Hoffnung

[70] Nach dem 125sten Psalm.


Wenn mich aus meinen Banden

Der Herr befreit;

Und hab' ich überstanden

Den Hohn der Zeit;

Dann werd' ich wie erwachen

Aus einem Traumgesicht;

Der Mund, Heil mir! voll Lachen,

Das Herz beströmt mit Licht!


Dann jauchz' ich: Gott hat Großes

An mir gethan;

Deß bin ich fröhlich, Großes

Hat Gott an mir gethan!

Preis' ihn in Lobgesängen,

Die Fesseln sind entzwei;

Die Eisenriegel sprengen

Und ich bin frei, bin frei!


So wende mein Gefängnis,

Herr! mach' mich los!

Mein trauriges Verhängnis

Scheint mir zu groß!

Bald sind des Lebens Fluten

Vertrocknet, wie ein Bach;

O laß es nicht verbluten,

Dies Herz im Ungemach![70]


Doch die mit Thränen säen,

Gefangne, läßt

Der Herr mit Jauchzen gehen

Aufs Erntefest.

Sie gehen hin und weinen,

Und tragen edle Frucht,

Am Tage, wenn die Seinen

Der Herr der Ernte sucht.


Die ihr mit Fesselnarben

In Kerkern weint,

Einst bringt ihr eure Garben

Dem Menschenfreund!

O Tag der Wonn' und Psalmen,

O Erntetag brich an!

Daß ich auch meine Halmen

Frohlockend bringen kann!

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 70-71.
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