Der rechte Glaub

[357] Eine Legende.


Einst wandelten zur Himmelspfort'

Drei abgeschiedne Seelen fort.

Den Stuhl von Rom verehrte der

Und zwei Kalvins und Luthers Lehr'.

Der Päpstler wollt' der erste sein,

Und schrie: »Sankt Peter, laß mich 'nein!«

Der Eiferer vom Lutherthum

Sprach: »Geh ins Purgatorium!

Lutherus hat die Straße Mir

Geebnet zu des Himmels Thür!« –

Darauf entstand gar großer Streit

Von Himmel, Höll' und Seligkeit,[357]

Von Christen- und von Heidenlohn,

Von Transsubstantiation,

Vom Glauben und von Werken gut

War gar ein schrecklicher Disput.

Der Kalvinist sprach: Schweigt einmal,

Ich halt' mich an die Gnadenwahl!

Drauf hub der Streit von neuem an,

Und noch ward's Thor nicht aufgethan;

Doch endlich war Sankt Peter müd

Des Lärms und bot den Zänkern Fried';

Guckt durchs halb offne Thor und spricht:

Für Zänker ist der Himmel nicht!

Und schlug die goldne Pforte zu.

Der Zänkerhauf' gab sich zur Ruh,

Setzt sich auf eine Wolkenbank

Und dacht: 's ist wahr, was nützt der Zank,

Das Ketzermachen und der Spott?

Wir glauben all an Einen Gott!

So sangen sie mit großem Schall.

Die Engel hörten's allzumal

Und waren alle hoch erfreut,

Ob ihrer Lieb und Einigkeit. –

Sankt Peter kam und machte drauf

Die Himmelspforte wieder auf,

Und sprach in Freud: Dieß hör' ich gern;

Kommt ihr Gesegneten des Herrn!

Die Dreie eilten Hand in Hand

Nun in ihr himmlisch Vaterland.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 357-358.
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