Der Fleischer von Constanz

[358] Wohl wehrt sich die alte, die freie Stadt,

Den herrlichen römischen Namen sie hat,

Und römischen Mut,

Und deutsches Blut,

Und Christenglauben,

Den soll ihr der spanische Henker nicht rauben!


Drum kämpfen die Bürger vom Thurm und am Thor,

Und dringen zur hallenden Brücke hervor,

Es hört es der Rhein,

Da rauschet er drein,

Es ruft die Söhne

Der See mit der tosenden Wellen Getöne.
[358]

Wer streitet am kühnsten für Ehr' und für Heil?

Das ist der Fleischer mit hauendem Beil.

Sonst schlägt er den Stier,

Das brüllende Thier,

Heut muß er sie schlachten,

Die ihm nach der Metzig, der blutigen, trachten.


Er steht auf der Brücke zuvorderst im Schwarm,

Den Aermel gestülpet, mit nervigtem Arm,

Und jeder Streich

Schlägt einen bleich,

Da kommen die Andern:

Zur Schlachtbank läßt er sie spöttlich wandern.


O weh, ihr Brüder! verlasset ihr ihn?

Es doppelt der Spanischen Heer sich, sie flieh'n,

Sie rufen ihn mit:

Doch keinen Schritt

Weicht von der Stelle,

Alle Feinde bekämpfet der kühne Geselle.


Vorn Einer und hinten da nahet ein Paar,

Die wildesten Knechte der stürmenden Schar,

Sie packen in Eil'

Des Fleischers Beil –

Er ist verloren;

Da denkt er: Soll ihnen nicht frommen, den Thoren!


Zween Arme ja hat er, die fassen die zwei:

Und wollt ihr Ein Leben, so opfr' ich Euch drei!

Er hält sie umspannt,

Er drängt sie zum Rand,

Er sendet die Blicke

Hinab zu dem schäumenden Rhein von der Brücke.


Und schnell an's Geländer, eh' Andere nahn,

Drückt er sie, die ringenden, kräftiglich an;

Mit ihnen hinein

Kopfüber zum Rhein

Mit frohem Schwunge

Sieht man ihn stürzen im tötlichen Sprunge.
[359]

Die klagenden Feinde verschlinget die Flut;

Lang wiegt sie, lang trägt sie den Bürger gut,

Jetzt zeigt sie den Fuß,

Den Arm, wie zum Gruß,

Die Schultern, die blanken,

Das lockigte Haupt und den Nacken, den schlanken.


Da sucht ihn das fremde Geschoß, doch der Rhein,

Hüllt fromm in den Mantel, den grünen, ihn ein.

Er zieht ihn hinab

In's festliche Grab,

Dort ruht er geborgen

Vor feindlicher Schmach bis zum ewigen Morgen.


Dort schläft ohne Traum er den süßesten Schlaf,

Er weiß nicht das Loos, das die Heimat ihm traf.

Man trügt, man raubt

Ob seinem Haupt

Freiheit und Glauben;

Die Märtyrerkrone wird keiner ihm rauben.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 358-360.
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