Polen

[189] Da irrt Polonia

Mit fliegendem Haare,

Mit jammerbleichem Gesichte,

Ringt über dem Haupte

Die Hände. Große Tropfen

Hangen am Auge, das bricht

Und langsam starrt – und stirbt,

Doch sie stirbt nicht!

Versagt ist ihr des Todes Trost.

Sie fährt auf, schwankt und sinkt

Nieder an der Felsenwand

Und schreit: ach meine Kinder,

Wo seid ihr? Ausgesät

In fremdes Volk und hülflos.

O Sobieski, großer Sohn,

Wo bist du? schau herab!

Hörst du nicht am Arme

Deines tapfern Volks die Fessel rasseln?

Siehst du nicht den Räuber

Aus Wäldern stürzen

Und dein Land verwüsten? –

Ach der Greis versammelt seine Kinder,

Seine Enkel um sich her

Und zückt das Schwert und würgt sie nieder.

Sterbt! so spricht er wüthend,

Was ist ein Leben ohne Freiheit?

Ha, er rollt die offnen Augen,

Durchstoßt die Brust und sinkt

Auf seiner Kinder Leichen nieder. –

So klagt Polonia.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 189-190.
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