An Sibyllchen

[412] Mädchen, hab' ich dich im Arm

Beim gesell'gen Weine,

O so laß ich gern den Schwarm

Steifer Herrn alleine,


Die beim hohen Freudenmahl

Sich unhöflich necken

Und bei selbstgeschaffner Qual

Keine Freude schmecken.


Laß den Herren ihren Zwang,

Ihre Höflichkeiten!

Freundschaft, Liebe und Gesang

Schafft uns bess're Freuden.


Wenn du, trautes Mädchen, dich

In dem Weinglas spiegelst

Und mit Küssen wonniglich

Deine Lieb' versiegelst,


Wenn der Weingeist um uns her

Süß und lieblich düftet

Und das Herz, von Sorgen leer,

Sich in Wonne lüftet,


O wie werden wir dann warm,

Mehr von Lieb', als Weine,

Und wir lassen gern den Schwarm

Steifer Herrn alleine.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 412-413.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der