Am heiligen Pfingstfeste

[279] Auf, blaset die Posaune an!

Schon rückt der Tag des Herrn heran;

Ein wolkiger, ein finstrer Tag,

Wo kein Geschöpf bestehen mag,

Es fährt der große Donnerer

Auf seinem Wolkensitz daher.


Verzehrend Feuer geht vor ihm,

Und Flammen zücken hinter ihm.

Was vor ihm schön, wie Eden steht,

Ist nach ihm, wie die Wüste, öd!

Hoch rasseln seine Wagen her,

Und aus Gewittern redet er:


Bekehret euch, ihr Sünder, eilt!

Und fastet! klaget! weinet! heult!

Bekehret euch noch in der Zeit

Zum Vater der Barmherzigkeit.

Voll Gnade, voll Geduld bin ich,

Und Zorn und Strafe reuet mich.


Ich gieße über euch den Geist,

Der euch der Wahrheit Pfade weist;

Durch den das Kind prophetisch glüht,

Der Alte große Träume sieht;

Durch den vom himmlischen Gesicht

Der Jüngling mit Entzücken spricht.


Sein Donner schwieg. Der neue Bund

That die verheiß'ne Gnade kund.

Auf Fromme goß sein Geist sich aus,

Und Rauch und Dampf erfüllt das Haus,

Worinnen die verscheuchte Schaar

Der treuen Jünger Christi war.[279]


Du Hauch vom Vater, komm herab

Von dem, der dich der Erde gab;

Du Flamme Gottes, ruh' auf mir,

Im tiefsten Staube wart' ich hier,

Bis Feuer auf der Zunge glimmt

Und sie zu deinem Lobe stimmt.


Des Frommen Trost, entzieh' mir nicht

Dein gnadestrahlendes Gesicht.

Noch tobt in mir der Sündenschmerz:

Drum schaff' in mir ein reines Herz,

Und sei mir ein gewisser Geist,

Der mir die Bahn der Tugend weist.


Du Licht aus Gott, erleuchte mich,

Daß mein Verstand erkenne dich;

Und wann ich sinke, reiche du

Die Wahrheit mir zur Stütze zu;

Dann sei die Welt von Zweifeln voll,

Ich weiß, an wen ich glauben soll.


Wenn mein Gewissen mich verklagt,

Mein Herz belastet in mir zagt;

So flöße mir die Engellust

Des Seelenfriedens in die Brust,

Und säusle wieder nach dem Schmerz

Mir Ruh' und Heiterkeit ins Herz.


Mach du mich deiner Gnade voll,

Ach! wenn ich endlich sterben soll;

Deckt Nacht und Dunkel mein Gesicht,

So sei du mir ein Sonnenlicht,

Ein heller Stern, ein Gnadenstrahl

Durch's grauenvolle Todesthal.


Wer scheuet Tod und Mitternacht,

Wenn ihm ein Licht vom Himmel lacht?

Wenn der von Gott gesandte Geist

Auf finstre Pfade Leben geußt?

Drum, Geist des Trostes, sei mir Licht,

Wenn mir das Aug' im Tode bricht.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 279-280.
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