Das wunderthätige Crucifix

[345] Eine Legende.


Ein Eremit, dem Tode nah',

Sprach zu Sebastian, dem Knaben,

Den er als Sohn erzog: »Ich sterbe!

Sebastian, mein Sohn, begrabe

Mich neben dieser Hütt', ins Grab,

Das ich mir selbst geschaufelt. Wisse,

Du guter Baste, der du mir

Den süßen Vaternamen gabst,

Dein Vater bin ich nicht, ich fand

Dich einst, als Mordsucht mit dem Schwert

Die Ketzer würgte: ach, der Himmel

Sah roth und schien sich zu entsetzen

Ob diesem Gräu'l! – da fand ich dich

Im Arm des trunknen Kriegers, der[345]

Dich eben aufwärts schleudern wollte,

Um dich zu fangen mit dem Schwerte.

In, liebes Kind, da fand ich dich,

Und riß dich aus dem Arm des Kriegers.

Dein Vater war ein braver Mann;

Ob er des Mordgeists Höllenflamm'

Entronnen sei, das weiß ich nicht!

Du bist mein Sohn! und ich dein Vater!

Was weinest du? – Ich' hab dich ja gelehrt,

Daß Christen keinen andern Weg

Ins Leben haben, als den rauhen,

Mit Blut beträuften Pfad, den Jesus

Voran ins Leben ging. Willst du

Dahinten bleiben? O, der Tod

Ist süß, ist unaussprechlich süß

Dem Christen, der die Kunst zu sterben

Von seinem Könige gelernt.

Leb wohl. Nimm dieses Crucifix!

So wein' doch nicht, du siehst mich ja

Im Himmel wieder. Gold und Silber

Lass' ich dir nicht, doch meinen Segen

Vermach' ich dir mit diesem Crucifix.

Es sei dein Führer auf der Bahn

Des Lebens. Wirst du Gutes thun,

So wird es lächeln; aber weinen

Wird es, so oft du Sünde thust.

Und bluten, bluten! bluten wird's,

Aus allen Wunden wird es bluten,

Wenn du, was Gott am meisten haßt,

Begehst. Bewahre dich der liebe Gott,

Daß du es nicht begehst. O Jesus,

Maria und Joseph, sei mir gnädig!

Ich sterbe!« – Und der Alte sank

Auf's Stroh, ward gelb und starb. Der Knabe

Beträufelte des Alten Leiche

Mit seinen Thränen, senkte sie

Ins offne Grab und betete

Ein Vaterunser und ein Ave,

Bewarf sie drauf mit Erd' und pflanzt'[346]

Ein schwarzes Kreuz auf's Grab. »Gott geb'

Ihm eine ew'ge Ruh und lösche

Für ihn des Fegefeuers Flammen aus.

Er lass' ihn fröhlich auferstehen!«

So sprach der Knabe. Wie das Bäumchen

Nach starkem Sommerregen tröpfelt,

So tropfte Wehmuth von dem Auge

Des Knaben. Er verließ das Grab

Und seines Vaters Hütte, nahm

Sein liebes Crucifix und ging.


Der arme Knabe irrte lang

Auf weitem Feld im Sonnenstrahl,

Ward durstig, sah nach einem Quell,

Sich zu erquicken. Keiner war

Auf dieser Sommerflur. Er warf

Sich müd' an eines Felsens Fuß,

Der keinen Quell ergoß: »O wär' ich,

Du lieber Vater, wär' ich doch bei dir!

Was thu' ich auf der Welt, ich armer

Verlaßner Knab'?« – und küßt sein Crucifix.

Ein Hirtenmädchen kam und sah

Den Knaben liegen. »Was ist dir?

Du schöner Knabe, was ist dir?«

Das Mädchen sprach's und blicket Mitleid

Vom blauen Auge. »Laß mich sterben!

Todt ist mein Vater, als ein Waise

Irr' ich herum: o laß mich sterben!

Gib mir noch einen frischen Trunk;

Dann lege mir das Crucifix auf's Herz

Und laß mich sterben!« Eilend lief

Das Mädchen, eilend kam's zurück.

»Da trink!« stellt' einen Topf mit Milch

Dem Knaben vor. »Du sollst nicht sterben.

Mein Vater hat noch Brod und Milch

Für dich. Ein guter, guter Vater!

O weißt du was? Hast du getrunken?

Steh auf, geh mit in meine Hütte;

Mein Vater wird dich lieben, Knabe,[347]

Du wirst mit mir die Heerde hüten,

Dann – willst du? nun so komm!« Er ging.

Der Hirte nahm ihn auf. Die Heerde

Mit jedem goldnen Morgen auszuführen

Ins Feld, war sein Geschäft. Das Mädchen

Ging neben ihm. Schön war der Knabe

Und schlank, die ersten Jünglingsmonde

Verklärten ihn und streuten Rosen

Und Lilien auf sein Gesicht.

Sein Blick sprach mehr als Unschuld der Natur,

Er sprach Gottseligkeit und Liebe.

Voll Einfalt war das Mädchen: kannte

Die Schönheit nicht, die Gott ihr gab.

Die guten Kinder liebten sich

Und wußten nicht, daß es die Liebe war.

Sebastian verbarg sich oft

Im nahen Wald und seufzte: »Gott

Im Himmel, was ist das in mir?

Warum bin ich dem Hirtenmädchen

So gut, und möcht's auf meinen Armen

In Himmel tragen? Gott im Himmel,

Es wird doch keine Sünde sein!« Er nahm

Sein Crucifix heraus; es sah

Ihn freundlich an und weinte nicht.

An einem Sonntag ging er einst

Mit seinem Mädchen auf die Wallfahrt

Zu einem Muttergottesbild.

Er setzte sich allein mit ihr

An einer Rosenhecke nieder;

Sie fiel in seinen Schoß und schien

Ein Thränchen zu verbergen. »Weinst du,

Mein trautes Mädchen, was ist dir?«

Er drückte sie an seine Brust

Und wagt's und küßte sie. Sie schlang

Die Arm' um ihn und küßt' ihn wieder.

»Ich hab's der Mutter Gottes angelobt,«

Sprach sie, »wenn du der Meine wirst,

So schenk' ich ihr mein Lämmlein; weißt du,

So heimlich ist's, und frißt aus meiner Hand?[348]

Willst du der Meine sein?« – »O ewig,«

Seufzt' er, »wenn Gott es haben will.«

Sie schwiegen, küßten sich und fühlten

Die Seligkeit der reinen Liebe. Abends

Barg sich Sebastian und enger

Ward's ihm ums Herz. »Was hast du?

O Gott, o Gott, das wird wohl Sünde sein;

Was hast du heut, Sebastian, gethan? –

Ein Kuß, den ich dem Mädchen aufgedrückt,

Der mir durch alle Glieder drang,

O Gott, o Gott, was hab' ich heut' gethan?«

Er wagt' es nicht, sein Crucifix zu sehn,

Fiel nieder auf die Erd' und weinte

Und bat: »O Gott, verzeih' es mir!«

Doch endlich wagt's Sebastian

Sein Crucifix zu sehen, um die Thränen

Von seines Christus Auge wegzutrocknen;

Jedoch das Bildniß sah ihn an

Mit sanftem Aug' und weinte nicht.

Und doch blieb Unruh' in der Brust

Sebastians. Am ersten Mai

Da wagt' er's gar und tanzt' und sprang

Mit seinem Hirtenmädchen. Alle

Die jungen Hirten tanzten mit

Und feirten so das Maienfest.

Beängstigt sah Sebastian

Sein Crucifix. Noch immer sah

Es freundlich aus und weinte nicht.

Und noch blieb Unruh' in der Brust

Sebastians. Er beichtete

Einst einem Mönche seine Liebe:

»O!« sprach der dürre, trockne Mönch,

»Hast du die Lehre deines Vaters

Vergessen, schon so früh? Wallt noch

Das Ketzergift in deinem Blut?

Verdammt bist du, wenn du nicht gleich

Zurück in deine Klause gehst!

Flieh deine Dirne, Satan blickt

Ihr aus dem Auge!« Schwankend ging[349]

Sebastian der Klause zu.

»Ja wohl, der Gottesmann hat recht;

Zu früh hab' ich des Vaters Lehre

Vergessen, hab' der Wollust Gift

In mich geschlürft. O! Anna, wie

War's möglich, daß der Satan sich

In dir verbarg? Mein Crucifix!

Ach, warum warntest du mich nicht?

Doch Warnung eines heil'gen Mannes

Spricht lauter, als dies Bild von Elfenbein.«

Nun stürzte sich Sebastian

Ganz in die Tiefe seines Grams.

Er betete – und ach! das Bild

Von seiner Anna schwebt' ihm vor.

Er warf sich auf das Grab des Alten;

Ließ sich von Nesseln sengen; ließ

Vom Thau des Himmels sich beträufeln.

Doch Anna, Anna schwebt' ihm vor!

Sein wunderbares Crucifix

Sah ernster aus; doch weint' es nicht.

»Du siehst so ernst, du Christusbild;

Ach, meinen schweren Fall hab' ich

Noch nicht genug gebüßt.« Er sprach's,

Wälzt nackend sich in Dorn und Disteln,

Und geißelte den Rücken blutig,

Aß Wurzeln, schlürfte aus der Hand

Getrübtes Wasser; heulte, schrie,

Daß Eul' und Rab' und Kauz und Fuchs

Von seiner Schauerhöhle flohn.

Doch schwebt ihm seine Anne noch

Im Schleier vor. »O Crucifix,

Erbarm dich meiner!« Wüthend holt'

Er's aus der Hütte. Wunder! Wunder!

Die hellen Thränen rieselten

Dem Crucifix vom Angesicht.

»Ha, ist's nur dies? Ist dir die Buße

Für meinen Fehl noch nicht genug?«

Er sprach's, nahm einen Strick: »Am Baume,

Den ich als Knab' gepflanzt, soll ich[350]

Mein Leben enden? Ha, es rauscht!«

Was ist's? Ein irrend Lämmlein schlüpft'

Vor jedem lauten Blatte zitternd

Durch's Waldgebüsch und stand ermüdet,

Sebastian, vor deiner Hütte still.

Das Lämmlein war's, er kannt' es gleich,

Das seine Anne auf der Wallfahrt

Der Mutter Gottes angelobt.

»So will ich dich, du reines Lamm,

Erst füttern aus der hohlen Hand,

Erst tränken aus dem klaren Quell;

Dann, – Jesus Christus, ach, sie kommt;

Kommt selber!« Auf des Alten Grab

Stürzt stumm der arme Jüngling nieder;

Lag mit dem Antlitz auf dem Sand

Und faßte mit der Hand das Kreuz!

Das Mädchen kam. »Jesus, Maria

Und Joseph, mein Sebastian

Ist dies! Bist doch nicht todt, du Lieber?

Steh' auf, dein armes Mädchen ist's!

Dein Annchen ist's, ich habe dich

Schon Wochenlang gesucht. Ich habe

Am Muttergottesbild gekniet

Und hab' gefleht: O Mutter Gottes,

Willst du mein Lämmlein nicht? So steh

Doch auf, und geh mit mir. Mein Vater

Will mich dir geben!« »Schlange, geh!

Der Satan blickt aus deinem Auge!«

»Ich eine Schlange? Gott, ach Gott,

Dein girrend Täublein eine Schlange?

Ein Satan ich? Sebastian,

Du irrest dich; dein Engel wollt' ich sein.«

Sie setzt sich neben ihn auf's Grab.

Er wandte sich und sah sie weinen.

Die starrende Verzweiflung ließ

Nun von ihm ab. Sein Herz zerfloß

In Lieb' und Wehmuth. Thränen schan'rten

Herunter von der bleichen Wange.

Sein Mädchen trocknet ihm die Thränen[351]

Mit ihrer Schürz'. »O Anne, geh,«

Mit weggewandtem Antlitz sprach's

Sebastian. »Mein Crucifix

Hat helle Zähren über mich geweint;

Ich habe dich geküßt, drum hat es helle Zähren

Für mich geweint.« »Es hat geweint,

Weil du mir untreu bist! Du hast

Den Eid gebrochen, den du mir,

Weißt du? – beim Rosenbusche schwurst.

Es hat geweint, weil du mir untreu bist.«

Das Mädchen sprach's. Ihr Vater kam:

»Was gibt's? was thut ihr da? Hast du

Sebastian gefunden? Gott sei Dank!

Komm Baste, komm! sollst meine Anne haben.

Zum frommen Müßiggänger bist

Noch viel zu jung. Bau erst das Land,

Zeug Kinder, sei den Menschen nützlich;

Dann kannst du dich in diese Klause

Verschließen, dich der Welt entziehn,

Wenn dich die Welt entbehren kann.«

Er ging, und Anne ward sein Weib.

O Wunder! gleich am Hochzeittage

Vertrockneten am Crucifix

Die Thränen. Doch, es kam der Mönch,

Trat zornig vor Sebastian

Und sprach: »Du bist verdammt, weil du

Den Bund der Keuschheit brachst! Eh' wird

Dir deine Sünde nicht vergeben,

Bis du zuvor dem heiligen

Gerichte des Dominikus

Zween Ketzer – Einen wenigstens

Zum Tode überlieferst!« Traurig schwieg

Sebastian. Er suchte lange

Nach Ketzern, konnte keinen finden,

Bis er vernahm, in einer Felsengrotte,

Die schauerlich von der Natur gebaut,

In einem Walde stand, versammeln sich

Die Ketzer in der Mitternacht,

Zu singen und zu beten. Lange[352]

Verzögerte Sebastian.

Das Glück der Häuslichkeit erfreute

Sein Herz mit jedem Tage mehr.

Schon sah er einen Rosenknaben

Auf seiner Anne Armen spielen,

Und Feld, und Flur, und Baum, und Heerde

Schien Gottes Segen abzustrahlen.

Auch lächelte sein Crucifix,

So oft Sebastian und Anne

Mit ihrem Kinde vor ihm knieten.

Jedoch des Mönches Fluch bewog

Sebastian, den Ketzern aufzulauren.

Er überfiel sie. Alle flohn.

Und nur ein Greis, zu schwach zur Flucht,

Blieb in der Hand Sebastians.

Es schwieg der Greis, die Silberlocke

Bestrahlt sein Haupt, wie eine Glorie.

Er sah mit hellem Blick gen Himmel

Und pries den Herrn, daß er gewürdigt sei,

Um seinetwillen Schmach zu leiden.

Sebastian gab dem Gerichte

Des heiligen Dominikus

Den Ketzer. Sie verschlossen ihn

Im Schau'rgewölbe eines Kerkers,

Wo er, gekettet an der Wand,

Auf faulem Stroh den Tod erwarten sollte.

Sebastian betrübt und doch im Wahn,

Er hab' ein gutes Werk gethan,

Ging heim zu seinen Lieben – »Wunder!

Entsetzen! O Entsetzen!« schrie

Sebastian, als er am Crucifix

Den Abendsegen beten wollte.

»O Wunder! O Entsetzen!

Das Crucifix, es blutet

Aus allen Wunden! ach, ich habe

Gethan, was Gott am meisten haßt!«

Schrie laut Sebastian, und eilte

Mit Ungestüm hinaus zum Wald,

Warf sich auf's Grab des Eremiten.[353]

»O Vater,« schluchzt' er auf, »ich habe,

Was Gott am meisten haßt, gethan;

Da blutet nun mein Crucifix,

Wie du gesagt, aus allen Wunden!

O sprich, was hab' ich denn gethan,

Das Gott am meisten haßt? Ist's Sünde,

Daß ich mein Weib geliebt? Daß ich

Den Knaben ihres Leibs geherzt?

Das Land gebaut, und ach, vielleicht

Die Welt zu viel geliebt? war's Sünde?«

Und plötzlich rauscht' es um die Hütte.

Im Wolkenkleide, lichtbeströmt,

Stand vor Sebastian der Alte,

Blickt' ernst und sprach: »Verschmäht hast du

Die väterliche Warnung, die ich dir

In meinem Tode gab. Du hast

Dem Mörderorden des Dominikus

Den frömmsten Mann – sein Name flammt

Mit goldner Schrift im Lebensbuche –

Ja den hast du den Mördern eingeliefert!

Und noch ein Donner treffe dich,

Der fromme, gottgeliebte Greis,

Den du den Mördern brachtest, ist –

Er ist – dein Vater! darum blutet

Dein Crucifix aus allen Wunden.

Nun geh, befreie deinen Vater,

Und kannst du nicht, so stirb mit ihm!«

Der Alte schwand. Sebastian

Eilt, wie vom Sturm getragen, nimmt

Sein Crucifix – »O Anne, Anne!«

Spricht er mit vorgepreßtem Aug',

»Ich bin der Mörder meines Vaters.

Nun muß ich sterben. Unsern Knaben,

Den küß', ich kann es nicht! Leb' wohl!«

So riß er sich aus ihrem Arm

Und flog, und kam zum Blutgericht.

»Der Greis, den ich euch brachte, Väter,

Der ist mein Vater! laßt ihn los! –

Ich bin ein Ketzer! – laßt ihn los! –[354]

Ich bin ein Mörder! – laßt ihn los!«

Die Väter, gegen jeden Auftritt

Der Menschlichkeit schon lange abgehärtet,

Befahlen kalt, den Vater vorzuführen,

Der schon zum Feuertod verdammt,

Sein gelbes Kleid, bemalt mit Flammen,

Und Teufelslarven trug. »Ist dies dein Sohn?«

So sprachen sie zum Alten,

Der mit dem Antlitz eines Engels

Umhersah. »Kennst du mich?« – »Ich bin,«

Schrie laut Sebastian, »dein Sohn!

Dein Mörder! bin dein Teufel! bin

Dein Sohn nicht mehr!« »Hab's doch gedacht,

Als ich dein Antlitz sah, du seist

Mein Sohn! – Umarme mich! – Getäuscht

Vom Wahne bist du nur, mein Mörder nicht!

O komm, umarme mich!« Es weinte

Der Alte lang an seines Sohnes Hals.

»O diese Freuden, guter Gott,

Hast du, eh' meine Asche noch

Der Sturm verweht, mir aufbewahrt?«

Der Alte sprach's. Ein Mordbefehl

Riß Sohn und Vater von einander.

Nun sah zum erstenmal der Greis

Mit trübem Auge auf zu Gott

Und schien zu sagen: »Das ist hart,

Verzeih' mir's Gott! O das ist hart.«

Sebastian, zu gleichem Tod verdammt,

Freut sich, um seiner Seelenqual

Auf ewig los zu werden. Schon

Erschien der Tag, an dem die Sonne

Die schwärz'ste That beleuchten sollte!

Der Holzstoß war schon aufgethürmt,

Und neben ihm, da schwungen schon

Die Henkersknechte ihre Fackeln.

Und Sohn und Vater schritten voll

Von Gott und seinem Trost, obgleich

Verdammt, zur tiefsten Höll' verdammt

Von ihren Mördern, auf der Bahn[355]

Des Todes stark einher. Noch einmal

Umarmte seinen Sohn der Greis.

»Dort droben,« sprach er lächelnd, »sind'

Ich dich, mein Sohn, auf ewig wieder!

Sei unverzagt! denn Gott verließ

Noch keinen, der um seinetwillen starb.«

Schon packten Henkersknechte sie;

Als plötzlich Reisige, vom König

Gesandt, den Mördern Halt geboten.

»Halt!« – Wie der Rufer aus den Wolken,

Der Donner stürzt, der Pilger steht

Mit bleichem Antlitz – ha, so stand

Um die Gerichteten der Kreis.

Die Henker trugen erdwärts ihre Fackeln

Und starrten mit dem Borst der Wimpern

Des Königs Boten an. Er sprach:

»Verfluchter Wahn hat euch, ihr Armen,

Zum Feuertod verdammt; doch frei

Seid ihr! Der König will's.« Er schwieg.

»Euch aber trifft des Königs Zorn,

Gedungene der Hölle, euch!

Die ihr den Schleier der Religion,

Den Gottes Weisheit nicht auf goldnem Stuhl

Gewebt, zu einer Larve braucht

Des Trugs, der Täuschung, der Höllenmordsucht. Flieht!

Eh' euch der Rache Zackenblitz versengt.«

Sie flohen grimmig, schluckten zorn'gen Schaum.

Und plötzlich wälzte durch's Gedränge

Des fluthenden Volkes Anne sich,

Hoch über ihrem Haupte tragend

Den Liebling ihres Herzens, ach, den Sohn,

Den sie Sebastian gebar. Sie kam!

Und fiel, als sie im gelben

Sanbenedite ihren Trauten sah,

Gestreckt zu seinen Füßen. Dämmerung

Schwamm um ihr Aug'; es klang ihr Ohr.

Spät fluthete das Blut vom Herzen

Zurück in ihre Adern. Als das Leben

Wieder kam, lag sie im Arm[356]

Sebastians. »Ich habe dich erbeten,«

Sprach sie mit schwachem, zitterndem Ton;

»Vom König hab' ich dich erbeten –

Auf meinen Knieen lag ich, hob das Kind

Zu ihm hinauf; er weint' – und Gnade!

Scholl von seinen Lippen! Gnade

Geb' ihm auch Gott dem guten König,

Wenn er einst Gnad' bedarf.« Sie eilten,

Begleitet von des Königs Herold in die Hütte,

Der graue Vater, und der Sohn, und Anne

Mit ihrem Säugling; fielen dankend

In der Kammer vor dem Crucifix

Auf's Knie, und weinten lange.

Ach Gott, ach Gott, so süße Thränen

Weint einst der Fromme, wenn sein Engel

Ihn führt zu Jesus Christ. Und lange

War diese Hütt' ein Tempel, drinn

Jehovah's Lied und Christus Lob

In Hymnen wiedertönte. Seinem Vater

Drückt' selbst Sebastian das Auge

Mit zitterendem Finger zu. Und spät,

Nur wenig Monde nach dem Tode

Seiner trauten Anne, starb er auch:

Das Crucifix gelegt auf seine Brust.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 345-357.
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