Todesgedanken im Frühling

[305] Welche Stimme schallet

Vom Gebirg und wallet

Um mein lauschend Ohr;

Welche Silbertöne

Rufen: »Meine Schöne,

Auf! und tritt hervor!

Schaue nur,

Wie die Natur

Sich in ihrer Pracht erhebet

Und auf's neue lebet.


Schnee und Regengüsse

Sind dahin. Die Flüsse

Wandeln ihren Lauf.

Komm aus deiner Hütte,

Unter deinem Schritte

Sprossen Blumen auf.[305]

Komm und schau

Den Morgenthau

Tausend goldne Sonnenstrahlen

Auf die Veilchen malen.


Balsamreiche Düfte

Schwimmen durch die Lüfte;

Denn der Weinstock blüht.

Hör! die Turteltaube

Girrt aus jener Laube

Dir ein Frühlingslied.

Auf! der Mai

Fliegt sonst vorbei.

Sieh, die Feigenbäume zeigen

Knoten an den Zweigen.«


Meiner Jugend Leiter,

Freund, o rede weiter;

Denn ich höre gern. –

Doch die Stimme schweiget

Und der Frühling zeiget

Spuren seines Herrn.

Wo Er war,

Seh' ich ein Paar

Junge Frühlingsrosen blühen,

Die wie Sterne glühen.


Aus dem Erdenschoße

Schallt von jeder Rose

Gottes Ruhm hinauf.

Kleine Sänger schlüpfen

In den Busch und hüpfen

Jubilirend auf.

Wo die Pracht

Des Frühlings lacht,

Auf dem Schauplatz vom Vergnügen

Sollen Todte liegen?


Grabgedanken, härter,

Schneidender, als Schwerter,[306]

Fahrt ihr durch mein Herz.

Arme Frühlingsscenen,

Hemmt ihr meine Thränen?

Stillt ihr meinen Schmerz?

Nur das Wort

Ist schon ein Mord:

Unter jenem grünen Haine

Liegen Todtenbeine.


Alles um mich lebet,

Jener Baum erhebet

Schön sein Blüthenhaupt.

Aber seine Kräfte

Und sein Schmuck sind Säfte,

Die er Menschen raubt.

Blume hier,

Wer konnte dir

Die Tyrannenfreiheit schenken,

Menschenblut zu trinken?


Gott hat dir's gegeben,

Und die Bäum' erheben

Auf Sein Wort ihr Haupt.

Einst nach diesem Leben

Müssen sie uns geben,

Was sie uns geraubt.

Sterb' auch ich,

Dann heben sich

Ueber meiner todten Hülle

Blumen auch in frischer Fülle.


Komm, du junge Schöne,

Meine Todestöne

Wallen sanft dir zu.

Schau, im Frühlingswetter

Fallen Rosenblätter –

Und so fällst auch du.

Brich sie ab,

Auf jenem Grab

Stehen sonnenrothe Nelken,

Die, wie du, verwelken.[307]


Seht nun auf, ihr Blicke,

Dahin, wo mein Glücke

Aus den Wolken lacht.

Dort auf jenem Sterne

Wohn' ich einst und lerne,

Schöpfer, deine Macht.

Seele auf!

Zu Gott hinauf!

Dort wird es in jenen Kreisen

Ewig Frühling heißen.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 305-308.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon