Fortsetzung von Herrn [37] Mag. Schmeltzers Lebens-Geschicht

mit anzuhören. Meine Werthesten! fieng also Hr. Mag. Schmeltzer diesen Abend wiedrum zu sagen an, es werden in Teutschland wenig Menschen seyn, welche nicht wissen solten, was vor eine wunderliche und mehrentheils leichtsinnige Lebens-Art, junge Studenten auf den Universitäten zu führen pflegen, ich muß es selbst gestehen, daß unter so vielen mehrentheils sinnreichen und begeisterten Cörpern, allerhand nützliche, unnützliche, auch ziemlicher massen indifferente Streiche passiren; allein ich vor meine[37] Person ließ, ohne Ruhm zu melden, dieses meine eifrigste Sorge seyn, mich vor allen verdächtigen Gesellschafften zu hüten, modest und mäßig zu leben, keine nützliche Doctrin zu verabsäumen, und dann auf meiner Stube dasjenige fleißig zu wiederholen und zu untersuchen: was in den Collegiis so wohl publice als privatim war vorgetragen worden. Es gelückte mir in eine solche Compagnie zu gerathen, welche gemeiniglich alle Woche ein oder zweymahl Zusammenkunfft hielt, worbey ein jeder ein Specimen seines Fleisses und Judicii auffzeigen muste, welches denn aufs genauste erwogen, und von den andern nach befinden bescheidentlich gelobet, oder carpirt wurde. Es ist fast nicht zu glauben, was mir dieses feine Exercitium vor gantz ungemeinen Nutzen schaffte, denn vermittelst dessen, brachte ich binnen 3. Jahren, einen solchen starcken Vorrath von gelehrten Sachen in meinen Kopff, und darzu gemachte Bücher, als wohl ohne dieses in 6. oder mehr Jahren nicht geschehen wäre. Nach Verlauff selbiger Zeit aber, konte um so viel desto Hertzhaffter auff der Cantzel erscheinen, und da sich sehr öfftere Gelegenheit zum predigen vor mich zeigte: so hatte dabey das Glück, wenigstens von den meisten Leuten nicht ungern gehöret zu werden. Jedoch einem weltberühmten Theologo zu gefalle, und denselben persönlich zu hören, begab ich mich von der ersten hinweg, und auf eine andere Universität, allwo binnen drittehalb jähriger Anwesenheit, meine Zeit dermassen wohl anzuwenden Gelegenheit fand, daß mich selbige, biß diese Stunde, nicht im geringsten gereuen zu lassen Ursach habe. In der Michaelis[38] Messe aber des 1715ten Jahres, da ich von einem guten Freunde zur mündlichen Unterredung nach Leipzig verschrieben worden, gab mir derselbe die betrübte Zeitung zu vernehmen, daß meine liebe Mutter, seit etlichen Wochen an einem auszehrenden Fieber darnieder läge, und zu ihren wieder auffkommen schlechte Hoffnung vorhanden sey; derowegen dieselbe ein hertzliches Verlangen trüge, mich vor ihrem Ende noch einmahl zu sehen und zu sprechen, wie denn derselben an mich abgelassenes Schreiben solches mit mehrern Umbständen bekräfftigte.

Demnach begab mich mit erst erwehnten guten Freunde auf die Reise, und kam unterwegs mit dem Kauffmann, Herrn Frantz Martin Julio in Bekandschafft, welcher an meiner wenigen Person etwas ihm gefälliges finden mochte, u. derowegen mir sogleich in seinem Hause, die Condition eines Informatoris vor seinen 10. jährigen Sohn, und 7. jährige Tochter, unter sehr profitablen Vorschlägen antrug. Ich konte zwar damahls auf der Reise, weder Ja noch Nein darzu sagen, nachdem aber den Handschlag von mir gegeben, den Zustand der Meinigen erstlich zu erkundigen, so dann deßfalls weiter mit ihm Briefe zu wechseln, reisete wenig Tage hernach, ein jeder von uns seine Strasse.

Meine liebe Mutter traff ich in sehr schwachen Zustande an, und ob sie zwar in folgenden Tagen, durch meine Gegenwart sehr gestärckt zu werden schien, so nahm dennoch bald hernach das hectische Fieber, von neuen dergestallt überhand, daß sie endlich am 4. Decembr. selbiges Jahres, bey vollem[39] Verstande, nach gemachten unpartheyischen Testamente, sanfft und seelig verschied.

Ich leistete dem entseelten Cörper die schuldige Pflicht, ihrem letzten Willen aber eiffristen Gehorsam, und weiln meine älteste Schwester bereits vor 4. Jahren, einen ansehnlichen und wohl bemittelten Bürger geheyrathet, überließ ich demselben die Sorge vor unsere gemeinschafftlichen wenigen Güter, ließ dem jüngern Geschwister Vormünder bestätigen, gab meinem 19. jährigen Bruder, der seit 4. Jahren bey einem Kauffmanne die Handlung zu erlernen, im Begriff war, und denen Schwestern, welche die älteste Schwester nicht von sich lassen wolte, gute Vermahnungen, den jüngsten Bruder aber, bey dem sich in seinem damahligen 12ten Jahre ein ausserordentlich aufgewecktes Naturell zum Studiren zeigte, verließ unter der Zucht eines exemplarischen und besonders wohl qualificirten Schul-Collegen, welcher ihn vor jährliche bedungene Gelder, als sein leibliches Kind zu halten versprach, ich aber gelobte diesem meinem jüngern Bruder, bey künfftigen wohlverhalten, alljährlich aus meinem eigenen Vermögen, wenigstens 20. Thlr. Zubusse zu geben, damit es nicht allzu starck über sein bißgen Erbtheil hergehen möchte.

Nachdem nun solchergestallt bey den Meinigen alles in gute Ordnung gebracht war, fieng ich auch an vor meinen eigenen künfftigen Auffenthalt zu sorgen. Es wurden mir in Elbing, ohne Ruhm zu sagen verschiedene Conditiones angetragen, allein die Conduite des Herrn Frantz Martin Julii, hatte mich dermassen eingenommen, daß ich alle andern[40] fahren ließ, und ihm nunmehro in einem Briefe, meine Person zu seinen Diensten offerirte, ohngeacht ich wuste, daß in seiner Stadt ein Jesuiter-Collegium anzutreffen, und dieselbe ausser dem mit vielen Römisch-Catholischen Leuten angefüllet war, als vor welcher Art Menschen ich mich zu fürchten gnungsame Ursache fande.

Kaum hatte ich diesem redlichen Manne meine Meynung überschrieben, als er gleich folgenden Post-Tag mir 4. spec. Ducaten Reise-Gelder überschickte, und inständig bat, keinen Tag zu versäumen, sondern aufs eiligste bey ihm zu erscheinen, welchem Bitten ich denn auch, nach genommenen Abschiede von den Meinigen, billige Folge leistete.

Es war der 28. April. 1716. mein Eberhard Julius! (so redete damahls Herr Mag. Schmeltzer gegen mich,) und zwar Abends um 8. Uhr, da ich den ersten Fuß über eures Herrn Vaters Schwelle setzte, ihr waret als ein wohlgezogener Knabe, so gefällig, gleich bey dem ersten Eintritte mir entgegen zu lauffen und meine Hand zu küssen, welches mich dermassen afficirte, daß ich euch nachhero mit ungemeiner Treue geliebet, auch 4. Jahre lang, nach meinem besten Vermögen so gezogen habe, wie ich es vor GOtt, meinem Gewissen, euern Eltern, und vor euch selbst jederzeit zu verantworten getraue. Seiten meiner ist an euch, eurer frommen Schwester, und andern darzu gezogenen vornehmen Kindern, nicht das geringste versäumt worden, jedennoch habe dabey einige Zeit gehabt, meine eigene Studia zu beobachten, und mich sehr öffters in predigen zu üben, anbey unverdienter Weise vielen ungesuchten[41] Ruhm, auch manche unverhoffte Gunst, Bezeugungen und Geschencke von solchen Leuten zu empfangen; die ich öfters kurtz vorhero nicht einmahl gesehen oder gekennet hatte. Jedoch wir werden von unsern 4. jährigen Beysammen seyn, und dem was sich binnen der Zeit zugetragen, noch öffter mit einander zu sprechen, Gelegenheit haben, derowegen will voritzo nur in meinen Particulair-Geschichten fortfahren.

Vor Ostern 1720. schrieb mir ein gewisser vornehmer Universitäts-Patron, mit dem ich bißhero wenigstens monathlich Briefe gewechselt hatte: Ich solte meine Condition bey Herrn Frantz Martin Julio aufgeben, und je eher je lieber zu ihm kommen: weiln er verschiedene tüchtige Subjecta, in ein und anderes austrägliches Ammt vorzuschlagen, genöthiget worden, wannenhero er sonderlich auf mich, der ich doch würcklich kein Jüngling mehr sey, gantz besondere Reflexion gemacht habe, um GOtt und der Christl. Gemeinde, entweder auf der Cantzel oder auf dem Schul-Catheder meine möglichsten Dienste zu leisten. Ich konte dergleichen Ruff nicht anders als vor regulair erkennen, derowegen nahm kurtz nach Ostern von meinem bisherigen vortrefflichen Wohlthäter, Herrn Julio, wie auch allen andern Freunden, zärtlichen Abschied, und reisete mit der geschwinden Post, zu nur erwehnten meinem eingebildeten grossen Beförderer. Selbiger empfieng mich aufs allerfreundlichste, und gab mir nach Verlauff weniger Tage, vortreffliche Recommendations-Schreiben, an verschiedene Schul-Patronos einer gewissen Stadt, von welchen ich mit Worten[42] sehr höfflich an- und auffgenommen wurde, auch nebst zweyen andern, zur Præsentation und Probe, wegen eines vacanten austräglichen Schul-Dienstes mit gelangete. Ein gewisser, ohnfehlbar hierzu abgeordneter Mann wolte mich glaubend machen: ich hätte nicht nur unter den letztern, sondern auch alle bißherigen Competenten am besten bestanden, derowegen fehlete es nur daran, daß ich dem Herrn Ephoro und regierenden Burgemeister, jedem etwa ein Dutzet Thaler, dem Herrn Schul-Vorsteher halb so viel, dem Herrn Stadt-Schreiber 6. fl. und wo mir recht ist, noch andern etwas mehr oder weniger in die Jacke würffe, so würde die gantze Sache ihre gewisse Richtigkeit haben; Allein, da ich gantz einfältig heraus sagte: Wie es solchergestallt das Ansehen haben könte: als ob ich mich in dergleichen Dienste einkauffen wolte, wovor mich doch GOtt in Gnaden behüten würde; bekam ich gleich folgendes Tages das Consilium abeundi, unter dem Vorwande: daß ich kein Magister sey, auch ihren ambitieusen Schülern nicht gravitätisch genung vorkommen möchte. Nun hätten zwar diese beyden Scrupels gar leichtlich können gehoben werden, wenn ich mir nehmlich binnen wenig Tagen ein Magister-Diploma, vor etwa 30. Thlr. und dann eine geknüpffte Peruque vor 2. oder 3. Thlr. angeschafft hätte, denn NB. ich erschien vor ihnen nur in einer kleinen naturell Peruque, allein weil ich mich völlig persuadirte, daß diesen allzu gewissenhafften Herrn Patronis, mehr mit reichlichen Spendagen, als mit einem neu gebackenen, und Etaats-peruquirten Magister gedienet sey: blieb ich bey meiner Einfalt, bedanckte[43] mich noch über dieses, vor erwiesene Ehre, ohngeacht mir kein Bissen Brod vorgesetzt, vielweniger aber die Reise-Kosten gut gethan worden, und eilete zurück, dem hohen Universitäts Patrone mein fehl geschlagenes Glück vorzustellen.

Dieser schüttelte mit dem Kopffe, und sagte weiter nichts als: Mundus regitur opinionibus. Der Herr thut wahrhafftig nicht übel, wenn er sich den längst verdienten Magister-Crantz auffsetzen läst, weiln ohnedem in wenig Tagen dergleichen öffentliche Promotion hiesiges Orts angestellet wird. Man muß sich freylich bey den wunderlichen Zeiten, so wohl in diese, als in die Leute zu schicken suchen.

Ich meines Orths begieng auf sein ferneres Zureden, würcklich die Thorheit vor etliche 30. Thlr. ein Candidatus Magisterii, ja was sage ich, nicht nur dieses, sondern ein leibhafftiger, erb- und eigenthümlicher Magister, auf meine Person und gantze Lebens-Zeit zu werden. Wiewohl, es sey ferne von mir diesen löblichen Ritum und das, was darmit verknüpfft ist, verächtlich durchzuhecheln, sondern ich will nur so viel sagen: daß mir das grosse M. vor meine Person nach der Zeit so viel nütze gewesen, als das 5te Rad am Wagen. Im Gegentheil hat es mich um das schöne Geld, welches ich ohnfehlbar besser anwenden können, und dann auch nachhero um etwas mehr Dinte und Federn gebracht.

Wenige Wochen hernach, recommendirte mich mein wohlmeynender Beförderer, an einem Edelmann auf dem Lande; von welchem er ersucht worden, ihm einen tüchtigen Menschen zu zu senden, der,[44] indem sein Pfarr-Herr und Seelsorger verstorben, mitlerzeit Predigten und Beth Stunden, in seiner Dorff-Kirche halten könte, weiln die benachbarten Herrn Pastores, selbige allzu sparsam besuchten. Der Edelmann hatte zu Ende des Briefs noch die köstliche Clausul angehenckt, daß wenn es ein gelehrter und habiler Mensch sey, man ihn en regard Ihro Magnificenz bey künfftiger Pfarr-Vergebung, vor allen andern in Consideration ziehen würde. Ich reisete demnach ohne Säumniß dahin, und wurde von dem alten Edelmanne, und seiner ebenfalls ziemlich bejahrten Gemahlin, allem Ansehen nach, recht treuhertzig bewillkommet, ja so bald ich nur meine erste Predigt abgelegt, dermassen mit Lob-Reden und täglichen Wohlthaten überhäufft, daß sie mich mehr vor einen Engel, als sterblichen Menschen zu betrachten, schienen. Ein vollkommenes viertel Jahr war ich also in dieses Edelmanns Hause und an seiner Tafel gewesen, binnen welcher Zeit ich nicht allein den Gottes-Dienst der Gemeine aufs eiffrigste befördert, sondern auch des Edelmanns zwey jüngste, sehr wild und übel erzogene Söhne, mit äuserster Treue und Liebe, auf bessere Wege zu bringen gesucht hatte; Als eines Abends mein am Podagra kranck liegender Edelmann, seinen Verwalter, welches ein betagter und ziemlich vernünfftiger Mann war, an mich schickte und melden ließ: wie ich vor dieses mahl auf die künfftige Sonntags Predigt zu studiren nicht nöthig hätte, denn es würde kommenden Sonntag, nebst andern Gästen, ein benachbarter Edelmann seinen Informatorem mit bringen, welchem der Principal eine[45] Gast-Predigt, und zwar Ehrenhalber thun zu lassen, versprechen müssen. Ich gab zu verstehen: daß solches mir von Hertzen angenehm sey, zumahlen da ich ohnedem einen starcken Catharren auf der Brust hätte. Der Verwalter aber, der sich ein wenig bey mir auffzuhalten Lust bezeugte, redete gantz treuhertzig fort: Mein lieber Herr Magister, ich will ihnen im Vertrauen eröffnen, daß eben dieser Informator auch ein Competent um den hiesigen Pfarr-Dienst ist, allein ich weiß gewiß, daß mein Principal, den Herrn Magister vor allen andern erwehlen wird, daferne sich derselbe nur in einem eintzigen Stücke nach seinem, und sonderlich der Frau Principalin Sinne richtet. Ich stellete mich recht sehr aufmercksam an, einer Sache die ich bißhero nicht gemerckt oder mercken wollen, vollkommen vergewissert zu werden, im Gegentheil wuste der gute Verwalter nicht Umschweiffe genung zu machen, die ihm, von der Frau Principalin, in den Mund gelegten Worte manierlich heraus zu bringen. Jedoch ich will mich nicht lange bey dieser ärgerlichen Sache auffhalten, sondern nur kurtz heraus sagen, daß die Edel-Frau, welche nicht allein vom Jure Patronatus, sondern auch von der gantzen Hauß-Herrschafft, den grösten Zipffel in beyden Händen hielt, eine 35. jährige Jungfer zur Außgeberin bey sich hatte, welche derjenige, so die Pfarr haben wolle, unumgänglich zu heyrathen, sich anheischig machen solte. Allein ich gab den Verwalter hierauff gantz trocken und deutlich zu vernehmen: daß wenn auch dieses erwehnte Frauenzimmer, ihr nicht eben heßliches Gesichte in ein englisches, und ihr mittelmäßiges Naturell, in[46] die aller ganlanteste Aufführung verwandeln könte, so hätte doch ich ein dermassen zartes Gewissen daß ich eher Zeit lebens die Schweine hüten, als mich solchergestallt in eine Pfarre eindringen, und meine Vocation in eine Weiber-Schürtze gewickelt, annehmen wolte. Will mich GOtt, sprach ich ferner, zum Hirten einer christlichen Heerde haben, wird er mich wohl durch reputirliche und erlaubte Wege darzu führen, wo nicht, so wird er mir Gelegenheit zeigen, mein Brod auf andere ehrliche Weise zu verdienen.

Diese Erklärung war vermögend genung alle meine kräfftigen Recommendationes, ja meine gantze Pfarr-Hoffnung, hiesiges Orts, über einen hauffen zu werffen, denn da ich gleich des andern Tages, so wohl von dem Principal, als dessen Gemahlin, wie nicht weniger der Jungfer Ausgebern, die scheelesten Minen empfieng, war gar leicht zu mercken, daß der Verwalter offenhertzig ausgebeichtet, mir aber würcklich damit den grösten Gefallen erwiesen hatte.

Folgenden Sonntag, kam nebst denen vornehmen Gästen, auch bereits erwehnter Informator an, welches zwar ein wohl ansehnlicher, und mit einer ziemlich starcken Sprache begabter Mensch, im übrigen aber ein sehr schwacher Gelehrter war, wie denn alle seine Reden, und vornehmlich die erbärmlich zusammen gestoppelte Predigt, deßfalls sattsames Zeugniß ablegten. Dem ohngeacht wurde in meines Principals Hause, ein ziemliches Wesen von diesem Menschen gemacht, jedoch keiner andern Ursache wegen: als weil er einige verliebte Blicke auf die[47] Jungfer Ausgeberin gespielet, und sich schon unterwegs gegen unsern Kutscher verlauten lassen: derjenige Mensch hätte vom Glücke zu sagen, welcher mit der Zeit die kluge, haußwirthliche, tugendhaffte und überhaupt wohl qualificirte Jungfer Ausgeberin zur Ehe bekäme, die er nur ein eintziges mahl von ferne zu sehen die Ehre gehabt hätte.

Nächst folgendes Tages ließ mich der Principal selbsten vor sich kommen, und that denjenigen Vorschlag, mit einer hochadelichen ernsthafften Mine, selbst ungescheut, welchen mir der Verwalter vor wenig Tagen nur als im Vertrauen gesteckt hatte, betheurete anbey hoch, daß ich Seiten seiner, den Vorzug vor allen andern Competenten hätte, jedoch seine Gemahlin, und er selbst, hielte vor höchst billig, ihre fromme und keusche Hauß-Jungfer, wegen ihrer von Jugend auf geleisteten treuen Dienste, zugleich mit zu versorgen. Allein ich wiederholete meinen, dem Verwalter bereits eröffneten Schluß, und bat: Seine Wohlgebohrnen möchten sich solchergestallt meinetwegen nicht abhalten lassen, Dero Pfarre zu geben wem sie wolten, ich gönnete gern einem jeden das, was er sich wünschte, auch vor GOtt und seinen Gewissen zu verantworten getrauete, meines theils aber wäre sehr scrupulôs, und wolte lieber mit guten Gewissen Betteln gehen, als mit schweren Gewissen in den vornehmsten Ammte sitzen. Die Frau Principalin kam ebenfalls darzu, und konte, nachdem sie ihre Hauß-Jungfer aufs Beste heraus gestrichen, fast nicht Worte genung ersinnen, meinen so genandten Eigen-Sinn zu brechen, allein ich verharrete bey meinem Entschlusse, und bat: so bald es[48] ohne Verhinderung des Gottesdienstes geschehen könte, mir meine Dimission zu geben.

Selbige bekam ich also noch an eben diesem Tage, jedoch mit der unerwarteten Erlaubniß, künfftigen Sonntag noch einmahl zu predigen, bey solcher Gelegenheit nahm von der gantzen christlichen Gemeine öffentlichen Abschied, und wünschte ihnen: daß die erledigte Seelen-Hirten-Stelle, mit einem rechtmäßiger weise beruffenen Diener des Worts ersetzt werden, und dessen Leben jederzeit mit Christi Lehre wohl überein stimmen möchte.

Es gab nach verrichteten GOttes Dienst ein starckes Gemurmele unter der Gemeine auf dem Kirch-Hofe, allein, ich ließ mich nichts anfechten, sondern reisete mit Anbruch des folgenden Montags, nach genommenen freundlichen Abschiede von allen, die mir nur die geringste Güte erzeigt hatten, gantz vergnügt zu meinem Universitäts-Patrone.

Selbiger rieff, nachdem ich ihm meine Avanture erzehlet, abermahls aus: O tempora, o mores! lobte aber meine gefassete Resolution, und ermahnte mich, nur nicht zu verzagen, weiln sich mein Glücke noch zu rechter Zeit finden würde. Immittelst hatte letzt gedachter Edelmann keine andere Ursache meiner Dimission vorzuschützen gewust, als daß meine Sprache zu schwach sey, und seine Kirche nicht allzuwohl ausfüllen könte, welches doch ein lächerliches und wider die Wahrheit lauffendes Geschwätz war, seine Bauern aber, die etwan auch ein Wort bey der Wahl eines neuen Predigers zu sprechen hatten, setzten sich starck wider den Beruff des oberwehnten Informatoris, haben[49] auch, wie mir gesagt worden, die grobe Expression gebraucht: Wenn es nur auf die starck-brüllende Stimme allein ankäme, so übertreffe ihr Dorff-Ochse den Informatorem bey weiten. Allein, die armen Leute haben doch, nach vielen processiren, denselben endlich mit Gewalt annehmen, und er die Jungfer Ausgeberin ebenfalls gezwungen heyrathen müssen, nachdem er viele listige Streiche, sich von dem, mit ihr eingegangenen Verlöbniß loß zu wickeln, gespielet hatte.

Wenige Wochen nach meiner Zurückkunfft erhielt ich abermahls, und zwar ohne Zweiffel auf geheime Unterhandlung meines Patrons, ein Invitations-Schreiben zu einer Probe Predigt in einer nahgelegenen mittelmäßigen Stadt, welchem zu Folge, mich denn zu gehöriger Zeit aufmachte, und selbige nach meinem Vermögen unerschrocken ablegte, auch nach dasiger gewöhnlichen Art ein ziemlich scharffes tentamen, und zwar hauptsächlich über den Locum de providentia divina auszustehen hatte. Ich muß abermahls hierbey, jedoch ohne eitlen Ruhm, bekennen, daß mir viel gutes nachgesagt wurde, so, daß ich in der Wahl die allermeisten Vota gehabt haben soll, jedoch eine verzweiffelte Verleumdung, machte auch dasiges Orts alles wiederum rückgängig. Denn als ich eines Abends im Post-Hause, allwo mein Logis war, unter etlichen daselbst einheimischen Gelehrten, auch frembden sehr vernünfftigen Passagiers, meinen Platz erhalten, und unvermerckt mit in den Discours de motu mechanico gezogen wurde, worbey ihrer etliche einen berühmten Professorem,[50] wegen seiner etwas hart lautenden Grund-Sätze, gantz und gar zum Atheisten machen wolten; gab ich mir die Mühe, ihn disputationis gratia zu defendiren, zeigte auch, daß derselbe Grund gelehrte Mann in vielen Stücken gantz anders verstanden seyn wolte.

Da nun die darbey sitzenden einheimischen jungen Gelehrten letztlich fast nichts mehr gegen meine, wiewohl mehrentheils schertzhaffte defension aufzubringen wusten, mögen sie etwa aus Verdruß und Boßheit in der gantzen Stadt aussprengen: Ich wäre ein Ertz-Anhänger von dem oberwehnten Professore, und würde in dem heiligen Predigt-Amte treffliche Streiche machen. Nun muste mich zwar von rechtswegen das geistliche Ministerium, welches meine principia Theologica ernsthafftig genug angehöret hatte, selbsten defendiren, allein ein alter halb-gelehrter Compatronus, der eine starcke Freundschafft in der Stadt hatte, und der, im Fall nur ich abgewiesen wäre, seinen nahen Vetter desto eher auf die Cantzel zu bringen gedachte, tritt so gleich auf und rufft: O Domini! Domini! latet anguis in herba, bedencket nach eurem Gewissen, was das beste sey, auch der geringste Verdacht in diesem Stücke, ist schon vermögend Irrthümer anzurichten, es sind noch genug andere untadelhaffte Leute in der Welt anzutreffen, ob sie gleich nicht in so vielen speculativischen Dingen geübt sind.

Einige mir ungemein wohlwollende, doch mehrentheils unbekandte Gönner, verursachten, daß ich dieser Blame wegen, noch einmahl vor dem dasigen Corpore Theologico erscheinen, und meines Glaubens[51] wegen Rechenschafft geben muste, so bald dieses zu meiner Avantage geschehen war, bath ich mir als eine außerordentliche Gütigkeit aus: daß mir vergönnet werden möchte: gleich morgendes Tages vor Gelehrten und Ungelehrten, an einem öffentlichen Orte, jedoch ausser der Kirche, meine Lehr-Art in einer sanfftmüthigen Deutschen Oration ordentlich vorzustellen. Solches wurde mir gewünscht erlaubt, und zwar in dem grossen Schul-Auditorio, allwo sich früh zwischen 8. und 9. Uhr, alle gelehrte und ungelehrte Honoratiores versammleten. Demnach fieng ich an zu peroriren, erzehlete meinen Lebens-Lauff gantz kurtz, that mein Glaubens-Bekäntniß desto weitläufftiger, und provocirte hernach meine boßhafften Calumnianten, mit sanfftmüthigen Geiste, sich allhier öffentlich meiner Lehre, Leben und Wandel zu opponiren, und meiner fernern Erklärung gewärtig zu seyn. Allein, ob gleich alle dieselben zugegen waren, so wolte doch kein eintziger seinen Mund aufthun, derowegen sprach ich nach langen warten: Es ist genung vor mich, daß sich mein gantzes Wesen hiesiges Orts gerechtfertigt gefunden, derowegen will im Nahmen des HErrn meine Strasse wiederum zurück ziehen, und mein anderweitiges Glück mit ruhiger Gelassenheit erwarten, um denen, so an ihrer Beförderung verzweiffeln wollen, so wohl als meinen Verleumdern keine fernere Ungelegenheit zu verursachen. Dieserwegen wurde ich folgenden Nachmittag in eine Versammlung verschiedener redlicher Leute geruffen, welche sich zwar, so wohl als der Primarius des geistlichen Ministerii selbst, viele Mühe gaben,[52] meine wieder Fort-Reise zu hintertreiben, hergegen fest versicherten, die Sache ohne meine geringste Bekümmerniß und ohne allen fernern Streit auf erwünschen Fuß zu setzen; allein, da ich binnen wenig Tagen erfuhr, daß der oben erwehnte halbgelehrte Compatronus mit seinem Anhange allerhand verdrüßliche Händel in der Stadt anzuspinnen suchte, hergegen von andern rechtschaffenen Patrioten allerhand Gegen-Verfassungen gemacht wurden, nahm ich alles Bittens und Zuredens ungeacht, von allen redlich-gesinneten Gönnern und Freunden plötzlichen Abschied, und zwar aus keiner andern Ursache, als meine Person nicht zur Ursache des Zwiespalts, Zancks und Streits zu machen.

Meine Rückreise gieng abermahls zu dem offterwehnten Universitäts-Patrono, welcher nach Anhörung meiner Fatalitäten diesen Vigilianischen Vers ausrieff: Ah!


Discite justitiam, moniti, & non temnere divos.


der bey dieser Gelegenheit auf Deutsch so viel zu verstehen geben solte:


Ihr Richter lernt das Recht, und gebet GOtt die Ehre,

Verdammt nicht unerwegt gescheuter Leute Lehre.


Dem allen ohngeacht war dieser mein grosser Patron sehr geflissen, ja gantz unermüdet, mich rechtschaffen unterzubringen, da aber bey allen Gelegenheiten gantz besonders scrupuleuse Umstände versirten,[53] konte ich nicht anders dencken, als daß es GOttes Wille nicht sey, mich durch die Vorsorge dieses sonst sehr berühmten Mannes zu versorgen. Ihm also keine fernere Mühe mehr zu verursachen, nahm von demselben auf etliche Wochen Abschied, nachdem ich vor seine besondere Mühwaltung gehorsamst-schuldigsten Danck abgestattet, u. mich seines beständigen Wohlwollens bestens versichert hatte.

Meine Reise gieng mit einem guten Freunde, der viel Lobens- würdiges an sich, und sehr fleißig Jura studiret hatte, in seine Geburths-Stadt, allwo ich bey seinen vornehmen und überaus gutthätigen Eltern, etliche Wochen als ein Gast zu verbleiben, mich fast gezwungen sahe. Hieselbst fand nun mitlerweile gar leichtlich. Gelegenheit, so wohl bey dem Ober-Pfarrer, als bey den andern Herrn Geistlichen, einen freyen Zutritt zu erhalten, ja weiln nur gemeldter Ober-Pfarrer ein ziemlicher Valetudinarius war, ließ ich mich per tertium bereden: um ein billiges Kost-Geld eine Zeitlang den Aufenthalt in dessen Hause zu suchen, an seinem Tische mit zu speisen, und ihm seine vielen Ammts-Verrichtungen, nach meinem Vermögen, und so viel als zuläßig war, besorgen zu helffen. Der ehrliche Mann sahe wohl, daß ich mir in keinem Stücke, auch so gar in einigen Haußhaltungs-Geschäfften, einige Mühe verdrüffen ließ, wolte derowegen nicht das geringste von Kost-Gelde oder Stuben-Zinse annehmen, allein seine Ehe-Frau, die eine Dame von gantz wunderbarer Conduite, und schon ziemlich bey Jahren war, wuste sich dennoch meines Geld-Beutels auf so artige und uninteressirt-scheinende[54] Art zu bedienen, daß sie zuweilen ein mehrers aus selbigem Zog, als das offerirte Honorarium austrug. Es war immer Schade um diesen sonst aller Ehren würdigen Mann, daß er ein Sclave der Affecten seines Weibes war, denn weil sie ihn betäubt hatte, den Bischoffs-Stab nach ihrem Willen, als eine Wünschel-Ruthe zu gebrauchen, so muste dieselbe bey Besetzung ein und anderer geistlichen Aemter nur auf diejenigen Personen schlagen, allwo diese geitzige Frau, auf importante Spendagen sichere Rechnung machen konte. Hätte ich dieses vorher gewust, so würde mich vor diesem Hause gehütet haben, so aber erfuhr alles nur nach und nach. Von vielen Exempeln nur etliche wenige zu erzehlen, so hatte um selbige Zeit ein gewisser vornehmer Herrn Diener die Unzucht begangen, sich mit einer Weibs-Person fleischlich zu vermischen, welchen Flecken abzuwischen, er endlich die Copulation eingieng, und sich der gewöhnlichen Geld-Busse unterwarff. Wegen der Copulation wurde ihm zwar gewillfahret, andern theils aber wolte der Herr Ober-Pfarre aus gantz besondern Ursachen beyde Leute nicht eher zum heiligen Abendmahle lassen, biß sie die ordentliche Kirchen-Busse gethan, und der christlichen Gemeine das gegebene Aergerniß, kniend abgebeten hätten. Der Herr des erwehnten Dieners wolte selbigen nicht gern vor allen Leuten prostituirt wissen, wandte derowegen viele Mühe an, von dem Ober-Pfarrer dasjenige Beneficium zu erhalten, welches bereits vielen andern privat-Personen vor baares Geld angediehen war; allein, ziemlich lange Zeit gantz vergebens, endlich schlug[55] sich die Frau Primariin ins Mittel, ließ erwehnten Herrn ersuchen, ihr vor ihren Sohn, der Auditeur unter der Soldatesque war, um Geld und gute Worte ein paar Hirsch-Häute zum Collett und Hosen zu überlassen, da nun solchergestalt der Herr vermerckte, wo er Bartheln müste Most holen lassen, gab er, dem im Kirchen-Bann sich befindlichen Diener, zwey Hirsch-Häute, selbige der Frau Primariin als ein Geschenck zu überbringen, die ihm denn gleich augenblicklich völlige Abolition seines Verbrechens, nebst der Erlaubniß zu wege brachte, noch selbigen Tages in den Beicht-Stuhl und morgendes Tags zum Tische des HErrn zu kommen. Dieses hieß nun freylich seine Affecten mehr als zu starck verrathen zu haben, allein, der gute Mann muste ja wohl den Binde- und Löse-Schlüssel nach seiner Frauen Anweisung gebrauchen. Zur andern Zeit hatte abermahls ein im Ehestande lebender Mann sich gelüsten lassen, eine ledige Dirne zu Falle zu bringen, nachdem aber selbige die Zeichen ihrer Schwangerschafft, und über dieses leichtlich merckt: daß es am klügsten gehandelt sey, von ihrem Ehren-Schänder ein Stücke Geld zu nehmen, und auf einen andern zu bekennen, findet sie bald Gelegenheit, sich einem andern liederlichen Kerl zu unterwerffen, welchen sie auch hernach als Vater ihres Hur-Kindes angab. Beyde Schand-Schwäger kommen hierauf mit einander zum Streite, so, daß immer einer dem andern das Vater-Recht an den Halß wirfft, biß die Sache endlich an die Geistlichkeit gelanget. Der vereheligte mag ohnfehlbar bessern Bescheid wissen als der andere,[56] überbringt derowegen der Frau Primariin ein paar Päcklein feines Zeug, welches kaum mit der Elle ausgemessen, da schon der fröliche Geber von aller Schuld loß gesprochen ist, ja als der andere Mensch diesen Flecken nicht alleine wolle auf sich hafften lassen, giebt ihm der Herr Primarius noch diese tröstliche Vermahnung: Er solle es doch immer gut seyn lassen, es wäre ein menschlicher Fehler, welcher durch eine mäßige Kirchen-Censur abgethan werden könte, er wäre ein lediger Mensch, der aus Liebe zu seinem vereheligten Nächsten, dergleichen Sache eher auf sich nehmen könte, als der andere, mit dem es schon etwas mehreres auf sich hätte.

Man bedencke, ob allhier nicht eingetroffen, was GOtt durch den Propheten Micha, cap. 3. v. 11 redet: Ihre Häupter richten um Geschencke, ihre Priester lehren um Lohn, und ihre Propheten wahrsagen um Geld. Jedoch nur noch etwas weniges und wahrhafftes von meinem damahligen Patrono zu melden, so wuste er alles dermassen politisch zu spielen, daß niemand leichtlich einen Pfarr- oder Schul-Dienst in der Stadt oder auf dem Lande bekam, als wer sich vorhero quovis modo mit der Frau abgefunden, denn weil deren Mann die andern Kirchen- und Schul-Patronos dergestalt eingenommen hatte, daß sie ihn in allen dergleichen Handlungen fast nach eigenen Gefallen schalten und walten liessen, that er mehrentheils was er wolte, doch besser gesagt, was seiner Frauen gefiel. Ich weiß etliche arme Dorff-Prediger, die sich wehe genung haben[57] thun müssen, ehe sie das versprochene honorarium, theils mit Korn, Wäitzen, Gerste, Butter, Käse, Flachs, jungen Schweinen, Kälbern, Hünern, Gänsen, etc. theils mit baaren Gelde abtragen können, worüber dennoch die allzu nahrhaffte Frau das debet und dedit nach ihrer Autorität einrichtete. Ein gewisser noch ziemlich passabler Studiosus Theol. bekam den allerelendesten Schul-Collegen-Dienst in der Stadt, jedennoch aus lautern Gnaden, dieweil er ein sehr artiges, und von seinen eigenen Händen fabricirtes Poppen-Schränckgen mit Schublädgen zum Present überreichte. Ich glaube nicht ohne Ursach, daß in einem, solcher Schublädgen, etwa etliche geharnischte Männer mit Schwerdtern, verarrestirt gelegen, kan es aber dennoch nicht vor gantz gewiß aussagen. Die Herrn Dorff-Schulmeisters oder Cantores, wie sie gern heissen wolten, musten sich desto genereuser zeigen ein oder ein paar Bienen-Stöcke, etliche Kannen Honig oder Pflaumen-Muß, Butter und Käsewurden gantz negligent angenommen, derjenige aber, so einen oder ein paar fette Consistorial-Vogel, wenigstens so viel Capaunen, eine mit vielen Küchleins gesegnete Gluck-Henne, und dergleichen brachte, bekam nicht allein freundlichere Minen, sondern verblümter weise so gar spem successionis auf die Pfarre. Sonsten war die Frau Primariin die Zuflucht aller Männer-begierigen Jungfern, denn wenn diese nur erstlich die rechten Schliche zu Deroselben Hertzen fanden, wurden ihnen nach Standes-Gebühr gar bald mit einem Pfarrer, Kirchen- oder Schul-Diener geholffen, und solcher[58] gestalt büssete der gute Sanct Andreas, auch bey dem allerabergläubigsten Frauenzimmer, seinen völligen Credit ein. Denen Wittben und Wäysen war diese Frau ungemein tröstlich, denn selbige mochten hier oder dort eine gerechte oder ungerechte Forderung anstellen, so muste ihnen dennoch das Urtheil favorabel gesprochen werden, daferne sie nur etwas im Vermögen und zu spendiren hatten. Denen alten armen Leuten, aber nur weibliches Geschlechts, stund ihre milde Hand täglich offen, weil selbige sonderlich geschickt waren, alle neue Mähren, so in der Stadt und auf dem Lande passirten, in ihr Cabinet zusammen zu tragen, welches zu gewissen Tages-Stunden allen dergleichen Posten-Trägerinnen offen stund. Ubrigens, aller häuffigen Einkünffte ohngeacht, regierte doch Schmal-Hans, ihrer excessiven Nahrhafftigkeit wegen, in allen Ecken; so, daß kaum die Kinder, das Hauß-Gesinde aber um so viel desto weniger, satt zu essen bekamen, weßwegen denn selten eine Magd über ein Viertel Jahr bey ihr blieb. Recht ärgerlich war es, daß offtermeldte Frau ihre Kinder in allen nur ersinnlichen Thorheiten unterwieß, indem sie ihnen, ihrer Meynung nach, die Grund-Reguln der Politique beyzubringen gedachte. Konte der jüngste Sohn ex tempore eine Lügen aus der Lufft schnappen, so war es zwar nach ihrem Sinne eine Anzeigung eines inventieusen Kopffs, daferne er aber seine Lügen nicht mit besondern wahrscheinlichen Umständen unverschämter Weise defendiren und fortführen konte, muste er einen Verweiß einstecken, und aus ihrem mütterlichen Munde die [59] subtilesten Cautelen anhören und behertzigen. Den ältern Sohn unterwiese sie selbsten fast täglich in der Kunst, mit galanten Frauenzimmer zu conversiren, er muste lernen charmiren, obligante Complimente machen, eines Frauenzimmers Hand und Mund a la mode küssen, und hunderterley dergleichen Thorheiten mehr begehen, von welchem allen er denn bey der Frau Mamma offt wiederholte Proben ablegen muste. Die älteste von ihren Töchtern war würcklich ein sehr wohl qualificirtes Frauenzimmer, und läugnete selbst nicht, daß sie bereits seit einiger Zeit an einen anständigen und Standes- mäßigen Liebsten versprochen sey, ich habe aber einige Zeit nach meinem Hinwegreisen vernommen, daß die Frau Fick-Fackerin, nach ihrer eingebildeten Weißheit, ihren christlichen Mann endlich beredet, aus gewissen Staats-Ursachen, solches Verlöbniß zu wiederruffen, und die Tochter an einen andern, wiewohl eben nicht so gar angenehmen Mann, zu verheyrathen. Ich vor meine Person hatte zwar eben nicht Ursach über mein Tractament zu klagen, allein, so bald ich alle Anstalten dieses Hauses in genauere Betrachtung gezogen, über dieses erwogen hatte, daß ich hiesiges Orts ebenfalls keine Beförderung, ohne sonderbare Knoten und Gewissens-Scrupel, erhalten würde, bedachte ich mich kurtz, und trat, so bald mein voraus bezahltes Kost-Geld verzehrt zu haben meynte, eine Reise nach meinem Vaterlande an, mit dem Versprechen, nach Beschaffenheit meiner Umstände vielleicht bald zurück zu kommen.

Nun war es zwar an dem, daß ich die Meinigen,[60] von welchen ich wenigstens monathlich Briefe empfieng, einmahl besuchen, und sonderlich wegen meines jüngsten Bruders ein oder andere Anstalt machen wolte, allein, es wurde mir unterwegs in einer berühmten Stadt bey einem hochansehnlichen Manne die Condition eines Informatoris seiner 3. wohlgezogenen Söhne angetragen, die ich ohne langes Bedencken annahm, und meinen jüngsten Bruder auf der Post zu mir zu kommen verschrieb.

Er gelangete nebst seinen Sachen bey mir an, und weiln selbiges Orts eine sehr wohlbestellte Schule anzutreffen, sich auch verschiedene Wohlthäter fanden, welche ihn mit freyem Tische und Stube begabten, muste er fleißig in die Schule und bey mir zur privat-Information gehen, welches denn so viel fruchtete, daß ich ihn endlich um Michaëlis 1723. mit guten Gewissen auf die Universität, um daselbst ebenfalls Theologiam zu studiren, schicken konte. Mir gieng es immittelst sehr wohl in meines dasigen Principals Diensten, ja ich hatte so wohl als derselbe mein besonderes Vergnügen, über die gute Aufführung und den besondern Fleiß meiner Untergebenen. Endlich wurde mir gerathen, mich wegen einer erledigten Diaconats-Stelle, so wohl als andere ehrliche Leute zu melden, weiln die Herrn Patroni doch auch, wie es hieß, darum begrüßt seyn wolten, und nicht leichtlich die Vocation einem entgegen zu schicken pflegten. Ich folgte, und hatte das Glücke, unter 24. Competenten selb- 4te mit ausgelesen und examinirt zu werden, den Dienst aber bekam einer meiner allerwerthesten Schul- und Universitäts-Freunde, dem ich wegen[61] seiner sonderbaren Meriten und unserer Freundschafft, die sich bey unserer damahligen Zusammenkunfft gantz erneuerte, sein Glück von Grund der Seelen gönnete.

Wenige Zeit hernach wurde das Schul-Rectorat vacant, ich hielt auf Zureden meines Principals ebenfalls darum an, wurde auch abermahls nebst 3. andern Candidaten zum Examine beruffen, und hatte, wie ich es ohne eiteln Ruhm meinem Principal nachrede, unter allen am besten bestanden, dahero die gröste Hoffnung, diesen Dienst gewiß zu erhalten, allein zu meinem Unglücke muste mein Principal oben selbiges Jahr wenig in dergleichen Sachen zu sprechen haben, und ob er zwar, gewisser Ursachen wegen, nebst andern Gönnern dennoch zu meinem Vortheil durchdringen können, so schlug sich doch ein Höherer ins Mittel, welcher die hinlänglichen Meriten seines seit 10. Jahren gewesenen Informations-Raths in Consideration zog, hauptsächlich aber vorstellete: Wie derselbe sich anheischig gemacht, um die Helffte der ordinairen Besoldung zu dienen, wannenhero man bey jetzigen erschöpften Ærario, und Geld-mangelnden Zeiten, vor das übrige, noch einen höchst-bedürfftigen Schul-Collegen verschaffen und annehmen könte.

Mein Principal war hiermit zwar sehr übel zu frieden, suchte aber jedennoch mich zu bereden, diese Condition, in spem futuræ promotionis, ebenfalls einzugehen, weil ich solchergestalt dennoch vor jenem den Vorzug haben solte; allein, weil ich mir ein Gewissen machte, derjenige Mensch zu seyn, von welchem die Successores dieses Dienstes, übel[62] reden, ihn auch vielleicht gar wegen seines übler ausgelegten Beginnens gar verfluchten möchten ausser dem gar nicht gesonnen war, eine verdächtige oder auf Schrauben stehende Vocation anzunehmen, so konte es nicht anders seyn, als daß ich abermahls leer ausgehen muste. Jedoch wurde mir von allen sanctissime versprochen, daß ich von nun an die erste die beste Vocation, und zwar ohne eintziges ferneres Tentamen, Examen und alles empfangen solte.

Also blieb ich bey meinem Principal nach wie vor zufrieden, obschon dessen zwey ältesten Söhne bald hernach auf eben die Universität, wo mein jüngster Bruder lebte, geschickt wurden. Eben dieser mein Bruder hatte sich gleich anfangs sehr wohl bey ihnen insinuiret, wurde derowegen von diesen zweyen Wohlthätern, auf Befehl ihres Vaters, in allen defrayret, welches ich vor meine Person mit besondern Freuden und allem ersinnlichen Dancke erkandte. Ich hatte mit dem jüngsten Sohne wenig Arbeit, und doch eben die vorige Besoldung, da ich aber mittlerzeit, mein Eberhard Julius, mit eurem Herrn Vater, und andern werthen Freunden in eurer Geburths-Stadt, zum öfftern Briefe gewechselt, und ihnen den Ort meines Auffenthalts jederzeit bekandt gemacht hatte, bekam ich am 3ten Martii des abgelauffenen 1725ten Jahres, von einem derselben, ohnverhofft solche Briefe, worinnen ich gebethen wurde, aufs eiligste bey ihnen zu erscheinen, weil vor meine Person eine gantz besonders treffliche Condition offen sey, ich will nicht sagen, worinnen dieselbe bestanden, sondern aus[63] schuldiger Demuth melden, daß ich mich derselben unwürdig zu schätzen so wichtige Ursachen, als desto weniger zu befürchten gehabt, vergebliche Ansuchung zu thun.

Allein da unerforschliche Verhängniß hatte gantz widerwärtig-scheinende Schlüsse gegen mich gefasset, denn, nachdem ich von meinem Principal etliche Wochen Erlaubniß zur Heim-Reise ausgebethen, und bereits auf der geschwinden Post bey nahe 20. Meilen zurück gelegt hatte, schlug einsmahls mitten in der Nacht der Post-Wagen dergestalt unglücklich vor mich um, daß nicht allein durch die nachschiessenden aufgepackten Kasten meine beyden Beine sehr geschellert, sondern über dieses der rechte Arm schmertzlich zerbrochen wurde. Einem andern Passagier gieng es noch erbärmlicher, indem er im stürtzen das Halß-Genicke zerbrochen, und augenblicklich seinen Geist aufgab, zwey noch andere aber, waren fast eben so unglücklich worden als ich. Der Wagen wurde zwar endlich mit gröster Mühe wieder aufgerichtet, und wir elenden, von 3. annoch gesunden Personen, wiederum drauf gesetzt, allein ich weiß es am allerbesten, was ich, binnen etlichen Stunden, vor grausame Schmertzen ausgestanden, und zwar so lange, biß wir endlich nach angebrochenen Tage, eine mittelmäßige Stadt erreichten, und uns von einem daselbst wohnhafften Chirurgo und darzu beruffenen Medico, konten zu Hülffe kommen lassen.

Ich war der elendeste unter allen, wurde zwar am Arm und Beinen behörig verbunden, empfand auch an selbigen einige Linderung, jedoch die starcke Contusion am Rückgrad, mochte eine innerliche [64] Inflammation verursacht haben, weßwegen mich wenig Tage hernach ein hitziges Fieber überfiel, woran ich biß in die 4te Woche höchst gefährlich darnieder lag. Die Heilung meines zerbrochenen Arms, wie auch der angeschellerten Beine, wurde hierdurch um ein merckliches verzögert, endlich aber befand mich in der siebenden Woche wiederum kräfftig genung, die fernere Reise anzutreten. Mitlerweile hatte zwar zwey Briefe an euern Herrn Vater, mein liebster Eberhard, schreiben lassen, und demselben mein zugestossenes Unglücke, so wohl auch nachgehends die ziemliche Besserung zu wissen gethan, allein ich habe nicht erfahren, ob dieselben richtig eingelauffen oder verlohren gegangen sind, denn bey meiner Ankunfft fand ich alles verändert in eures Vaters Hause, derselbe war bereits verreiset, niemand aber konte mich berichten wohin. Dieses sonst mehr als zu redlichen Mannes besondere Fatalität kränckte mich fast noch mehr, als mein eigenes gehabtes Unglück, welches doch zugleich verursacht hatte: daß ich abmermahls um eine schöne Condition gekommen, weil selbige wegen meines allzulangen aussen bleibens allbereit mit einem andern Subjecto besetzt war.

Wer hätte wohl bey dergleichen offt wiederhohlten Streichen des falschen Glücks nicht endlich ungeduldig und zaghafft, ja gar zweiffelhafft an seiner Beförderung werden wollen? Doch GOTT sey Lob, ich bin in geziemender Gelassenheit verblieben, und habe beständig geglaubt: daß die rechte Stunde zu meiner Beförderung noch nicht erschienen sey. Nun hatte mir zwar vorgenommen, nur wenige[65] Tage von der kümmerlichen Reise auszuruhen, hernach zu meinen, in Elbing befindlichen Geschwister zu reisen, allein es fügte sich unverhofft, daß ich vorhero von gegenwärtigen Herrn Wolffgang muste ins Predig-Ammt beruffen werden. Es hat derselbe mir neulichst alles umständlich erzehlet, was zwischen und mit uns vorgegangen, derowegen will Weitläuftigkeit zu vermeiden, solches nicht noch einmahl wiederholen, sondern nur melden, daß so bald unter uns alles richtig verabredet worden, ich die Reise zu meinem Geschwister aufs eiligste vornahm. Dieselben fand ich zwar nicht alle beysammen, denn der nach mir folgende Bruder, welcher die Handlung erlernet hatte, war nach Coppenhagen gereiset, und daselbst so glücklich gewesen, eine sehr begüterte junge Wittbe zu heyrathen, die zweyte Schwester, war allbereits dem substituirten Sohne des jenigen Priesters angetrauet, der meinen seel. Vater in der Pfarre succedirt hatte, der jüngste Bruder aber befand sich schon seit anderthalb Jahren auf der Universität, dem ohngeacht erfreute ich mich hertzlich Nachricht zu erhalten, daß es einem jeglichen meiner Geschwister wohl gienge. Die älteste und jüngste Schwester empfiengen mich so wohl als mein Schwager selbst, mit freudigen Thränen, selbige aber wurden in Jammer und Klagen verwandelt, so bald sie meinen Vorsatz vernommen, eine sehr weite Reise zur See anzutreten, derowegen suchte ich sie aufs möglichste zu besänfftigen, reisete auch gleich folgendes Tages nach meiner Ankunfft, in ihrer Gesellschafft zur mittlern Schwester aufs Land. Daselbst giengen die hertzlichen Freuden-Bezeugungen[66] aufs neue an, und ich hatte noch selbigen Abend das Vergnügen, meine jüngste Schwester an einen jungen wohlhabenden Frey-Gassen zu verloben, welcher schon seit etlichen Wochen bey ihren Geschwister um sie geworben, jedoch bißhero eintzig und allein auf meine schrifftliche Einwilligung vertröstet worden. Nach diesen theilete ich mein weniges Vermögen, nebst noch 500. Thlr. von demjenigen Gelde, so mir Herr Wolffgang geschenckt hatte, unter meine Geschwister in so weit zu gleichen Theilen aus, daß nur der jüngste Bruder 200. Thlr. mehr als die andern bekam, um seine Studia desto besser fortzusetzen. Diesem übersandte, bey dem schrifftlich von ihm genommenen Abschiede, eine sorgfältige Instruction wie er seine Zeit auf Universitäten nützlich anwenden und sich in den Stand setzen solte, mit der Zeit ein rechtschaffener Arbeiter in dem Weinberge GOttes zu werden. Von dem Coppenhagner Bruder nahm ich ebenfalls schrifftlichen Abschied, der Mündliche aber bey den Schwestern und Schwägern war desto zärtlicher, jedoch ich sahe mich verbunden dem Göttl. Ruffe zu folgen, ließ mich derowegen nichts anfechten, sondern brachte alle diejenigen Sachen, so ich mitzunehmen vor höchst nöthig erachtete eiligst in Ordnung, und reisete mit guten Winde zur See biß Lübeck, weiln mich aber daselbst muste außsetzen lassen, und vernahmen: daß dem Winde nicht allerdings zu trauen, von ihm zwischen dato und Johannis-Tage nach Amsterdam geführet zu werden, also viel besser gethan wäre, die Reise zu Lande fortzusetzen; versuchte ich solches biß Hamburg, jedoch da[67] mich selbiges Orts andere Leute versicherten, daß ich am allergeschwindesten und beqvemsten zu Schiffe fortkommen würde, ließ ich mich abermahls zur Einschiffung bereden, gelangete auch solchergestallt am 22. Jun. gegen Abend, glück ich in Amsterdam an. Den folgenden Tag wendete zu Ausschiffung meiner Sachen, und nach diesen, höchst ermüdet, zum Ausruhen an, am Fest-Tage Johannis des Täuffers aber, begab mich zu dem ehrlichen Herrn Wolffgang, bey dem ich meinen ehemaligen Schüler, den lieben Eberhard, mit allergrösten Vergnügen antraff, und so wohl von einem als dem andern recht hertzlich bewillkommet wurde. Nun solte zwar noch erwehnen, welchergestallt mich Herr Wolffgang in Amsterdam, mit verschiedenen kostbaren und höchstnöthigen Sachen, recht im Uberflusse beschenckt, so daß ich, nur seiner damahligen Gütigkeit wegen, in vielen Jahren weder an Kleider, Wäsche, noch andern unentbehrlichen Dingen Mangel zu haben, befürchten dürffte, daferne nur GOtt solche Sachen vor Feuer und Wasser bewahret; Allein ich weiß, daß es ihm verdrüßlich fällt, seinen Ruhm selbst mit anzuhören. Welcher Mensch auf der Welt solte nun wohl zweiffeln, daß ein solcher Pfarr-Dienst, wie der meinige, als der allervergnügteste in der gantzen Welt zu achten sey? ich vor meine Person, spüre nicht die geringste Lust, mit dem allervornehmsten Theologo, er sey ein Königl. oder Fürstl. Hof Prediger, ein General-Superintendens, Doctor oder Professor, oder was er sonsten wolle, Ammts, Ehre oder Einkünffte halber umzutauschen, habe also die gröste Ursache, gleichwie[68] bey allen, mir zugestossenen Fatalitäten, also auch bey meinem itzigen vergnügten Zustande, und zum Beschluß meiner bißherigen Lebens-Geschichte dieses mein Symbolum auszuruffen: Der Nahme des HErrn sey gelobet.


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Hiermit endigte unser werthester Seelsorger vor dieses mahl seine Erzehlung, und vergönnete uns allen, die wir ihm aufs alleraufmercksamste zugehöret hatten, noch ein und andere Gespräche darüber zu führen, worbey wir sonderlich die wunderbaren Wege des hi lischen Verhängnisses betrachteten, endlich aber, um Mitter-Nachts Zeit, unsere Ruhe-Städten suchten, und auf selbigen biß zu Aufgang der Sonnnen verweileten. So bald demnach dieses grosse Welt-Licht, den 3ten Tag des Wolffgangischen Hochzeit-Fests zu beleuchten angefangen, vertrieben wir uns, nach verrichteter Morgen-Andacht, meistentheils die Zeit mit spatzieren gehen, hielten hernach, so bald sich die samtlichen Einwohner herbey gefunden hatten, dieses mahl die Mittags-Mahlzeit etwas früher als gewöhnlich, um hernach desto länger Zeit zu haben, den Rest von dem höltzernen Kropff-Vogel herab zu schiessen. Selbiger aber ließ sich durch den ernsthaftē Fleiß der lustigen Schützen, binnen 4. Stunden bewegen, völlig herunter zu fallen, demnach wurden die Haupt-Gewinnste folgender Gestalt ausgetheilet: 1.) vor die Crone empfieng ein Simons-Raumer Junggeselle, eine saubere leichte Vogel-Flinte. 2.) Vor den Kopff ein Stephans-Raumer, einen ziemlich grossen küpffernen[69] Kessel. 3.) Vor den Kropf-Hals, ein Johannis-Raumer, eine schöne zinnerne 6. Maas-Flasche. 4.) Vor den rechten Flügel, abermahls ein Simons-Raumer Junggeselle: ein künstlich ausgearbeitetes Schreib-Zeug, nebst allen zur Schreiberey gehörigen Instrumenten. 5.) Vor den lincken Flügel, Herr Chirurgus Kramer: ein Futterall mit Messer und Gabel, nebst einen silbernen Löffel. 6.) Vor den rechten Fuß, ein Davids-Raumer junger Geselle: 2. grosse zinnerne Schüsseln. 7.) Vor den lincken Fuß: 6. zinnerne Teller, ein junger Geselle aus Roberts-Raum. 8.) Vor den Schwantz, Mons. Litzberg, einen schönen mittelmäßigen grossen Spiegel. 9.) Das letzte Stück aber, als den Haupt-Gewinst, schoß eben derselbe junge Geselle aus Roberts-Raum herunter, welcher allbereits den lincken Flügel-Gewinnst überkommen hatte, und empfieng davor: ein feines Zeug zum neuen Kleide, nebst im Feuer verguldeten Knöpffen, und allen andern Zubehör, ausser diesem verschiedene Stücke allerley höchst-nützlichen Hauß-Geräths, wie auch die Ehre, das gantze Jahr über, der Schützen König genennet zu werden. Hiernächst wurden auch etliche 20. Span-Gewinste ausgetheilet, welche ich Weitläufftigkeit zu vermeiden, nicht Specificiren will, sie bestunden aber mehrentheils in verschiedenen zur Hauß-Wirthschafft dienlichen Instrumenten, als Aexten, Sägen, Schnittemessern, Hämmern, Zangen, Meisseln, Grabscheitern, Schauffeln und dergleichen, welches alles Herr Wolffgang von den mitgebrachten Sachen, durch seine Liebste Sophie austheilen ließ, hernach noch eine köstliche Abend-Mahlzeit[70] gab, auch sonsten allerhand Confecturen und andere Sachen unter die Tisch-Gesellschafften vertheilen ließ, worauff der Freuden-Becher noch einmahl herum gieng, und so dann ein jeder seinem Logis zu eilete, welches etliche kaum um Mitternacht erreichen konten, jedoch weil es um diese Zeit die gantze Nacht hindurch ungemein helle ist, kam es niemanden sonderlich beschwerlich vor.

Der hierauff folgende Sonnabend, wurde zum Ausruhen, und der Sonntag mit welchem zugleich das Fest der Heil. 3. Könige einfiel, mit eifrigem Gottes-Dienste zugebracht. Dienstags, nehmlich den 8. Januar. feyreten wir sämtl. Insulaner den Geburths- und Vereheligungs-Tag unseres liebsten Altvaters, welcher an eben diesem Tage, vor nunmehro 98. Jahren das Licht dieser Welt erblickt, und sich vor 78. Jahren mit der Stamm-Mutter Concordia verehligt, also einen glückseeligen Anfang zur Bevölckerung dieses gesegneten Landes gemacht hatte.

Es wurden, dieses Fest zu beehren, früh Morgens 12. Stück-Schüsse gethan, der Altvater tractirte auf seiner Burg die Stamm-Väter und letzt angekommenen Europäer mit einer guten Mahlzeit, worbey verabredet wurde, daß von nun an der Kirchen-Bau mit allen ernstlichen Fleisse fortgesetzt, und jede Gemeinde alltäglich 4. Manns- und 2. Weibs-Personen zur Bau-Arbeit stellen solte, die andern aber möchten zu Hause bleiben, und die Feld-Früchte, wie auch übrigen Haußhaltungs-Geschäffte besorgen.

Allein es blieb bey dieser gemachten Ordnung[71] nicht, denn diese Leute, welche etwas weniges von den Europäischen Kirch-Gebäuden erzehlen hören, waren dermassen begierig, ihr Gottes-Hauß in behorigen Stande zu sehen, so daß sie häuffig ja fast überflüßig herzu gelauffen kamen, und eher die sonst gewöhnlichen Feyerabend-Stunden, zu ihrer Hauß-Arbeyt und Erndte anwendeten; als des Vergnügens beraubt seyn wolten, ihren Schweiß beym Kirchen-Bau zu vergiessen. Jedoch da die Stamm-Väter, und sonderlich der Altvater Albertus, endlich gewahr wurden, daß die all zu vielen Arbeiter einander sehr öffters nur verhinderten, anbey befürchteten, wie solchergestallt ein und andere Feld-Früchte zu Schaden kommen könten, machten sie die klügsten Anstallten, eins so wohl als das andere zu besorgen, woher denn kam, daß zu Außgange des April-Monats, das Mauerwerck der Kirche und des Thurms, seine völlige Höhe er reichte. Dannenhero waren 12. ziemlich geübte Zimmer-Leute, unter Beyhülffe und richtiger Anweisung unseres Tischlers und Müllers, nehmlich Lademanns und Kräzers bemühet, das Sparrwerck und Dach-Gestühle, aus den allbereit zugerichteten und behauenen Bäumen zu verfertigen, auch einen seinen höltzernen Aufsatz und zierliche Haube auf den Thurm zu bringen. An statt der Schiefer oder Ziegel-Steine zum Dachdecken, wurden von einem leicht zu spaltenden Holtze, Schindeln verfertiget, selbige aber mit dem Schlamme aus denen östlichen See-Lachen, bestrichen, welcher, so bald ihn die Sonne getrocknet einen solchen Glantz von sich gab, wie das Spieß-Glaß in Europa, auch so fest als ein Kitt auf[72] dem Holtze sitzen blieb, selbiges lange Zeit vor der Vermoderung bewahrete, und nachdem es einmahl recht eingetrocknet, sich durch keine Feuchtigkeit von dem Holtze oder Steinen abziehen ließ. Solchergestallt warff unser Kirch und Thurm-Dach, nachdem selbiges am 14. Julii vollkommen fertig worden, bey Sonnenschein, einen artig durch einander spielenden Glantz von sich, welches sehr angenehm anzusehen war, derowegen beredeten sich Mons. Litzberg und Plager, ob es nicht practicable sey, aus dieser Materie mit der Zeit, und zwar durch den Zusatz anderer Leimen-oder Thon-Erde, Ziegel- und Back-Steine zu brennen. Jedoch hiervon wird künfftighin ein mehreres zu melden seyn, voritzo fahre fort zu erzehlen, welchergestallt Lademann, Krätzer und Herrlich, die geschicktesten Holtz-Arbeiter unter den Insulanern außlasen, um nach Mons. Litzbergs gemachten Abrisse, den Altar, Cantzel, Tauff-Stein, Empor-Kirchen vor die Männer, und dann die Stühle vor die Weibs-Personen zu verfertigen, mittlerweile die andern, die sich am besten aufs Mauern verstunden, den Fuß-Boden, von glatt abgeriebenen, viereckigten Sand-Steinen legten, die Mauern mit Kalck tünchten, und wiederum andere, die Oberdecke, oder den so genandten Himmel zurichteten. Diese Mäurer und Tüncher, brachten ihr Werck in den angenehmsten Frühlings-Tagen, und zwar zu Ende des Monats Septembris, völlig fertig, mit der Holtz-Arbeit aber gieng es nicht so hurtig von statten, jedennoch ließ uns ihr unermüdeter Fleiß hoffen, mit Eintritt des neuen Kirchen-Jahres, unser neues GOttes Hauß[73] als völlig fertig einzuweyhen. Der ehrliche Peter Morgenthal, ließ es sich bey diesem Baue auch hertzlich sauer werden, denn durch seine Hände gieng alles Eisenwerck, so darbey gebraucht wurde, selbst Mons. Plager, der seine Hände auch nicht in Schooß legte, wunderte sich über dessen besonders saubere Schlösser- und Kleinschmidts-Arbeit, und dennoch war er auch unverdrossen, die beschwerlichste Grob-Schmiede-Arbeit, auch Nägel, ja fast alles zu machen was man ihm nur vorlegte, denn er hatte sich des seel. Jacob Larsons Werckstadt aufs allerbeqvemste eingerichtet, auch drey junge starcke Pursche aus dem Jacobs Raumer Geschlechte, in die Lehre genommen, die sich sehr wohl zu dieser Profession anschickten.

Jedoch es scheinet mir nöthig zu seyn, diese Bau-und Arbeits-Erzehlung in etwas zu unterbrechen, um auch andere Merckwürdigkeiten beyzubringen, welche sich binnen der Zeit zugetragen haben. Am 22. Febr. fanden etliche Knaben aus dem Simons- und Alberts Raumer Geschlecht, da sie an der See, Austern und Muscheln zu suchen, herum lieffen, einen halb verfaulten Menschen-Cörper männliches Geschlechts, demselben war mit einem Stücke meßingenen Drats ein durchlöcherter Französischer Lois d'or an den Halß gehenckt, woraus zu schliessen: daß diejenigen, so diesen Cörper in die See geworffen, selbigen gern wolten begraben wissen. Derowegen erkannten wir uns, auch ohne dieses Gold-Stück empfangen zu haben, vor schuldig, ihm diesen christlichen Liebes-Dienst zu erweisen, bedeckten also den annoch auf einem Brete fest[74] angebundenen Cörper, mit einer Matte, und begruben ihn ehrbarlich an die Seite unsers GOttes-Ackers.

Wir bekamen sonsten selbiges Jahr, nach aussage der Aeltern, einen mittelmäßigen Geträyde, doch ziemlich starcken Trauben-Seegen, die wilden Affen wolten sich hierbey ziemlich dreiste machen, uns berauben, und unsere mit allerhand farbigen Halß-Bändern gezeichneten Affen, verfolgen, jedoch ich Mons. Harckert und andere Europäer, so bey der Kirchen-Arbeit wenig wichtige Hülffe leisten konten, legten den äusersten Fleiß an, unsere dienstbarn Affen zu schützen, und die Frembden mit Feur und Schwerdt zu verfolgen. Jedoch wendeten wir nicht alle unsere Zeit hierauff, sondern besorgten auch andere nützliche Dinge, absonderlich war meine Arbeit, Herrn Mag. Schmeltzern bey seiner auf sich genommenen Mühe täglich 4. Stunden abzulösen, selbige aber bestund darinnen: Es hatte ermeldter Herr Mag. Schmeltzer eine Schule von achtzehen Knaben, die ohngefehr 12. biß 14. Jahr alt waren, angelegt, so daß sich von jeder Gemeine zwey darinnen befanden, diese fieng er an, nicht allein in den aller nachsinnlichsten Puncten der Theologie, sondern auch in den Grund-Sprachen zu informiren, ich aber muste täglich zwey Stunden zum Latein, eine Stunde zum schreiben, und eine Stunde zum rechnen mit ihnen anwenden, so daß diese Knaben früh von 6. biß 10. Uhr, und Nachmittags von 1. biß 5. Uhr, in beständigen Fleisse verharren musten, also hatte ich früh von 8. biß 10. Uhr das Latein, Mittags von 1. biß 2. Uhr das Schreiben, und[75] von 2. biß 3. Uhr das Rechnen mit ihnen vor. Es kostete gewiß ein wenig Mühe, allein der Nutzen war dieser, daß aus diesen Knaben solche Leute werden solten, welche hernachmals vermittelst ihrer erlangten habiliteé in ihren Geschlechtern wiederum die andere Jugend lehren könten. Ausser diesen hielt Herr Mag. Schmeltzer nicht allein alle Sonntage Nachmittags, sondern auch Mittwochs, auf Herrn Wolffgangs Taffel-Platze, oder in der Davids-Raumer Alleé, vor die Simons-Alberts-Davids- und Stephans-Raumer- und Freytags im grossen Garten vor die Christians-Roberts-Christophs-Johannis- und Jacobs-Raumer Jugend, eine 3. stündige Kinder-Lehre, um selbige von zarter Kindheit an, in den Glaubens-Articuln der christlichen Lehre recht zu gründen. Mons. Litzberg hatte gleichergestallt 4. geschickte Knaben zu sich in seine Wohnung genommen, welchen er nach und nach die Matthesin von Stück zu Stück, nebst der Latinität beyzubringen suchte, als in welcher Letztern ihm Herr Wolffgang nach Vermögen hülffliche Hand reichte.

Der Chirurgus Mons. Kramer, welcher seinen Sitz in Alberts-Raum genommen hatte, war ungemein eiffrig, die Kräffte und Tugenden, der auff dieser Insul befindlichen Dinge, so wohl in regno animali als minerali und vegetabili auszuforschen, und eben hierzu wurden ihm so wohl des Don Cyrillo de Valaro, als des Altvaters Alberti Schrifften und Observationes communiciret. Er sagte öffters, sein, obschon sehr starcker Vorrath an Medicamenten, den er auf Vorschub Herrn [76] Wolffgangs mitgebracht hätte, könte dennoch wohl mit der Zeit, theils verderben, theils alle werden, ob er schon nicht wünschen oder hoffen wolte, daß GOtt diese Insul, wegen der frommen Einwohner, mit bösen Seuchen oder besondern Schäden straffen würde, es wäre inzwischen aber keine Sünde, sondern höchst nöthig, in seiner Profession immer mehr und mehr zu untersuchen. Zu dem Ende hatte er sich 3. habile Knaben zur Hand gewöhnet, mit welchen er täglich botanisiren gieng, und sich nebst dem die gröste Mühe gab: ihnen die Theoriam von seiner Profession bey zu bringen, weil es damahliger Zeit in Praxi vor ihn nicht viel zu thun gab als wovor wir GOtt besondere Ursach zu dancken hatten, sintemahl es kein grosses Wunder gewesen, wenn bey dergleichen schweren Bau jemand zu Schaden kommen wäre.

Ausser seiner Profession war Mons. Kramer ein grosser Liebhaber vom Garten-Werck und Vieh-Zucht, weßwegen Mons. Litzberg die Helffte, von dem aus Europa mitgebrachten Vieh und Geflügel, unter seiner Auffsicht in Alberts-Raum überließ, die andere Helffte aber war nach Christophs-Raum gebracht worden, allwo Herr Wolffgang nebst Litzbergen, ihr Vergnügen hatten: dessen ordentliche Verpflegung ihren Freunden zu lehren. Weiln aber doch voritzo eben von unsern Thieren zu schreiben im Begriff bin, wird es vielleicht nicht allzu unangenehm seyn, wenn ich beyläuffig melde, wie starck sich dieselben binnen der ersten Jahres-Frist unseres daseyns, vermehret haben. Von rechtswegen hätte zwar erstlich von Vermehrung der Menschen gedencken[77] sollen, allein ich spare solches nicht unbillig biß zum Beschluss des Kirchen-Jahres, da Herr Mag. Schmeltzer christlicher Gewohnheit nach, die Specification der gebohrnen, gestorbenen, copulirten und confirmirten, öffentlich von der Cantzel verlaß. Demnach gebe zu erwegen, daß der Göttliche Macht-Spruch: Seyd fruchtbar und vermehret euch etc. sich auch in diesem kleinen Welt-Theile, dessen Erde wohl dergleichen Thier-Arten noch niemahls getragen, noch eben so kräfftig, ja recht wunderbar Seegenreich erzeiget. Denn 1.) Von den jungen Zucht-Stuten waren 2. Füllen gefallen. 2.) 4. Kühe hatten so viel Kälber gebracht. 3.) 3. Zucht-Sauen hatten ingesammt 33. junge Schweine geworffen, und 4.) Fünff Schaafe 7. Lämmer erzeugt, die übrigen wann verunglückt. 5.) Zwey Eselinnen gaben auch so viel junge Esel. 6.) 4. Welsche Hüner hatten ingesammt ohne die verunglückten, 42. junge aufgebracht. 7.) Von 18. Hauß-Hünern waren 4. Stück umkommen, und bey denen noch übrigen 14. alten, und 3. Hähnen, befanden sich ingesammt 123. junge Hühnlein. 8.) Bey 6. alten Gänsen, lieffen 39. junge Gänse herum. 9) 6. alte Endten führeten 34. junge. 10.) 6. paar alte Tauben hatten 14. paar lebendige junge geheckt. 11.) Zwey Hündinnen hatten 9. junge Hunde, und 12.) 2. Katzen 8. junge Kätzlein. 13.) Wie viele junge aber die 3. paar Caninichen zur Welt gebracht, konte man nicht wohl bemercken, denn sie waren alle weiß, und kamen niemahls auf einmahl zum Vorscheine.

Demnach hatten wir im November 1726. an[78] Europäischen Viehe, 6. Pferde, als nehmlich 3. Hengste und 3. Stuten, 10. Stücken Rind-Vieh, und zwar 2. Ochsen, und ein Ochsen-Kalb, 4. Kühe und 3. Zucht-Kälber. 15. Schaafe, worunter 2. alte und 3. junge Böcke. 6. Esel. 39. alte und junge Schweine. 48. Welsche Hüner und Hähne. 140. Hauß-Hüner und Hähne. 45. Gänse. 40. Endten. 20. paar Tauben. 13. Hunde. 12. Katzen, unn eine ungewisse Anzahl von Caninichen, die ihre Wohnungen ohnfern von Alberts-Raum, unter einem mäßigen Hügel, in lockern Boden selbst gebauet hatten, und sich auch ohne unsere Hülffe selbst ernehreten.

Mons. Plager war ausserdem, wenn er nicht bey dem Kirchen-Bau mit Rath und würcklicher Hilffe beschäfftiget war, beständig fleißig seine in Jacobs-Raum, nahe bey Morgenthals Wohnung angelegte Werckstatt, nach seinem etwas eigensinnig scheinenden Kopffe einzurichten. Sein hauptsachliches Dichten und Trachten war dahin gerichtet, so bald als möglich, eine grosse Schlage-Uhr auf des Alt-Vaters Wohnung zu setzen, auch selbsten eine proportionirliche Glocke darzu zu giessen. Er hatte auch zwey seine 18. jährige Pursche, einen aus Jacobs- und den andern aus Simons-Raum an sich gezogen, welche seine Kunst zu erlernen, ein grosses Verlangen bezeugten.

Harckert der Posamentirer, Klemann der Pappiermacher, Wetterling der Tuchmacher und Garbe der Böttiger, konten bis dato es in ihrer Handwercks-Probe noch nicht zeigen, was sie gelernet hatten, halffen derowegen mittlerzeit fleißig, alles verrichten was ihnen vorkam und zu thun möglich war,[79] der Töpffer Schreiner aber, hatte seine Werckstatt, so wohl als den selbst erbauten Brenn-Ofen, bereits in sehr guten Stande, auch schon eine grosse Menge allerley Sorten von Töpffer-Geschirr verfertiget, welche er mit Freuden unter die Stämme vertheilete und damit nicht geringen Danck verdienete, wie sich denn auch zu seiner, etwas schmutzig scheinenden Profession, schon 3. Knaben angegeben, denen er selbige mit gröster Lust zu lehren, Mine machte.

Jedoch nachdem ich, um unserer zu letzt angekommenen Europæer Aufführung einiger massen zu beschreiben, mich mit Fleiß ein wenig verirret, muß ich nunmehro meinen Leser wiederum in etwas zurück führen, und demselben die fernern Begebenheiten so viel als möglich, ordentlicher eröfnen.

Im Monat Junio mochte ein gewaltiger Sturm ohnfehlbar auf der See gegen Norden zu, einige Schiffe zerscheitert haben, weilen 3. grosse Mast-Bäume nebst vielen andern Schiff-Holtze, auf unsern Sand-Bäncken anländeten, wir fuhren derowegen dahin, holeten selbiges herüber, fanden auch 2. Fässer voll Nelcken und andere Gewürtze, konten aber wenig davon nutzen, weilen das meiste im See-Wasser verdorben war.

Im August-Monat, hatte ich das Glück, auf meinen ausgesteckten Leim-Ruthen, unter andern einen besonders schöne Vogel zu fangen, er war wie ich von klügern Leuten hörete, noch etwas kleiner als die kleineste Art von Papegeyen, mochte aber dennoch wohl aus derselben Geschlechte seyn, weil seine Federn am gantzen Leibe, die schönste vermischung von hell-und[80] dunckel-roth, grün, blau und Silber-Farbe zeigten, auf dem hell-grünen Kopffe prangete eine Zinnoberrothe Kuppe, der Schnabel war in etwas dicke, jedoch nicht so sehr als eines Papegeyen, dem aber seine Füsse vollkommen gleichten. Ich machte diesem schönen Vogel, mit Beyhülffe Mons. Harckerts, in gröster Geschwindigkeit einen Bauer, und nachdem ich gemerckt, daß das weisse in Milch getauchte Brod ihm eine angenehme Speise war, setzte ich ein darmit angefülltes Gefässe zu ihm hinein, hieng aber den Bauer zun Füssen meines Bettes, nahe an das Fenster, damit ich diesen, wegen seiner schönen Gestalt, liebens- würdigen Vogel, nur so offt ich etwa Ruhe-Stunde machte, im Gesichte haben könte. Jedoch ich werde Gelegenheit suchen, das Ergötzen, so mir dieser Vogel nachhero unverhofft gemacht, ebenfalls anzuführen, voritzo fällt mir der Ordnung gemäß, nichts merckwürdigers vor, als daß am 10. Sept. Abends sehr späte, Herrn Wolffgangs allerliebste Sophie mit einem jungen Sohne ins Wochen-Bette kam. Wir hatten eben selbigen Tag einen grossen Buß-Bet- und Fast-Tag gehalten, und zwar zum Gedächtnisse dessen, daß unser Alt-Vater vor nunmehro 80. Jahren, und zwar an eben diesem Tage, die Insul Felsenburg zum ersten mahle betreten. Derowegen gab es allerhand Gelegenheit, diesem Kinde, wegen seines merckwürdigen Geburths-Tags, ein und andere Glückseligkeiten zu præominiren. Der Alt-Vater wurde also nächstfolgenden 12. Sept. nebst seiner Haußhälterin, Christiana Virgilia Juliin, (welche seines seel. Sohns Johannis, zweyten Sohnes, älteste[81] Tochter war) und Mons. Litzbergen zu Tauffzeugen erwehlet. Also fuhren der Alt-Vater, Herr Magister Schmeltzer, Christiana und ich auf dem mit Hirschen bespanneten Wagen hinab. Dem Kindlein wurden in der heiligen Tauffe die Namen Albertus Friedrich gegeben. Herr Mag. Schmeltzer hielt nach vollbrachten Tauff-Actu einen schönen Sermon, und wünschte zuletzt: daß dieses ein rechter GOtt- beliebter Sohn werden möchte, weiln es sich ohnedem so wohl gefügt, daß er an einem so merckwürdigen Tage gebohren, und am Nahmens-Tage Gottlieb, welcher im Calender am 12. Sept. bemerckt war, getaufft worden.

Herr Wolffgang tractirte hierauf uns, und alle Christians-Raumer Einwohner, mit gantz vortrefflichen Speisen und Geträncke, gegen Abend aber, da der Alt-Vater etwas lustiger, als gewöhnlich, wurde, verschaffte er uns allerseits das Vergnügen

Quelle:
Johann Gottfried Schnabel: Wunderliche Fata einiger Seefahrer absonderlich Alberti Julii, [...], Vier Theile, Teil 2, Nordhausen 1732, S. 37-82.
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