Bau-Leute Anstalt machen solten, dieselben in behörige Ordnung zu bringen, auch solte es ihnen an Gehülffen und Lehrlingen nicht ermangeln, indem sich genung Felsenburgische Knaben anfinden würden, die diese oder jene Profession zu erlernen geschickt wären.

Demnach blieben auf der Albertus-Burg nur folgende Personen:


Der Alt-Vater Albertus mit denen, ihm von jeden Stamme zur Aufwartung zugegebenen Knaben und Mägdleins.

Mein Vater, Franz Martin Julius.

Herr Mag. Schmeltzer nebst seiner Liebste und zweyen Kindern.

Herr Schmeltzer jun.

Herr Herrmann.

Capitain Wadley.

Mons. van Blac.

Mons. Langrogge und

Mons. Hildebrand, die beyden Musici.

Ich, Eberhard Julius.

Meine Schwester, Juliana Louise.

Jungfer Krügerin

Jungfer Zornin[87]

Barb. Kuntzin, meiner Schwester Bediente.

Capitain Horn mit seinen 9. Sclaven, so lange als ihm allhier auszuruhen beliebte.


Die Buchbinders hatten ihre Werck-Zeuge am allerersten in Ordnung gebracht, indem sie die vornehmsten Stücke aus Europa mitgenommen hatten, derowegen kamen beyde, und ersuchten auch die Kisten, worinnen die rohen Bücher, Pergament und ander Zubehör verwahret wäre, auszupacken, damit sie einen Anfang machen könten, die grosse Anzahl Bücher zu verfertigen, welche zu der Felsenburgischen Bibliothec erkaufft und gewidmet waren. Sie durfften hierauf nicht lange warten, sondern bekamen bald, was sie verlangeten. Nächst diesen suchte ich das benöthigte vor Mons. Hollersdorffen, den Mahler, hervor, welcher denn mit drey ihm zugegebenen jungen Purschen, die er in der Mahler-Kunst unterrichten solte, in wenig Tagen den Anfang machte, den Altar zu mahlen, und an behörigen Orten zu vergulden. Weiln aber in unserer Kirche, so wohl als auf der Albertus-Burg keine Glaß-Fenster, sondern die Rahmen nur mit durchsichtigen Fisch-Häuten überzogen waren, welche doch sehr verdunckelten, so ließ ich nicht ab, biß Mons. Litzberg und die übrigen Bau-Verständigen, sich nebst gnugsamen Arbeitern mit mir auf denjenigen Platz begaben, wo die Glaß-Hütte angelegt werden solte. Es wurde also nicht nur binnen wenig Tagen der Grund aufgegraben, sondern auch sattsames Holtz, Kalck und Steine aufgeführet, und das gantze Gebäude binnen wenig Wochen unter das Dach gebracht. Der Glaß-Meister[88] Schubart war ein sehr geschickter Mann, gab an, wohin die Glaß-Cammer oder Magazin, der Calcinir-Ofen, der Schmeltz-oder Werck-Ofen, und dann der Kühl-Ofen gebauet, und wie eigentlich diese dreyerley Arten von Ofen gemacht werden solten, bestellete auch die dazu benöthigten Machinen und Instrumente, als, die Pfeiffe, Vorschneid-Eisen, das Zwack-Eisen, Bühm-Eisen, Scheere, Auftreib-Scheere, Rößgen, Sattel, eiserne Schöppe, Wasser-Trog, Formen, Mörser und dergleichen, und versprach, wenn man ihn und seinen Compagnon so fleißig fort förderte, auch gnugsame Materialien zuführen liesse, binnen wenig Wochen so viel Glaß-Taffeln zu liefern, als wir zu unsern Kirch-Fenstern nöthig hätten. Ich sparete keine Worte, die Vorsteher der Gemeinden dahin zu bringen, daß sie sich diesen Bau rechtschaffen angelegen seyn liessen, derowegen fehlete es nicht an fleißigen Arbeitern, auch wurden die Materialien zum Glaßmachen nach und nach dergestalt häuffig zugeführet, daß der Glaß-Meister völlig vergnügt war. Ich begab mich alle Woche zwey biß drey mahl dahin, diesen Bau zu besichtigen, allein, ich konte wenig tüchtigen Rath darzu geben, weil ich die Sache nicht verstund, hergegen thaten Mons. Litzberg, Plager, Morgenthal und andere nebst dem Glaß-Meister Schubart das beste bey Anlegung dieser Sache, so, daß sie endlich noch vor Michaelis völlig zum Stande kam, und wir eine Probe von vielerley Sorten der Gläser, mit grösten Vergnügen zu sehen bekamen, auch die fleißigen Arbeiter zum öfftern besuchten, indem[89] sich verschiedene Felsenburgische junge Männer, Junggesellen und Knaben mit darzu gebrauchen liessen.

Binnen der Zeit aber kam uns auch die Lust an, die andern neu mitgebrachten Handwercker zu besuchen, und fanden, daß die Buchbinders sehr fleissig gewesen waren, denn sie hatten schon eine ziemliche Anzahl Bücher recht nett und sauber eingebunden. Der Seiffensieder Breitschuch zeigte schon viele Centner von seiner, mittelmäßigen und geringen Seiffe, versprach auch, nur noch einige Centner darzu zu machen, und selbige hernach auf die Albertus-Burg zu liefern, damit selbige unter die Stämme vertheilt, und jede Haußwirthin so viel davon habhafft werden könte, sich eine Zeitlang damit zu behelffen. Der Zinngiesser Trotzer lieferte von den ihm gegebenen 10. Centner Zinn vorerst 6. Dutzent grosse, mittelmäßige und kleinere Schüsseln, 12. Dutzent Teller, nebst allerhand andern Sachen, welche alle zu specificiren viel zu weitläufftig fallen würde, das ansehnlichste darunter aber war ein Hand-Faß von besonderer façon und ungemein sauberer Arbeit, nebst einem gantz Zinnern propern Caffée-Tische, welche beyden Stücke er in des Alt-Vaters Zimmer gestellet haben wolte. Besterlein, der Sattler, hatte in des Alt-Vaters Zimmer 2. Dutzent saubere Stühle beschlagen, 3. schöne Sättel und verschiedene Sorten von Riemen-Werck zum Meister-Stücke gemacht. Bey Engelhardten in Davids-Raum traff man schon eine gewaltige Menge von allerley blechernen und meßingenen Gefässen und Sachen an, er wolte[90] aber deren erstlich noch mehr verfertigen, sie sodann auf die Albertus-Burg liefern, damit der Alt-Vater damit disponiren könte, wie ihme beliebte. Mons. Hollersdorff, der Mahler, hatte nicht nur den Altar bereits vollkommen schön ausgemahlt, sondern wurde auch noch vor Michaelis mit der Cantzel fertig. Solchergestalt sahen unsere Aeltesten mit Vergnügen, daß wir keine Schmarotzer und faule Tage-Diebe, sondern lauter fleissige Arbeiter mitgebracht hatten, inzwischen durfften sich diese um keine Lebens-Mittel bekümmern, denn es wurde ihnen alles, was sie begehrten, reichlich zugetragen.

Mittlerweile wurde es kundig, daß Hr. Schmeltzer jun. mit meiner Schwester, und ich mich mit meiner Cordula an dem künfftigen Michaelis-Feste wolten copuliren lassen, derowegen mag der Appetit zum Heyrathen nicht nur einigen Felsenburgern, sondern auch etlichen von unsern neu mitgebrachten Europäern ankommen, denn diese Letztern hatten die Töchter des Landes schon besehen, waren auch so wohl im Aussuchen als in der Anwerbung mehrentheils glücklich gewesen, weiln es nicht nur an sich selbst feine Männer waren, sondern die ältern Europäer sich ihrer als Brüder angenommen, und ihnen das Wort geredet hatten. Inzwischen wäre doch bald ein Streit zwischen Mons. van Blac und dem Mahler Hollersdorff entstanden, denn es hatten sich beyde zugleich in Herrn Kramers seiner Frauen ihre jüngste Schwester verliebt, weßwegen wir andern uns dazwischen schlugen, und auf Vermercken, daß die Jungfrau den Mahler gewogener[91] war, als den van Blac, diesen Letztern von ihr abwendig machten. So bald er vernommen, daß die Jungfrau seinen Mit-Buhler lieber hätte, als ihn, ließ er sich gleich weisen, nahm Abschied von ihr, und suchte sich nachhero eine nicht weniger wohlgebildete und tugendhaffte Jungfrau aus dem Johannis-Raumer Geschlechte aus, welche Hr. Mag. Schmeltzers seiner Liebsten jüngste, ohngefähr 18. jährige, Schwester war. Diese hatte an seiner Person nichts auszusetzen, jedoch ehe das Verlöbniß geschahe, nahm ihn der Alt-Vater eines Abends vor, und bat, weil es eben itzo Zeit davon wäre, uns seine Lebens-Geschicht zu erzählen, da er selbiges schon vor einigen Wochen versprochen hätte. Mons. van Blac ließ sich nicht lange nöthigen, sondern fing seine eigene Historie, nachdem er erstlich einige Bücher und Briefschafften aus seiner Cammer geholet, folgender massen herzusagen an:

Im Jahr 1698. den 24. Octobr. bin ich zur Welt gebohren worden, und zwar auf dem von den Geographis so genannten Teutschen Meere, weßwegen ich nicht weiß, ob ich mich einen gebohrnen Teutschen oder Holländer nennen soll, denn mein Vater und Mutter waren beyde in Holland gebohren und gezogen, erstgemeldter hieß Joost Henry van Blac, und war Capitain eines Holländischen Schiffs, meine Mutter aber, Maria Angelica van Leuwen, deren Vater ebenfalls ein berühmter Schiffs-Capitain gewesen war. Die besondere Lust zum Reisen auf der See, und denn die hertzliche Liebe gegen meinen Vater, hatte[92] meine Mutter angereitzt, gleich nach ihrer Vereheligung verschiedene Reisen mit demselben in ein und anderes Europäisches Reich zu thun, auf der Rück-Reise von Norrwegen aber biß Holland paßirt ihr dieser Streich, daß sie Antwerpen, allwo wir unser Wohn-Haus hatten, nicht erreichen kan, sondern ihr Wochen-Bette mit mir im Schiffe aufschlagen muß; und eben dieserwegen kan ich mich keines Menschen Lands-Mann, wohl aber See-Mann nennen. Mit alle dem kommen doch, so wohl meine Mutter als ich, glücklich und gesund in Antwerpen an, und werden von meiner Groß-Mutter, die annoch lebte, wohl empfangen und gepfleget. Mein Vater hatte sich nach wenig Tagen wieder zu Schiffe begeben müssen, und war nicht nur dieses mahl ein halbes Jahr, sondern nachhero zum öfftern 8. 10. ja wohl biß 18. Monathe aussen geblieben, und dennoch hatte er niemahls einen rechtschaffenen Profit mit nach Hause gebracht, sondern mehrentheils grössere Summen mit auf die Reise genommen; woran es gelegen gewesen, weiß ich nicht, und meine Mutter, weil sie ihn hertzlich liebte, zur selbigen Zeit auch noch ihr gutes Auskommen wuste, hatte ihn in allen nach seinem Belieben schalten und walten lassen. Ich blieb nicht alleine, sondern bekam immer mehr und mehr Geschwister, so, daß in meinem 14ten Jahre schon unserer 9. waren, indem sich unter uns 2. paar Zwillinge befanden. Meine Mutter sparete keinen Fleiß, uns sämmtlich wohl zu erziehen, und sonderlich mich, als ihren erstgebohrnen und liebsten Sohn, in den behörigen Wissenschafften[93] unterrichten zu lassen, und ich hatte in Wahrheit auch eine besondere Lust zum Studiren, allein, in meinem 15ten Jahre, da mein Vater eben wieder zu Hause kam, doch sich nicht länger als etwa einen Monat bey uns aufgehalten hatte, gab er zu vernehmen, daß er mich mit zu Schiffe nehmen wolte; meine Mutter setzte sich zwar starck darwider, und wendete vor, daß es ewig Schade sey, mich itzo in den besten Jahren vom Studiren abzuziehen, da ich, meiner Præceptorum Zeugnisse nach, schon so sehr weit gekommen wäre; allein, er schmeichelte ihr, daß er noch einmahl so frölich und vergnügt leben wolte, wenn er wenigstens eins von seinen Kindern bey sich hätte, und ihr Ebenbild darinnen betrachten könte, zudem wäre auf seinem Schiffe ein Grund-gelehrter Mensch befindlich, welcher sich eines in Franckreich gehabten Unglücks-Falls wegen auf die See begeben müssen, dieser könte nicht allein meine bereits erlerneten Wissenschafften mit mir repetiren, sondern mich auch viel weiter bringen, weiln wir auf dem Schiffe Zeit genung darzu hätten. Auf diese Vorstellungen gab endlich meine Mutter ihren Willen drein, und ließ mich mit ihm fortfahren, nachdem er noch eine gewaltige Geld-Summe in Antwerpen aufgenommen, und meiner Mutter vorgesagt hatte, binnen 8. oder 9. Monathen vier mahl so viel davor zurück zu bringen. Allein, es war nicht an dem, daß er dieses mahl so bald wieder kommen konte, denn wir nahmen unsern Lauff nach Ost-Indien zu, und ich befand in der That wahr zu seyn, daß ich auf dem Schiffe von obgemeldten [94] Studioso, der sich Bredder nennete, und vor dem einige junge Barons durch die allermeisten Reiche und Länder von Europa geführet hatte, eben so viel, ja noch mehr lernen konte, als zu Hause, denn mein Vater hatte nicht allein viele nützliche Bücher vor mich mitgenommen, sondern Mons. Bredder hatte auch eine ziemliche Menge derselben bey sich, um mich in den vornehmsten Europäischen Haupt- Sprachen gründlich zu unterrichten, und firm zu machen. Ausser diesen tractirte er die Historie, Geographie, und einige Stück aus der Mathesi mit mir, kurtz, er brachte mich binnen 3. Jahren, die wir unterwegs und in Ost-Indien zubrachten, durch seinen und meinen unermüdeten Fleiß so weit, daß ich obgedachte Europäische Haupt-Sprachen nicht allein fertig lesen und schreiben, sondern auch verstehen und reden konte, und weiln sich Leute von verschiedenen Nationen auf unsern Schiffe befanden, so hatte mein Vater ein besonderes Vergnügen darüber, daß ich fast mit einem jedweden in seiner Mutter-Sprache gantz ordentlich sprechen konte.

Mein Vater war diesesmahl in seinem Handel und Wandel auch dergestalt glücklich gewesen, daß er ein grosses Gut erworben, derowegen mit grossem Vergnügen zurück reisete, um meiner Mutter, die sich, wie leicht zu errathen, unter der langen Zeit unsers Wegseyns genungsam gegrämet, eine besondere Freude zu machen. Allein, über welchen das Verhängniß einmahl beschlossen hat, ihn unglücklich zu machen, der muß es wohl seyn und bleiben, das erfuhr unter allen, die wir auf dem[95] Schiffe befindlich waren, mein Vater am allermeisten.

Denn als wir auf dem Rückwege zwischen den Canarischen Insuln und Africanischen Küsten hinfuhren, überfiel uns einer der grausamsten Stürme, das Schiff zerscheiterte an den Klippen, wurde in die Tieffe des Meeres versenckt, mein Vater, Informator und ich nebst noch 6. Personen aber, wurden an die Africanischen Küsten getrieben, allwo wir zwar unser Leben erretteten, jedoch die Freyheit verlohren, indem wir uns den Maroccanern als Sclaven ergeben musten.

Der eintzige Trost in diesem Jammer-Stande wäre wohl noch dieser gewesen, wenn mein Vater, Informator und ich hätten beysammen bleiben können, so aber kauffte mich wenig Tage nach unserer Anländung ein vornehmer Maroccanisch-Kayserl. Bedienter den Menschen-Fischern ab, und nahm mich in seinem Geleite mit an den Kayserlichen Hof nach Mequinez. Es tractirte mich dieser mein Herr, um welchen ich täglich seyn muste, ziemlich gütig, ich bekam auch bessere Kleidung und Speisen als seine andern Sclaven, weiln ihm nicht allein meine äuserliche Gestalt besser als der andern gefiel, sondern er sich auch ein besonderes Vergnügen daraus machte, daß ich verschiedene Sprachen zu reden wuste. Dieses eintzige war mir sehr verdrüßlich, daß, wenn er speisete, und ich neben ihm kniete, er seine an den Gerichten beschmutzten Finger allezeit an meine lockigen, damahls noch gantz blonden Haare abwischte, denn die Maroccaner brauchen weder Messer, Gabel[96] noch Löffel, sondern essen bloß mit den Fingern, und zwar auf der Erden sitzend.

Eines Abends sagte er zu mir, ich solte mich in dieser Nacht mit allem Fleiß baden, reinigen und salben, weil ich morgen früh neue Kleidung anziehen solte, indem er willens wäre, mich mit an den Kayserl. Hof zu nehmen. Ich folgte seinem Befehle, und morgendes Tages seiner Person nach, wuste aber nicht, was er mit mir vor hatte, biß ich sahe, daß er mich nach gehabter Audienz an den alten 73. jährigen Kayser Muley Ismael verschenckte. Es war mir vorhero gesagt, daß ich mich vor denselben auf die Erde, und zwar auf den Bauch, niederlegen müste, welches ich denn auch that, da aber der alte Kayser einige Fragen erstlich in Spanischer und hernach in Englischer Sprache an mich gethan, und ich dieselben in beyderley Sprachen beantwortet hatte, indem ich den Kopff, so wie ein Hund nur ein wenig die Höhe reckte, hieß er mich endlich aufstehen, da mir denn mein bißheriger Herr einen Winck gab, auf den Knien vor dem Kayser liegen zu bleiben, allein, dieser war so gnädig, mit der Hand ein Zeichen zu geben, daß ich gerade auftreten solte. Hierauf fragte er mich abermahls in Spanischer Sprache, aus welchem Lande ich gebürtig, weß Standes und Herkommens, und auf was vor Art ich in die Sclaverey gerathen wäre? Ich beantwortete alles der Wahrheit gemäß, und wurde endlich, nachdem er ein besonderes gnädiges Wohlgefallen über meine Person bezeugt, auch in Maroccanischer Sprache Ordre gegeben, wie ich verpflegt werden solte,[97] in ein Zimmer geführet, wo noch 3. andere Europäische Knaben, nehmlich 2. Spanier und ein Portugiese von Geburth, die alle 3. kaum 16. Jahr alt, sich unter der Aufsicht eines Maroccanischen Lehrmeisters befanden, der sie in dasiger Rechts-Gelehrsamkeit, der Grammatic, Poesie, Stern-Seher- und Stern-Deuter-Kunst, wie auch in vielen andern Wissenschafften, hauptsächlich aber in der Arabischen Sprache unterrichtete.

Diese 3. Pursche erfreueten sich ungemein, noch einen Mit-Consorten ihres Unglücks zu bekommen, und weil wir alle 4. gut mit einander sprechen konten, wurden wir gar bald gute Freunde. Ich bekam so gleich so kostbare Liberey als wie sie; wir wurden von 2. mohrischen Knaben bedienet, speiseten nebst unserm Informatore allein, und hatten alle Mahlzeiten 8. Gerichte nebst dem besten Geträncke, jedoch keinen Wein, denn es heist, die Maroccaner dürffen keinen Wein trincken, ohngeacht vortreffliche Wein-Stöcke in diesem Reiche anzutreffen, so, daß öffters 2. Männer kaum einen Weinstock umklafftern können, und die Beeren an den Trauben offt grösser als die Hüner-Eyer sind. Weil ihnen aber dieses edle Gewächse so gar sehr appetitlich vorkömmt, kochen sie die Trauben, und præpariren ein besonderes Geträncke daraus, welchem sie einen andern Nahmen, ihrer Kehle aber ein herrliches Labsaal damit geben.

Jedoch von meinen und meiner Mit-Consorten Abwartung und Stande ferner zu reden, so wurden wir solchergestalt nicht anders als würckliche Leib-Pagen des Kaysers tractiret, thaten[98] aber sehr wenig Dienste, sondern hatten die Woche kaum 3. oder 4. mahl einige Stunden Aufwartung, nur daß uns der Kayser zuweilen sehen möchte. Sonsten musten wir alle Morgen eine Stunde vor der Sonnen Aufgang aufstehen, uns reinigen und völlig ankleiden, denn es schlieffen zwey und zwey in einem Cabinet auf herrlichen Betten und Matratzen, der Mohren-Junge aber lag auf der Erde zu unsern Füssen auf einer schlechten Matratze als ein Hund, unser Herr Hofmeister schlieff auch in einem besondern Cabinet, sein Bedienter ebenfalls in einer kleinen Bucht darneben. Gleich mit, oder um die Zeit der Sonnen Aufgang, fing unser Hofmeister in unserer Gegenwart an, das Morgen-Gebeth nach Art der Mahometaner zu thun, verlaß hierauf ein Stück aus dem Alcoran, erklärete die schweresten Puncte desselben, und gab sich viel Mühe, uns allen vieren die Haupt-Stücke der Mahometanischen Religion beyzubringen, allein, wie ich bald merckte, war keiner unter uns, der zu diesem Glauben inclinirte, wir höreten zwar alles mit an, fasseten seine Lehre, gaben auf seine Fragen richtige Antwort, allein, ohne allen Ernst, jedoch durfften wir nicht das geringste Gespötte daraus machen, wenn wir nicht aufs allerstrengste gezüchtiget werden wolten, welches meine 3. Cameraden zum öfftern erfahren hatten.

Nachdem die Andachts-Stunde verbracht, gingen die Lectiones in diesen und jenen Wissenschafften an, welche 3. Stunden währeten, hernach hatten wir die Freyheit, uns im Garten oder auf dem Spiel-Platze, oder wenn es garstig Wetter[99] war, auf dem Spiel-Saale, mit allerhand Spielen zu divertiren. In der Mittags-Stunde speiseten wir, durfften uns hernach wieder eine Stunde Motion machen, musten so dann abermahls 3. Stunden die Lectiones abwarten, hatten nachhero biß zu Untergang der Sonnen wieder Erlaubniß zu spielen, endlich aber nochmahls eine Mahometanische Bet-Stunde halten, und alsobald zu Bette gehen.

So war meine Lebens-Art damals beschaffen, allein, in den erstern Wochen vergoß ich tausend Thränen, theils über meinen Vater, von welchen ich nicht wuste, wo er hingekommen war, theils wegen meiner Mutter, die solchergestalt ihres Mannes, Sohnes und so vieler schönen Güter auf einmahl beraubt war, theils über mich selbst, daß ich in solchen Zustand gerathen, und meine Studia nicht recht nach Europäischer Art fortsetzen, vielweniger mich in meinem Christenthume rechtschaffen üben konte, indem ich kein eintziges Christliches Buch hatte, jedoch mir die vornehmsten Glaubens-Articul, Gebete und Gesänge, die ich auswendig gelernet, um selbige nicht zu vergessen, alle aufschrieb, und selbige in Abwesenheit unsers Hofmeisters oder sonsten an einem geheimen Ort repetirte, auch meine Cameraden sonderlich damit erfreuete, ohngeacht sie Römisch-Catholischer Religion waren, und noch niemahls so, wie ich schon offtermahls, das Heil. Abendmahl empfangen hatten, welches letztere bey diesen meinem Zustande immer mein bester Trost war.

Mittlerweile bezeigte unser Hof- und Lehr-Meister[100] eine besondere Freude über mich, daß ich nicht allein die Arabische und Marroccische Sprache so leicht fassen, und ehe ein Jahr verging, beyde fast fertig reden und schreiben, auch die in derselben geschriebenen Bücher gantz wohl exponiren konte. Bey den übrigen Wissenschafften spürete er ebenfals keinen dummen Kopff an mir, sondern ich kan, ohne Ruhm zu melden, wohl sagen, daß er noch vieles mit grosser Begierde von mir erfragte und lernete, weil ich ihm denn auch jederzeit sehr höflich begegnete, liebte er mich vor den andern allen am meisten, und sagte zum öfftern: Blac! ihr könnet in wenig Jahren an unsers Kaysers Hofe einer der grösten Ministers werden, wenn ihr euch zu unserer Religion bekennet, und beschneiden lasset; Allein, so offt ich von diesem Letztern hörete, erstarrete mir alles Blut in meinen Adern.

Wenige Zeit hernach, hatte eben dieser unser Hof-und Lehr-Meister, seiner eigenen Ehre wegen, verlanget, daß über uns seine 4. Scholaren ein Examen angestellet werden möchte, welches denn auch geschahe, indem sich 6. der gelehrtesten Maroccaner (die wenigstens davor gehalten wurden) bey uns einstelleten, und das Zeugniß ertheileten, daß wir es alle schon sehr hoch, ich aber es am allerweitesten gebracht hätten.

Allein, eben dieses Examen zohe sehr traurige Folgerungen nach sich, denn etliche Tage darauf wurde erstlich der jüngste Spanier, andern Tags der Portugiese, 3ten Tages der ältere Spanier beschnitten und verschnitten, am 4ten Tage aber solte die Reihe an mich kommen, welches mir[101] der Kisler-Agasi, (oder der Oberste unter den Verschnittenen, welcher über die Weiber und Concubinen des Kaysers, auch deren verschnittene Bediente die Aufsicht hat,) durch einen Bedienten ansagen ließ. Ich aber gab demselben gleich zur Antwort, daß ich mich ehe in 1000. Stücken zerhauen, oder mit den grausamsten Martern belegen, als dergleichen mit mir wolte vornehmen lassen, denn ich wäre völlig resolvirt, meinen Glauben niemahls zu verläugnen, sondern als ein Christ zu leben und zu sterben, auch stünde mir nicht an, ein Verschnittner zu seyn, sondern wolte, wie gesagt, lieber sterben. Diese kurtze Abfertigung des Bedienten hatte unser bisheriger Hof-Meister in seinem Cabinet gehöret, kam derowegen heraus, und sagte: Wisset ihr auch, daß euch diese Worte noch diesen Abend das Leben kosten können? Denn der Kisler-Agasi ist ein gewaltiger Mann, in dessen Händen vieler Menschen Leben und Todt stehet; aber das will ich euch zum Vortheil sagen, wenn diejenigen ankommen solten, die euch etwa zu stranguliren oder auf andere Art zu ermorden befehligt wären, so rufft nur den Nahmen unsers Kaysers Muley Ismaël etliche mahl aus, denn solchergestalt könnet ihr euer Leben so lange erretten, biß ihr den Kayser erstlich selbsten gesprochen, und er hernach Befehl gegeben, daß man seinen Nahmen eurentwegen nicht ferner mehr respectiren, sondern Gewalt brauchen soll.

Ich fassete dieses zu Ohren, es kam aber diesen Tag niemand weiter zu mir, hergegen that ich in künfftiger Nacht vor Kummer und Sorgen[102] kein Auge zu, besann mich jedoch auf allerhand Streiche, die ich im Fall der Noth spielen, und damit, wo möglich, nicht nur mein Leben retten, sondern auch der schändlichen Ver- und Beschneidung entgehen wolte.

Früh Morgens, etwa 2. Stunden nach Aufgang der Sonnen, kam der zweyte Abgesandte, und trug mir vor, welchergestallt der Kisler-Aga meine gestrige trotzige Antwort sehr übel empfunden, jedoch weil ihm bewust, daß der Kayser eine gantz besondere Gnade auf mich geworffen, hätte er seinen Zorn gemäßiget, von dem Kayser aber Befehl erhalten, mich heute verschneiden zu lassen, wolte ich nun die Gnade des Kaysers nebst meinem zukünfftigen Glücke nicht muthwillig verschertzen, so solte mich nicht ferner wiederspenstig erzeigen, sondern die wenigen Schmertzen mit frölichen Hertzen ausstehen, indem ich solchergestalt die Hoffnung erlangte, vielleicht in wenig Jahren ein grosser Mann zu werden, etc. und was dergleichen tröstliche Worte mehr waren. Allein, ich blieb bey meiner ersten Resolution, lieber zu sterben, als meine Religion zu verändern, und als ein Verschnittener zu leben. Der abgeschickte gab sich hierauf nebst meinem bißherigen Hofmeister und lnformator viel Mühe, mich in Güte zu diesem Unheyl zu bewegen, da aber nichts verfangen wolte, wurde der erstere endlich in Harnisch gejagt, und sagte: Nun so muß man, dem Befehle nach, Gewalt brauchen; ging auch gleich zum Zimmer hinaus, und ruffte 4. bewaffnete Mohren herein, nebst noch 2. andern, welche die Instrumenta, mich zu castriren und zu beschneiden,[103] bereits in Händen trugen. Die 4. Bewaffneten fingen so gleich an, sich nach abgelegtem Gewehr, meiner zu bemächtigen, wolten mich auf den Tisch legen, damit die vortrefflichen Operateurs ihre Kunst an mir ausüben könten, ich wehrete mich mit gröster Gewalt, wurde aber vermahnet, mich nur mit Gedult derein zu geben, oder mir es selbst zuzuschreiben, wenn der Schnitt mir zum Schaden oder gar zum Tode gereichte; da nun vermerckte, daß ich mich ihrer nicht mehr erwehren könte, bath ich nur um ein bequemeres Lager und etwas Zeit zum Verschnauben. Es wurde mir gewillfahret, auch angerathen, mich auf mein Bette zu legen, allwo die Operation eben so füglich verrichtet werden könte, mitlerweile aber hatte ich Zeit, in meinen Schubsack zu greiffen, und ein starckes Feder Messer aus der Scheide zu ziehen, welches ich den Operateur, so bald er sich von neuem an mich machte, dergestalt tieff in das Hertz hinein stach, daß er augenblicklich zu Boden sanck. Hierüber wurden die andern bestürtzt, ich aber bekam Lufft, aufzuspringen, und sagte: Nun will ich mit Freuden sterben, weil ich doch weiß, warum? Doch hoffe die Gnade zu haben, vor meinem Ende den Kayser Muley Ismaël erstlich noch einmahl zu sprechen. Rieff hierauf auch noch etliche mahl den Nahmen Muley Ismaël aus.

Diese kurtze Appellation wurckte so viel, daß die Schwartzen keine fernere Gewaltthätigkeiten an mir verübten, sondern mich nur in genauer Verwahrung hielten, biß der Abgeschickte, der nebst meinem bißherigen Informatore weg ging,[104] nach Verlauff etwa zweyer Stunden wieder zurück kam, und die Post brachte, daß man mich vor den Kayser führen solte. Solches geschahe, und hatten die 4. Mohren ihre entblösten Schwerdter in den Händen, der Meynung, in Gegenwart des Kaysers ein Stückgen Arbeit zu bekommen, und mich Elenden in etliche Stücke zu zerhauen. Der Kayser Muley Ismaël saß auf einem kostbaren Stuhle, und so bald ich mich vor ihm niedergeleget, und die Erde geküsset hatte, fing er an, mit eben nicht gar zu zornigen Gebärden, also zu reden: Verfluchter Christ! wie bist du auf die Gedancken gerathen, die dir bishero erzeigte und noch fernerhin zugedachte Gnade mit Fussen von dir zu stossen; denn ich habe beschlossen gehabt, so gleich nach völliger Heilung deiner Wunde und Annehmung des Mahometanischen Glaubens, dich zum Schach-Zadeler-Agasi (dieses ist derjenige Officier unter den Verschittenen, welcher über des Kaysers Kinder die Ober-Aufsicht hat, und in grossen Ansehen stehet) zu machen, und dein Glück noch weiter zu befördern, nun aber wirst du nicht allein wegen deiner Wiederspenstigkeit, sondern auch wegen des, an einem meiner Unterthanen begangenen Mordes, des schmälichsten Todes sterben müssen. Rede Hund!

Solchergestalt sahe ich meinen Tod vor Augen, denn obgleich Muley Ismaël seit einigen Jahren her nicht mehr so grausam gewesen war, als vor dem, so konte doch gar leicht glauben, daß mir auf dieses mein Verbrechen die Todes-Straffe würde dictirt werden. Dem ohngeacht verspürete ich[105] in meinem Hertzen nicht die geringste Furcht vor dem Tode, sondern brachte meine Antwort in folgenden freymüthigen Maroccanischen Worten vor:


Gröster Kayser! Dich hat GOtt der Allerhöchste zu einem Gott auf Erden gemacht, weßwegen ich mich schuldig erkenne, den Staub zu deinen Füssen aufzulecken; Dein Reichthum ist unschätzbar, und deine Macht unaussprechlich, bey dem allen aber pflegst du mehr zu geben als zu nehmen. Erwege demnach selbst, warum du itzo so begierig bist, mir den Christlichen Glauben aus dem Hertzen, und das, was mir GOtt und die Natur geschenckt, aus dem Leibe reissen zu lassen. Ich bin zwar durch ein besonderes Schicksal unter deine Gewalt gebracht, jedoch wegen der unverdient genossenen Gnaden bewogen worden, dir Zeit-Lebens getreu und redlich zu dienen, so weit sich meine Wissenschafft und Vermögen erstreckt. Gröster Kayser, glaube mir, daß derjenige, welcher an seinem GOtt und Glauben ungetreu wird, auch seinem Herrn niemahls getreu seyn kan, und wo will ein solcher, welcher mit Gewalt verstümmelt und verschnitten wird, die Lust hernehmen, sein ihme aufgetragenes Amt mit behöriger Freudigkeit und ohne heimlichen Kummer und Widerwillen zu verrichten. Ich elende Creatur versichere deine Majestät, daß ich als ein Christ viel lieber ein ewiger Sclave bleiben, als ein verstümmelter Mammelucke,[106] ein Erbe deiner Reiche und Länder werden wolte. Wende deine Augen auf meine Treue und Standhafftigkeit, denn, wirst du mich mit Gewalt beschneiden und castriren lassen, so wisse, daß der erste Dolch, Messer, Strick, oder ein ander Mord-Instrument, ein Mittel seyn wird, mich aus dem Reiche der Lebendigen ins Reich der Todten zu versetzen, weßwegen ich denn bey GOtt im Himmel Vergebung zu erlangen verhoffe.


(Hier fiel mir, verfolgte Mons. van Blac seine Rede, eine in voriger Nacht ausgedachte Noth-Lüge ein, die ich dergestalt vorbrachte:)


Allermächtigster Kayser! ich habe mich zwar anfänglich vor dem Sohn eines Schiff-Capitains ausgegeben, allein, solches ist nur darum geschehen, etwa mit der Zeit etwas an meinen Kantzion-Geldern zu ersparen, denn ich bin ein gebohrner Graf aus Holland, dessen wohlbemittelte Eltern vermuthlich noch am Leben sind, die allzu grosse Lust zur See zu reisen, und Ost-Indien zu sehen, hat mich durch Schiffbruch anhero gebracht; Wird mir mein Leben, und das, warum ich schon gebeten, gelassen, so kan ich vielleicht binnen weniger Zeit mit baarem Gelde ausgelöset werden, ist aber keine Hoffnung zu meiner Freyheit vorhanden, so will ich Zeit-Lebens dein getreuster Sclave verbleiben, jedoch als ein Christ und Unverschnittener. Ausser diesem[107] will eher erdulden, daß man meinen elenden Cörper in tausend Stücken zerhackt, und denselben den Hunden vorwirfft. Jedoch was werden, Gröster Kayser! deine allergnädigsten Augen und Gedancken vor besonderes Vergnügen an diesem Jammer-Spiele haben? Derowegen erhöre meine Bitte, begnadige deinen allergetreusten Knecht und Sclaven, doch soll ich ja sterben, so laß nur mein Haupt mit einem eintzigen Schwerd-Streiche zu deinen Füssen legen.


Dieses war (fuhr Mons. van Blac fort) ohngefähr der Innhalt meiner Rede, die ich an den Kayser that, er hörete mir so wohl als alle bey ihm stehenden sehr aufmercksam zu, ging darauf mit dem Kisler-Aga und einigen andern Ministers in ein Neben-Zimmer, aus welchem nach Verlauff etlicher Minuten der Kisler-Aga zurück kam, und zu meinen Begleitern sagte: Der Sclav soll sterben, doch hat ihn der Kayser in so weit begnadiget, daß ihm unten auf dem Platze nur bloß der Kopff abgeschlagen werden soll.

Demnach führete man mich hinunter auf den Platz, ich betete unterwegs die trostreichsten und Christlichen Gebete, so mir nur einfielen, muste hernach unten auf dem Platze, unter des Kaysers Fenster, mich auf einen viereckten Stein setzen, und den Streich erwarten. Indem kam ein Verschnittener gelauffen, und brachte die Nachricht: Der Kayser wäre dennoch gesonnen, mir das Leben zu schencken, wenn ich mich nur bloß beschneiden, und[108] die Mahometanische Religion annehmen wolte, mit der Verschneidung aber solte ich verschonet bleiben, allein, weil ich mich schon völlig zum Sterben zubereitet, war meine Antwort diese: Der Tod wäre mir lieber als dieses. Hierauf druckte ich meine Augen veste zu, betete laut in Holländischer Sprache, um mitten im Gebet mein Haupt zu verlieren, endlich aber, da ich sehr lange gesessen, ergriffen mich zwey Mohren bey den Armen, und führeten mich auf das Zimmer eines Thurms, welches ziemlich reinlich, jedoch mit eisernen Thüren und Fenster-Stäben wohl verwahret war, liessen sich auch im Hinweggehen so viel verlauten, daß ich wegen meines Eigensinnes allhier eine grössere Straffe und Marter abzuwarten hätte.

Ich stellete alles in GOttes Hände, und blieb bey dem vesten Schlusse, lieber alle Marter auszustehen, als meinen Christlichen Glauben zu verläugnen, und ein Mahometaner zu werden; inzwischen hatte an guten Speisen und Geträncke keinen Mangel, auch meinen vorigen, ohngefähr 14. jährigen Mohren-Knaben zur Aufwartung bey mir, welcher, auf gegebenes Zeichen mit einer Klatsche, fast so offt heraus und herein kommen konte, als ihm beliebte. Die öfftern Visiten meines bißherigen Informatoris und einiger Officiers der Verschnittenen gereichten mir in dieser meiner Einsamkeit mehr zum Verdruß als zum Vergnügen, indem ihre eintzige Absicht war, mich zum Mammelucken zu machen, doch war dieses meine gröste Freude, daß mir mein bißheriger Informator nicht nur verschiedene, von mir selbst erwehlte Bücher,[109] wie auch Dinte', Federn und Pappier mitbrachte und zuschickte.

Solchergestalt konte mir doch manche Grille vertreiben, und meine Christlichen Gebeter, Bibliche Sprüche und Gesänge, die ich auswendig wuste, aufzeichnen. Nachdem ich aber länger als 3. Wochen in diesem Behältnisse gesessen, kam eines Abends mein Mohren-Knabe, und reichte mir, nachdem er das Abend-Essen aufgesetzt, eine schlecht ansehnliche, höltzerne, versiegelte Büchse in die Hände, sagte auch, (weil er als ein Unverständiger, durch meine öfftern Geschencke und andere erzeigten Wohlthaten, mir sehr getreu worden war,) daß seine Schwester, mir selbige in Geheim zu überbringen, bey Leib- und Lebens-Straffe anbefohlen hätte. Ich ließ Essen und Trincken stehen, gieng an ein Fenster, und fand oben verschiedene grosse Gold-Stücke, in der Mitten einen zusammen gelegten Brief, unten aber ein in Gold eingefassetes Portrait eines sehr wohlgebildeten Frauenzimmers. Den Innhalt des Briefes zu lesen, war ich am allerneugierigsten, und fand denselben also gesetzt:


Werthefter Herr Lands-Mann!


Ich schätze es mir vor ein besonderes Glück und Vergnügen, euch in Wahrheit versichern zu können, daß mein Vorbitten bey dem Kayser euch allein das Leben erhalten, denn ich habe in dem Neben-Zimmer nicht nur eure an den Kayser gethane Rede von Wort zu Wort angehöret, sondern auch eure Person durch ein kleines[110] Glas-Fensterlein selbsten gesehen, derowegen jammerte es mich, daß ihr sterben soltet, und brachte durch einen Fußfall und hefftiges Bitten es bey dem Kayser, welcher mir bißhero fast keine eintzige Bitte versagt, dahin, daß er euch so gleich das Leben schenckte, und mit dem gedroheten Haupt-Abschlagen nur eure Beständigkeit probiren wolte. Bleibet derowegen beständig bey eurem Christlichen Glauben, da ihr bereits eine solche starcke Probe abgelegt, und kehret euch an nichts, denn auf mein Angeben seyd ihr zwar gefangen gesetzt, ich hoffe aber, eure Freyheit nächstens mir guter Manier zu befördern. Von meinem eigenen Wesen will ich euch voritzo so viel eröffnen, daß ich Unglückselige, eine Ehe-Frau eines Holländischen Kauffmanns, auf der Fahrt nach Ost-Indien aber vor 3. Jahren von den See-Räubern gefangen und anhero geführet worden bin, da man mich denn unter die Zahl der Kayserlichen Concubinen gebracht, und zu einer unglückseligen Bett-Wärmerin des alten Kaysers machen will. Jedoch ist der Himmel mein Zeuge, daß er mich noch niemahls vollkommen fleischlich berühret hat, sondern ich habe mein bestes Kleinod noch biß diese Stunde unzerbrochen erhalten. Ob mein Mann aus der Sclaverey errettet, und noch am Leben ist, habe ich nicht erfahren können, jedoch durch euch hoffe ich es auszukundschaffen,[111] so bald ich eure Freyheit zuwege gebracht. Mittlerweile will auch schon auf Mittel bedacht seyn, Gelegenheit zu verschaffen, daß wir einander einmahl auf eine Stunde mündlich sprechen können. Weil ich sonsten glaubte, daß ihr vielleicht eben nicht mit vielen Mitteln versehen, so habe einige Golo-Stücke beygelegt, damit ihr euch ein und anderes beliebige davor köntet einkauffen lassen, zu unterst aber liegt mein Portrait, damit ihr an selbigen möchtet erkennen lernen


Eure

redlich gesinnete

Landsmännin.


P.S. Findet ihr euch im Stande, mir auf dieses zu antworten, so könnet ihr das Schreiben nur in ein ausgehöltes Wachs-Licht einhüllen, und euren kleinen Mohren anvertrauen, denn er ist getreu, so wie seine Schwester bey mir, diesen Brief aber verbrennet, oder nehmet ihn nebst dem Bildnisse sehr wohl in Acht, damit wir nicht beyde unglücklich dadurch werden.


Nach etlichmahliger Uberlesung dieses Briefes beschauete ich das Portrait etwas genauer, und befand dessen Lineamenten sehr schön gezeichnet, küssete selbiges aus hertzlicher Danckbarkeit gegen meine Lebens-Erhalterin, wäre auch wohl noch lange in tieffen Gedancken am Fenster stehen geblieben, wenn mich nicht mein Aufwärter erinnert[112] hätte, etwas von den aufgesetzten Speisen zu geniessen. Ob ich nun gleich etwas von denselben genoß, so blieb doch beständig in tieffen Gedancken über diese Avanture, konte nicht schlüßig werden, ob, wie oder was ich antworten solte, legte mich endlich zur Ruhe, da aber um Mitternachts-Zeit mein kleiner Mohr sehr vest eingeschlaffen zu seyn, allerhand Zeichen von sich gab, stund ich wieder auf, und fassete, ebenfals in Holländischer Sprache, folgendes Antworts-Schreiben ab:


Madame!


Vor Dero besondere Gnade und Gütigkeit, die sie an mir Elenden erstlich ohne mein Wissen, nachhero aber durch sichere Merckmahle erwiesen, schätze ich mich verbunden, ihnen mit meinem Blute zu dienen, werde auch selbige biß auf die letzte Minute meines Lebens mit danckbarem Hertzen zu erkennen bemühet seyn. Wolte der Himmel, daß es Ihnen möglich wäre, mich in Freyheit zu setzen, und mir das ungemeine Vergnügen zu verschaffen, nur eine kurtze Zeit mündlich mit Ihnen zu sprechen, so solte mir nach genommener Abrede, vielleicht nicht unmöglich fallen, Sie und mich in völlige Freyheit und in unser Vater-Land zu versetzen, denn ich habe einige, nicht so gar sehr ungereimte Mittel darzu ausersonnen, welche aber erstlich mit Ihnen überlegen müste. Dero werthesten Zeilen zu verbrennen, ist mir unmöglich, weil sie der eintzige Trost in meinem Jammer-Stande[113] sind, ich werde aber dieselben nebst dem Verehrens-würdigen Portrait meiner Lebens-Erretterin, schon dergestalt zu verbergen wissen, daß keine Verrätherey daraus entstehen kan. Ubrigens erwarte Dero fernerweitigen Befehle, empfehle mich Ihrer beständigen Gnade, und beharre Zeit-Lebens


Dero

gehorsamster Knecht.


Auf das erstere mahl ein mehrers zu schreiben, hielt nicht vor rathsam, weilen von dieser Person Sinnen und Gedancken noch nicht vollkommen informirt war, sondern erstlich abwarten wolte, worzu sie sich in Zukunfft entweder schrifftlich oder mündlich weiter erklären, und wie es mit meiner Loßlassung halten würde. Demnach versteckte ich das gantz subtil zusammen gerollte Pappier in ein Stücklein ausgehöltes Wachs-Licht, gab es meinem kleinen Mohren, selbiges seiner Schwester einzuhändigen, mit dem Bedeuten, daß diese, eben dieses Stück Wachs-Licht, derjenigen Person zurück geben solte, welche mir die höltzerne Büchse zugeschickt hätte.

Tags hernach bekam ich die erfreuliche Nachricht ebenfalls in einem Stücklein Wachs-Lichte eingehüllet, daß unsere Correspondenz dieses mahl glücklich abgelauffen wäre, und 4. Tage hernach wurde ich vor den Kayser geführet, welcher, indem ich mich vor ihm niedergeleget, also zu mir sprach: Höre, Sclav! aus besondern Ursachen habe ich dir nicht allein dein Leben geschenckt, sondern auch zugegeben,[114] daß du hinfüro nicht mehr ein Gefangener seyn solst; es ist dir erlaubt, ein Christ zu bleiben, und dir eine Christliche Sclavin zur Frau auszusuchen, so bald derselben eingebracht werden; Allein, aus meinen Diensten lasse ich dich nicht, sondern du solst eine gute Charge erhalten, auch wenn du dich dabey wohl aufführest, weiter befördert werden.

So bald der alte Kayser aufgehöret hatte zu reden, berührete ich mit meiner Stirne 3. mahl den Erd-Boden, zum Zeichen meiner Danckbarkeit, versprach mit dem Munde, solchergestalt, Zeit meines gantzen Lebens der allergetreuste Knecht des Kaysers zu verbleiben, wurde hernach unter die Zahl der Geheim-Schreiber und Dollmetscher aufgenommen, auch zugleich zum Unter-Aufseher des Bau-Wesens bestellet, bekam im übrigen die Freyheit, in der gantzen Residentz-Stadt herum zu wandeln, wohin ich wolte, jedoch nur ausser der Zeit meiner Amts-Verrichtungen, welche hauptsächlich darinnen bestunden, daß ich zuweilen Morgens wenigstens 2. biß 3. Stunden bey dem Kayser mit zur Aufwartung seyn muste. Wenig Tage darauf brachte mir mein kleiner Mohr, abermahls im Wachs-Lichte, ein Pappier, worauf diese Zeilen geschrieben stunden:


Mein Herr!


Ich bin nunmehro versichert, daß ihr erfahren habt, wie viel mein Vorspruch gilt, und daß ihr dadurch in Freyheit gesetzt seyd. Nunmehro bin ich auch selbst begierig, euch persönlich zu sprechen, weil sich[115] aber solches nicht so leicht schicken will, so ziehet mit Geschencken, meine Mohren-Sclavin, als die Schwester eures Bedienten, an euch, lasset euch so weit führen, biß ihr erstlich den richtigen Eingang zu meinem Zimmer sehet, und nicht fehl gehen könnet, so dann will ich euch ferner schrifftliche Nachricht geben, zu welcher Zeit es sich schicken kan, mich zu besuchen, doch werdet ihr euch gefallen lassen, den Habit meiner Mohrin anzuziehen, weil die Wache der Verschnittenen keine Manns-Person paßiren läst. Anbey sende abermahls in einer höltzernen Büchse 100. Zechins, welche ihr zu Ausführung eures Vorhabens, daferne euch etwas daran gelegen, anwenden könnet. Binnen 3. Tagen sollet ihr nähere Instruction von mir haben, etc. etc.


Niemahls hat mir eine Zeit länger gewähret, als diese 3. Tage, doch mitlerweile suchte ich Gelegenheit, den Eingang zu ihren Zimmer auszuspüren, und gegen Abend, des 3ten Tages, kam meines Aufwärters Schwester, brachte mir so wohl mündlich als schrifftlich die Nachricht, daß ich ihre Kleider anziehen, und ein Tuch vor das Gesicht halten, als ob ich grosse Zahn-Schmertzen hätte, (indem es diese getreue Sclavin im Herausgehen auch schon so gemacht) und solchergestalt durch die Wache der Verschnittenen zu meiner Lands-Männin hindurch passiren solte.

Ich stürtzte mich allerdings hiermit in eine Augenscheinliche Todes-Gefahr, war aber dennoch [116] resolvirt, alles zu wagen, um nur meine Lebens-Erretterin zu sehen und zu sprechen. Demnach zohe ich, bey angetretener Demmerung, der Mohrin Kleider an, schwärtzte mein Angesicht, Arme und Hände nach Mohren Art, ließ diese in meinem Zimmer bey ihrem Bruder bleiben, folgte ihrer Anweisung, und begab mich auf den Weg, kam auch glücklich, ohngefragt und unbesichtiget durch die Wache hindurch, biß in das Zimmer meiner Landesmännin. Dieselbe mochte nun schon alles abgepasset haben, hatte aber doch eine alte bey ihr sitzende schwartze Wart-Frau nicht loß werden können, allein, so bald ich die Thür eröffnete, nahm mich die Dame bey dem Arme, und sagte: Du armes Thier, hast du denn noch immer so grosse Schmertzen, komm nur, und lege dich in deiner Cammer zu Bette; unter diesen Worten führete sie mich in eine Neben-Cammer, und wiese mir würcklich ein Bette an, worein ich mich legen und verhüllen solte. Ich gehorsamte ihren Wincken, sie aber blieb wohl noch eine Stunde lang munter, schwatzte binnen der Zeit mit der alten Mohrin, und schaffte sie endlich mit guter Manier auf die Seite.

Leichtlich ists zu errathen und zu glauben, daß mir das Hertze damahls gewaltig müsse gepocht haben, jedoch da meine Frau Lands-Männin endlich kam, und mir einen Muth einsprach, daß wir nunmehro nichts gefährliches zu besorgen hätten, sondern biß gegen Anbruch des Tages vertraut mit einander sprechen könten, ließ ich alle Zaghafftigkeit fahren, erzählete auf ihr Bitten meine[117] gantze Lebens-Geschicht, und vernahm auch hernach die Ihrige, als womit fast die gantze Nacht zugebracht wurde, letztlich aber wurde die Abrede so genommen, daß sie mir vor etliche 1000. Thlr. Gold und Kleinodien zuschicken wolte, vermittelst dessen ich etwa einen Jüdischen oder Christlichen Spion erkauffen könte, der uns beyde in verstelleter Kleidung entweder auf ein Christliches Schiff, oder aber durch einen Umweg nach der, auf den Africanischen Küsten gelegenen Spanischen Vestung Ceuta, brächte.

Weilen aber der Tag anzubrechen begunte, muste ich mich vor dieses mahl, da es noch ein wenig demmerig war, eiligst fort machen. Meine Lands-Männin hatte die Vorsicht gebraucht, mir ein ziemlich groß Gefäß in die eine Hand zu geben, begleitete mich auch biß in die Thür des Saals, wo die Wache der Verschnittenen stunde, und sagte, dieselbe vom Fragen abzuhalten, indem ich hurtig fortging: Bleib nicht allzu lange aussen, und zerbrich mir ja das Gefäß nicht! Solchergestalt kam ich glücklich, ohne daß mich jemand anredete, in meinem Zimmer an, gab der Mohrin ihre Kleider nebst dem Gefäß, welches sie mit frischem Wasser füllete, und wieder zu ihrer Gebiehterin ging, ich aber brachte über eine gute Stunde zu, ehe ich die schwartze Farbe wieder vom Gesicht und Händen loß werden konte.

Die übrige Zeit dieses gantzen Tages stellete ich mich etwas unpäßlich, damit ich in meinen Gedancken desto füglicher wiederholen könte, was ich in der vergangenen Nacht mit meiner Lands-Männin[118] gesprochen hatte, denn wir hatten in Wahrheit ein schweres Werck vor uns, welches, wenn es wäre entdeckt worden, beyden die grösten Martern und den ohnfehlbaren Todt würde zugezogen haben. Jedoch weil sie mir versprochen hatte, fleißig um die glückliche Ausführung unsers Vorhabens zu beten, so nahm ich meine Zuflucht auch zum Gebet, und spürete dabey, daß mir mein Hertz immer leichter wurde. Folgende Tage nahm ich mir vor, mich, ausser der Kayserl Residentz, in der Stadt bekandt zu machen; es wird aber vielleicht nicht mißfällig seyn, wenn ich eine kleine Beschreibung davon mache. Das Kayserliche Schloß, Accassave genannt, ist ein sehr prächtiges Gebäude, welches mit den vortrefflichen Gärten, so darzu gehören, eine gute Meilwegs im Umfange hat, es ist auch das Seraglio oder Behältniß der Weiber darinnen, und befanden sich in selbigem damahls, ausser den 4. Gemahlinnen, über 2000. Kebs-Weiber. Denn obgleich der Kayser nicht mehr als 4. würckliche Gemahlinnen haben darff, so ist ihm doch erlaubt, so viel Kebs-Weiber zu halten als er will. In der Haupt-Stadt, welche mit ziemlich viel Pallästen der Grossen angefüllet ist, finden sich aber auch viel geringere, ja gantz schlechte Häuser, es wohnen auch sehr viel Juden darinnen, jedoch in einem besondern Revier, welches des Nachts verschlossen wird. Ausser dem liegt noch eine andere gantz grosse Stadt an der Nord-West-Seite, die aber nicht sonderlich wohl gebauet ist, und von lauter gantz schwartzen und gelben Mohren bewohnet wird; in dieser habe[119] ich mich niemahls sehr umgesehen, weiln gehöret hatte, daß wenig oder gar keine Christen oder Juden darinnen angetroffen würden. Da ich nun merckte, daß mir sehr viel Freyheit gelassen wurde, indem mich kein Mensch unbescheiden fragte, weder, wo ich hin wolte? noch wo ich herkäme? oder wo ich gewesen wäre? so stellete mich gantz dreuste an, und gab hier und dar bey den höhern Bedienten zu vernehmen, wie ich nur darum ausgienge, etwa eine mir anständige Christen-Sclavin anzutreffen, selbige zu erkauffen und mit derselben eine Heyrath und eigene Wirthschafft zu stifften, damit ich nachhero meine Dienste desto ordentlicher und lustiger verrichten könte; ja ich war einsmahls so verwegen, eben dieses dem Kayser selbst, da er bey guter Laune war, aufzubinden, und vermerckte, daß ihm meine Absichten wohl gefielen, denn er versprach, wenn ich mir auch die allerschönste und beste Sclavin ausläse, mir selbige zu schencken. Mittlerweile lernete ich nun, mich meiner Freyheit immer besser und besser zu bedienen, ließ aber keine 2. oder 3. Tage vorbey streichen, daß ich meiner Lebens-Erhalterin, Lands-Männin und besondern Wohlthäterin nicht ordentliche Nachricht von allen gegeben hätte, und zwar vermittelst einer besondern Schrifft, die niemand als wir beyde lesen und verstehen konte, und worüber wir mit einander eins worden waren. Inzwischen schickte sie mir gewaltige Geld-Su en und sehr kostbare Kleinodien zu, so, daß mir recht angst und bange darüber wurde, weil ich noch keinem eintzigen guten Freund angetroffen, dem ich[120] mein Hertz hätte offenbaren und ihm wenigstens die Helffte von allen in Verwahrung geben können.

Meiner Nachläßigkeit konte ich dieses nicht Schuld geben, denn ohngeacht ich in Mequinez einen und andern Holländer und Engelländer gesehen, so war mir doch von allen diesen, keiner als ein Werckzeug vorgekommen, durch welches ich meine und meiner Lands-Männin Befreyung zu erlangen hoffen können, denn Deutsch zu sagen, sie kamen mir alle zu dumm vor. Eines Tages aber, da ich durch die Juden–Stadt ging, kam ein ohngefähr etliche 30. jähriger Jude eben zu seiner Thür heraus, und fragte, ob mir nicht beliebte, ihm etwas von Galanterie Waaren abzuhandeln. Ich fragte in Maroccanischer Sprache: was er besonders hätte? und ging auf sein Bitten mit ins Hauß, da er mir denn allerhand artige Sachen von Silber, Gold und andern Metallen kostbar verfertiget, vorzeigte, und die Lust erweckte, vor mehr als 50. Zechinen von ihm zu kauffen, welches aber alles gantz leicht in den Schubsäcken verbergen konte, denn es waren lauter kleine Sachen. Endlich zeigte er mir eine saubere goldene Repetir-Uhr vor 120. Zechinen, vor welche ich ihm ohne langes Handeln das geforderte Geld hinzählete, jedoch mit dem Bedienge, daß, wo ich dieselbe binnen 8. Tagen falsch befinden solte, er mir das Geld wieder zurück zu geben schuldig sey, denn ich wäre ein Bedienter des Kaysers, und könte mir bald Hülffe schaffen. Der Jude war damit zufrieden, sagte, daß er heut über 8. Tage den gantzen Tag allhier[121] in seinem Wohn-Hause verbleiben, und auf mich warten wolte, fing hernach von freyen Stücken zu sagen an: Mein Herr! ihr habt mehr Mittel als ich anfänglich bey euch gesucht hätte, allein wo ich rathen soll, so seyd ihr ein gebohrner Christ und vielleicht durch Unglück anhero in die Sclaverey gekommen? Ja wohl, sagte ich, habt ihr es errathen, und nicht allein ich, sondern auch meine leibliche Schwester, die noch ein paar Jahr älter ist als ich, wir sind aus einem vornehmen Geschlechte, aus Holland gebürtig, und haben unsere reichen Eltern noch am Leben, welche uns gerne mit etliche 1000. Thlr. loßkaufften, wenn sie nur wüsten, wo wir wären, allein, wir sind darinnen unglücklich, daß, ohngeacht ich schon 2. mahl Briefe nach Holland mitgegeben, wir dennoch keine Antwort zurück erhalten haben, derowegen zu glauben, daß die Briefe nicht zurecht gekommen, sondern verlohren gegangen sind. Wenn ihr, versetzte der Jude hierauf, eines andern und nicht des Kaysers Sclaven wäret, so wäre wohl noch Rath zu finden, euch loß zu kauffen, allein, vor Geld pflegt der Kayser seine Sclaven nicht zurück zu geben, und derowegen ist wenig Hoffnung zu eurer Errettung da, wenn ihr euch nicht mit List zum Lande hinaus practiciren könnet; allein, ihr wisset allhier keinen Bescheid, und ein anderer, es sey Christ oder Jude, wird sich ohne schwere Geld-Summen nicht leicht in dergleichen Sachen mischen, weil, wenn die Sache verrathen würde, das Leben eines jeden schon so gut als verlohren ist. Das ist leicht zu erachten, war meine Antwort, inzwischen[122] muß man auf die Hülffe des Allmächtigen hoffen, auf ein paar tausend Zechinen aber solte es mir eben nicht ankommen, wenn sich ein redlicher Mensch finden wolte, der uns beyde wieder unter die Gesellschafft unserer Lands-Leute bringen könte. Hierauf sagte der Jude, wenn ihr redlich seyn, mich nicht verrathen, und mir meine Mühe wohl bezahlen wollet, will ich vor eure Befreyung, welche listiger Weise angestellet werden muß, Sorge tragen, allein, wo befindet sich eure Schwester, hat selbige auch, wie ihr, die Freyheit hinzugehen, wo sie hin will? So viel Freyheit, sprach ich, ist ihr nicht erlaubt, als mir, doch wäre es eben keine unmögliche Sache, sie zur Nachts-Zeit ein paar Meilen von Mequinez hinweg zu bringen. Wenn sie nur erstlich bey Nachts-Zeit allhier in mein Hauß gebracht werden könte, sagte der Jude, so solte sich nachhero alles schicken, denn ich bin im Stande, euch alle beyde etliche Wochen an einem geheimen Orte darinnen aufzuhalten, allwo euch die Mohren nimmermehr finden können, sie mögen auch suchen wie sie immer wollen. Ob auch gleich bey Nachts-Zeit das Revier, wo wir Juden wohnen, verschlossen wird, so wissen doch viele von uns solche Schliche, daß wir aus- und einkommen können, wenn wir wollen.

Ich wuste so gleich nicht, was ich weiter antworten solte, blieb derowegen eine ziemliche Zeit in tieffen Gedancken sitzen, mitlerweile brachte der Jude eine Bouteille Wein auf den Tisch, und fragte mich, ob ich auch Wein träncke? Ich that ihm Bescheid, und fand den Wein so köstlich, als[123] ich ihn jemahls getruncken hatte, nachdem ich aber noch einige kleine Gläser ausgelehret, fuhr der Jude mit Reden also fort: Mein Herr, ich mercke wohl, daß ihr auf meine Reden kein besonderes Vertrauen setzet, allein, glaubet sicherlich, daß wir Juden es hier zu Lande mehr, und weit lieber mit den Christen halten, als mit den Mohren und andern Nationen, die Kauff-Leute wissen auch selbst daß wir es allezeit redlicher mit ihnen meynen, als mit den Maroccanern, allein, wir müssen uns sehr behutsam dabey aufführen. Damit ihr aber dessen vollkommen überzeugt werdet, so kommet nach zweyen Tagen wieder zu mir, alsdenn will ich euch einem Christlichen Kauffmanne aus Engelland præsentiren, welcher ein Contoir in Gibraltar, und zum öfftern starcken Verkehr allhier gehabt hat, nunmehro aber ist er resolvirt, in sein Vaterland, nehmlich nach Engelland, zurück zu reisen, vielleicht ists möglich, daß ihr alle beyde von ihm durch List mitgenommen werden könnet; wo nicht? werde ich ein ander Mittel zu erfinden wissen, denn, wie schon gesagt, wir Juden dienen den Christen gern vor ein billiges Geschencke, welches aber etwas kostbarer seyn muß, wenn Lebens-Gefahr bey der Sache zu besorgen ist.

Hierauf trunck ich noch etliche Gläser Wein, zahlete dem Juden eine Zechin darvor, versprach, die Sache mit meiner Schwester zu überlegen, und am dritten Tage in der Mittags-Stunde wieder bey ihm zu seyn, auch daferne er sein Wort halten, und uns in Freyheit verhelffen könte, ihm seine Mühe besser zu bezahlen, als er sich wohl einbilden[124] möchte; also ging ich dieses erste mahl in tieffen Gedancken, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, von ihm, setzte mich des Nachts in meinem Zimmer hin, und berichtete meiner Lands-Männin schrifftlich, wie ich nunmehro die erste Hand an das Werck unserer Befreyung gelegt, und bat mir, auf Ubermorgen früh, ihre Meynung und fernern guten Rath darüber aus.

Sie war nicht saumselig gewesen, sondern schickte mir gleich dritten Tages in aller frühe ein Antworts-Schreiben, hielt davor, daß meine Anstalten nicht uneben, weil es an dem, daß die Juden den Christen gegen eine gute Belohnung ungemein getreu wären, inzwischen müsten wir die gantze Sache noch etliche Wochen weiter hinaus schieben, biß die Nächte etwas länger und finsterer geworden, unter welcher Zeit sie mir denn auch ihre übrigen Kostbarkeiten vollends zuschantzen, ingleichen vielleicht noch einmahl mündliche Abrede mit mir nehmen könte.

Demnach begab ich mich um die bestimmte Zeit zum andern mahle zu meinem getreuen Juden, und fand würcklich einen vornehmen Englischen Kauffmann bey ihm, welchem der Jude bereits so viel von meiner Geschicht erzählet hatte, als er selbst davon wuste, ich aber erzählete ihm auch noch so viel darzu, als ihm von meinen Umständen zu wissen nöthig war. Indem uns nun hernachmahls der Jude beyde alleine ließ, redete mich der Kauffmann also an: Mein werther Freund! ich kan zwar nicht läugnen, daß ich seit etlichen Jahren verschiedenen Christen-Sclaven, welche entweder gar keine[125] Mittel gehabt, sich loß zu kauffen, oder vor Geld nicht einmahl haben loß kommen können, zu ihrer Freyheit verholffen, und sie heimlicher und listiger Weise mit mir fortgeführet, bloß auf Angeben dieses verschlagenen Juden, welcher so geschickt ist, daß er mit einem gewissen Saffte, binnen 2. oder 3. Stunden einem Menschen gleich eine gantz andere Gesichts-Bildung geben kan, solchergestalt, daß ein Jüngling oder Jungfer von 16. 18. oder 20. Jahren, so alt und verruntzelt aussehen, als ob es Personen von 60. biß 80. Jahren wären, nachdem er nehmlich mit seinem Saffte oder Tinctur die Haut mehr oder weniger einbeitzt. Allein, mit allen dem, so ist es eine sehr gefährliche Sache vor mich, und soltet ihr bey mir ertappet werden, könte es mir mein Leben, oder wenigstens alles mein Gut kosten; der Jude aber, wenn es heraus käme, müste ohnfehlbar mit dem Leben büssen. Weil ich nun auch ohnedem nicht weiß, ob ich noch etwa 4. 6. oder 8. Wochen allhier verbleiben müste, so kan mich eurentwegen zu nichts erklären, wie gern ich sonsten meinem Mit-Christen alle möglichsten Dienste leiste.

Ich wurde ziemlich kleinlaut bey dieser Anrede, sagte aber mit Seuffzen: Mein Herr, wenn meine und meiner Schwester Freyheit mit Gelde zu erkauffen wäre, so wolte gleich morgendes Tages vor 3. biß 4000. Ducaten werth Gold oder Kleinodien in eure Hände liefern, denn ich habe so viel und noch mehr in meiner Gewalt, allein, hieran zu gedencken, ist eine vergebliche Sache, und wenn wir unsere Personen nicht mit einer besondern[126] List aus diesem Reiche practiciren, so werden wir vor Kummer darinnen sterben müssen.

Vor meine Sorge und Mühe, versetzte der Kauffmann, eines Schillings werth zu verlangen, würde ich mir ein grosses Gewissen machen, allein, wenn alles glücklich ablauffen solte, würden ohngefähr 1500. Ducaten darzu erfordert werden, damit der Jude erstlich 2. fremde Sclaven vor mich kauffen, Pässe auf selbige lösen, und manchen die Augen blind machen, das übrige aber vor seine Mühe behalten könte. Hernach müste er diese Sclaven unter der Hand erstlich anderwerts wieder verhandeln, damit, wenn der Jude endlich eure Kleider wohl verändert, und eure Gesichter verwandelt, ich euch beyde, an deren Stelle, laut des gelöseten Passes, mit zu Schiffe nehmen dürffte. Allein, wie gesagt, (war seine fernere Meynung,) die gantze Sache ist annoch vielen Gefährlichkeiten unterworffen.

Das wuste ich mehr als zu wohl, ließ mich derowegen die Haupt-Sache, wegen meiner Landes-Männin und ausgegebenen Schwester, um so viel desto weniger mercken, sondern legte deßfalls, so zu sagen, alle meine Worte auf die Gold-Wage. Nachdem aber der Kauffmann noch ein paar Bouteillen Wein mit mir ausgetruncken hatte, und der Jude wieder zu uns gekommen war, meynete der erste, daß wir von dieser Sache nach weiterer Uberlegung in etlichen Tagen ein mehreres sprechen könten, der Jude aber schlug vor: daß es besser wäre, wenn wir in Zukunfft in einem andern Juden-Hause, welches er uns zeigte, zusammen kämen, und daselbst, Verdacht zu vermeiden,[127] auf einer besondern Stube, fernere Unterredung hielten.

So weit war Mons. van Blac vor dieses mahl in Erzählung seiner Geschichte gekommen, als die Glocke zwölff Uhr schlug, und uns damit erinnerte, den Alt-Vater nicht länger von seiner Ruhe abzuhalten, weßwegen derselbe den Mons. van Blac bath, Morgenden Abends den übrigen Rest von seiner curieusen Geschicht, uns vollends mitzutheilen, wir uns aber alle hierauf zur Ruhe begaben. Ein jeder besorgte folgenden Tages das Seine; Abens zu bestimmter Zeit fanden wir uns wieder bey dem Alt-Vater ein, und höreten den

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 3, Nordhausen 1736, S. 1-128.
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