1. Der Stein in Ketten

[374] In die nackten Jurarippen,

Zwischen Felsgeklüft und Klippen,

Hängt ein Steinblock eingekeilt,

Unter dem mit Lustentsetzen

Und mit schaurigem Ergetzen

Auch der schnellste Wandrer weilt.


O wie wirst du erst erstaunen,

Lässest du ins Ohr dir raunen,

Was dem Hirten wird vertraut,

Der mit aufgeschlossnem Blicke

Die Dämonen der Geschicke

In Gebirg und Thälern schaut.


Frage nach dem Block nur diesen,

Sieh da zeigt er dir den Riesen,

Der das Thal querüber liegt,

Und an schweren Eisenketten –

Einst damit das Land zu retten –

Jenen Stein in Lüften wiegt.
[374]

Wenn es je dem Feind gefiele

Ueber diese Schweizerdiele

Einzuschreiten in das Land,

Wird auf ihn in diesem Thale,

Hundertfachem Donnerstrale

Gleich, der Felsenblock gesandt.


Siehst du nicht durch's Buchendunkel

Blauer Augen Glutgefunkel

Und das wolkenweiße Haar?

Hörst du, wie der Wald erschauert,

Wenn er – sonst nur hingekauert –

Plötzlich auflauscht nach Gefahr?


Geh' zur Heimat und erzähle

Deinem Volk bis in die Seele,

Was dein Auge hier gewahrt:

Wie der Geist der Freiheit droben

Seine Schleuder hält gehoben,

Für den rechten Wurf sie spart.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 374-375.
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