Dank für die Harfe

[78] An Gott.


Als ich ein Knabe noch war,

Als das Sommerabendlüftchen

Meine goldnen Locken noch hob,

Da ging ich oft an meines Vaters Seite

In dunklen Eichenwald.

Da sah der gotterfüllte Mann hinauf

Zu den schwärzlichen Wipfeln der Eiche.

Ihm schien's, der Wind

Brauche die Blätter der Eiche zu Zungen,

Um mit neuer Sprache zu sprechen

Dein Lob, Jehovah!


Da hob sich sein Geist. Ihn faßte

Die Nähe Gottes mit heiligem Schauer –

Er schwieg. Ich aber blieb zurücke,

Staunend vor der erhöhteren Würde

Des gotterfüllten Mannes.

Noch immer schwieg er, wie in Gesichte verloren.[78]

Bald aber trat er freundlich vor mich hin und sprach:

Sohn, dein Engel wird die Harfe dir reichen,

Mit Gold bespannt. O sei

Ein Sänger Gottes!


Da sprach er viel mit der Begeistrung Glut

Von Gottes Größe. Stutzt' oft und barg

Des Staunens berstende Thräne.

Auch sprach er viel mit der Begeistrung Glut

Von Christus, dem Knaben zu Bethlem,

Von Christus, dem göttlichen Lehrer,

Von Christus, dem Lamm am Opferaltare,

Dem Himmelerhabnen! dem Allbeherrscher!

»Und wie er dir itzt so nah ist, Sohn,

Und wie er itzt so nah ist deinem Vater« –

Das sagt' er und konnte nicht bergen

Der himmlischen Liebe niederstürzende Thräne.

Da weint' ich auch, ich glücklicher Knabe,

Wie der geritzten Birke Saft

Floßen unsre Thränen aufs Waldgras

Und tränkten den lechzenden Erdschwamm.

Ja, sprach ich freudeweinend, Vater,

Wenn mir mein Engel einst die Harfe beut,

Mit Gold bespannt, werd' ich

Ein Sänger Gottes.


Ein Jüngling ward ich. Schlürft' aus dem Kelche des Lebens

Der sprudelnden Freuden viel; doch sang ich auch

Dein Lob, Jehovah!

Dein Lob, du Bethlems Knabe!

Du göttlichster Lehrer, dein Lob!

Du Himmelerhabner, Allbeherrscher,

Naher, dein Lob!


Ich ward ein Mann, des Lebens Stürme

Wirbelten mich auf taumelnden Wellen.

Aber selbst auf des Lebens

Tosendem Meere, selbst im Bauche

Des Felsengrabs sang ich

Jehovah, dich!

Messias, dich![79]


Siebenäugiger Allgeist, dich!

Mein Vater, der stattliche Mann,

Ist heimgegangen zu dir, du Guter,

Und ach! ich sah ihn nicht sterben,

Hörte nicht des Sterbenden Segen,

Den er dem fernen, irrenden Sohne

Mit dem Zeichen des Kreuzes zusandte!

Aber, Heil mir! ich komme zu ihm und zu dir –

Nicht wahr, du verheißest es mir,

Gott, mein erster, größerer Vater?

Ja ich komme zu ihm und zu dir,

Dann misch' ich nicht mehr die heisere Stimme

In den Preisgesang der zahllosen Schaar

Am krystallnen Meere. Dann sing' ich

In der Harfen Donner

In des Krystallmeers Getöse

Dein unentweihteres Lob, Jehovah!


Und ach! wenn einer deiner Blicke

Herab vom weißen Throne

Mit dem siebenfarbigen Bogen des Bundes gegürtet,

Ach, wenn einer deiner Blicke

Mich gnadelächelnd

Unter der zahllosen Schaar

Ansäh'; o würd' ich nicht

Die Harfe sinken lassen aus bebenden Händen?

Nicht sinken auf des Himmels Azurboden?

Nicht wonneschluchzend verstummen?

Vor dir, Jehovah!

Du Naher, vor dir?

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 78-80.
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