Oetingers Todtenmal

[131] Wandrer, steh!

Oetingers Aussaat

Schwillt hier zur Auferstehung.

Im Urlicht flammt sein Geist.

Ihn,

Den Schauer göttlicher Geheimnisse

Im Reiche der Natur

Und der Gnade;

Den Schreiber tiefen Sinns,[131]

Den sanften Prediger der strengen Wahrheit,

Das Vorbild jeder Lehre

Kennen nur wenig Edle.

Seine Gottesverehrung,

Jesusliebe,

Geistesglut,

Duldung gegen Irrende,

Bei aller Strenge gegen das Irrsal,

Seinen allumfassenden Brudersinn,

Die Kindereinfalt bei der Vielfalt großer Kenntnisse,

Demuth beim Gefühl seiner Christengröße

Kennen Christus und Engel allein.

Was er im Nachtthal glaubte,

Das schaut er nun auf Sions

Sonnenberg,

Und predigt im Geist,

Was er gepredigt im Fleisch.


Wandrer, geh!

Lern ihn verstehen;

Dann folg' ihm.

Bei Luther, Arndt, Bengel,

Im Strahlenheer

Der Erstlinge Christus

Findst du ihn wieder.

Kindlein, die er weidete mit treuem Stabe,

Weinet nicht!

Oetinger, euer Vater und Hirt,

Erwacht am Tage der rufenden Schnitter

Und des Christus-Triumphs,

Um ewig zu strahlen

In der erkämpften Krone.

Halleluja!

Kindlein! weinet nicht!


(Starb den 11. Februar 1782 im 82. Jahre.)


Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 131-132.
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