Die stille Stadt

[6] Nenne mir die stille Stadt,

Die den ew'gen Frieden hat,

Deren düstere Gemächer

Sanft sich bauen grüne Dächer:

Ueber ihrer Häuser Zinne

Wandelt ernst der Fremdling hin,

Ziehet fort und hält nicht inne,

Grauen fasset ihm den Sinn.

Aber endlich tritt er wieder

Zitternd auf das morsche Dach,

Und die Wölbung sinket nieder,

Daß er stürzt in das Gemach.

Drunten in den Hallen traurig

Sieht er da die Bürger ruhn,

Alle liegen stumm und schaurig,

Mögen keinen Gruß ihm thun.[6]

Die geschlossne Pforte kündet

Ihm sein ewig Bürgerrecht,

Und der arme Wandrer findet

Bald ein Bettlein recht und schlecht,

Ist des Prunkens müde worden,

Schickt sich in den stillen Orden,

Legt sich nieder in der Stadt,

Die den ew'gen Frieden hat.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 6-7.
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