Angst über selbstverschuldetes Leiden

[282] Gott! darf ich dir mein schweres Leiden klagen?

Die Sünde hat mich jämmerlich zerschlagen;

Ich leide schwer,

Und kann nicht mehr

Die Bürde meiner eignen Thorheit tragen.


Vor Schaam muß ich mein Angesicht verhüllen!

Ich leide nicht um Jesu Christi willen;

Ich wollte gern

Für meinen Herrn

Mit Märt'rerblut die Opferschale füllen.


Doch, ach! ich leide eigner Schulden wegen;

Mein inn'rer Zeuge donnert mir entgegen:

Klag nicht im Wahn

Den Himmel an;

Du trägst die Last von wohlverdienten Schlägen.


Die Thorheit hat die Fesseln dir geschmiedet:

Die Wollust, die in deinem Blute siedet,

Hat dich entnervt;

Die Sünde schärft

Das Natterngift, das dir im Herzen wüthet.


Gott! es ist wahr, ich habe mich vergangen;

Aus eigner Thorheit bin ich krank, gefangen,

Am Geist geschwächt;

Die Sünde rächt

Sich fürchterlich, und geißelt mich mit Schlangen.[282]


Doch eigne Schuld vergrößert nur die Qualen;

O! laß mir, Gott, dein Friedensantlitz strahlen!

Schenk mir die Schuld

Nach deiner Huld,

Wie kann ich denn mit Leiden dich bezahlen?


Wenn sich ein Kind im Leichtsinn hat verloffen,

So stehn ihm doch die Mutterarme offen,

So bald es schreit:

Barmherzigkeit!

Sollt' ich von dir nicht gleiches Mitleid hoffen?


Du hast ja nicht, Mitleidigster von allen,

Am Tode eines Sünders Wohlgefallen;

Du bist ja gut,

Und läßst die Ruth'

Im Schwunge oft aus deiner Rechten fallen.


Die ganze Welt, von Schlangenlist betrogen,

Hat sich ihr Elend selber zugezogen;

Doch tilgt sie nicht

Dein Zorngericht!

Um Jesu willen bist du ihr gewogen.


Des Sohnes Blut trof auf die Erde nieder

Und heiligte die Abgefallnen wieder;

Nun sind sie dein,

Entsündigt, rein;

Nun sind wir alle deines Sohnes Brüder.


O du, vor dem der Brüder Seelen schweben,

Sieh mich in meiner Trauerzelle beben,

Erbarme dich

Auch meiner; sprich:

Getrost, mein Sohn, die Sünd' ist dir vergeben!


Was willst du dich an einem Wurme rächen?

Ich weiß, du kannst die Fesseln mir zerbrechen;

Ach nimm, o Sohn!

Von mir den Hohn,

Und laß dein Blut vor deinem Vater sprechen.[283]


Ich will mir zwar das Leiden nicht verbitten,

So lang ich wall' in diesen Pilgerhütten.

Du selber hast

Des Lebens Last

Getragen, hast den Deinen vorgelitten.


Doch weißt du wohl, was meine Schultern tragen;

Drum wähle mir aus dieses Lebens Plagen

Ein leicht Gewicht,

Damit ich nicht

Mög' unter meiner heißen Last verzagen.


Dort will ich dich mit preisenden Gedanken

Erheben! Mich Gebundenen, mich Kranken

Hast du getröst,

Hast du erlöst;

Hallelujah! Dir will ich ewig danken.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 282-284.
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