Des Fischers Haus

[337] Sein Haus hat der Fischer gebaut,

Es stehet dicht an den Wellen,

In der blauen Flut sich's beschaut,

Als spräch' es: wer kann mich fällen?


Die Mauern, die sind so dicht,

Voll Korn und Wein sind die Räume,

Es zittert das Sonnenlicht

Herunter durch Blütenbäume.


Und Reben winken herein

Von grünen, schirmenden Hügeln,

Die lassen den Nord nicht ein,

Die umhaucht nur der West mit den Flügeln.


Und am Ufer der Fischer steht,

Es spielt sein Netz in den Wellen,

Umsonst ihr euch wendet und dreht,

Ihr Karpfen, ihr zarten Forellen!


Sein frevelnder Arm euch zieht

Im engen Garn an's Gestade;

Kein armes Fischlein entflieht,

Das kleinste nicht findet Gnade.


Auf steiget kein Wasserweib,

Euch zu retten, ihr stillen, ihr guten!

Und lockt mit dem seligen Leib

Ihn hinab in die schwellenden Fluten.
[337]

»Ich bin der Herrscher im See,

Ein König im Reiche der Wogen!«

So spricht er und schnellt in die Höh'

Den schweren Angel im Bogen.


Und euer Leben ist aus,

Der Fischer, mit frohem Behagen,

Er tritt in das stattliche Haus,

An den harten Stein euch zu schlagen.


Er legt sich auf weichen Pfühl,

Von Gold und Beute zu träumen; –

O Nacht, so sicher und kühl,

Wo Hamen und Angel säumen!


Da regt sich das Leben im Grund,

Da wimmelt's von Karpf' und Forelle,

Da nagt's mit geschäftigem Mund

Und schlüpft unter's Ufer im Quelle.


Und frühe beim Morgenrot

Der Fischer kommt mit den Flechten;

Am Tage drohet der Tod,

Die Rache schafft in den Nächten.


Von Jahr zu Jahr sie nicht ruht,

Die Alten zeigen's den Jungen;

Bis daß die schweigende Flut

Ist unter das Haus gedrungen;


Bis daß in sinkender Nacht,

Wo der Fischer träumt auf dem Pfühle,

Das Haus, das gewaltige, kracht,

Versinkt in der Wogen Gewühle.


Ausgießet sich Korn und Wein,

Es öffnet der See den Rachen,

Es schlingt den Mörder hinein,

Er hat nicht Zeit zum Erwachen.


Die Gärten, die Bäume zugleich,

Sie schwinden, sie setzen sich nieder,

Es spielen im freien Reich

Die Fische, die fröhlichen, wieder.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 337-338.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Haffner, Carl

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus ist eine berühmtesten Operetten von Johann Strauß, sie wird regelmäßig an großen internationalen Opernhäusern inszeniert. Der eingängig ironische Ton des Librettos von Carl Haffner hat großen Anteil an dem bis heute währenden Erfolg.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon