Rudolph und der Gerber

[360] Der König Rudolph sacht im Schritt

Durch eine Straße Basels ritt;

Die hohen Häuser, ganz von Stein,

Sie leuchten seinen Augen ein;

Viel, nach der stolzen Art zu bauen,

Sind Edelsitzen gleich zu schauen;

Mit Schiefer blank das Dach geschirmt,

Der Erker künstlich aufgethürmt,

Daraus geschmückte junge Frauen

Mit Scham und Neugier auf ihn schauen.

»Traun, diese Stadt ist wohlgethan,

Wie fangen das die Bürger an?

An Haus, an Gut, im Schoos der Ehen,

Mit allem sind sie wohl versehen!«

So in Betrachtung still versenkt

Das Roß er um die Ecke lenkt,[360]

Doch Lieblich's just hier nichts er siehet,

Ja gar den Athem an sich ziehet,

Denn auf der offnen Straße haut

Auf eine rohe muffige Haut,

Die auf das Holz er spannt', ein derber,

Unaufgeputzter, bärt'ger Gerber.

Er denkt, und lüftet seinen Helm:

»Das ist denn doch ein armer Schelm,

Der hat wohl auch nichts zu genießen

Von Milch und Honig, so hier fließen;

Daß er sich einen Pfennig spart,

Macht mit dem Schinder er halbpart.

Sein Duft ist wahrlich kaum zu tragen;

Ein spöttlich Wort muß ich ihm sagen!«

Drum, wie der König ritt vorbei,

So seufzt' er einmal oder zwei

Und spricht zu sich halb leis, halb laut:

»Der gerbt' auch keine stinkende Haut,

Wenn hundert Mark des Jahrs er hätt',

Dazu ein schönes Weib im Bett.«

Der Gerber drauf besinnt sich nicht,

Er schaut dem König in's Gesicht:

»Herr, sagt Ihr das zu meinen Ohren,

So ist an mir der Wunsch verloren.

Im Scherze wünschet Ihr mir das,

Was ich besitz' im vollen Maß.«

Der König sieht ihn staunend an:

»Treib deinen Spott mit mir nicht, Mann!

Denn wisse: wenn ich abgesessen,

Die Ecke hab' ich nicht vergessen,

Und aus der Herberg' eil' ich her:

Nach deinem Schatz verlangt mich sehr.«

So ritt er fürder ohne Fährde,

Der Gerber neigt sich bis zur Erde,

Dann tritt er eilig in sein Haus,

Zieht Schurz und Mütz' und Kittel aus,

Thut ab den Schmutz im warmen Bade,

Und schmückt sich auf des Königs Gnade:

Da wird ein Sammtrock angelegt,[361]

Von Federn das Barett sich regt,

Und von der Brust herab mit Prangen

Läßt er ein gülden Kettlein hangen:

Wie er wohl sonst im Sonntagsstaat

Am höchsten Fest zur Kirche naht.

Dann rufet er der Frauen sein,

Die eilt an den verwahrten Schrein:

Dort harret, künstlich zugerichtet,

Die feine Leinwand aufgeschichtet,

Dort leuchten Purpurwat und Seide,

Der frische Schmuck vom Hochzeitkleide.

Ihr Bestes wählt das junge Weib,

Und schmücket sich den reinen Leib;

Sie heißt die zarten, krausen Spitzen

Am weißen Halse zierlich sitzen,

Sie wölbt das Mieder nach der Brust,

Die Seide schwillt und fällt mit Lust,

Sie windet Bänder, knüpfet Schlingen,

Die Finger zieret sie mit Ringen,

Sie kämmt ihr langes goldnes Haar

Und badet sich die Aeuglein klar;

Die Zucht, die Schönheit überglüht

Die Wange, daß sie lieblich blüht.


Derweil durch's lange Hinterhaus

Ziert man die hohen Stuben aus,

Und Zimmer thut sich auf an Zimmer,

Als schlöße sich die Reihe nimmer;

Und mitten setzt im größten Saal

Der reiche Mann ein fürstlich Mahl;

Die leckersten Gerichte schmücken

Die volle Tafel zum Erdrücken,

Was da steht auf damastnem Grund,

Verschmähet auch kein Königsmund;

Aus gold- und silbernen Pokalen

Sieht man den edlen Rheinwein stralen;

Und oben an zum reichen Mahl

Setzt er sein schönes Ehgemahl;

Er selbst sich an die Thüre stellt,[362]

Ganz schmuck und stattlich Wache hält.

Dort stand er eine kleine Weile,

Als schon ein Edelknecht mit Eile

Vor die geputzte Schwelle trat

Und rief: »Mein Herr und König naht!«

Und bald im Reitersrocke schlicht

Trat ein mit freundlichem Gesicht,

Und sah mit Staunen, starr und stumm,

Herr Rudolph rings im Saal sich um.

Und endlich sprach er: »Traun, verirrt

Hat sich das Glück zu Euch, Herr Wirt!

Ich glaub' ich bin der Bürgersmann,

Und poche bei dem König an!

Ja, solcher Zimmer, solcher Schätze,

Am Tisch so wohlbesetzter Plätze,

Und solcher Königin bei'm Schmaus

Wär' wert ein fürstlich Herrenhaus!«

Mit diesen Worten setzt' er sich

Zur holden Wirtin tugendlich

Und auf den Stuhl zu seiner Linken

Thät er den Gerber niederwinken.

Er trinkt vom goldnen Rheinwein gern,

Ein schöner Mund kredenzt dem Herrn;

Läßt zum Kapaun sich nicht erst bitten,

Den ihm der Nachbar zugeschnitten.

Wie er nun guter Dinge war,

Nicht trunken von dem Weine zwar,

Doch trunken von dem Reiz der Schönen,

Und lüstern fast, den Mann zu krönen,

Der doch schon halb ein König schien,

Lockt' er mit solchen Worten ihn:

»Hört, Freund, es will mir nicht gefallen,

Daß Ihr bei solchen Schätzen allen

Die schmutzige Hantierung treibt;

So reich begabt, so schön beweibt,

Da solltet Ihr zu Hofe fahren,

Ihr seid in Euren besten Jahren;

Bracht's doch ein schlichter Graf zum Thron,

Zum Ritter bringt's ein Bürger schon.[363]

Auch Euch, Frau Wirtin, soll's nicht reuen,

Ihr braucht Euch nicht am Hof zu scheuen,

Man huldigt Euch, man beugt sich tief,

Die Schönheit ist ein Adelsbrief.«

Der Herr in's Reden sich verlor,

Der Gerber kratzt sich hinter'm Ohr,

Er denkt: »Wenn mir des Königs Gnade

So säß' in's Nest, das wär' doch schade!«

Er hat sein Haus so klug bestellt,

Er kennet wohl den Lauf der Welt;

Was soll er Witz und Wahrheit sparen?

Am besten ist's, gradaus gefahren!

»Großmächt'ger Herr!« erwiedert er,

»Euch widersprechen ist zwar schwer,

Doch seid Ihr gut, da darf ich's wagen,

Wie mir's um's Herz ist, Euch zu sagen.

Mein Handwerk hat mich reich gemacht,

Drum ehr' ich es und nehm's in Acht;

Der Stolz, der Glanz, das üpp'ge Leben

Macht Schätze kleiner, statt zu geben;

So hab' ich auch die schöne Braut

Erworben mir mit mancher Haut,

So ihrem Vater ich gegerbt,

Von dem ich Kunst und Geld ererbt.

Ging' ich mit ihr auf andern Wegen,

Glaubt mir, es brächte keinen Segen.

Verborgenheit thut immer gut.

Seht, wenn ich so mit frohem Mut

Vor meiner Thür' die Häute gerbe

Und zum Erworbnen eins erwerbe,

Da sucht die Neugier und der Neid

Nichts hinter meinem schmutz'gen Kleid;

Ich koste still mein Abendmus,

Den Becher Weins, des Weibes Kuß.

Bei allem solchen müßt' ich beben,

Wär' ich verdammt zum Herrenleben:

Da schenkt' ich meinen alten Wein

Den Neidern und den Feinden ein,

Da mästet' ich mit meinen Braten[364]

Die Herrn, die morgen mich verraten,

Am Ende schmückt' ich gar mein Weib

(Gott wend' es!) fremdem Zeitvertreib.«

Da hub der König sich vom Mahl

Und schritt mit Schweigen durch den Saal,

Dreht sich noch einmal an der Schwelle,

Und sprach verdrießlich: »Sprich, Geselle,

Du hütest ängstlich Weib, Geld, Wein,

Was ließest du denn mich herein?«

Der Gerber ließ sich nicht bethören

Noch durch den finstern Blick verstören:

»Ich habe,« sprach er fest und laut,

»Auf Euer Königsherz getraut.

Was ist's, wenn, der uns alle schützet,

Dacht' ich, bei meinem Weibe sitzet!

Hätt' ich's mit Euch zu thun allein,

Noch heut wollt' ich am Hofe sein.«

Rot ward und freundlich da der König,

Im Herzen schämt' er sich nicht wenig,

Daß just zum Wort des Gerbers nicht

Auch sein Gewissen Amen spricht.

Er reicht die Hand ihm hold bei'm Scheiden,

Die Frau befahl er stolz zu kleiden,

Noch schöner, denn's der Mann vermag;

Doch als er über Jahr und Tag

Durch Basel wieder kam geritten,

Und sah auf jener Straße Mitten

Bei seiner Haut den Gerber stehn,

Hieß er sein Roß wohl fürbaß gehn,

Und rief ihm erst von weitem zu:

»Verzehre, Freund, dein Mahl in Ruh'!«

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 360-365.
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