Der Wolf und der Hund

[198] Zum Hunde, der schon manche Nacht

An seiner Kette zugebracht,

Und wenn der Morgenstern am grauen Himmel hing,

Auf's Gay mit seinem Metzger ging,[198]

Sprach einstens Isegrim: Ei Bruder wie so mager!

Wie elend siehst du aus! wie schäbig und wie hager!

Daurst mich, bist gar ein armer Hund.

Sieh mich 'mal an! wie frisch und wie gesund

Ich bin! Ich rieche nach der Luft.

Mein Balg ist parfumirt mit mancher Staude Duft.

Ich hab dir immer guten Fraß,

Bald frisches Fleisch, bald fettes Aas.

Drauf leck' ich klaren Quell und traun!

Ich hab' dir immer gute Laun'.

Du aber – Ach, versetzte Melak, ach,

Herr Bruder, nur gemach!

Drum bist du Wolf; ich Hund! Du frei;

Ich aber in der Sklaverei.


Und die Moral? O die ist jedermann bekannt,

In Deutschland und in Engelland.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 198-199.
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