Am Reginatage

[427] Regina, sieh, vom Himmel schaut

Dein Tag, geschmückt, wie eine Braut;

So lächelnd, wie der Frühling ist,

Wenn Flora seine Wangen küßt.


Und ich, Regina, flieg' zu dir,

Und lisple dir am Goldklavier

Die Wünsche meines Herzens zu,

Und freudeweinend singst sie du.


Als dich die Mutter einst gebar,

Trat zu der Wiege unsichtbar

Dein Genius im Lichtgewand

Und drückte dir die kleine Hand.


Dann sprach er: Holdes Schwesterlein,

Regina soll dein Name sein.

Doch siehst du einst im Himmel mich,

So nenn' ich Serafina dich.


Gott gab dir geistiges Gefühl,

Und Menschensang und Flügelspiel,

Und, trautes Mädchen! mehr, als dies,

Ein Herz, gemacht für's Paradies.


O, daß die faule Sinnlichkeit

Nie diese reine Seel' entweiht,

Und daß, gewiegt von Gotteshuld,

Dein Herz beflecke keine Schuld!


Daß Lieb' und Freundschaft dich erfüll',

Daß dich der Unschuld Seide hüll'!

Daß alle deine Freude rein,

Selbst deine Wünsche heilig sein![427]


Gott gab mich dir zum Genius,

Regina, nimm den Bruderkuß

Und walle stets an meiner Hand!

So sprach der Engel und verschwand.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 427-428.
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