Die seltne Kur

[354] Ein Ritter ist der Herr von Sax,

Der reichste Mann am Rheine,

Er angelt in dem See den Lachs

Und jagt den Hirsch im Haine;

Er reitet an der eignen Saat

Vorüber meilenlang den Pfad

Und preßt die wärmsten Weine.


Warum hat er mit Mühe doch

Ein Fräulein heimgeführet?

Ist nicht sein Wuchs so schlank und hoch,

Wie's einem Mann gebühret,

Die Wange braun, die Lippe warm,

Die Brust gewölbt und stark der Arm,

Wie's gern ein Mägdlein küret?


An Leib und Seel' ihm nichts gebricht,

Er wär' ein stolzer Degen,

Hätt' er zu viel nur Eines nicht,

Zu viel, das ist kein Segen:

Ach, an dem wohlgestalten Kopf

Des edlen Ritters hing – ein Kropf,

Der blieb' wohl unterwegen!


Doch leider mit ihm wandelt er

Zu Hof und in die Städte,

Macht ihm die Liebesseufzer schwer,

Und steigt mit ihm zu Bette,

Er zieht ihn auf den Boden schier

Und drückt beim festlichen Turnier

Als Spange mehr und Kette.


Da kreuzten wohl die Fräulein sich,

So gut den Speer er führte,

Bis endlich eine, tugendlich

Und arm, ein Mitleid spürte,

Dem Ritter that es selber leid,

Als ihm den Hals die schöne Maid

Noch vor dem Mund berührte.
[355]

Er zieht mit ihr in's hohe Schloß

Im Forst auf Felsengrunde;

Dort zeiget ihr der Ehgenoß

Die Güter in der Runde;

Sie lebt in Freud' und Ueberfluß,

Drum trägt sie gern den Ueberschuß

An ihres Herren Schlunde.


Und schöne Kinder lächeln ihr,

Dem Ritter gleich gestaltet,

Nur daß der Köpfe schmucke Zier

Auf schlanken Hälsen waltet,

Doch, nimmt der Vater sie auf's Knie,

Den schweren Athem fürchten sie,

Daß er die Stirne faltet.


Ein solcher Kropf verträgt sich fast

Nicht mit der Vaterwürde,

Drum wird das Leben ihm zur Last,

Wie seines Halses Bürde;

Er athmet, wie er pflegte, tief,

Und zog, als ihm die Fehde rief,

Fern aus von Hof und Hürde.


Was soll ich länger Weib und Kind

Mit meinem Anblick plagen?

Drum in den wilden Kampf geschwind,

Sie mögen mich erschlagen!

Er spricht's und aus dem dichten Wald

Bricht schon der Feinde Hinterhalt,

Eh' es begann zu tagen.


Er ficht umringt von seinem Troß,

Er sieget wider Willen,

Der wilde Gegner schwenkt sein Roß,

Und möchte fliehn im Stillen:

Allein dem Freiherrn däucht's nicht gut,

Ihn dürstet nach dem eignen Blut,

Er will sein Loos erfüllen!
[356]

Darum erjagt er auf der Flucht

Den Führer in der Oede.

Steh! schreit er, und der Hiebe Wucht

Begleiten seine Rede;

Da hieß es ehrlich: nimm und gieb!

Nach manchem Wechselstoß und Hieb

Zu Boden fielen Beide;


Von seinem Beigewicht Herr Sax,

Der Andre von dem Streiche,

Doch schwinget seinen Speer da stracks

Der wunde, todesbleiche:

Er traf den Freiherrn in den Hals,

Er freuet sich noch seines Falls,

Reckt sich und liegt als Leiche.


Und überströmt von seinem Blut

Lag auch der edle Ritter;

Leicht ist sein Athem und sein Mut,

Ihm dünkt der Tod nicht bitter,

Still grüßt er Weib und Kinder klein,

Er schläft zu sanftem Schlummer ein,

Wie nach der Ernt' ein Schnitter!


Doch wacht er wieder auf vom Schlaf

In eines Bauren Hütte,

Gebettet und gepfleget brav,

In seiner Knappen Mitte,

Gesund vom Fuß bis an den Kopf,

Nichts fehlt dem Ritter als – der Kropf,

Dank jenem Meisterschnitte!


O Zeichen, das an ihm geschehn,

Ihn hat der Feind kuriret!

Wie stattlich ist er anzusehn,

Wie jetzt ihn alles zieret:

Das hohe Haupt, das braune Haar,

Das freie Kinn, das Schulternpaar,

Der Hals, ganz schmal geschnüret!
[357]

So reitet er zum Felsenhaus,

Das aus dem Walde blinket;

Zum Fenster schaut die Frau heraus,

Er grüßt, er nickt, er winket:

Sie sieht die herrliche Gestalt,

Die Brust von einem Seufzer wallt,

Ihr Blick zu Boden sinket.


»Ein Bot' ist's wohl von meinem Herrn,

Er bringt mir Siegeskunde!

Solch einen Boten schau' ich gern!«

Denkt sie im Herzensgrunde.

O Wunderwonne! wer in Lust

Drückt stolz und schön sie an die Brust,

Hängt ihr verjüngt am Munde?


Die Kinder strecken nach ihm aus,

Dem schönen Mann, die Hände,

Und Jubel hallt durch's ganze Haus,

Durchdröhnt die Felsenwände.

Sein Stamm, der blühte reich belaubt,

Hoch trug der edle Sax das Haupt

Bis an sein selig Ende.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 354-358.
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