Das Rufen der Völker

[226] Ein Betpsalm.


Eines neuen Jahres Sonne geht auf!

Und dich, Jehovah, der Zeiten Vater,

Der Aeonen Vater, grüßen die Völker!

Der Weise mit ernsten Gedanken,

Der Christ mit Gebet,

Mit Feuergesängen der Dichter,

Und mit Stammeln das Kind.

Am Niagara, am Indus, am reißenden Ganges,

Wie am Rhenus und an den Ufern

Des ernsten Danubius knieen die Völker

Und beten dich an, der Zeiten Vater,

Der Aeonen Vater, der Völker Gott!

Du hörest den schwarzen Mann,

Dem Numidiens Sand die Sohle sengt,

Und des nackten Negers Jammergeächz,

Wenn des unchristlichen Treibers Peitsche

Ihm gähnende Wunden fetzt.

Deinem Ohre, wie deinem Auge,

Entschlüpft nicht das leiseste Rufen der leidenden Menschheit.

Auch ich kniee vor dir in des erwachenden Jahres

Ersten Strahlen, und meines Psalmes Gewimmer

Verliert sich nicht unter dem Wogengetöse

Der tausendmaltausend Rufer gen Himmel.

Höre mich, Gott, und verschmähe nicht

Der bebenden Lippen Gebet

Für mein Vaterland und meine Brüder alle!

Der Bauer der Lande,

Der Lande Zerstörer bist du;

Du winkst – so wachsen Städte

Mit Thürmen, Häusern und Mauren,

Wie ein Aehrenfeld auf.[226]

Du winkst – so zermalmen Todesengel

Die Mauren der Vesten zu Sand,

So zerknicken sie Thürme, wie Binsen.

Vor tausend Landen hast du

Mein Vaterland gegürtet mit Kraft,

Hast seiner Söhne Knochen gestählt,

Ihren Augen geistige Flammen gegeben,

Ihre Brust zum Streite gehärtet.

Auch gabst du uns Biedersinn und Herzlichkeit

Und redliche Einfalt, wie sie unser Bruder nur,

Der freie Helvetier, hat.

O Völkergott, laß uns bewahren

Dieß dein köstliches Geschenke;

Nicht durch des schlimmeren Auslandes

Kindische Nachäffung

Unsre große Selbstheit verstümmeln.


Schau herab, Vater, auf Germaniens Lande!

Stattliche Tempel erheben sich da

Und ländliche Kirchen und Klosterhallen.

Da tönt dein Preisgesang noch:

Lobet den Herrn, den mächtigen König der Ehren!

Da schallt noch mit der Orgel Begleitung

Des starken Glaubens Triumphton:

Eine feste Burg ist unser Gott!

Da küssen die Völker noch den Sohn,

Daß er nicht zürne.

O laß unsre Leuchte

Nie verlöschen. Nimm nicht im Zorne

Das heilige Kreuz von unsern Altären,

Daß dann die Finsterniß dicker, gewölkter,

Strömender sei, als in den Zeiten der Nachsicht.

Jesus Christus, unser Herr und unser Gott,

Müsse von Deutschlands Söhnen verkündet werden,

Bis das Feldgeschrei tönt: Er kommt! Er kommt!

Auf daß er strafe mit Feuerflammen,

Die nicht wollten, daß er über sie herrsche;

Und gebe der Welt Gesetz und Licht und Recht,

Und Freiheit von Ewigkeit zu Ewigkeit.[227]


O, den du uns im Segen gabst,

Dein Nachgebild, dem du mit deutschem Kronengold

Die Schläfe schmücktest, unsern Leopold,

Bewahre du – dein Liebling ist er ja.

Siehe, noch ist seines Kleides Saum

Nicht mit Blute gefärbt; denn die Menschen

Sind ihm lieb, drum wählt er die Palme des Friedens

Vor dem blutigen Lorbeer.

Auch dem störrigen Sohne, wenn er umkehrt,

Fällt er freudeweinend an Hals,

Und denkt seiner Verirrung nicht.

O daß er lang' über uns herrsche!

Daß unter ihm der Deutsche wieder erwache,

Und groß und hoch sei an Geist,

Und gut und tief im Herzen!

Daß Kunst und Wissenschaft und Gewerb

Unter ihm blühe; daß der keuchende Mann

Hinter dem Pfluge, und der schweißtriefende Mann

Am donnernden Ambos

Seiner Arbeit Früchte froh genieße!

Um unsers Kaisers Thron

Lagre sich ein Wetter,

Draus siebenfach geschärfte Blitze zücken

Auf jeden Entweiher des Rechts,

Jeden Zerstörer der Ordnung,

Der gesetzlose Raserei

In Namen der Freiheit schleiert!

Jeden Höhner der Gottheit und der heiligen Pflicht!


Sieh, der blauen Schaaren König,

Der mit sieben Heeren auszuziehen vermag,

Jedes ein Hochgewitter, schwarz, drohend,

Mit Keulen des Todes bewaffnet –

Friedrich Wilhelm will den Frieden;

O so laß ihm lächeln diesen Sohn des Himmels.

Er schwinge nicht im rollenden Jahre

Das blutige Schlachtschwert des Wodan Brennus

Gegen die Riesin der Mitternacht,

Der Schlachtengeheul lieblicher tönt,[228]

Als der Hymnus des Friedens,

Von Geistern des Himmels gesungen.


Stürm' ihn hinaus, den Tyrannen des Aufgangs,

Aus Europa's hellen Bezirken,

Daß keine Sklavenkette mehr raßle

An des Isters Gestaden,

Daß im Chersonesos wieder

Die Musen lustwandeln, Sokrates wieder

Den Jüngling geleite in Tempel der Weisheit

Und der Urschönheit, daß nicht der Mensch

Unter lachendem Himmel

In der Hölle sich träume,

Wenn er im Nacken

Des Wüthrichs eherne Sohle fühlt.

An allen Flüssen Europa's

Sollen Tempel stehen, der Wahrheit geheiligt,

Wo Christus, des Hochgelobten, des Gnadelächlers,

Des Weltalls Entsündigers

Name gefeiert wird! –


Ha, ich höre die Stimme der Völker

In den Stunden der Weihe.

Sie alle verlangen Gnad' und Erbarmung von dir,

Du Freund und Liebhaber der Menschen.

»Erhalt' uns dein größtes Geschenk der Freiheit!«

So betet der kühne Franke an der Seine.

Erhalte sie ihm und gib es Allen,

Dies dein größtes Geschenk, die heilige Freiheit,

Wenn wir weise genug und in der Tugend erstarkt sind.

Wer frei sein will, um zu rasen,

Um Gesetz und Pflicht unter die Füße zu rollen,

Verdient Sklave zu sein; er sei es!


Ich höre der Beter Geflüster am Neckar,

Sie rufen: Unsern Karl, erhalt' ihn Gott!

Sieh, der Krankheit Hauch trübt sein Gesicht,

O klär es auf mit der Gesundheit

Reinstem Strahle. Er ist es werth;[229]

Er liebt sein Volk und Wissenschaft und Kunst.

Noch steht sein Athene, seiner Bildungen

Schönstes, gesegnetstes Werk. Es stehe!

Zahllose Zöglinge treten jetzt und künftig

Aus diesen Hallen der Weisheit und Zucht,

Und unsterblich sei seines Bildners Name.

Franziska, Karls erhabne Gefährtin,

Die hohe Freundin der christlichen Weisheit und Tugend

(Ihr Engel hat mit feurigen Zügen

Ihres Herzens zahllose Thaten

Längst in sein Buch geschrieben,

Um sie herunter zu lesen am Tage des Lohnes),

O geuß auch im rollenden Jahre des Lebens

Vollgeschöpfteste Schale über sie aus,

Daß sie spät hinüberwalle

Zu den Weisen Zollikofer und Hahn,

Deren Todtenmal sie aus Marmor erthürmte1.

Vor Deutschlands Provinzen strahle

Immer Würtemberg hoch auf

Durch Reinheit der Lehr und der Sitte!

Seine Saaten rauschen von Aehren,

Auf Stützen ruhe der Fruchtbaum,

Und von der Rebe träufe Traubengold.


Vater, Segner der Menschen,

Gib allen ihr bescheidnes Theil

So weit sie wohnen, deine liebe Menschen!

Zwo gräßliche Geister der Hölle,

Krieg und Aufruhr,

Umhalsten sich fürchterlich und schwuren:

Zu verwüsten Europa's blühendste Staaten!

Donnre sie in die nächtlichste Nacht

Der Hölle hinunter. – Pest und jede würgende Seuche[230]

Schwinde vor dir wie Wettergewölk

Vor dem Wehen des Sturms.

Segnend rolle das Jahr

Mit seinen Monden und Tagen vorüber!

Höre der rufenden Völker Geschrei,

Begnadiger, der Völker Herr und Gott!

Und segne sie! – Mit weinender Stimme

Fleh ich dich um meiner Brüder Heil!

Denn erquickend ist mir die Kunde

Von meiner Brüder Heil. Aber Thränen

Fließen in die Dinte, wenn ich die Kunde

Schreiben soll – von meiner Brüder Weh.

Lob, Anbetung, Preis sei dir,

Allbarmherziger, denn der Erhörung

Himmelsvorgefühl durchschaurt mein Herz!

Hallelujah!!

1

»Die Herzogin von Würtemberg, die keine Ausrufer ihrer schönsten Thaten bedarf, ließ gedachten großen Männern, die doch in Absicht auf ihr Religionssystem einander gegenüber stehen, durch die trefflichen Künstler Dannecker und Scheffauer ein herrliches Denkmal errichten, welches ich zu seiner Zeit beschreiben werde.«

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 226-231.
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