Der Tod einer jungen Christin

[312] Du, junge Christin, komm und schau

Den Tod vor deinen Füßen!

Laß eine Thränenfluth, wie Thau

Auf junge Rosen, fließen!

Denn ach! hier liegt,

Vom Tod besiegt,

Im Frühling ihrer Jahre

Die Freundin in der Bahre.[312]


Da liegt sie bleich, entstellt und todt,

Die Blum', halb aufgegangen;

Kein stiller Reiz, kein lachend Roth

Scherzt mehr auf ihren Wangen.

Ihr Blick ist Nacht;

Der Schönheit Macht

Liegt, wie von Sturm und Wetter

Zerstreute Rosenblätter.


Senkt nur den Leichnam in die Gruft,

Die Erde mag ihn decken.

Indessen jammert in die Luft

Ein Lied voll Todesschrecken:

O Eitelkeit!

O Eitelkeit!

Soll denn an Todtenbeinen

Der Kummer ewig weinen?


Jedoch ein Blick der Seele schaut

Hinauf zu jenen Höhen,

Wo wir des Mittlers junge Braut

Im Feierkleide sehen.

O wären wir

Bei ihr! bei ihr!

Bei dieser neuen Sonne,

Im Vaterland der Wonne!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 312-313.
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