Lisel an Michel

[450] Mein trauter Michel ist so gut,

So gut wie er gibt's keinen;

Wenn ihn mein Auge sehen thut,

So möcht's vor Freuden weinen.


Kein Apfel ist so roth und rund

Wie sein Gesicht und Wangen;

Wie Rosenblätter ist sein Mund,

Dran Honigtropfen hangen.


Die Aeugelein sind rund und scharf

Als wie Rebhühneraugen;

Sie könnten, wenn man's sagen darf,

Des Nachts für Sternlein taugen.


Wer ist so flink, und rasch wie er,

Im Tanzen, Werfen, Springen;

Wer kann im Dorfe trefflicher

Zum Dudelsacke singen?


Wer ist so launig, so voll Scherz

Beim Flegel und der Sichel;

Und wer hat ein so gutes Herz,

Als wie mein lieber Michel?


Denkt nur, er ist erst achtzehn Jahr;

Man sieht's an seinem Kinne,

Am schlanken Wuchs, am weichen Haar,

Und an der hellen Miene.


Weiß wohl, es gibt der Mädels mehr,

Die meinen Michel lieben;

Drum fällt's mir armen Mädel schwer,

Die Hochzeit zu verschieben.


Noch heute werd' ich seine Frau,

So wahr ich Lisel heiße!

Daß nicht ein andres Mädchen schlau

Den Michel mir entreiße.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 450-451.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
S Mmtliche Gedichte, Volume 1
S Mmtliche Gedichte, Volume 3
Gedichte. Aus der